Der Prinz auf der Schluffe

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
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Es traf einmal...

war's gestern? Oder heut'? ...auf einsamer Straße tief in den Niederbergen hinter den sieben Kurven Schluffenpaule sein Breitreifen den Prinzen Küssmichmal.

Quak.

Im richtigen Leben wäre die Geschichte jetzt zu Ende, aber, dem Autor sei Dank, hier sind wir im Märchen, weshalb Prinz Küssmichmal zwar etwas unbequem geplättet auf der Lauffläche klebte, das Bewusstsein seiner prinzliche Würde aber verhältnismäßig unversehrt in das Profil retten konnte. Intime Kenner verwunschener Fröschlichkeiten mögen hierüber ungläubig die Brauen heben, da so geartete Fähigkeiten in der wissenschaftlichen Standardliteratur über fröschliche Prinzenheiten bisher noch niemals Erwähnung fanden, jedoch erhofft sich der redliche Verfasser dieser Zeilen das geneigte Vertrauen auch dieser Leser, wenn er erklärt, dass seine Verwunschenheit Prinz Küssmichmal während seiner scheinbar müßigen Uferstunden ein eifriger Student zeitgenössischer Comicliteratur war.

Allerdings bemerkenswert ist das erstaunliche Geschick, mit dem er seine ausschließlich theoretisch erworbenen Kenntnisse in dieser – immerhin existenzbedrohenden – Situation praktisch umsetzte. Zwar war er ein wenig desorientiert, weil es ständig rund ging. Aber, nachdem er die Querrillen bemerkt hatte, sammelte er in zielstrebig seine Gedanken rechtwinkelig zur Rollrichtung, galt es doch, die so unkomfortabel geplättete Lage zu analysieren. Unglücklicherweise entriß ihm die Fliehkraft die Gedanken schneller, als er sie zu einem vernünftigen Zusammenhang knüpfen konnte und so sehr Seine Menschengeboren Prinzküssmichmal sich auch mühte, wollte ihm keine Möglichkeit einfallen, diesem Um und Um und immer Herum zu entkommen. Fast hätte er sich trotz seiner comischen Bildung dem Abrieb ergeben, wenn nicht in diesem Moment Schluffes Blase ihrem Eigner die Ankunft der drei kürzlich genossenen Kölsch gemeldet hätte.

Schluffe pflegte dreierlei: auf seinen Körper zu hören, sowie zwei Devisen: „Wat mut, dat mut“ und „Tu's gleich“.
Also: Parkbucht. Rin in die Eisen. Handbremse. Noch ein bisschen geschlittert, Schluffe verzog das Gesicht. Waren elend teuer, die Fluppen. Schlenkerte den Knüppel im Leerlauf und klickte den Vierpunkt auf. Zerrte am Griff, stemmte den Oberarm gegen die Türlehne; klemmte etwas, seit Schluffes neulicher Drehung in das Straßenbegleitgrün. Aber außen astrein gespachtelt und gespritzt.
„Hab' ich sauber hingekriegt. Nix gegen zu sagen“, murmelte Schluffe anerkennend und lehnte die Tür sanft an, damit er später nicht auf der Beifahrerseite einsteigen musste. Der Griff lag noch in der Garage. Schluffes Finger glitten zärtlich über die Lackflammen, während er die Motorhaube umrundete. Good Vibrations. Er trat in den Schatten neben dem Wagen, zog den Reissverschluss runter und zielte in die Dunkelheit. Den Kopf in den Nacken gelegt, lauschte Schluffe andächtig dem vom sonoren Grollen des Motors untermalten Plätschern. Da raspelte hinterrücks ein Räuspern sein Rückgrat hinunter.

Für den aufmerksamen Leser nicht überraschend, weiß er doch um Seiner Verwunschenen Plattheits profilierte Verhaftung an Paules rechter Vorderschluffe, vermag er sich hoffentlich dennoch den Schrecken vorzustellen, mit welchem dieser sein Paulchen herumschwenkte.
„Du Ferkel!“
Entsetzt lenkte Schluffe Paulchen nach unten. Seine Füsse wurden nass.
Seine Angepisstheit Prinz Küssmichmal wischte sich über das immer noch leicht deformierte Grüngesicht und zerrte an seinem rechten Bein, das zwar sehr zuvorkommend nachgab, sich aber sturelastisch weigerte, vollends das Profil zu verlassen. „Zurücksetzen. Sofort zurücksetzen!“ japste er das arme Würstchen an, das prompt vor Schreck die letzten Tropfen an die Socken verlor.
„Ja, ey. Klar Mann.“ Schluffe hüpfte rückwärts durch die Lichtkegel und zerrte den Verschluss in die Höhe, quiekte, riss ihn wieder herunter, barg Paulchen und stolperte gegen die Fahrertür. Sie fiel ins Schloss.

