Der Nachhauseweg

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Branton

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Markus betritt die S-Bahn.
Es ist 17.15 Uhr. Feierabend.
Die erste Station muss er noch stehen, er wartet ab.
Die alte Dame steigt aus, er wartet ab, während sie sich vorsichtig tastend zur Tür bewegt.
Die Tür schließt und Markus setzt sich hin.
Er schließt kurz die Augen und sucht Entspannung, für einen kurzen Augenblick nimmt er das Gemurmel um ihn herum nur noch schwach wahr, wie aus weiter Entfernung.
„Endlich Feierabend und gleich zuhause.“ Macht er sich mit Vorfreude bewusst.
Die S-Bahn hält wieder, die Türen öffnen sich.
Zuerst sieht er die Hundeschnauze, dann den Rest des massigen stämmigen Körpers.
Begleitet wird das traurig aufschauende Tier von einem Paar.
Der Hund berührt Markus auf eine seltsame sentimentale Weise.
Hunde haben sowieso eine ganz eigene Wirkung auf Markus mit ihren großen dunklen treuen Augen.
Der Hund trottet weiter und steuert den gegenüberliegenden Sitz an.
Nun fällt sein Blick auf das dazugehörende Paar.
Er, um die zwanzig, trägt ein kurzärmeliges Shirt, was seinen durchtrainierten Körper betont.
Das Shirt steckt in einer hellen Jeans, sein Haar ist kurzgeschnitten und er schaut etwas dümmlich, wirkt aber dabei symphatisch.
„Auf eine sympathische Art und Weise dumm.“ denkt Markus und grinst vor sich hin.
Sie hat eine sehr aggressive Ausstrahlung, ihre Gesichtszüge sind wie versteinert, die Lippen sind aufeinander gepresst.
Das Haar ist grell rot gefärbt und filzig. Ihr Gesicht könnte wohl hübsch sein, ohne diese harten Gesichtszüge, auf dem Kopf trägt sie eine Kappe, farblich passend zu ihrer rot-schwarzen Trainingshose.
„Schick, schick.“ kommt es Markus in den Sinn.
Die Drei haben mittlerweile seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Nach kurzer Zeit beginnen sie dann auch zu reden.
Die Rotgefärbte brüllt: „Scheiß Hundevieh, dreckiger Sauköter, gleich zieh ich Dir ein paar drüber!“
Der Hund hatte sich erdreistet zu nah an sie zu rücken.
Verlegen versucht der liebenswert aussehende zu beschwichtigen: „Ach lass ihn doch. Setz dich doch einfach auf die andere Seite neben mich.“
„Du hältst die Fresse, Arschloch. Kriegst eh nichts auf die Reihe. Haste überhaupt schon eingekauft?“
„Nein, wann denn?“ Versucht der Nette zu erklären.
„Das war ja klar, das war mir ja wieder so klar. Mann Alter, soll ich hungern, ja? Will`ste das, ja? Soll ich wieder Tortellini fressen, zum fünften mal die Woche?“
Die Rote hat mittlerweile ein richtig glühendes Gesicht, fast macht es sie hübsch, wenn sie den Mund halten würde.
Markus ist genervt, er wirft einen Blick zu dem Hund rüber, der guckt stur geradeaus.
„Einfach nicht beachten!“ bemüht er sich den Hund mit seinen Gedanken aufzuheitern.
Die Rothaarige wettert weiter, Markus hatte es geschafft ihr einen Moment nicht zuhören zu müssen: „Meine Schwester, die alte Schlampe wirft bald schon wieder, dann kann ich mich erst mal wieder um ihre missratenen Gören kümmern, das kann ja heiter werden. Mistgören!“
„Ja, das glaub ich auch,“ denkt Markus, „arme Kinder!“
„Aber Du, du hast ja nur diesen Drecksköter im Kopf, den müsste man mal richtig verprügeln.
Haste Dir eigentlich überlegt, wovon wir diesen Monat noch leben wollen?“
Markus ist selbst mittlerweile aggressiv, er könnte in das Polster des Sitzes beißen, aber er denkt nur: „Was es alles gibt ... .“
