Der Stolz des Hauses Beltbory

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Felix

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Lord Bruce Beltbory war ein stolzer Mann. Seine Familie war mächtig, reich und die Stimme des Lords besaß das Gehör des Königs Edward von York. Seine Frau war wunderschön und seine Burg mächtig und uneinnehmbar, doch eines fehlte Bruce Beltbory: Ein Sohn.
Es herrschte Krieg und Bruce war zerfressen von der Sorge, dass er in der Schlacht fiel ohne einen Erben zu hinterlassen. Dennoch ritt er an der Seite seines Königs in die Schlacht, erlebte Sieg um Sieg und erntete Ruhm für das Haus.
Eines Tages dann kehrte Lord Bruce mit seinen erschöpften Mannen und Vasallen von einem Kriegszug heim, der fast ein ganzes Jahr gedauert hatte. Als er in den Hof einritt und mit wunden Füßen und wundem Gesäß erschöpft aus dem Sattel glitt, stürmte ihm ein junger Page entgegen und berichtete völlig außer Atem, dass seine junge Gemahlin, die Lady Joana, schon sehr bald ein Kind gebären würde.
Bruce traute seinen Ohren kaum und stürzte in voller Rüstung in die herrschaftlichen Gemächer, wo er Joana schreiend und schwitzend und umgeben von mehreren schnatternden Hebammen vorfand. Die Geburt war äußerst anstrengend und langwierig und so bemerkte keine von ihnen den Lord, der ruhig aber erleichtert und glücklich der Entbindung beiwohnte.
Schließlich war die Geburt gelungen und die junge Mutter lag schweißnass und erschöpft in den Kissen. Jetzt bemerkte man Lord Bruce und die älteste der Hebammen überbrachte ihm den schreienden Säugling, den man fest in einige Tücher eingewickelt hatte.
>>Mylord, es ist ein Sohn<< sagte sie lächelnd und verbeugte sich ehrfürchtig.
Der stolze Mann wiegte den Jungen in seinen Armen und lächelte. Sein Gesicht war verschmutzt, der Bart zottelig und die Rüstung zerkratzt und er war erschöpft, aber er lächelte.
Schließlich legte er das Kind behutsam neben seine vor Erschöpfung schlafende Frau in das Bett und beschloss dem lang ersehnten Spross ein Geschenk zu machen.

Lord Bruce hatte von seinem Feldzug auch einige Gefangene mitgebracht und in die Kerker seiner Burg sperren lassen. Die meisten waren einfache Soldaten oder Ritter, doch unter ihnen befand sich auch ein verarmter Adliger, dessen Familie von den Männern der Beltborys umgebracht worden war.
Nun jedoch hockte er in seiner feuchten Zelle und sang Spottlieder auf die Yorks und all ihre Vasallen und schien dabei keine Furcht und keinen Respekt vor drohenden Strafen zu haben.
Als aber nun der Lord gefolgt von zwei seiner Soldaten in den kleinen Kerker des Barden trat, da fürchtete der Mann mehr um seine Laute als um sein eigenes Leben und erhob sich vom Boden.

„Einen guten Morgen wünsche ich Euch Mylord, aber warum seid Ihr gekommen? Wollt Ihr mich töten? Oder meine Laute zerstören?“ fragte er voll Wut und ohne sich zu verbeugen. Bei dem Erscheinen von Lord Bruce waren all die Bilder seiner erschlagenen Verwandten wieder in seine Erinnerung zurückgedrängt.

Doch der Lord missachtete das respektlose Gebaren des Gefangenen und blieb nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stehen.
„Wie ist Euer Name?“ fragte er streng und blickte dem Barden direkt in die Augen.
„Guy of Glender, wenn es Eurer Lordschaft beliebt“ antwortete der Barde steif und hielt dem eisigen Blick von Lord Bruce stand.
So standen sie eine ganze Weile und musterten sich. Der eine in Samt und Seide, der andere in schmutzigen und zerrissenen Gewändern. Der eine mit stolzem und festem Blick, der andere voll Spott und Zorn.