„Wird's bald! Ich spüre meine Zehen kaum noch!“ drängte Seine Gequetschtheit ungeduldig von der anderen Seite. Schluffe beschattete seine Augen und stützte die Handkanten gegen die Scheibe. Der Türschlüssel zitterte am Schlüsselring.
Der hing am Zündschlüssel.
Der steckte.
Genau wie der Türknopf auf der Beifahrerseite.
Versenkt.
Schluffenpaule ließ die Arme sinken und lehnte die Stirn an. „Sch...“ den Rest verschluckte ein Bäuerchen, das sich just aus seinem Magen befreite. Die Scheibe vibrierte unbeeindruckt gegen seine Stirn. Paule fuhr zurück. „Der Motor läuft.“ Fassungslos starrte er auf die Haube herunter. Er fuhr sich über das Gesicht, als wollte er aus einem schlechten Traum aufwachen. „Shell Optimax!“ Seine Stimme überschlug sich. „ZWANZIG Liter! Einsneunundachtzigneun der Liter.“ Paule schluchzte. Seine Finger tasteten hilflos über den Metalliclack.
„Zuurück!“ Eine kleine grüne Faust tauchte hinter dem rechten Kotflügel auf und hieb mit beeindruckender Kraft darauf. „Du sollst zurück setzen, Du dämlicher Asphaltcowboy!“
Schluffe zwinkerte verblüfft in den Mondscheinstrahl, den die Delle in sein Gesicht reflektierte. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Er richtete sich auf. Mit ausdruckslosem Gesicht umrundete er den Wagen, packte Seine Hilfosigkeits rechten Froschschenkel und zerrte. „Ich fetz' Dich in Stücke, Mistkröte!“ Zerrte. Zerrte. Vergeblich. Prinzküssmichmal blieb gleichermaßen dauerelastisch sich selbst und dem Reifen verhaftet. Schließlich gab Paule auf. Er ließ das Froschbein los, das prompt wieder auf eine Seiner Verwunschenheit angemessene Länge zurück schnellte. Schwer atmend gegen den Wagen gelehnt, verblies Schluffenpaule die letzten Alkoholmoleküle aus seinem Schädel. Er starrte auf Seine Grüngesichtigkeit herab, schien ihn erst jetzt erst richtig zu sehen. „Sach ma', was bis'n Du eigentlich? N' Äliän?“ Er erschrak nicht schlecht über seine eigene Vermutung; sicherheitshalber wich er ein paar hastige Schritte zurück.

„Ich,“ begann Seine Breitmäuligkeit und bemühte sich mit bescheidenem Erfolg um eine standesgemäße Haltung, „bin ein verwunschener Königssohn, Prinz Küssmichmal, das heißt, eigentlich heiße ich Prinz Küssmichmal, aber der verfluchte Zauber sorgt dafür, dass ich immer Prinz Küssmichmal sagen muss, wenn ich Prinz Küssmichmal sagen will...“

„Äh.“

Der Verfasser möchte dem bisher geneigten Leser eine vergleichbar demütigend geistlose Reaktion ersparen, darum sei hier der erläuternde Einschub gestattet, dass der tatsächliche Name Seiner Verwandeltheit Prinz Ferdinand der Achte von Langensteiff lautete, Erster Thronerbe des Königreichs Viagrien. Schon seit jenen, fast im Dunkel der seither vergangenen Jahrhunderte versunkenen Tagen, als der Ahn Seiner Prinzipalen Fröschlichkeit das geheime Rezept der Lüsternen Lieselotte in hochnotpeinlicher Befragung abrang, das Ursprung des Reiches und Quell des märchenhaften Reichtums derer von Langensteiff werden sollte, verfolgte der Hass der Hexenschwesterschaft die Langensteiffsche Linie. Weniger aus Zorn über den Tod der Lüsternen Lieselotte, die, nach langem Zureden unter Einsatz überzeugender Peinlichkeiten auch noch ihre Hexenschaft gestand, um dann mit Hilfe eines Schlagflusses das Werben ihres bocksbeinigen Buhlen für die Ewigkeit anzunehmen. Im Gegenteil, die frei werdenden Kunden der – ob ihres blühendes Geschäft wenig gelittenen – Konkurrentin wurden mit klammheimlicher Freude erwartet, dann wäre die heiße Rachlust wohl bald in kaltem Geschäftskalkül erfroren.

Allein, die neuen Kunden mochten sich nicht einstellen. Schlimmer noch: ausnahmslos alle Schwestern der Vereinigten Hexenschaft mussten einen stetigen Rückgang ihrer Einnahmen erfahren; selbst langjährige Stammkundschaft blieb plötzlich aus. Die Schilderung der Zwistigkeiten und Wirrungen in der Schwesternschaft, die endlich zum Ersten Zickenkrieg führten, der erst mit dem Vierten Sabbathischen Konzil einen schwelenden Abschluss fand, würde den Rahmen dieses Märchens sprengen, darum sei dem Verfasser nur noch der abschließende Hinweis gestattet, dass er durch außerordentliche Umstände über intime Kenntnisse aus dem innersten Zirkel verfügt, die er beizeiten dem erwartungsvollen Publikum in einem eigenen Werk näher bekannt machen wird.

