Der Stadtmensch

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mikhan

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Der Stadtmensch

Eines schönen Tages wurde die große Wiese, die sich vor unserem Dorf erstreckte, dem Erdboden gleichgemacht. Wie besessen wälzten die Bagger der Baufirma die Erde um, bis auch der letzte Grashalm unter einer schlammigen Schicht brauner Erde verschwunden war.
Ein Mann aus der Stadt hatte das Grundstück gekauft, um sich dort ein Haus zu bauen. Es dauerte nicht lange und da war das Haus auch schon einzugsfertig. Es war sehr groß und nicht wenige von uns wunderten sich darüber, wieso ein einzelner Mensch soviel Platz benötigte. Einige meinten, dass die Stadtmenschen eben auf sehr engen Raum leben würden und daher ein besonderes Bedürfnis nach freiem Raum hätten. Andere vermuteten hingegen ein düsteres Geheimnis, welches den Mann, den man bisher nur ein einziges Mal von weitem zu Gesicht bekommen hatte, umgab. Wie dem auch sei, dieser Mensch aus der Stadt zog also zu uns ins Dorf, in sein neues großes Haus, ganz allein.

Unmittelbar vor dem Hauseingang hatte er einen kleinen Garten angelegt, der im Grunde nur aus einer Hecke, einigen Büschen und einem jungen Pflaumenbaum bestand. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn vernachlässigte der Stadtmensch auf geradezu frevlerische Art und Weise seinen Garten. Der Rasen stand gut einen halben Meter hoch und war mit Disteln und Brennnesseln durchsetzt, und der Pflaumenbaum war mit Trieben übersät. Angewidert gingen die Dorfbewohner an dem Grundstück vorüber, stets den Kontrast zu ihren eigenen gepflegten, mit geometrischer Genauigkeit angelegten Gärten sich vor Augen haltend. Als es dann aber wärmer wurde, wurde der Stadtmensch plötzlich sehr aktiv. Hatte man ihn zuvor meist nur in seinem Wagen aus oder in die Garage fahren gesehen, unternahm er nun auch ausgedehnte Spaziergänge und mähte schließlich sogar seinen Rasen. Vielleicht hatte er vorher einfach keinen Rasenmäher gehabt, denn nun mähte er den Rasen jede Woche und schnitt auch Hecke, Büsche und Pflaumenbaum zurecht.

Da der Stadtmensch jetzt auch in seinem Liegestuhl im Garten zu liegen pflegte, bekamen die Leute aus dem Dorf ihn nun häufig zu Gesicht. Wann immer nämlich jemand an seiner Hecke vorbeikam, richtete er sich in seinem Liegestuhl auf, legte dann meist ein Buch, das er gerade gelesen hatte, zur Seite, und grüßte die Vorübergehenden überschwänglich. Vermutlich ging er davon aus, dass dies auf dem Dorf so üblich sei. Er wusste nicht, dass die meisten der Dorfbewohner in ihm einen unerwünschten Eindringling sahen. Und so kam es, dass längst nicht jeder Gruß auch erwidert wurde. Andere Dorfbewohner hingegen suchten das Gespräch mit dem Stadtmenschen, der sich darüber furchtbar freute. Er wusste eben auch nicht, dass sie das nur taten, um für neuen Gesprächsstoff im Dorf zu sorgen, und das befremdliche Bild vom Stadtmenschen, das in ihren Köpfen spukte, weiter auszumalen.

Je näher sich der Stadtmensch den Dorfbewohnern fühlte, desto weiter hatte er sich im Grunde von ihnen entfernt. Selbst wenn er sein ganzes restliches Leben im Dorf verbracht hätte, wäre er doch immer der seltsame Mann aus der Stadt geblieben, so sehr ihm diese Rolle wohl auch innerlich widerstrebte.

Eines Morgens klingelte es bei mir an der Tür, und ich erschrak nicht wenig, als ich den Stadtmenschen draußen stehen sah. Was immer er auch wollte, sein Besuch konnte mir nur Schwierigkeiten bereiten, weshalb ich beschloss, ihn so schnell wie möglich abzuwimmeln. Zwar hatte ich mich nie an den Diskussionen im Dorf beteiligt und die Gegenwart des Stadtmenschen mehr oder weniger gleichgültig hingenommen, doch ein wenig suspekt war mir das Ganze dann doch. Mit einem flauen Gefühl im Magen öffnete ich zaghaft die Tür.

Der Stadtmensch strahlte mich an und warf mir ein prächtiges „Guten Morgen!“ entgegen, was ich mit monotoner Stimme erwiderte. Sein Rasenmäher war defekt und er sah sich außerstande diesen zu reparieren, weshalb er sich von mir Hilfe erhoffte. Gerade als ich ihm sagen, dass ich davon genauso wenig verstünde wie er, kam er meiner kleinen Lüge zuvor, indem er behauptete mich erst Gestern bei der Reparatur meines eigenen Rasenmähers beobachtet zu haben. Er redete ununterbrochen und verhinderte dadurch jegliche Gegenwehr meinerseits. Ehe ich mich versah, stand ich auch schon vor seinem Rasenmäher. Verzweifelt bemühte ich mich die Reparatur so schnell als möglich hinter mich zubringen, mir der argwöhnischen Blicke der vorbeigehenden Dorfbewohner voll bewusst.

