Der Knisterer

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Ein verdeckter Korruptionsermittler braucht Insiderwissen. Doch mit einer derart professionellen Ausbildung hatte ich in der aufstrebenden Korruptionsbranche nicht gerechnet.
Im Kurs waren wir fünf. Ralf Werthmann, der Kurs-Leiter, zwei mittelalte Kurzhaarfrisur-Frauen in grauen Hosenanzügen und zwei unauffällige Männer mit ersten Kahlflächen auf dem Kopf. Einer, um die Fünfzig, trug einen dunkelblauen Zweireiher. Der etwa gleichaltrige Andere in grauem Sakko und hellgrauer Hose war ich. Werthmann ging in ausgebeulten Jeans seiner Ausbildertätigkeit nach und im Sweatshirt, auf dem quer über die breite Brust „Lass knistern!“ geschrieben stand.
„Sie brauchen Fingerspitzengefühl!“ begann er, nannte seinen Namen und die seiner US-Lehrmeister, deren Namen er sehr nachlässig aussprach. Dass sie als Bosse an mächtigen US-Banken herrschten, war ihm deutlichere Artikulation wert.
Kursleiter Werthmann verteilte geldscheingroße Stücke Pergamentpapier, bat um absolute Stille und uns, das Papier zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen. Stunden über Stunden ließ er uns üben. Die Augen geschlossen, saß er in einer Nische im hinteren Teil des Raumes und forderte uns immer wieder auf: „Reiben Sie das Papier zwischen Daumen und Zeigefinger, ja, so...! Sie müssen damit verschlafenste Hinterbänkler wecken. Gerade die sind bei Abstimmungen in Ausschüssen entscheidend!“
Am letzten Tag der einwöchigen Ausbildung übten wir endlich mit echten Scheinen. Zunächst mit Zehn-Euro-Scheinen. Werthmann empfahl, den aufgedruckten Silberstreifen mit den Fingern hin- und herzubewegen. Dieses Knistern löse bei Politikern selbst im Schlaf so etwas wie einen bedingten Reflex aus.
Zu Demonstrationszwecken setzte Werthmann sich auf ein Podest, schloss die Augen und ließ seinen Kopf nickend tiefer sinken. Sobald einer der Kursteilnehmer mit Hilfe des Silberstreifens auf dem Geldschein genau jenes typische Geräusch erzeugte, richtete sich Werthmann schlagartig auf, legte seine rechte Hand mit dem Handrücken auf den rechten Oberschenkel, öffnete sie und ließ die Finger zucken, als wollten sie umgehend die Hand wieder schließen. Der so genannte Einnahme-Reflex sei das. Trete der auf, werde es höchste Zeit, mit dem Herrn oder der Dame unauffällig ein Treffen zu vereinbaren. Bewehrt habe sich die Zettel-Methode. Man lasse der Zielperson einen Zettel zukommen. Finde die Veranstaltung in einer Gaststätte statt, gehe es auch mit Bierdeckeln. Darauf sei Handy-Nummer sowie die Uhrzeit für den Anruf zu vermerken. Beim Anruf seien sofort die Übergabemodalitäten sowie die Entscheidungsbeeinflussungsumme (EBS)zu vereinbaren.
Knisterer, die bei einem weniger versierten und billigeren Konkurrenten von Werthmann die Ausbildung absolvierten, benutzten Fünf- oder Zehn-Euro-Noten für ihre Mitteilungen. Das sei übertrieben, um nicht zu sagen, plump. Damit habe man allenfalls noch in den Niederungen der Kommunalpolitik Erfolg.
Das Knistern mit den Zehn-Euro-Noten galt reinen Übungszwecken. In der letzten Stunde des Workshops probierten wir es endlich mit Fünfhundert-Euro-Scheinen. Glauben Sie mir, versicherte Werthmann, mit denen zu knistern, heiße in der allerhöchsten europäischen Liga Einfluss nehmen zu können. Die Weltliga verlange selbstredend Dollar-Noten und einen Aufbaukurs in Chikago, der – wie bereits unser Grundkurs – noch einmal zwanzigtausend koste – Dollar, versteht sich. In der Kommunalpolitik reichen übrigens Fünfzig-Euro-Scheine. Landespolitiker sind ab einhundert Euro zu haben. Im Bund und in der Europäischen Union geht nichts unter Fünfhundert-Euro-Scheinen.
Die Abschlussprüfung für nationale Knisterer kommt in die entscheidende Phase. Gerade eilt eine namhafte Oppositionspolitikerin vorbei und lächelt mich an, als ahne sie etwas. Ich verneige mich knapp. Nach ihr hastet ein Regierungsvertreter mit Gefolge vorüber. Schließlich werden die Saaltüren für das Publikum geöffnet. Wir müssen uns nach Waffen durchsuchen lassen. Als jedoch die Dame vom Sicherheitspersonal beim Abtasten meiner Jacketttaschen Scheine knistern hört, raunt sie mir zu, ich könne in einer der ersten fünf Stuhlreihen Platz nehmen. Ihre aufgehaltene Hand übersehe ich diskret.
In der Nähe des Podiums entdecke ich Werthmann in unauffällig grauem Anzug. Mit dem Daumen nach oben signalisiert er mir, dass ich mich offensichtlich bisher erfolgreich im Rahmen der Abschlussprüfungsordnung für nationale Knisterer bewege.
An den vorderen Reihen stehen breitschultrige Herren, die jeden aufmerksam mustern. Die Hand in der Jacketttasche, lasse ich die zwei Fünfhundert-Euro-Scheine knistern. Einer nickt und weist mir den ersten Stuhl der vierten Reihe zu.
Der Moderator, grauhaarig und smart lächelnd - ich kenne ihn vom Fernsehen - wünscht einen aufschlussreichen und unterhaltsamen Abend zum Thema „Haushaltspolitik mit leeren Kassen“ und fragt in die Talk-Runde, wie ohne Geld zu regieren, geschweige denn, überhaupt noch Politik zu machen sei.
Nun neigen Politprofis, wenn sie eigentlich nichts zu sagen haben, zu besonders wortgewaltigen und endlosen Ergüssen. Um mich knisternd zu verständigen, brauche ich Redepausen. Selbst ein absolut professioneller Knisterer, so Werthmann, könne das Gerede von Politikern kaum mit Geldscheingeräuschen übertönen. Doch der Moderator versteht sein Geschäft. „Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren,“ wendet er sich an seine Talk-Gäste, „hier im Saal säßen Leute, die Ihnen Geld für ihre politische Arbeit zukommen lassen wollen, selbstredend ausschließlich zum Wohle unseres Staates.“ Die Talkgäste holen gemeinsam tief Luft und atmen ebenso tief wieder aus.
Jetzt! Die Hand noch in der Jacketttasche, erzeuge ich mit den Fünfhundert-Euro-Noten jenes spezifische Knistern. Die Dame und der Herr von der Regierung legen nahezu synchron die rechte Hand auf den Tisch und lassen diskret die Finger zucken. Mit leichter Verzögerung, liegen plötzlich auch die Hände der Oppositionspolitiker auf dem Tisch. Werthmann bezeichnete dieses offenbar ansteckende Verhalten als Rudelphänomen. Bei der Jagd müsse ein sich anschleichendes Wolfsrudel zuverlässig auf geheime Signale reagieren. Alles Auffällige warne das Beutetier und es flüchte. Politikern gehe es nun mal um Beute und bemerken sollen die Auszubeutenden davon selbstverständlich nichts.
Jetzt muss ich nur noch die vorbereiteten Zettel mit Handy-Nummer und Zeit für den Anruf an die Regierungsfrau und an den Regierungsmann bringen. Die von der Opposition sind uninteressant. Werthmann gab die Lage aus, jene geschäftsträchtige Entscheidung, die mein theoretisch angenommener Auftraggeber – ein Waffenhersteller – brauche, werde allein von der Regierungsfraktion getroffen.
Ich habe Glück. Gerade steht der Kellner, der den Talkgästen Wasser nachschenkt, neben mir. Unauffällig stecke ich ihm Zettel und Vorabtrinkgeld - zwanzig Euro - in die Hosentasche und flüstere ihm zu, wem er die Zettel zustecken solle.
Wie der auf offener Bühne absolut diskret Zettel weitergibt! Ein Profi! Unglaublich!
Nach Ende der Veranstaltung suche ich mir einen Platz hinter einer Säule im Hotelfoyer. Pünktlich vibriert mein Handy. Der Minister. „Was wünschen Sie? Was ist es Ihnen wert?“
„Es geht um Rüstungsgeschäfte!“
„Das wird teuer!“
„Ich weiß, muss Sie aber enttäuschen. Ich bin nur Knisterer in Ausbildung und mache hier meine Abschlussprüfung und dabei natürlich noch keine echten Geschäfte!“
„Ja, wunderbar, wir brauchen Ausbildungsplätze in Deutschland, gerade in so einer Wachstumsbranche wie der Ihren. Sie machen Ihre Sache bestens.“
„Würden Sie das bitte auch meinem Ausbilder sagen. Dann hätte ich die Prüfung so gut wie bestanden!“
Rauschen in meinem Handy und dann etwas zögerlich: „Und was ist Ihnen das wert?“
Ich greife in meine Jacketttasche. Die Fünfhunderter knistern. „Tausend!“
„Na, gut. Sie sind ja noch in der Ausbildung.“