Schließlich sagte Beltbory: „Weder will ich Eure Laute zerstören, noch will ich Euch töten. Ich will Euch spielen hören.“
Das überraschte Guy dann doch und für einen Moment spiegelte sich diese Verwirrung auch in seinem Gesicht wieder.
„Ihr…Ihr wollt mich spielen hören?“, fragte er voller Misstrauen, „wo? Auf meiner eigenen Hinrichtung?“
Lords Bruce Gesicht zeigte nicht einmal den Hauch eines Schmunzelns ob dieser spitzen Bemerkung. „Durch Gottes Gnade wurde mir ein gesunder und kräftiger Sohn geschenkt, der dereinst den Ruhm und die Macht des Hauses Beltbory aufrechterhalten und vermehren wird. In seinem Leben wird er noch genug Schwerter, Pferde und Schmuckstücke geschenkt bekommen, aber vielleicht wird ihm niemals die Ehre eines eigenen Liedes zu Teil werden. Also wird mein Geschenk an ihn zu seinem ersten Geburtstag ein Lied sein und ich will, dass Ihr es seid Barde, der es schreibt und für ihn singt“ befahl er und verlies die Zelle.
„Einen Tag habt Ihr, dann komme ich wieder und will von Euch ein wunderbares Lied hören“ rief er noch und seine Worte hallten in den finsteren und kalten Kerkertunneln wider.
Eine der beiden Wachen drückte dem Gefangenen Feder, Tinte und Pergament in die Hand, dann fiel die schwere Zellentür krachend in ihr Schloss und überließ den Barden seinen Gedanken, Gefühlen und der Dunkelheit.
Innerlich schlug der Zorn noch immer hohe Wellen, doch Guy zwang sich zur Ruhe, während er das Pergament langsam in Streifen riss und die Tinte auf dem Boden verschüttete.

Guy schlief, als Lord Bruce am nächsten Tag zurückkam, wie er es angedroht hatte. Unsanft wurde er von einer der Wachen des Lords von der Pritsche gezerrt und musste sich erschrocken aufrappeln.
„Ich hoffe Ihr habt Euer Werk vollendet Barde“, ertönte die harsche Stimme, „Ich möchte meinen Sohn nicht schon jetzt enttäuschen müssen.“
Mit einem stillen Fluch griff Guy also nach der Laute und folgte dem Lord und seinen beiden Wachen durch den Kerker hinauf in die helleren, aber nicht minder abweisenden Gemächer der Burg.

So stand der Barde schließlich, nur in seine Lumpen gekleidet, vor dem großen Himmelbett in dem der junge in den Armen seiner Mutter lag und Guy mit großen Augen ansah.
Dieser fasste seine Laute fester und spürte dabei die feinen Rillen und Risse des alten spröden Holzes. Zaghaft spielte er die ersten Akkorde und ließ jeden für sich in der Stille des Raumes verklingen.
Beltbory zeigte sich erstaunlich geduldig und ließ dem Barden Zeit, denn auch er konnte sich nicht komplett der Faszination entziehen mit der das innige Verhältnis des Barden zu seiner Laute und seinen Tönen auf die anderen Anwesenden wirkte.
Schließlich verklang der letzte Ton und Guy nickte Lord Bruce zu. Eigentlich hätte er noch immer Zorn spüren sollen, doch eine seltsame Ruhe überkam ihn in diesem Moment.
„Spielt“ knurrte der Lord indes. Als er seinen Sohn erblickt hatte war sein Gesicht für einen Moment von Freude und Stolz erfüllt gewesen, doch nun klang seine Stimme wieder so eisig wie eh und je.
Einen Moment hielt der Barde inne. Nichts hatte er am vergangenen Tag und in der Nacht zu Papier gebracht, keine Strophe, keinen Vers.
Dennoch schloss er nun für einen Moment die Augen und sang dann mit kräftiger und doch sanfter Stimme.




Oh mein Lord, mein junger Lord
Habe Euch ein Lied gedichtet.
Ein Lied von Ehr und Mut, voll Poesie
Ein Lied an Euch,
Den Spross des Hauses Beltbory.

In Euren jungen Zügen sehe ich
Viel Tapferkeit und Edelmut
Die Augen voll der Jugend Glut
so mehret Ihr den Glanz der Dynastie
den Stolz des Hauses Beltbory.


