Der Ölhafen, klassisches Drama

titatom

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Der Ölhafen​


Klassisches Drama der Moderne in fünf Akten


Die Beteiligten:
-[ 5]Beppi, der tragische Held im mittleren Alter, asketischer Single und Staatsbediensteter im Professoren-Rang an der örtlichen Universität. Gehaltsklasse A++, aber Klassenfeind des schnöden Mammons und Bewohner einer schmucklosen Zwei-Zimmer-Eigentumswohnung in unmittelbarer Nähe des Ortes des Geschehens. Außerdem durch Erbschaft reich wie Harry, aber trotz offensichtlich sozialistischer Gesinnung nicht bereit, den Plebs an seinem Vermögen Anteil nehmen zu lassen und ihm auch nur eine 'Halbe' am Handlungsort zu zahlen.

-[ 5]Luger, der Arbeiter mit Drang zum beschränkten Heldentum, ebenfalls im mittleren Alter und Beppis Freund seit Kindergartenzeiten. Staatsbediensteter im Postler-Rang, Gehaltsklasse A-X und somit weit entfernt von Beppis Besoldungsgrad. Deshalb Anhänger des Kapitalismus, der Möglichkeit beraubt, sein Gehalt durch Verwendung eigener Intelligenz zu vervielfachen. Ihm ist die Überlieferung dieses Dramas an die Öffentlichkeit zu verdanken.

-[ 5]Weiterhin nicht näher zu erwähnende Statistenrollen, die jedoch direkten Einfluss auf den Ausgang des Dramas haben, allesamt merklich tumb und aus dem Stadtteil stammend, welches Stätte dieses Schauspiels ist.

Ort des Geschehens:
-[ 5]Ein kleiner Hafen, genannt Ölhafen in einer bekannten Stadt an einem bekannten Fluss. Aufgelassen und ungenutzt von einer Behörde und danach verpachtet an die Nutznießerschaft aller beteiligten Personen, das die vorhandenen Gebäude als Umsatz- und Getränkesteuerfreie Oase betrachtet und darin eine weithin bekannte, gut florierende, jedoch illegale Gastwirtschaft betreibt. Nebenbei dient der Ort auch zur eigenen Rauschmittel-Verköstigung.

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Erster Akt:
-[ 5](Im Ölhafen-Gelände). Beppi, mal wieder des Schlafes beraubt aufgrund seiner anstrengenden Profession, begibt sich wie schon öfters früh morgens unerlaubt, aber stillschweigend geduldet auf das Gelände des Ölhafens, unbewusst dahinschlendernd und seine ihm geistig wie finanziell zurückgebliebene Umwelt vergessend. Der Held bemerkt deshalb nicht die Observierung durch einen vorbeifahrenden Kapitän eines Handelsschiffes, der seine Freunde, allesamt Pächter des Ölhafens, per Funk über den vermeintlich ungebetenen Gast informiert. Es befinde sich ein Penner, ein sogenannter „Noagaltrinker“ auf den heiligen Gründen des Vereins. Beppi zieht unbemerkt der Denunziation von dannen. (Vorhang).

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Zweiter Akt:
-[ 5](Vor dem Wirtshaus im Ölhafen). Heftige Diskussionen innerhalb der steuerfreien Kneipengemeinschaft im Ölhafen. Einer unter ihnen muss doch den Penner mal zu Gesicht bekommen haben, zumal sich auch Frühaufsteher, allerdings mehrheitlich Spätheimkehrer innerhalb der Pächtergruppe befinden. Es zeichnet sich immer deutlicher dar, dass sogar einer der Beteiligten selbst die ominöse Person sein müsse. Nach Meinung aller Mitspieler kommt nur der kauzige Professor in Frage. Bepp fühlt sich brüskiert und beleidigt. Die Bezeichnung „Penner“ geht ihm gewaltig auf den Sack. Er kehrt dem Kollektiv den Rücken zu und schwört heimlich Rache. (Vorhang)

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Dritter Akt:
-[ 5](In Beppis schäbige Bude). Beppi am Küchentisch mit Kofferschreibmaschine sitzend, ein Schreiben an eine bisher nicht beteiligte Behörde tippend. Welch Moment des Glückes überkam ihn eben, als ihn die zündende Idee wie einen Blitz aus heiterem Himmel traf. Endlich hat er die Möglichkeit, es der Bande von Missgünstlingen und Neidern heimzuzahlen. Beppi tippt das Schreiben eilfertig in Form einer Selbstanzeige der Säufer-Sippe, nicht vergessend, seinen Namen nebst Titel, seiner Adresse und lesbaren Unterschrift dem Schreiben anzufügen. (Vorhang).

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Vierter Akt:
-[ 5](Im Wirtshaus des Ölhafens). Zwei Beamte in Zivil betreten das Gelände. (Anm: Das Finanzamt reagierte flott und veranlasste spontan eine Außenprüfung im Gelände des Ölhafens zwecks Überprüfung der Steuerlast, die das Amateurlokal eigentlich für den bisher erwirtschafteten Umsatz abzuführen hätte). Im Zuge des anstehenden Hochwassers rettet einer der nicht erwähnenswerten Statisten die geheiligten Bierbestände in Form von 300 gefüllten Bierträgern zu je 20 Flaschen nebst unzähligen Spirituosen vor dem herannahenden Hochwasser des erwähnten Flusses. Beobachtet, fotografiert und notiert wird die Szene von den Beamten des Finanzamtes, denen der selbstlose Retter des Alkohols redselig Auskunft über die Namen der Trinker und deren Trinkgewohnheiten gibt und auch sonst Details ausplaudert, die eine Beförderung der Beamten in greifbare Nähe rücken, sich aber deutlich nachteilig für die Kneipengemeinschaft entwickeln wird. Im Hintergrund hört man Beppi vom Balkon seiner Kaschemme die Rettungsaktion lautstark kommentieren mit den Worten „Ersaufen sollt Ihr alle, ihr Hunde“. Die Dramatik hat nun freien Lauf. (Vorhang).

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Fünfter Akt:
-[ 5]Zahlungsbefehle, Pfändung der Bierbestände und Stillegung durch das Finanzamt folgen, ebenso Strafantrag der Staatsanwaltschaft sowie Kündigungen durch den Verpächter der Liegenschaft. Die Boote der Mitglieder jener Gastwirtschafts-Vereinigung müssen aus dem angeschlossenen Hafen entfernt werden. Der Kneipengemeinschaft wird auf Nachfrage im Finanzamt eine Kopie von Beppis Bekennerschreiben ausgehändigt. Beppi wird nun öffentlich Haue angedroht, von noch drastischeren Mitteln soll die Rede sein. Beppi entschließt sich, seine Wohnung zu verkaufen und wegzuziehen, um weiteren Repressalien aus dem Wege zu gehen. Die Bierhütte ist zu, das Stück ist zu Ende. Alle Helden sind tot. Zumindest geistig. (Letzter Vorhang).



...die Realität schreibt ihre schönsten Geschichten selbst,
diese schrieb sie im Sommer 2002...
 



 
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