Der Liebesbrief

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Daunelt

Mitglied
Der Liebesbrief

Er war schon in der Schule oft für seine schöne Handschrift gelobt worden und hatte die Angewohnheit auch später beibehalten, langsam und akkurat zu schreiben. Die Bundeswehr, bei der er lustlos seinen Wehrdienst ableistete, bedurfte dieser Dienste nicht. Hier wurde, wenn überhaupt, schnell eine Meldung mit Bleistift hingekritzelt. Nur manchmal, wenn der Kommandeur eine Einladung oder ähnliches zu schreiben hatte, durfte er in dessen Büro Platz nehmen und bei einer Tasse Kaffee seine Künste zeigen. „Sie wissen ja, daß sie einen solchen Befehl nicht befolgen müssen. Es ist nichts dienstliches, nur ein Gefallen“, sagte sein Vorgesetzter gönnerhaft, „wenn sie nicht wollen...“ Er ließ den Satz dann offen und schaute bedeutungsvoll auf den Kasernenhof, wo sich eine Abteilung Rekruten gerade für den obligatorischen Gepäckmarsch bereit machte.

Ansonsten war der Dienst im Fernmeldezug des Panzerbataillons sterbenslangweilig, die Abende einsam, die Kameradschaft oberflächlich. Fast alle Soldaten auf seiner Stube hatten eine feste Freundin. Wenn diese nicht in der Garnisonsstadt wohnten und ihren Helden an jedem freien Abend Gesellschaft leisteten, schrieben sie regelmäßig Briefe, zartrosa oder cremefarbene Umschläge, die nach Parfüm und Puder verheißungsvoll dufteten und aus denen viele engbeschriebene Seiten und freizügige Fotos für den Spind fielen. Er hatte niemanden; die jungen Frauen schätzten andere Eigenschaften als Schönschrift. Schneidige Autofahrer, flotte Tänzer, dunkelgelockte Liebhaber, athletische Sportler – all das, was er nicht war. Das grenzte ihn aus, nie konnte er richtig mithalten, wenn seine Kameraden sich die neuesten Ergebnisse vom Hockenheimring austauschten oder über die Bundesliga fachsimpelten und die ungerechte Behandlung, die der Trainer vom FC Was-weiß-ich-wo erleiden mußte. Auch wieviel PS der neue Flitzer vom Feldwebel Hinz hatte und ob man das Fahrgestell tiefer liegen könne oder nicht, interessierte ihn einen Scheiß. Vor allem aber konnte er nicht mit Eroberungen prahlen, nicht die ausgeschmückten Wochenenderlebnisse breit treten. Meist schwieg er, hörte zu. In den Augen der anderen war er kein ebenbürtiger Teil der Gemeinschaft, kein richtiger Mann, vielleicht sogar schlimmeres, möglicherweise – igitt – ein Schwuler ? Seine leise Art, die schmalen Hände, diese weibische Schönschreiberei, daß paßte doch.

Fünfzehn Monate Wehrdienst, fünfzehn lange Monate Funkgeräte pflegen, in der Kantine anstehen, mit acht Mann in einem Zimmer schlafen. „Schon wieder letzter Platz“, stellte der Gruppenführer kopfschüttelnd beim Frühsport fest, „reißen sie sich mal zusammen, so eine Flasche.“ Die Hänseleien, die kleinen Gemeinheiten nahmen zu. Mal die Ärmel vom Schlafanzug zugenäht, dann die Schnürsenkel aus den Stiefeln geklaut und niemand, der sich beim Essen neben einen setzte. So vergingen die Tage, die Wochen. Irgendwann gab es ein verlängertes, dienstfreies Wochenende. Er fuhr nach Hause, mit der Bahn immerhin zwei Stunden und kaufte in einem Schreibwarengeschäft einen schönen, gefütterten, hellrosa Briefumschlag aus Büttenpapier.

Er legte zwei leere Blätter Papier ein, klebte sorgfältig zu und beschriftete das Kuvert. Selbst mit einer schönen Handschrift war das nicht einfach. Er übte lange, bis er glaubte, in etwa die romantischen Schwünge und bescheidenen Bögen getroffen zu haben, die seiner Meinung nach die Schrift junger Frauen auszeichneten. Er erfand einen Absender mit einem schönen Vornamen und adressierte den leeren Brief an seine Adresse in der Kaserne, nicht ohne ihn vorher mit einem Damenparfüm zu besprenkeln.

Am folgenden Dienstag kam der Brief an. Der arrogante Obergefreite aus dem Geschäftszimmer verteilte die Post, indem er mit schmetternder Stimme auf dem unteren Flur die Namen der Empfänger ausrief. Seine Schützenschnur, für die er bestimmt die notwendigen guten Ergebnisse selbst unterschrieben hatte, blinkte aufreizend, als er das fingierte Schreiben überreichte. Die anderen Soldaten starrten neugierig, der Umschlag lag wie beiläufig auf dem Tisch. Anerkennung, Verblüffung, Verwunderung, spiegelten sich in ihren Gesichtern. Was für ein herrlicher Brief, er duftete noch immer leicht – und diese schöne Schrift ! Man konnte sich die Schreiberin lebhaft vorstellen, blauäugig und blond, wie sie in ihrem lichten Schlafzimmer an einem Kirschbaumtischchen schrieb, schnurrende Katzen und weiße Nelken um sich. Und sie hatte ihm geschrieben, dem Außenseiter, dem Versager. Neidisch standen seine Kameraden um ihn herum. Beinahe hätte er den Umschlag geöffnet, um zu lesen, was seine imaginäre Freundin ihm schrieb.
 
O

Orangekagebo

Gast
gefällt mir, Daunelt. Stellenweise verträgt der Ausdruck einen strafferen Feinschnitt, ein bisschen hier und da gefeilt und fertig.

obligaten? - vielleicht besser: obligatorischen

Vielleicht wäre auch die Wendung gut, dass er eine Schreiberin beauftragt, gelegentliche Briefe zu senden. Sowas gibt es. Wenn aus dem Brief beim Öffnen Fotos herausfielen mit einer schönen Frau in verzückender Pose - dann wäre der Knaller noch größer bei den Kameraden und plötzlich wäre er Einer von ihnen. Nur so eine Idee ...

lg, orangekagebo
 

Daunelt

Mitglied
Hallo Orangekagebo,

Danke für Deine Zeilen, über die ich gerne nachdenke. Den Schluß habe ich so gestaltet, daß der Protagonist Realität und Fiktion selbst kaum noch auseinanderhalten kann und sich dabei ertappt, den Brief neugierig zu öffnen.....

Einen schönen Abend wünscht Dir

Daunelt
 



 
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