Getragen wurden seine Worte von den wunderbar ruhigen und klaren Klängen seiner Laute und nicht nur das Kind gluckste glücklich und strahlte, sondern auch die Eltern warfen sich einen gerührten aber auch erstaunten Blick zu.
Doch dann verstummte Guy und die letzten Töne verklangen im Raum.
Lord Bruce sah den Barden fragend an.
„Was ist los? Warum habt Ihr aufgehört zu spielen? Soll das alles gewesen sein?“ herrschte er ihn aufgebracht an und wollte ihn schon am Kragen packen, doch Guy entwand sich schnell seinem Griff.
„Nein, das ist nicht alles. Ihr habt mir befohlen Eurem Sohn ein Lied zu schreiben, aber die Zeit für die weiteren Strophen ist noch nicht gekommen“ antwortete er fest und deutete dann in Richtung der Lady Joana eine leichte Verbeugung an.
„Mylady, ich hoffe wenigstens Euch und Eurem Sohn hat mein Lautenspiel gefallen.“
Die junge Frau lächelte zaghaft und wiegte ihren inzwischen eingeschlafenen Sohn in den Armen.
„Nun Barde, Eure Stimme hat eine beruhigende Wirkung auf ihn, er mag sie…“
Doch bevor Joana enden konnte hatte Lord Bruce seinen Gefangenen im Nacken gepackt und auf den Korridor hinaus geschleudert.
„Du dreckiger Hund!“, schrie er und trat nach dem kriechenden Barden, „du wagst es einen Befehl von mir zu missachten? Von mir? Niemals hat ein Diener das Wort gegen einen Lord aus dem Hause Beltbory erhoben!“
Mit diesen Worten zerschmetterte er des Barden Laute an der Wand und befahl seinen Wachen Guy auf den Burghof zu schleifen, um dort ein Exempel an ihm zu statuieren.
„Und lasst meinen Sohn zusehen“, grollte er, „der Junge kann nie früh genug lernen was es für unsere Feinde bedeutet das Haus und die Familie zu beleidigen.“

So schleppte man Guy auf den großen Burghof und ließ ihn im Schatten einer weit ausladenden Ulme fallen. Der Barde war den Tränen nahe, denn soeben hatte er das letzte verloren, das ihm etwas bedeutet hatte, das Letzte, das eine Verbindung zu seiner dahin geschlachteten Familie darstellte. Zu seinem Vater, dem einst diese Laute gehört hatte.
Die Soldaten des Lords rissen ihn auf die Füße und zogen ihm das zerrissene Hemd über den Kopf. Dann fesselten sie ihn, das Gesicht an den Stamm gedrückt, an die mächtige Ulme und riefen die Burgbewohner zusammen.
Diese erschienen auch, zunächst allmählich, dann in immer größeren Scharen, und schnell hatte sich ein Kreis von Schaulustigen um den alten Baum gebildet. Bald schon wich das Geschnatter ehrfürchtiger Stille, als sich Lord Bruce mit großen Schritten näherte.
Einer der Bediensteten reichte ihm eine Peitsche, die unendliche Schmerzen versprach und es knallte laut und bedrohlich, als Beltbory sie einige Male durch die Luft schnellen ließ.
Guy schluckte und starrte wie gebannt auf die Rinde des Baumes vor ihm, dennoch spürte er, dass der Lord nun hinter ihm stand.
Guy of Glender nahm sich erst gar nicht vor nicht zu schreien..
Und er schrie tatsächlich.
Fünfzehn Mal knallte die Peitsche erbarmungslos auf seinen nackten Rücken und riss blutige Striemen und Kratzer. Der Schmerz war unerträglich, doch schließlich umgab den Barden eine gnädige Ohnmacht aus der er erst wieder erwachte, als die Mannen des Lord Bruce seinen schlaffen Körper vom Baum lösten.

