Der Kleiderberater

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XBLiebig

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Der Kleiderberater

Mein viel besseres Ich macht sich oft darüber lustig, dass ich manchmal (zugegeben: täglich) ratlos vor meinem Schrank stehe und lauthals beklage, nichts zum Anziehen zu finden. Habe ich Glück, kommt sie kopfschüttelnd herüber, sucht in Sekundenbruchteilen ein paar Teile zusammen und präsentiert sie mir stolz. „Jaja“, murmle ich, um mein Gesicht zu wahren, „ja das hatte ich mir auch gerade gedacht, aber...“

[ 4]Seit sie meine Kleidung auswählt, verliere ich meine frühere Sicherheit bei der eigenen Farb- und Kleidungszusammenstellung. Ich höre schon ihr helles, schallendes Lachen, wenn sie dies liest. „Deine Sicherheit? Du und Farbzusammenstellung? Als Mann?“ Okay, zugegeben, ich habe früher gelbe Stiefel zu meinen Jeans getragen, und meine Hemden waren ziemlich kleinkariert. Immerhin habe ich schon mehr als die ersten vierzig Jahre überlebt. Aber Frauen fordern mehr. Sie lassen dich mit einer bewährten Kombination monatelang umherwandern, um dir eines Tages mitzuteilen, daß diese Zusammenstellung einfach unmöglich ist. Sie werden es so formulieren: „Du warst doch hoffentlich nicht so auf der Straße“.

[ 4]Die Damen selbst stehen noch länger vor dem Schrank, aber meist nur zum Jammern. Nehmen wir zum Beispiel mit viel besseres Ich. Sie schimpft lauthals vor sich hin, sagt, sie müsse dringend etwas Neues einkaufen; überhaupt habe das Leben keinen Sinn. Dann geht sie noch einmal zurück und kommt Sekunden später mit einer Komplettkleidung zurück. Vom Slip bis zum Schal, alles perfekt aufeinander abgestimmt.

[ 4]Ist sie doch einmal unsicher: dann hält sie mir zwei unterschiedliche Kombinationen vor die Nase und fragt mich, ja: MICH, wozu ich ihr raten würde. Jetzt wird es schwierig. Man kann ja nie wissen, ob es sich jetzt um eine Prüfung oder eine ernsthafte Frage handelt. Also versuche ich wie das Orakel von Delphi zu antworten, jedes der beiden sei gut, das eine klassisch, das andere sportlich. Es käme doch sehr darauf an, welchen Eindruck man erzeugen wolle, ob sie heute offizielle Termine in der Arbeit habe, blablabla. „Vergiss es“, sagt mein viel besseres Ich, „sag mir jetzt sofort, welches Kleid du jetzt tragen würdest.“ 

[ 4]Junge, mach jetzt keinen Fehler und fang an zu witzeln, du würdest als Mann sowieso kein Kleid tragen. Sie würde dich in dieser Situation erschlagen und eine milde Richterin finden, alternativ dein heimisches Sexualleben für Wochen zum Erliegen bringen. Also entscheide dich und erwarte dein Urteil. INSHALLAH! Aus meinem Mund entweicht ein: „Das blaue“. Sie schaut mich an, dann die Kleider auf ihren Armen an und lächelt mich zufrieden an: „Danke, mein Schatz, du hast mir sehr geholfen.“ Wortlos und mit einem seligen Ausdruck auf ihrem Gesicht hängt sie die blaue Kombination für immer und ewig in den Schrank zurück. Rrrumms. Der Schlag sitzt und trifft. Jedes Mal.

[ 4]Ende der Geschichte? Keineswegs, denn wir sind noch lange nicht auf der sicheren Seite. Da sie mit Kleidungsauswahl so viel Zeit verloren hat, muss sie sich beeilen. Panik bricht aus. Im besten Falle duscht sie, schminkt sich und verlässt mit genervtem Ausdruck hastig die Wohnung. Soviel zum seltenen Fall, der eigentlich kaum eintreten kann.

[ 4]Variante 2: sie duscht und schminkt sich, erzählt mir dabei wichtige Dinge, die ich erledigen muss, und erklärt, dass sie jetzt beim besten Willen keine Zeit für mich habe, sobald ich auf ihre Fragen zu antworten versuche.

[ 4]Sie zieht sich an... und entdeckt eine Laufmasche in der Strumpfhose. Wissen Sie, was das bedeutet? Diese Strumpfhose war einzigartig und nur dazu bestimmt, genau in dieser Kombination an diesem Tag zu existieren. Durch nichts zu ersetzen als dieselbe Strumpfhose, von der sie allerdings nur eine besitzt.