Am meisten stört ihn das die Zerzauste nicht merkt, das es niemanden interessiert, was sie zu sagen hat und ihm nach einem langen Tag ihr Geschwätz aufzwingt, ob er zuhören will oder nicht.
Aber wegsetzen möchte er sich auch nicht, dafür ist er schon zu interessiert genug.
Der Ruhige sagt jetzt: „Der Kühlschrank ist doch noch voll. Es ist sogar noch Toastbrot da.“
„Na klasse, dann ist doch jetzt wieder alles in Ordnung.“ findet Markus in seiner Rolle als Betrachter.
Die Aggressive blökt: „Ja, das alte knochenharte Toastbrot soll ich fressen, Du scheiß Versager. Weißte was, ich esse gar nichts, das hast Du nun davon, ich esse jetzt überhaupt nichts mehr und irgendwann bin ich tot und Du bist schuld, Depp!“
Und nun rastet der Passive aus.
„Endlich.“ Geht es Markus durch den Kopf während er gespannt lauscht.
„Jetzt hör endlich auf zu schreien. Ich habe es satt von dir, wie ein stück Scheiße behandelt zu werden, ich hasse es. Was ist Dein Problem?“
Markus ist begeistert. Dann lässt die Begeisterung nach und Enttäuschung macht sich in Markus breit, denn der Nette gibt nach.
„Warum sagst du jetzt nichts? Rede doch mit mir. Bist du sauer auf mich. Warum bist du denn so bösartig? Was ist denn los?“
Und dann sagt sie mit großer Erschöpfung und endloser Traurigkeit, mit einem faszinierendem Unterton in der Stimme, fast lieblich: „Ich habe Hunger.“
Dabei wirkt sie so hilflos und schutzbedürftig, wie ein kleines Mädchen.
Markus schmilzt dahin. Er weiß nun nicht, ob er sie jetzt immer noch richtig abstoßend finden kann und Verständnis beginnt in ihm aufzukeimen, sie zieht ihn sogar an.
Bei den beiden ist es nun sehr still geworden, noch ein angenehmer Nebeneffekt.
Doch dann bewegt sich die Spitze ihres abgelatschten Turnschuhs auf die Seite des Hundes zu und tritt ihn.
„Aufstehen, du scheiß Köter, wir müssen gleich raus!“
Markus überlegt sich das dann noch mal mit seiner Sympathie.
„O.K, O.K., ich nehm` dann den Dreckshund erst mal mit nach Hause und du kommst dann nach. Ausnahmsweise.“
Der Hund schaut Markus an, der kann dem Blick dieser traurigen tiefen Augen nicht ausweichen.
So sitzen sie sich gegenüber und schauen einander an, er fühlt sich dabei wie ein Verbündeter des Hundes.
Er fühlt sich, als könne er den Hund verstehen, in diesem Moment glaubt er kein anderer könne jemals so intensiv seine Gefühle wahrnehmen und ihm nahe sein.
Seltsamerweise lächelt er den Hund an, als wäre er ein Mensch.
Ein seltsamer Ausdruck lässt sich plötzlich in den Augen des Hundes erkennen, dann öffnen sich die Türen, die drei verlassen die S-Bahn, der Hund dreht sich noch einmal kurz um und folgt dann der Frau.
Markus weiß nun mit absoluter Sicherheit , was der Hund mit ihr anstellen wird wenn er erst mit ihr alleine ist.
Und Markus glaubt die Vorfreude des Hundes auf das bevorstehende Ereignis zu spüren, obwohl sich die S-Bahn längst wieder in Gang gesetzt hat und der Hund und seine Gefährtin außer Sichtweite sind.
Jetzt lehnt er sich zurück, es ist eine wundervolle Ruhe eingekehrt.
Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen und er freut sich auf sein Zuhause.
 
E

Enza ost

Gast
Eine Geschichte, die gut geschrieben, mich doch verstört. Ich liebe Hunde und dieser tut mir unsagbar leid...
Ich bin froh, nicht U-Bahn fahren zu müssen und solchen Betrachtungen ausgesetzt zu sein...Aber es ist Dir gelungen, mich mitzunehmen in den Untergrund...

Lieber Gruß von Enza ost
 



 
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