Der Penner

hades

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Der Penner

Ich schlenderte die Kortumstraße in Bochum hinunter und sah einen Mann, der in einer Mülltonne wühlte. Das Aussehen des Mannes signalisierte mir, dass er höchstwahrscheinlich nach etwas Essbarem stocherte. Immer, wenn ich Menschen sehe, die in einer Mülltonne nach Essbarem suchen, geht es mir schlecht. Deshalb entschloss ich mich, dem Mann zu helfen.
Ich lief zu der nahegelegenen Discount-Würstchenbude in der unteren Kortumstraße und kaufte zwei Bratwürstchen mit Senf und Brötchen. In die eine biss ich herzhaft und lustvoll, die andere trug ich zu dem wühlenden Penner. Da dieser sehr eifrig arbeitete, bemerkte er mich nicht sofort. Ich tippte ihm daher auf seine schmutzige Schulter. Verdutzt hielt er inne und wandte sich mir dann langsam zu. Ermunternd hielt ich ihm das Discountwürstchen entgegen. Wie zur Bestätigung biss ich noch einmal kräftig in meines. Der Penner drehte sich nun vollends zu mir; er machte aber keine Anstalten, sich das Dargebotene zu nehmen. Das war mir sehr unangenehm und deshalb sagte ich etwas barsch:
"Hier, nimm.!"
Doch er dachte nicht daran. Stattdessen stemmte er seine Fäuste in die Hüften und blickte mich vorwurfsvoll an.
"Was denken Sie sich? Glauben Sie wirklich, ich nehme diese Wurst?" Ich muss zugeben, ich war etwas verwirrt. Da mir nichts Besseres einfiel, sagte ich: "Ich dachte, sie hätten Hunger." "Natürlich habe ich Hunger“, antwortete der Penner, „deshalb nehme ich doch nicht von jedem Dahergelaufenen Essen an." Das 'Dahergelaufen' kränkte mich zutiefst. Ich bemerkte, wie ich seine Wurst würgte, so dass mir der Senf die Hand hinunterlief. Da mir nichts Besseres einfiel, hielt ich ihm die senfbeschmierte Hand noch einmal hin und brummte so jovial wie möglich:
"Hier, nimm schon."
Um uns herum blieben die ersten Passanten stehen und blickten uns mit seltsamem Gesichtsausdruck an. Ich stellte mir vor, wie merkwürdig es in diesem Moment aussehen musste, wenn ich mit meinem Konferenzanzug diesem verlausten Penner meine senfbeschmierte Hand hinhalte, während dieser mit beiden Händen Ablehnung signalisierte. Ich mochte mir nicht die Blamage ausmalen, wenn just in diesem Moment einer meiner Geschäftsfreunde die Kortumstraße herunterspaziert wäre und mich in dieser demütigenden Pose beobachtet hätte.
Der Penner aber spuckte vor mir aus und sagte:
"Pfui Deibel, weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?" Ich wurde wütend und klatschte das Brötchen mit der Wurst auf die Straße.
"Wenn es dir besser gefällt im Müll zu wühlen, dann möchte ich dich nicht aufhalten." Die Augen des Penners nahmen mit einem Mal einen gütigen Ausdruck an.
"Verstehen Sie mich recht", sagte er in sanftem Ton, "meine Situation habe ich mir brav erkämpft. Ich hatte auch schon einmal einen solchen eleganten Anzug getragen wie Sie, aus dem Vollen geschöpft, geschlemmt und gesoffen. Ich musste nicht auf ´s Geld schauen; es hatte eigentlich immer gereicht. Wenn ich besonders gut gelaunt war, habe ich einem Stadtstreicher einen Fuchs gegeben. Oder auch ‚ ´ne Mark. Ich habe mich immer gut gefühlt dabei. An besonderen Tagen, in der Regel vor Weihnachten, war ich besonders großzügig; dann habe ich einem Penner auch schon einmal ein Fünfmarkstück in die Hand gedrückt und ihm gesagt: ‚Hier, du sollst auch nicht leben wie ein Hund.’ Ich habe einen Stadtstreicher erlebt, der mir nach einer solch großmütigen Spende die Hand geküsst hat. Natürlich war mir das etwas unangenehm, wie jedem braven Bürger. Es gab aber auch Zeiten, da konnte man mein Mitgefühl nicht rühren. Da mag der Bettler noch so elend ausgesehen haben. Wenn er jung war, sagte ich ihm, dass er arbeiten könne, einem Alten bin ich lieber aus dem Weg gegangen. Ja, meine Gaben waren ein Ausdruck meiner Launen. Man kann sagen, ich war so eine Art Gott für die Bettler.
Doch dann kam der Tag, an dem ich mit einem Schlag alles verlor. Sagen wir zu meinen Gunsten: ich geriet unverschuldet in Not. Nach ein paar fruchtlosen Aufbäumungsversuchen gegen mein Schicksal landete ich letztendlich dort, wo ich heute bin. Nichts konnte ich behalten, nur meinen Stolz, und dieser verbietet es mir, etwas von Leuten wie dir anzunehmen."

"Findest du es denn besser im Müll zu wühlen, um etwas Essbares zu finden?", fragte ich etwas hilflos. Doch der Penner setzt dagegen:

"Seit wann ist es erniedrigend, etwas zu tun um zu essen. Du würdest doch auch einem Schwein nicht sagen, es sei erniedrigend, im Schlamm nach Trüffeln zu suchen. Es geht dir doch gar nicht darum, mir zu helfen, damit ich mich besser fühle. Nein, es ist nicht dein Problem, was ich fühle. Vielmehr geht es für dich darum, was du fühlst, wenn ich dein ungesundes Brötchen angenommen hätte. Mich würde es nicht weiterbringen; ich müsste morgen doch wieder hier graben. Es ist aber auch nicht meine Aufgabe, etwas zu tun, damit du dich gut fühlst. Ich habe genug damit zu schaffen, mir etwas Gutes zu tun. Deshalb konnte ich dein Wurstbrötchen nicht annehmen. Ich hätte dir dankbar sein müssen, obwohl du das doch nur für dich selbst tust. Doch nun entschuldige mich, ich muss arbeiten."

Er bückte sich und hob das Brötchen sowie die einen halben Meter daneben liegende Wurst auf; dann legte er sie zurück in das Brötchen und biss gierig hinein.
Er ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.

© Erich Romberg, Oktober 2000
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
boh eh!

was ne geschichte! echt umwerfend. und bestechend logisch - der dieb nennt sein tun ja auch arbeit! mach mal so weiter. ganz lieb grüßt
 
L

leonie

Gast
wow

Toll geschrieben. Auch menschen die nichts besitzen, haben ihre Stolz, auch wenn wir das nicht immer verstehen.
liebe grüße leonie
 



 
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