Der Knochenkrebs

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Ohrenschützer

Mitglied
Prolog

Aus Krako-Müll und struben Teilen
Schöbt er sich ganz wax empor;
Die dumpfen Kameraden weilen
Immer noch im Schlaf-Komfort.

Da regt sich schon im stoken Haufen
Unbeirrt der Knochenkrebs,
Indessen durcheinanderlaufen
Wieseldink und Arbeits-Plebs.

Die Schere zisst sich durch Metalle,
Schleichend wie durch Fleisch und Blut,
Sie teilt und schneidet sie noch alle:
Den Alsoschon, den Tunichtgut.

Akt

Es knackt die Zofel - ruck-da-wack!
Da kennt er kein Erbarmen!
Der Knochenkrebs zerstäubt das Pack,
Hiebt Köpfe von den Armen

Da liegen sie, mit Schnitt und Loch,
Die ganzen Makrophille;
Nur einer klimmt an ihnen hoch
Und hinterlässt nur Stille.

Es ist der Knochenkrebs, ganz klar,
Mit Schweigen als Eskorte,
Verdeckt das Alte immerdar.
Der letzte seiner Sorte.

Epilog

Und an der Spitze angekommen,
Tut er, was nur ihm erlaubt
Sobald der letzte Berg erklommen,
Trennt er sich vom eignen Haupt.
 

Stern

Mitglied
...tja, also, hierher kehre ich nun schon zum dritten Mal zurück. Es fasziniert mich, obwohl ich anfangs fast gar nichts verstand.

Morbide, das Ganze. Unsentimental.

Faszinierende Wortschöpfungen. - Oder sollte ich die alle nicht kennen?

Beim ersten Anklicken dachte ich ganz selbstverständlich an die Krankheit "Knochenkrebs". Dann war da so ein "Häää? Was ist denn das jetzt???" Irgendwie Ablehnung. Beim zweiten Mal dachte ich:"Da war doch was - was war es doch gleich? - Ach jaa, der Knochenkrebs!" Mehrmals durchgelesen, immer wieder diesen sonderbaren Wörtern nachgeschmeckt, einen Krebs vor mir gesehen. Heute ist's mir schon ganz vertraut und ich sehe jetzt beides, ein Tier und die Krankheit, wie sie den Körper zerstört und sich schliesslich selbst. Und deine Wortschöpfungen gefallen mir von Mal zu Mal besser.

Liebe Grüße,

Stern *
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hallo Stern,

vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar. Das Gedicht ist nicht brandneu, stand bei mir immer in der zweiten Reihe und löst bei mir einen ähnlichen Effekt aus wie bei dir: Mit der Zeit freundet man sich trotz anfänglicher Widerstände damit an. Im Laufe der Jahre hat es daher einige Verbesserungen hinter sich gebracht. Die sprachliche Dichte und Irritation zu Beginn, welche den "stoken Haufen" umschreibt, habe ich gerade wegen ihrer dazupassenden Unzugänglichkeit nie zu ändern gewagt. Auch die verqueren und befremdlichen Sprachschöpfungen ragen wie "strube Teile" daraus hervor - und diese Rückbezüglichkeit auf sprachlicher Ebene kompensiert den fehlenden Einstiegsschliff.

Es handelt sich tatsächlich um Wortschöpfungen, daher ist kein Wortschatz-Manko zu befürchten. Auch mit der Interpretation des Knochenkrebses als urtümliches Tier und gleichzeitig Bild einer Krankheit liegst du richtig (oder als Bild eines wirts-zerstörerischen Virus oder des Menschen im Umgang mit seiner Natur)...

Herzliche Grüße,
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mich erinnerte es sofort an das Gedicht "Jabberwocky" von Lewis Caroll. Dein Gedicht klingt sehr ähnlich, verwendet ähnliche Methoden - allerdings ist es kein Gedicht für Kinder.

Neue Begriffe, die sich aus dem Zusammenhang erschließen, unklar bleiben, lautliche Anklänge formen.

Wird schwer zu übersetzen sein.

Ich finde es gut.
 