[ 4]Vergleichbare Gegenstände mit ebenso außerordentlichen Existenzen sind Wimperntuschen, Lippenstifte, Nagellacke, Nagelscheren, Haarbürsten etc. Sie alle unterliegen engen Zweckbestimmungen. „Wenn ich das blaue Kostüm anhabe, kann ich doch unmöglich die grüne Haarbüste benutzen!“

[ 4]Was folgt, ist der Gang zum Schrank, das Austauschen der Kleidung, der Accessoires... Wenn sie jetzt die von dir ausgewählte Kombination doch anzieht (was unwahrscheinlich ist, da sie durch deine sichere Auswahl für immer geächtet sein sollte), dann halte die Klappe, wenn deine Beziehung zu ihr älter werden soll.

[ 4]Preisfrage am Schluss. Denn jetzt kommt der Super-GAU, die Variante 3: Angenommen, nicht sie, sondern DU siehst die Laufmasche, sobald sie das Haus verlassen will. Nach all den geschilderten Erfahrungen: Wirst du es ihr sagen oder nicht? Sie wird am Abend mit Sicherheit wissen, dass ihr das Missgeschick zu Hause passiert sein muss. Schaust du sie etwa nicht mehr richtig an? Liebst du sie nicht mehr?

1.Preis: Deine Ruhe bis zum Abend. Und keine Sekunde länger, besonders, wenn sie dir auf die Schliche kommt. 
2.Preis: Deine Hölle sofort. Auf alle Fälle musst du es ausbaden.

Aus der Serie Der kleine Eheberater
 
D

Dominik Klama

Gast
"Real life" (bob dylan)

Nun ja, du kannst schreiben. Aber das wusstest du natürlich schon, wenn du bereits vor 30 Jahren schon was in einer viel gelesenen Publikumszeitschrift veröffentlichen durftest. Der Text ist nicht zu lang, flüssig erzählt, unterhaltsam und einigermaßen amüsant. Du bist neu hier und hast anscheinend in deinem ersten Monat schon drei von dieser Art humoristischer Kolumnen hier veröffentlicht. (Die anderen zwei habe ich noch nicht gelesen.) Ich denke, auf diese Art kannst du hier weitermachen und wirst Anklang finden. Schließlich könnte der Text genau so ja in diversen aktuell verkauften Zeitschriften als launige Kolumne auftauchen. Da frage ich mich eher, was du dir von der LL eigentlich versprichst. Eigentlich müsstest du längst viel zu professionell sein für diese Leselupe.

Auf Grund deiner Professionalität hast du bestimmt auch schon herausgehört, dass ich persönlich mich vom „Kleiderberater“ nicht so unheimlich gut unterhalten fühle, wie vermutlich aber noch viele andere Leser nach mir sein werden. Als Jugendlicher hatte ich eine Phase, wo ich in Serie die sogenannten „Satiren“ von Ephraim Kishon verschlungen habe. Eines Tages hatte ich die Nase aber voll und seither habe ich nie wieder etwas gelesen von dem Mann und stufe ihn in der Rückschau eher als „rotes Tuch“ ein für mich. Beim Kleiderberater dachte ich sogleich an Kishon, der ja auch recht häufig das Zusammenleben eines Ehepaares aus der männlichen Perspektive heraus aufgespießt hat. Und zwar immer so, dass sich die Leser in seinen, erst sanft, dann rapide übertriebenen Alltagsbeobachtungen schnell wiedererkennen, dass aber niemand jemals wirklich böse auf ihn werden konnte, vor allem nicht die Ehefrau, die in den Texten vorkam, die „beste Ehefrau der Welt“, wie es immer hieß. Das wurde mir zum Problem mit Kishon, er war einfach viel zu brav, er wollte es allen recht machen, er traute sich zu wenig. Satire hat ja was mit Übertreibung zu tun. Die gab es bei Kishon (und dir) auch, aber Satire hat eigentlich immer auch was mit Kampfwille zu tun, mit einem Gegner, den man fertig machen will, den man zumindest erbarmungslosem Gelächter aussetzen möchte. Das tat Kishon nie. Und du auch nicht. Darum, obwohl immer „Satiren“ auf Kishons Büchern stand, waren es für mich „nur“ Humoresken, launige Nettig- und Nichtigkeiten. Hier in der Leselupe musst du dich gar nicht entscheiden, musst das nicht deklarieren: „Humor und Satire“ heißt hier das gemeinsame Fach für alles.