Das Langensteiffsche Geschlecht hatte es indessen nicht schlecht verstanden, die mit Peinlichkeit erworbenen Kenntnisse in eigener Alchimistenküche zu verwerten und die damit produzierten Erzeugnisse mit gutem Gewinn zu veräußern. Der Ruf ihrer erhebenden Wirksamkeit war längst bis über die Landesgrenzen geschallt und in den Einkehrhäusern der Hauptstadt stritten gehörnte Händler aus dem hohen Norden mit Mohren aus dem Morgenland um die raren Strohlager; König Ferdinand der Siebte herrschte mit weiser Güte über überquellende Schatztruhen und treue Untertanen, als endlich der Fluch der späten Rache den einzigen Sohn des Königs, den Langensteiffschen Thronfolger Prinz Ferdinand den Achten treffen sollte: Er ward zum Frosch Prinz Küssmichmal.

Die Auszeit dieses kurzen Exkurses hatte Schluffenpaule zur Sammlung genutzt. „Du bist ein sprechender Frosch.“, stellte er fest und nickte zufrieden über seine Erkenntnis. Die Möglichkeit einer solchen Begegnung war ihm nicht gänzlich unglaublich, hatte er doch als Kind allabendlich den Märchenhörkassetten gelauscht und sogar ein paar Male Kermit im Fernsehen gesehen. „Verwunschener Prinz, wa'? Aber denk' bloß nich', ich knutsch' Dich.“ Paule zog die Nase hoch und fuhr mit angewidert mit dem Ärmel darunter. „Bin doch keine Schwuchtel!“ Bekräftigend spie er auf den Asphalt.
„Wag' Dich auch nur, mir zu nahe zu kommen!“ fauchte Seine Unberührbarkeit und hob seine Fäuste gegen den Kotflügel.
„Mann, hör' auf mit dem Scheiß!“ Schluffe sprang vor, Panik sprang mit. Er fiel drüber. Landete auf...
„Du Idiot! Du hodengesteuertes Rindvieh! Siehst Du, was Du angerichtet hast?“
Schluffe betrachtete entzückt den Kirschmund unter dem zarten Näschen, der ihn so hinreißend beschimpfte. Feste Rundungen drängten sich durch sein halbgeöffnetes Hemd an seine Brust, fester noch drängte es ihn in der ganz geschlossenen Hose in die Gerade. „Du bist ja 'ne Braut!“ Gerade noch rechtzeitig wälzte er sich zur Seite, um sie in der Totalen zu beschauen. Ihr Tritt verfehlte den Schritt. Paules Blick war der geschmeidigen Bewegung gefolgt und tastete sich von den Fesseln wieder aufwärts.„Geiles Gestell.“ murmelte er, leckte sich die Lippen.
Seine Transgendiertheit, die Prinzessin Wachgeküsst, stemmte sich, zog und zerrte, doch der Reifen wollte ihren zarten Fuß partout nicht frei geben. Schwerer Atem wogte ihren Busen, als sie erschöpft inne hielt. Paule war hin und weg. Zwei Tropfen trafen die Alabasterbrüste, rollten eilig abwärts. Weitere folgten. Wie konnte da ein Chevalier d' Rue widerstehen? „Bleib locker, Süße.“ Lässig rollte er die Ärmel auf. Rollte die Schultern. Trat an den Wagen. Fasste unter den Türschweller. Muskeln schwollen. Hemdnähte knirschten. Spotlicht blendete. Paule blinzelte. Blaue Blitze zuckten. „Guten Abend, Verkehrskontrolle, Ihre Papiere bitte.“

Und die Moral von der Geschicht':
Frösche überfährt man nicht,
sonst gibt’s 'nen Polizeibericht
 

majissa

Mitglied
Herrlich geschrieben! Man kann sich des Eindrucks diebischer Freude an der Kunst des Fabulierens nicht erwehren. Normalerweise liegen mir Märchen nicht sonderlich, aber an diesem hier blieb ich haften. Lachend. Und irgendwie ists ja auch alles recht liebevoll bis ins kleinste Detail ausgeklügelt. Sprachlich. Allein das raspelnde Räuspern am Rückgrat! Dennoch klingt alles wie aus einem Guss - eben locker und leicht heruntergeschrieben. Mühelos. Hältst die Spannung aufrecht. Trotz aller Redundanz. Durchaus. Bin schwer beeindruckt. Hm.

Majissa
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ertappt.
Ich gestehe, ganz ohne Schamesröte; die Rotbäckchen kommen vom Lobgenuss.

In voller Fahrt durch Fabulien zog dann allerdings so ein lümmeliger Einfall die Notbremse. Nu' steht der Gedankenzug, noch unter Dampf, der Schaffner geht mit seiner Laterne die Wagen ab und schlägt gegen die Räder.

Den letzten Wagon werde ich wohl abkoppeln. Die Obrigkeit stört wie meist, auch hier das Plaisir.

Harrte auf den Freifahrtpfiff, die Hände fest am Kohlenschaufelgriff
 



 
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