Als er wieder zu sich kam fand sich Guy zwischen zwei Soldaten kniend wieder, die ihn fest gepackt hielten. Sein Rücken fühlte sich an, als hätte man ihn mit Krallen zerrissen und eine plötzliche Übelkeit erfasste den Barden.
Mit tränenden Augen schluckte er immer wieder das Übelkeitsgefühl herunter und hob den Kopf. Nun sah er Lord Bruce durch einen Schleier aus Tränen und Schwindel direkt vor sich stehen, die Hände in die Seiten gestemmt.
„Er kommt wieder zu sich Mylord“ verkündete ein Soldat und sofort wurde der Griff um seine Arme fester und schmerzvoller.
„Sehr gut. Hörst du mich Barde?“ erklang Lord Bruces tiefe Stimme, düster und bedrohlich wie sich auftürmende Gewitterwolken.
Guy antwortete nicht, atmete nur tief ein und aus und unterdrückte das Schwindelgefühl und die Übelkeit.
Eine Hand schloss sich einer Schraubzwinge gleich um seinen Unterkiefer und zwang den Barden nach oben zu schauen.
„Ich hoffe du hast deine Lektion gelernt Bursche. Deine Familie ist tot und du gehörst jetzt mir, wage es nicht noch einmal gegen das Haus Beltbory aufzubegehren“ zischte der Lord und ließ mit einem Ruck das Kinn seines Gefangenen los. Dann stapfte er gen Hauptgebäude.
Guy wurde wieder grob auf die Beine gerissen und über den Burghof gezerrt, während er kraftlos in den Armen seiner Bewacher lag.
Nun löste sich auch die Menge der Schaulustigen wieder auf und Diener und Mägde stoben tuschelnd auseinander, um wieder ihren Tagesbeschäftigungen nachzugehen. Jeder eilte sich wieder an seinen Arbeitsplatz zu gelangen, denn wie der Barde wollte keiner enden.
Niemand kümmerte sich einen Deut um den gedemütigten Guy, den „geprügelten Hund“ fingen sie an ihn scherzhaft zu nennen.
Nur Mortimer, so hatte Lord Bruce seinen Sohn genannt, hatte angefangen zu weinen, als die Marter des Barden begonnen hatte.

So zogen die Jahre dahin und der Krieg riss immer tiefere Wunden in das Antlitz des Königreiches. Die Winter wurden härter, die Toten häuften sich und keine Seite gewann die Oberhand. Auch Lord Bruce Beltbory musste immer häufiger und länger in den Krieg ziehen, sodass seine Gemahlin die Geschäfte auf der Burg übernahm.
Bald schon war Mortimer in das Alter gekommen, um Lesen, Schreiben, Fechten und Reiten zu lernen. Die Dinge, die er als künftiges Oberhaupt der Familie Beltbory beherrschen musste. Seine Lehrer im Fechten und Reiten waren der Waffen- und der Stallmeister des Hauses und zunächst nahm ihn der Priester der Burg, ein netter alter Mann, der immerzu selig lächelte, unter seine Fittiche, um ihm das Lesen und Schreiben beizubringen.
Doch eines Tages verstarb der Gottesmann und Mortimer brauchte einen neuen Lehrmeister, der seine Fähigkeiten schulte und erweiterte. Eine ganze Weile überlegte man, wer als würdiger Nachfolger in Frage käme, bis der Lady Joana der Barde Guy in den Sinn kam.
Sie persönlich hatte nie irgendeinen Groll gegen den verarmten Adligen mit dem schweren Schicksal gehegt und verspürte insgeheim sogar Mitleid mit ihm. Und da ihr Gemahl durch die Lande streifte und sie Guy als einen klugen und besonnenen Mann erachtete ließ sie den Barden zu sich rufen.

„Guy of Glender, Ihr sollt ab sofort für die geistige Ausbildung meines Sohnes verantwortlich sein“ befahl die Lady, als man den Mann vor ihren Stuhl im großen Saal brachte. „Ich vertraue auf Euch und Euer Wissen, also enttäuscht mich nicht.“

Diese Anordnung überraschte Guy, hatte er doch die letzten Jahre unbehelligt in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes gelebt, das sich unter die Mauern der Burg duckte.
Trotz seines frevelhaften Benehmens hatte man ihn schon bald aus seiner Kerkerhaft entlassen, da selbst Lord Bruce das große Talent des Barden erkannt und ihm erlaubt hatte auf Festlichkeiten der Familie zu singen und zu musizieren. Und so war der Schmerz und Zorn des Barden über den Tod seiner Familie mehr und mehr verblasst, auch wenn er sich sicher war, dass der Funken niemals ganz erlischen würde.