An diesem Tag hatte mein Ansehen im Dorf stark gelitten. Die überschwängliche Dankbarkeit des Stadtmensches kam mir daher wie blanker Hohn vor, den er mir obendrein auch noch mit einem, wie er mir stolz erzählte, selbst gemachten, Kirschkuchen garnierte.

Den ganzen Sommer über und weit bis in den Herbst hinein kam der Stadtmensch nun regelmäßig bei mir vorbei, um mich um einen Gefallen zu bitten oder mich zum Essen einzuladen. Bei diesen Treffen drückte er stets seine Begeisterung für das gemeinschaftliche Leben auf dem Dorf und die freundliche nachbarliche Atmosphäre aus. Es kam mir so vor als lebte er in einer Art Traumwelt und selbst die rauesten Reaktionen der Dorfbewohner konnten seine Utopie offenbar nicht zum Einsturz bringen.

Als dann der Winter einsetzte, kam der Stadtmensch plötzlich gar nicht mehr bei mir vorbei. Ich hatte mich so sehr an seine Besuche und sein träumerisches Geschwätz gewöhnt, dass mir seine lange Abwesenheit doch etwas merkwürdig vorkam. So ging ich an einem verschneiten Wintertag zum ersten Mal aus freien Stücken zu dem Haus des Stadtmenschen, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Mit einem melancholischen Gesichtsausdruck öffnete der Stadtmensch mir die Tür, er war nicht geringsten überrascht mich zu sehen, und lud mich fast widerwillig zu einer Tasse Tee ein. Sein Verhalten befremdete mich sehr und ich brannte darauf, die Ursache für seine Verstimmung zu erfahren.

Es stellte sich heraus, dass der Stadtmensch unter seiner Einsamkeit furchtbar litt. Er offenbarte mir, dass er der Anonymität der Stadt hatte entfliehen wollen, dass es ihm aber offenbar nicht gelungen war, sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren. Er gab dafür sich selbst die Schuld, den Dorfbewohnern wollte er nichts Übles nachreden. Einigermaßen verblüfft über die Naivität dieses, doch im Grunde so modernen Menschen, wusste ich nicht, wie ich ihm Trost spenden könnte. Ich riet ihm zu einem langen Spaziergang im Schnee, auf welchem er sich von seinen trübsinnigen Gedanken freimachen könne. Seine dunklen Augen leuchteten auf, für einen kurzen Augenblick kehrte seine gewohnte Überschwänglichkeit zu ihm zurück und er meinte, dass er sofort aufbrechen wolle.

Ich sagte ihm noch, er solle sich nicht zu weit vom Dorf entfernen, da es hier in den Bergen oft zu beträchtlichen Temperaturstürzen und plötzlichen Schneestürmen kommen konnte. Außerdem brach im Winter die Dunkelheit meist sehr rasch ein. Er lachte nur und bedankte sich für meine, wie er fand, übertriebene, Fürsorglichkeit.

An diesem Abend blieb das Haus des Stadtmenschen dunkel, er war von seinem Spaziergang nie zurückgekehrt. Wenig motiviert begannen die Dorfbewohner, mich eingeschlossen, mit der Suche nach dem verschollenen Stadtmenschen…
 

Gandl

Mitglied
Hi mikhan,
pfiffig.... (doofes Wort...oder?)
Gut erzählt, flüssig mit dem richtigen Maß an Geheimniskrämerei.
Dass die Stadtmenschen ne Klatsche haben (warum auch immer...)
bringst du sehr schön rüber. (na, und die Dorfmenschen nicht minder...)
Nein, sehr schön erzählt, auch der Schluss: sanft übergeleitet in das,
was der Leser schon ahnt (aber auch das erst kurz vorher).
Vielen Dank
Liebe Grüße
Gandl
 
P

Parsifal

Gast
Hallo mikhan,

ich habe lange genug upp’n Dörpe gelebt und weiß ein Lied davon zu singen. Da zieht ein Fremder ein, und alle glotzen. Du schreibst nichts davon, daß sich der Fremde öfter in den Dorfkneipen zeigt – schon verdächtig. Vielleicht kauft er seine Garderobe auch in der Stadt, weil er nicht herumlaufen will wie die Jungbauern auf’m Dorfbums beim Schützenfest, und wieder zerreißen sich alle das Maul, vor allem die Geschäftsleute, die es ihren eingeborenen Kunden weitergeben. Und wenn er gar sein Konto weiterhin in der Stadt hat, ist das in höchstem Maß verdächtig.

Was hätte man daraus für eine Geschichte machen können: das Tuscheln und Hinter-dem-Rücken-reden, wie es Dörflerweise ist; die Unfreundlichkeiten, heimliche und offene Anfeindungen… Davon hätte ich gern mehr erfahren. Nicht ein einziger Dialog, alles nur Vermutungen oder Behauptungen. Du hast ein gutes Thema verschenkt. – Wenn Du Anregungen suchst, empfehle ich Dir Andreas Vöst von Ludwig Thoma.

LG
Parsifal
 

mikhan

Mitglied
Hallo Parsival,
vielen Dank für die Kritik.
Allerdings ist Dorf nicht gleich Dorf, in dem Dorf, in welchem ich mehrere Jahre gelebt habe, gab es zum Beispiel überhaupt keine Kneipe oder etwas Vergleichbares. Ich weiß aber natürlich, was du meinst, und klar, man kann auch mehr daraus machen. Werde mir daher den von dir empfohlenen Text bei Gelegenheit zu Gemüte führen.

Gruß Mikhan
 



 
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