Diese Situation, dass eine Frau einen Mann um Rat bei der Wahl ihrer Garderobe bittet, dabei aber eigentlich nicht gewillt ist, in dessen Geschmack in Modeangelegenheiten das geringste Zutrauen zu setzen, scheint etwas zu sein, was im „wirklichen Leben“ häufig vorkommt. (Ich kenne sie nicht, weil ich nie in meinem Leben mit einer Frau zusammengelebt habe.) Dies führt aber dazu, dass das Thema schon vielfach abgehandelt worden ist. Fast möchte ich wetten, dass auch von Kishon. Mir dagegen kommt einer dieser Sketche von Loriot in den Sinn, wo das Ehepaar zu einer Abendgesellschaft will, sie nicht fertig wird, weil sie sich nicht für eine von mehreren Varianten des Kleidungsauftritts entscheiden kann. Also fragt sie ihn, den Mann, dem eigentlich vollkommen wurscht ist, was sie trägt, und der wohl auch ahnt, dass sie nachher das, was er hier empfehlen wird, ja sowieso nicht macht. Er laviert also bloß herum, aber das macht sie allmählich wütend; sie fühlt sich von ihm nicht genug ernst genommen. Sie versucht ihn festzunageln, was ihm nun wirklich besser gefallen habe, das zweite vor dem hier oder das dritte oder das vierte, welches genau und warum? Und das weiß er dann nicht mehr. Also sucht er sich zu retten, indem er auf ein ganz bestimmtes Kleid deutet und sagt: „Das hier!“ Woraufhin sie ihm genau erzählen kann, warum das überhaupt nicht geht. Also sagt er, na, dann das andere, das von vorhin, sie will es aber nun genau wissen: „Hast du vorhin nicht gesagt, dass braune sei besser als das blaue und sagst mir jetzt plötzlich das genaue Gegenteil? Passt du eigentlich gar nicht auf, wenn ich dich was frage? Hörst du mir nicht zu? Bin ich dir so egal?“ Loriots Schlusspointe ist dann, sie verzweifelt ausrufen zu lassen: „Mit euch Männern kann man über alles reden, Kriege, Atomkraftwerke, Wirtschaftskrise... Aber nie über was, was wichtig ist!“

Der Loriot, der war damals, als diese Fernsehauftritte entstanden, schon dermaßen Everybody’s Darling (und, na ja, es war halt schon auch eine andere Zeit, vor dreißig Jahren oder so), dass er sich offenbar solche Pointen und (wenn man so will) Aussagen erlauben konnte, ohne in der Luft zerfetzt zu werden. Denn natürlich ließ er sich mit der Szene recht wenig ein auf die unterschiedliche Weise von Frauen und Männern zu denken und zu kommunizieren, also, er beschrieb sie, teilte mit, was er sah, das war ja das eigentliche Thema des Sketches, wie es dasjenige deiner Kolumne ist, aber doch voll und ganz aus der Sichtweise des Mannes heraus. Und das ist bis heute so geblieben. Du machst es wieder so. Was du dir nun nicht mehr erlaubst, ist diese Schlusspointe von Loriot, dass Kriege und Wirtschaftskrisen komplett vernachlässigbar seien im Vergleich zu der Frage: „Womit kleide ich mich wohl am besten für den heutigen Anlass?“ Was ja eine Pointe ist, die irgendwie andeuten könnte, das Frauen manchmal schon ein wenig dümmer sind als Männer. (Du hörst den Aufschrei auch, der durchs Land braust?) Allerdings, mag dem sein, wie ihm möchte, diese Art von Geschichten belegt das eigentlich ja nicht. Denn es hat tatsächlich eine konkrete Auswirkung, in welchem Aufzug ich bei einem gesellschaftlichen Anlass erscheine, während es ziemlich egal ist, was ich denke, weiß oder meine über irgendwelche großen Probleme draußen in der Welt. Das ändert an denen nämlich gar nichts.

Und natürlich ist es relevant, ob ich das Gefühl habe, mein Partner ist an meinem Rat tatsächlich interessiert, oder aber, er ist es in Wirklichkeit schon lang nicht mehr, oder, vielleicht noch schlimmer: es interessiert ihn, weil er dann das Gegenteil macht, weil er denkt, alles, was ich für gut halte, ist sowieso von vornherein falsch. Genauso wie es relevant ist, ob ich denke, mein Partner hört mir zu, wenn ich ihn an meinen kleinen Sorgen des Alltags teilnehmen lasse, oder eher, er hält alle meine kleinen Sorgen für klein und unbedeutend, weil er offenbar mich selbst nicht mehr für so bedeutend hält, wie früher vielleicht mal. Man merkt, hinter solchen Winz-Streitereien können sich tief gehende eheliche Zerrüttungen verstecken. Und dann wäre es ja völlig „normal“, das solche Gespräche ständig scheitern. Es ist einigermaßen sinnlos sich zu unterhalten über, was bedeutet dir mein blaues Kleid, wenn ich mich eigentlich längst unterhalten sollte über, was bedeute ich dir noch!