Aber die Verantwortung über die weitere Entwicklung eines Kindes zu übernehmen, das war etwas völlig anderes. Guy mochte den jungen Knaben, Mortimer war noch nicht geblendet durch das eitle Benehmen seines Vaters, doch sollte es ihm wirklich möglich sein den Jungen zu erziehen und ihm ein Vormund zu sein?
Der Barde hatte seine Zweifel, doch galten diese wenig gegen das Wort der Lady Beltbory.
So übernahm er die Lehrtätigkeit, und auch wenn er kein Mönch oder Priester war bemühte er sich doch dem Knaben all sein Wissen über das Lesen und Schreiben, die Mathematik, Geschichte und Heraldik zu vermitteln.
Mortimer wuchs zu einem stattlichen jungen Mann mit langem blonden Haar und lebhaften Augen heran, dessen gestählter Körper und wacher Geist dem Hause Beltbory alle Ehre machten. Selbst Lord Bruce konnte nicht leugnen, dass er mit der Erziehung seines Sohnes durch den einstigen Gefangenen äußerst zufrieden war.

Ja, die väterliche Liebe des Lords zu seinem Spross wuchs mit Mortimers Heranreifen zu einem würdigen Nachfolger.
Wenn er nicht im Felde war oder Verwaltungsaufgaben übernehmen musste, übte Lord Bruce persönlich mit seinem Sohn den Schwertkampf und das richtige Gebaren am Hofe.
Mit Stolz betrachtete er die Fortschritte des Sprösslings, was ihn sogar über den plötzlichen Kindstod zweier weiterer Töchter hinweg brachte. Die Lady Joana weinte und verfiel in düstere Stimmungen aus denen sie tagelang nicht herauskam, aber es schien so, als hätte Bruce deren Tod nicht einmal ernsthaft betrauert, denn es waren immerhin Mädchen gewesen und solche konnten niemals den Beltborys soviel Anerkennung und Ehre einbringen wie Mortimer.

Doch dann ereilte ein Schicksalsschlag die Familie, der sogar des Lords Mauer aus Beherrschung und eiserner Ruhe überwand: Auch ein viertes Kind, ein Junge, kam tot zur Welt.
Da schrie und tobte Joana im Kindbett, schlug verzweifelt nach den Hebammen, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und schrie:
„Was habe ich dem Herrn getan, dass ich solch eine Strafe verdiene? Was? Gott soll gütig sein? Ich spucke auf ihn!“
Schließlich starb die junge Mutter, deren einstige Schönheit längst durch Trauer und Gram zerfressen war, erschöpft an der Seite ihres toten Sohnes.

Diese Tragödie fachte die Gerüchte unter der einfachen Bevölkerung an. Mägde und Hebammen, die die Flüche der Lady mit angehört hatten, tuschelten, dass Joana mit dem Teufel im Bunde gestanden hätte und dass die toten Kinder Gottes Strafe gewesen seien.
Andere Leute behaupteten, dass es Lord Bruces Grausamkeit und übermäßiger Stolz waren, die denn Herrn erzürnt hatten.
Guy beteiligte sich an diesen Gerüchten, die schon bald durch alle Korridore und Räume der Burg geisterten, herzlich wenig. Er wusste, dass er eigentlich Genugtuung hätte empfinden sollen, dass der Allmächtige das Oberhaupt des Hauses Beltbory endlich für seine Gräueltaten gestraft hatte.
Doch die Bilder seiner toten Familie waren mit den Jahren mehr und mehr verblasst, waren nur noch ein düsterer Schatten der Vergangenheit und so kam es, dass der Barde zum ersten Mal Mitleid mit dem trauernden Mann zeigte, der nun wohl zum ersten Mal seit Langem wieder die Burgkapelle betrat, um an dem Grab seiner Gemahlin für ihr Seelenheil zu beten und, wenn er niemanden in der Nähe wähnte, einige Tränen zu vergießen.

Lord Bruce war mit einem Schlag um Jahre gealtert. Sein einst wallendes braunes Haar begann an den Schläfen zu ergrauen, sein Gesicht wurde faltig und schlaff und seine Augen lagen bald in tiefen, schwarz geränderten Höhlen.
Aber in diesen Augen glühten noch immer der Stolz und der Zorn vergangener Zeiten, denn auch wenn sich Lord Bruce äußerlich geändert hatte war sein Charakter doch derselbe geblieben.
Viel erschütternder empfand Guy allerdings die Wandlung, die sein Schüler Mortimer durchmachte.
Der einst so lebhafte und aufgeschlossene Junge wurde ruhig, kehrte immer mehr in sich.
Ihre gemeinsamen Unterrichtsstunden verliefen in stiller, fast eisiger Atmosphäre.
Wenn Guy seinem Schützling in die tiefblauen Augen sah erkannte er dort noch immer den Tatendrang von früher, doch war dieser jetzt anders…gefährlicher. Es mischten sich der Zorn und der Wunsch nach Ehre und Anerkennung in Mortimers Blick und er zeigte immer weniger Interesse an den geistigen Künsten und Lehren als vielmehr am Schwert und an dem noch immer tobenden Krieg.
Der Barde zweifelte nicht daran, dass dies das Werk des Lord Bruce war.

