Der Sack des Rigoletto

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Raniero

Textablader
Der Sack des Rigoletto

Die Opernliebhaber waren gespalten, lange Zeit schon vor Aufführung des Rigoletto von Giuseppe Verdi, in zwei unversöhnliche Lager, und das hatte einen durchaus nachvollziehbaren Grund.
Der neue Regisseur am städtischen Opernhaus, eine nicht unumstrittene Persönlichkeit, hatte angekündigt, den Rigoletto in einer Fassung zu bringen, wie sie seinerzeit von der Zensur u. a. gewünscht, von Verdi aber empört abgelehnt worden war, die so genannte Fassung ohne Sack.
Unmittelbar daraufhin waren sie entstanden, diese beiden gegensätzlichen Lager, und entsprechend ihren lautstark verkündeten Meinungen unterteilte man sie in Anhänger mit respektive ohne Sack.
Während die Vertreter der konventionellen Richtung es einfach für unmöglich hielten, den buckligen Hofnarren in der entscheidenden Szene ohne Sack auf die Bühne zu bringen, zeigten sich die anderen nicht nur geneigt, sondern konnten es kaum erwarten, Rigoletto ohne Sack, sozusagen sacklos, singen zu lassen.
Hierbei ließen beide ‚Fraktionen’ vollkommen außer acht, dass bei einer Oper die Musik der wichtigere Part ist gegenüber der auf der Bühne sichtbaren Handlung., doch sie ließen sich nicht davon abbringen, sich über eine geplante Aufführung in Rage zu reden, die noch gar nicht gespielt worden war; und das alles wegen des verfluchten Sackes des Rigoletto.


Der Abend war gekommen.
Beide Lager hatten, angeregt durch eine Aufforderung eines Boulevardblattes, ihrer Meinung durch entsprechendes Outfit Nachdruck verliehen, und so sah man, wohin man auch blickte, im Parkett und auf den Rängen gleichermaßen Personen mit weißen wie schwarzen Kopfbedeckungen; weiß für den Sack, schwarz gegen denselben.

Bis zur entscheidenden Szene, dem unübertrefflichen Finale der Oper war es bis auf einiges Feixen hinter vorgehaltener Hand ziemlich ruhig geblieben, im Publikum, nun aber trat Totenstille ein.
Alles hielt den Atem an, alle warteten auf den Auftritt des buckligen Narren.
Wie würde er Sparafucile entgegentreten, und vor allem, was würde er von diesem entgegen nehmen?
Doch Rigoletto erschien nicht, stattdessen trat der eigenwillige Regisseur vor den Bühnenvorhang und verkündete mit steinerner Stimme:
„Meine Damen und Herren, nach den Unruhen der letzten Zeit hinsichtlich der beabsichtigten Spezialfassung des Rigoletto blieb mir nichts anderes übrig, als einen Kompromiss zwischen den beiden verfeindeten Blöcken herzustellen.
Dieser Kompromiss sieht erstens vor, den Darsteller des Rigoletto mit Sack auftreten zu lassen…“
An dieser Stelle setzte ungeheurer Jubel ein, auf der Seite der Liebhaber des konventionellen Theaters, während von der Gegenseite schrille Pfiffe ertönten.
Erst nach einer längeren Pause konnte der Regisseur fortfahren:
„Ein Kompromiss, meine Damen und Herren, setzt aber stets ein gewisses Geben und Nehmen voraus, und das bedeutet im Klartext“, erhob er die Stimme,
„der Sack bleibt zu, ich wiederhole, der Sack des Rigoletto bleibt zu!“
Noch bevor die ersten Reaktionen des Publikums einsetzten, verschwand er schnell hinterm Vorhang, der gute Mann, vielleicht befürchtete er Schlimmeres…


Dann aber brach die Hölle los, im Saal.
Die Vertreter der weißen Liga fühlten sich getäuscht, hatten sie doch nur einen Teilsieg errungen. Was sollte der Sack auf der Bühne, wenn er zublieb?
Die Gegenseite war zwar auch nicht zufrieden, freute sich aber umso mehr über die wütenden Reaktionen der Traditionalisten.
Es dauerte eine ganze Zeitspanne, bis die Oper fortgesetzt werden konnte.
Schließlich aber erschien Rigoletto auf der Bühne und nahm aus der Hand des gedungenen Mörders den Sack entgegen, diesen Sack, der für soviel Unruhe gesorgt und das öffentliche Leben der ganzen Stadt fast lahm gelegt hatte.
Schon erklangen die ersten Worte Gilda’s, der Tochter Rigolettos, aus dem Sack heraus, eine bis dato wohl nie da gewesene Szene auf einer Opernbühne, und statt seiner sterbenden Tochter umarmte Rigoletto während des unsterblichen Duetts die ganze Zeit den verfluchten Sack.


Auf der Bühne erlosch das Licht, und nach einem Augenblick stillen Verharrens setzte ein in diesem Musiktheater noch nie vernommener Applaus ein, Futuristen und Traditionalisten jubelten quasi um die Wette.
Dieser Jubel aber wurde plötzlich um ein Vielfaches übertönt, von einem furchtbaren Grollen, das mitten aus dem Erdmittelpunkt zu kommen schien.
Das Grollen, so stellte man später fest, hatte sein Epizentrum in Mailand, und zwar in diesem kleinen Gebäude im Innenhof der Casa di Riposo…
 



 
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