Ich weiß schon, das hattest du überhaupt nicht im Sinn, es ging dir niemals um die Verbrauchtheit einer Beziehung, es ging dir nur drum, dass Männer und Frauen manchmal so seltsam vorbeireden aneinander. Was sie im Grunde beide nicht erklären können, wie das kommt. Noch einmal: Männer und Frauen fühlen, denken und kommunizieren verschieden. Es ist zwar leidlich lustig das einfach mal zu protokollieren, wie das manchmal abläuft, wer mag, darf viel drüber lachen. Mir ist das aber allmählich, zumal es so oft schon gemacht wurde, grade von Männern immer wieder mal gemacht wird, etwas zu wenig. Darum ist dein Text mir zu wenig – und ich mag ihn nicht besonders, obwohl er formal perfekt ist. Was jetzt endlich mal passieren müsste, ist, dass der Mann, der so etwas erzählt, aus seiner männlichen Beobachter- und Kommentatorrolle heraussteigen müsste und sich anstrengen würde, halbwegs zu begreifen, was in den Frauen eigentlich vor sich geht, wenn sie so sind. Also nicht nur: „Das sind zwei Sprachen; die da verstehen sich nicht; das ist lustig.“ Sondern: „Das sind zwei Sprache. Die eine geht so. Die andere geht so.“ Kannst du aber so wenig wie Kishon.

Und vermisst eigentlich niemand den Gegen-Text? Dieselbe Grundsituation, aber aus Sicht einer Frau geschrieben. Wie dumm sich die Männer immer anstellen, wenn sie einem bei der Auswahl der Anziehsachen zur Seite stehen sollen... Also, ich kenne das Thema jetzt von dir, von Loriot, bin mehr oder weniger felsenfest überzeugt, dass ich es vor 35 Jahren auch von Kishon schon mal gelesen habe. Aber mir fällt keine einzige Geschichte von einer Frau mit dieser Situation ein. Warum nur?

[Übrigens hatte ich etwas Mühe mit diesem „mein viel besseres Ich“. Einfach, weil das so schnell kommt und man da noch gar nicht ahnen kann, auf was sich das bezieht. Von Renate Rubinstein, ich hoffe, ich sage jetzt nichts Falsches, gibt es ein Buch mit dem Titel „Mein besseres Ich“ – und das bessere Ich ist dann der Mann, mit dem sie zusammen ist oder war. Da kapiere ich, was gemeint ist, wenn ich den Klappentext oder die Verlagswerbung lese. Hier, ganz am Anfang kapiere ich es nicht. Hättest du das ganz traditionelle „meine bessere Hälfte“ benutzt, das nicht zu benutzen, du bestimmt wohl abgewogene Gründe hattest, hätte ich es gleich kapiert gehabt.

Noch mal übrigens: Glaubt ihr das eigentlich wirklich, das eure Frauen so viel besser sind als ihr selbst? Oder sagt ihr das nur immer, weil Frauen sich gern was vorschmeicheln lassen? Na, ich jetzt, ich war halt zu wenig und zu selten und viel zu kurz im Leben „in festen Händen“, dass ich das groß vergleichen könnte. Dennoch kommt mir vor, wäre ich mit jemand fest zusammen, ich würde nicht eigentlich denken, der sei viel besser als ich. Nur manchmal ein bisschen, auf den Feldern, wo er halt ein besserer Spieler ist als ich. Aber doch nicht immer und überall. Und auch nicht im Allermeisten. Aber, dass euer viel besseres Ich, die Partnerin, in Wahrheit eine viel schlechtere Person sei als ihr, diese radikale Ironie, die meint ihr doch auch nicht, oder?]

Und noch was: Wenn das schon „aus dem Eheberater“ sein soll, dann will ich von dir auch einen Rat bekommen. Da ist aber keiner. Also, wenn du mir nicht sagen kannst, wie man als Mann heil aus solchen Gesprächen rauskommt, dann kannst du mir wahrscheinlich auch nicht sagen, welches Kleid ich anziehen soll. Da hat die Dame wohl Recht gehabt.
 



 
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