Justina

Mitglied
Hallo Ohrenschützer,

Dein Gedicht hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Ein beklemmend dunkles Sprachspiel, das mit einer hervorragenden Verbindung von abstrakten/irrealen und konkreten Elementen daherkommt.

Die "struben Teile" und der "stoke Haufen" wollen mir gar nicht mehr aus dem Kopf gehen. Unglaublich überzeugend, diese Wortneuschöpfungen!

Liebe Grüße
Justina
 

Ohrenschützer

Mitglied
Nochmals vielen Dank für die freundlichen Kommentare!

Noch ein paar Anmerkungen meinerseits: Zum einen hat Bernd ins Schwarze getroffen, denn den "Jabberwocky" hatte ich schon während der Entstehungsphase des Gedichts im Hinterkopf.

Zum anderen freut es mich, dass es auch für Justina eine ähnliche Faszination zu haben scheint wie für mich. Die Szenerie im Prolog wurde interessanterweise in seiner beklemmenden Finsternis schon mit der Anfangssequenz von "Terminator I" assoziiert. Man mag von dieser stilistischen Querverbindung halten was man will, stimmungsmäßig erscheint es mir ziemlich ähnlich.

Schöne Grüße,
 

Justina

Mitglied
Ich habe hierzu nichts Neues zu sagen; will nur ein wenig pushen!

Und: nein, Ohrenschützer ist mir nicht bekannt, hat auch nicht geworben für dieses Gedicht. Es ist einfach eins meiner Lieblingsgedichte hier in der Leselupe. Lange schon. Und ich wünsche mir, dass es in diese - mit Verlaub - dämliche Anthologie kommt.

LG
Justina
 
H

Heidrun D.

Gast
Aus Krako-Müll und struben Teilen
Schöbt er sich ganz wax empor
dieses durch & durch gelungene Gedicht!

Ich teile Justiniens Meinung voll & ganz, weder durch sie, noch durch den Autoren bestochen ...:D

Liebe Grüße
Heidrun
 

Ohrenschützer

Mitglied
Liebe Justina, liebe Heidrun,

vielen Dank für Eure freundlichen Kommentare. Ich selbst könnte meine Texte nicht so mutwillig in den Vordergrund bringen, umso mehr freut mich Euer Engagement - nachdem ich im Grunde niemand (mehr) hier im Forum persönlich kenne. Und die Antho ist nett, aber das nächste Ziel, das ich - sobald Zeit dafür vorhanden ist - in Angriff nehmen werde, ist mein eigenes Buch. Verlag und Vertriebsmöglichkeiten habe ich quasi schon in der Tasche, es scheitert derzeit "bloß" an der Zeit und an meinen eigenen Qualitätsansprüchen...

Ach ja, falls es jemanden noch interessiert, erwähne ich hier nochmals, dass es den Text "Der Knochenkrebs" auch von mir gelesen auf folgender Seite gibt:
http://ohrenschuetzer.podspot.de

Beste Grüße,
 
P

penelope

Gast
lieber ohrenschützer,

nur wenige worte dieses mal: gelesen oder gesprochen, verstehe ich nicht, warum dieses werk niemals den zuspruch erreicht hat, den sie im grunde verdient... denn: hier ist die satire ebenso verschlüsselt und indirekt, die lösung offen und offenbar erschreckend, aber der wirklichkeit entsprechend: nämlich herunterreißend, nackt und klar... doch: auch hier bewegt sich etwas hinter dem gedicht, dahinter, also in seinem inneren: ich fühle es: es will uns hier wieder einmal eine dialektische beziehung zwischen kunst, die autark sein möchte, und den gesellschaftlichen bedingungen, denen wir uns unterwerfen müssen, vor augen führen... davon bin ich überzeugt...

in diesem dialektischen sinne

lg penelope
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hallo Penelope,

auch Deine wenigen Worte verfehlen ihr Ziel nicht. Vielen Dank dafür. Aufmerksamkeit hat dieser Text mittlerweile erzielt, worüber ich mich sehr freue; er hat es in die Top 100 der 10-Jahres-Anthologie geschafft (etwa um Rang 80 derzeit), ohne dass ich dafür die Werbetrommel gerührt hätte. Ein schönes Zeichen der Anerkennung, wofür ich mich herzlich bei allen Stimm-Abgebenden bedanke. :)