Dieser beschäftige sich nach dem plötzlichen Tod seiner Frau umso energischer mit den Sachen, die er Zeit seines Lebens am meisten geliebt hatte: Dem Krieg und der Politik.
Immer öfter zog Bruce mit seinen Mannen aus, um siegreich zurückzukehren und um Verhandlungen aufzunehmen und neue Bündnisse mit den anderen großen Häusern des Königreiches zu schließen.
Besonders die Allianz mit dem Hause Windshire war ihm ein großes Anliegen, für dessen Erfüllung er Mortimer in seine Pläne mit einbezog.

„Mein Vater will, dass ich heirate“ platzte es eines Tages bei ihren gemeinsamen Lehrstunden aus dem Jungen heraus.
Guy hatte geahnt, dass Mortimer irgendetwas beschäftigte, denn schon die ganze Stunde über hatte dieser aus dem Fenster gestarrt anstatt den Vorträgen des Barden zu lauschen.
„Wer ist die Braut?“ fragte Guy, der seine Überraschung über die plötzliche Offenheit seines Schülers gut verbergen konnte. Die letzten Monate hatte dieser sich immer mehr von seinem Lehrer abgekapselt, doch jetzt wusste Guy, dass der Junge ihm noch immer vertraute und mit ihm reden wollte.
„Mary Windshire“ antwortete Mortimer seufzend, während er einen Text von Seneca lustlos ins Englische übersetzte. „Vater erhofft sich ein Bündnis mit Lancel Windshire, er sagt dass Marys Familie nicht schnell genug auf die Seite der Yorks wechseln kann. Das wäre ein harter Verlust für das Haus Lancaster.“
„Und wie denkt Ihr darüber?“ Guy beugte sich interessiert nach vorne, er wollte das Vertrauen des Jungen nicht verlieren.
„Ich…ich will noch nicht heiraten, ich denke nicht, dass ich dazu schon bereit bin! Vater hat einfach über meinen Kopf hinweg entschieden!“ sprudelte es plötzlich aus Mortimer heraus und er zerknickte aufgebracht seinen Gänsekiel, den er zum Schreiben benutzt hatte.
Plötzlich war er wieder der kleine Junge, der schrie wenn ihm etwas nicht gefiel.
Guy drückte kurz aber fest die Schulter seines Schülers.
„Ich weiß, dass es Euch nicht gefällt Mylord, aber…“
Doch der Junge unterbrach ihn:

„Vater hat aber auch gesagt, dass er am Tage nach meiner Hochzeit wieder in den Krieg ziehen wird und ich zum ersten Mal an seiner Seite in die Schlacht reiten darf“ der finstere Blick des Jungen hellte sich nun wieder auf und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Diese Neuigkeit gefiel wiederum Guy ganz und gar nicht.
Mortimer war nun bereits sechzehn Jahre alt und es war normal, dass die Sprösslinge der Lords in diesem Alter mit ihren Vätern zum ersten Mal in den Kampf zogen, aber Lord Bruces Sohn hatte zu viel vom Ehrgeiz, Tatendrang und Zorn seines Vaters geerbt.
Guy befürchtete, dass sein erster Feldzug auch sein letzter werden könnte.
„Ihr sprecht voll Freude vom Krieg und seinem Blutvergießen, doch seid vorsichtig Mylord, es könnte zu schnell Euer eigenes Blut sein, das vergossen wird“ ermahnte er seinen Schüler.
Doch Mortimer war nicht zugänglich für die Worte seines Lehrers.
„Will Horace sagt, dass ich mit dem Schwert umgehen kann wie kein Zweiter unter den Soldaten meines Vaters. Ich habe Meister Horace sogar schon zweimal im Kampf besiegt“ verkündete er stolz.
„Aber Ihr seid der einzige Sohn Eures Vaters, die gesamte Hoffnung der Familie. Euer Vater ist inzwischen ein alter Mann und mit Eurem Tod auf dem Schlachtfeld würde schon sehr bald die Linie der Beltborys enden!“ appellierte Guy weiter an den sonst so wachen Verstand des jungen Adligen.
Mortimers Ehre und Elan bildeten eine harte Mauer aus Ignoranz und Sturheit.
„Ich werde an der Seite meines Vaters in die Schlacht reiten Meister Glender“, entgegnete er nun kühl und gereizt, „und Ihr werdet mich nicht davon abhalten meinen Vater mit meinen Taten stolz zu machen. Wollt Ihr etwa dem zukünftigen Lord des Hauses Beltbory widersprechen?“
Guy war entsetzt über die unüberhörbare Drohung die in Mortimers Stimme mitschwang und so schüttelte er nur resigniert den Kopf.
„Nein Mylord, natürlich nicht, vergebt einem Narren. Wann soll die Hochzeit stattfinden?“
„In einem Monat, Vater lässt schon alles für die Ankunft der Gäste vorbereiten“ Mortimer wusste nicht, ob er bedrückt ob seiner baldigen Vermählung oder aufgeregt wegen seines ersten Feldzuges sein sollte.
Da seufzte der Barde und lächelte schwach. „Ich denke ich habe bereits ein Geschenk für Euch.“

Die Wochen vor den Hochzeitsfeierlichkeiten waren geprägt von hektischer Betriebsamkeit in den Hallen und Höfen der Burg. Handwerker zimmerten Podeste, Knechte schleppten Stühle und Bänke und aufgeregte Mägde huschten eilig in der Burgküche hin und her.
Der erste Ankömmling war der neue Priester, ein asketischer junger Mann, den Lord Bruce extra für die Hochzeit seines Sohnes herbestellt hatte.
Guy jedoch ließ sich von der Aufregung und dem Getuschel der Bediensteten nicht anstecken. Für ihn war klar, dass Lady Mary nur halb so schön und Lord Lancel nur halb so reich war, wie man es in den Zimmern der Bediensteten munkelte.
So ging der Unterricht in diesen Wochen für Mortimer unverändert weiter, auch wenn noch einige Lektionen der Konversation, der Etikette und des höfischen Verhaltens in den Lehrplan des Jungen aufgenommen wurden.
Guy hatte es in diesen drei Wochen aufgegeben Mortimer von seinen kühnen Schlachtenplänen abzubringen. Aus dem Jungen sprachen die Worte und Gedanken des Lord Bruce und gegen den Eifer der Jugend konnten selbst die weisesten Worte nichts ausrichten.

So kam schließlich der Tag der Hochzeit an einem warmen Spätsommermorgen.
Viele Adlige waren dem Ruf der Beltborys zu den Feierlichkeiten gefolgt und hielten nun mit ihrem Gefolge Einzug durch das massive Burgtor des Familiensitzes.
Der morgendliche Wind ließ hundert bunte Banner wehen unter denen Adlige und Ritter gleichermaßen in kostbaren Gewändern auf ihren Rössern saßen.
Außerdem fand sich auch die gesamte Familie Beltbory zusammen: Schwager, Tanten, Vettern und Cousins und Cousinen vielerlei Grade sollten auf dem höchsten Podest direkt neben Lord Bruce, Mortimer, seiner jungen Braut Mary und Lord und Lady Windshire im Festsaal Platz nehmen.
Zunächst stand allerdings die Trauung an und bald schon füllte sich die Burgkapelle mit Rittern, Adligen, Pagen und Mägden und deren Geschwätz, das wie eine Flutwelle in den großen Raum rauschte.
Viele der hier versammelten Vasallen waren nicht nur der Hochzeit wegen gekommen, sondern auch um am kommenden Tage mit Lord Bruce in den Krieg zu ziehen.