Nach der erfolgreichen Ermittlung ließ ich mir beim Abteilungsleiter „Wirtschaftsvergehen“ einen Termin zur Berichterstattung über das Knisterer-Ausbildungswesen geben.
Der AL kniff nach meinem Bericht die Augen hinter den kleinen ovalen Gläsern seiner Brille zusammen. „Können Sie schweigen?“ Er schob die Hand in die Jacketttasche und die Finger meiner rechten Hand begannen unwillkürlich zu zucken.
 
N

nachtlichter

Gast
Sie besticht,

Deine Story, Karl. Abgründig, witzig, interessant, phantasievoll und gleichzeitig der real existierenden Profitgier entsprechend.


nachtlichter
 
Liebe Flammarion, liebe Nachtlichter,
danke für den aufmunternden positiven Kommentar. Ja, als Satire könnte der Text natürlich auch durchgehen. Manchmal habe ich allerdings bei meinen Texten das Gefühl, dass ihnen für eine richtige Satire noch eine Portion Bissigkeit und Absurdität fehlt. Daher fiel meine Entscheidung für die Erzählung.

Herzliche Grüße
Karl
 
Ja, dann...

Liebe Flammarion,
wenn es deiner Meinung nach den Satirekriterien entspricht,
freue ich mich, wenn du es rüberziehst.
Danke im Voraus
Karl
 



 
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