Schöne Grüße,
_________________
Der Ohrenschützer
 

Milko

Mitglied
Hallo

dein Prolog über den Akt
zum Epilog zu führen
finde ich fantastisch

die Art des Erschlossenen
die Suche
die Wahl
und dessen was es gibt
noch aufregender

weil es sich letztendlich in Einfachheit
ergibt
wohl wissend das diese die meisten
suchen müssen
milko

p.s. deine Hörbuch - Sprach Lyrik hat ein großes Lob verdient
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hallo Milko,

vielen Dank für das doppelte Lobchen. :D
Du hast völlig richtig erkannt, dass der Knochenkrebs ein Stellvertreter für das Suchende, Findende und anderen im Weg Stehende sein kann. Gleichwohl etwas, das seine Bestimmung im Leben gefunden hat und diese mit Konsequenz zu Ende führt, ohne Einblick in die Hintergründe zu haben - oder zu wollen.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön, die diesen Text in (derzeit) in die Top 20 der 10-Jahres-Anthologie gewählt haben - ich bin überwältigt, dass das passiert ist, ohne dass ich jemanden zur Stimmabgabe aktiv animiert hätte. Herzlichen Dank, das freut mich sehr. :) Es ist außerdem ein Zeichen, dass es für diese Aktion möglich ist, einigermaßen wahrgenommen zu werden, ohne Werbeaktionen starten zu müssen oder über eine sogenannte "Lobby" zu verfügen. Wie schön.

Schöne Grüße,
 

Joh

Mitglied
Hallo Ohrenschützer,

eigentlich eine tolle Idee von Justina alte Sachen wieder hervorzuholen, sonst wäre ich nie auf Dein Gedicht gestoßen. Es gefällt mir, mich in diese absurde Sprache hineinzulesen und sie zuerst zu empfinden, bevor das Verstehen kommt. Klasse!

ein Gruß, Johanna
 

Ohrenschützer

Mitglied
Prolog

Aus Krako-Müll und struben Teilen
Schöbt er sich ganz wax empor;
Die dumpfen Kameraden weilen
Immer noch im Schlaf-Komfort.

Da regt sich schon im stoken Haufen
Unbeirrt der Knochenkrebs,
Indessen durcheinanderlaufen
Wieseldink und Arbeits-Plebs.

Die Schere zisst sich durch Metalle,
Schleichend wie durch Fleisch und Blut,
Sie teilt und schneidet sie noch alle:
Den Alsoschon, den Tunichtgut.

Akt

Es knackt die Zofel - ruck-da-wack!
Da kennt er kein Erbarmen!
Der Knochenkrebs zerstäubt das Pack,
Hiebt Köpfe von den Armen

Da liegen sie, mit Schnitt und Loch,
Die ganzen Makrophille;
Nur einer klimmt an ihnen hoch
Und hinterlässt nur Stille.

Es ist der Knochenkrebs, ganz klar,
Mit Schweigen als Eskorte,
Verdeckt das Alte immerdar.
Der letzte seiner Sorte.

Epilog

Und an der Spitze angekommen,
Tut er, was nur ihm erlaubt
Sobald der letzte Berg erklommen,
Trennt er sich vom eignen Haupt.

_________________
Gelesen zu hören unter
http://ohrenschuetzer.podspot.de/post/der-knochenkrebs
 

Justina

Mitglied
Hi Ohrenschützer,

ich hoffe sehr, dass dieses Gedicht unter den Top 10 ist. Weiter so!

Immer noch beeindruckt
Justina
 

Ohrenschützer

Mitglied
Es könnte sich ausgehen, Justina. Danke nochmals für die freiwillige Unterstützung, über die ich mich sehr gefreut habe.

Allen, die diesen Text unaufgefordert gewählt haben, auch noch mal ein herzliches Danke schön. Es hat mich sehr gefreut. Zu offensiven Werbeaktionen tauge ich nicht.

Schöne Grüße,
 



 
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