Nachdem mit dem Segen der Kirche die Trauung vollzogen worden war, rief man zum Festessen im großen Saal der Burg.
Prächtige Fasane, vor Fett triefende Wildschweine, erlesenes Obst und Gemüse, gute Weine und starkes Bier – Lord Bruce hatte für die Hochzeit seines Sohnes keine Kosten und Mühen gescheut, denn es galt das Ansehen des Hauses zu bewahren.
Musiker begannen fröhliche Melodien zu spielen und die ersten Gäste brachten Braut und Bräutigam ihre Geschenke vor, wobei besonders der junge Mortimer mit kostbaren Waren überhäuft wurde.
Lancel Windshire hatte für den Bräutigam einen Siegelring aus purem Gold mit dem Wappen der Beltborys, dem weißen Eber und dem schwarzen Bären, anfertigen lassen.
Andere Adlige schenkten teure Tuche, Weine, weiteren Schmuck und Zuchtpferde und all das nahmen Mary und Mortimer mit höflichem Lächeln und Danksagungen entgegen.
Aber als Lord Bruce seinem Sohn sein Geschenk überreichte konnte der junge Mann seine Aufregung und Begeisterung kaum verhehlen: Ein Langschwert aus arabischem Damaszenerstahl lag leicht wie eine Feder in seinen Händen.
„Ein besseres Schwert wirst du im ganzen Königreich nicht finden“ erklärte Lord Bruce feierlich, während Mortimer staunend die glänzende Schneide hin und her bewegte. „Ich hoffe du wirst es ab morgen wie ein wahrer Beltbory mit Tapferkeit und Kampfeswillen im Feld benutzen.“
Im Saal war es ruhig geworden, nur die Musiker spielten leise, während alle Blicke erstaunt auf dem Vater, dem Sohn und der Waffe lagen.
„Das…das werde ich Vater“ sagte Mortimer verzückt und wirkte einmal mehr wie ein kleiner Junge, der ein neues Spielzeug bekommen hat.
Guy runzelte die Stirn.

Als sich Lord Bruce wieder neben seinem Sohn auf dem Podest niedergelassen hatte, das Festessen weiterging und die Musiker wieder zu lauterer und fröhlicherer Tanzmusik aufspielen wollten, da erhob sich plötzlich der Barde von einem der kleinen Tische am Ende des Saales und schritt durch den Mittelgang auf den herrschaftlichen Podest zu.
Unter verwirrten Blicken verbeugte er sich mit der Laute in der Hand vor der hohen Gesellschaft und dieses Mal verklang sogar die Musik der Spielleute im Saal.
„Mein junger Lord“, wandte er sich an Mortimer, der ihn mit einem fragenden Blick musterte, „nun habt Ihr all Eure goldenen, edlen und prächtigen Geschenke erhalten. Alle bis auf eines. Dieses Geschenk kommt von mir und ich weiß, dass es bei weitem nicht so herrlich ist wie auch nur eine der Gaben der hohen Herren, aber Ihr solltet es trotzdem schätzen.“
Und ohne ein weiteres Wort begann Guy unter den neugierigen Augen der Blaublütigen sein Lied zu spielen.



Oh mein Lord, mein edler Lord
Hört, was ich des Nächtens geträumt.
Sah das Banner des Hauses mit Blut gesäumt,
hörte die Fetzen der Flagge wehen im Wind,
spürte, wie spitz die Dornen der Rose doch sind.

Das Land, es blutet, der Krieg lädt zum Tanzen
Doch Ihr seid jung und im Herzen nicht schlecht.
Drum lasst fallen das Schwert und senket die Lanzen
bevor Ihr an der Rose Dornen Euch stecht.
Denn im eignen Blute liegend mehret Ihr nie
den Stolz des Hauses Beltbory


Die letzten Laute verklangen und der Barde verstummte. Auch im Saal blieb es weiterhin gespenstisch leise, einige Gäste tuschelten miteinander und warfen dem seltsamen Spielmann Seitenblicke zu.
Lord Bruces Gesicht war rot angelaufen, die Schläfen traten deutlich hervor.
Mit einem Ruck, dass sein Stuhl beinahe nach hinten umgefallen wäre erhob sich der Adlige und donnerte die Faust auf den Tisch.
„Ihr wagt es so mit meinem Sohn zu sprechen?“ brüllte er und einige Gäste schraken ob der Lautstärke sichtlich zusammen.
„Ihr wagt es seinen Tod zu prophezeien? Wagt es eine Niederlage vorherzusagen? Wagt es dies vor meinen Vasallen und dem Hause Windshire zu tun?“ der Lord atmete schwer, sein Finger deutete anklagend auf Guy.

Dieser jedoch stand ruhig und steif wie eine der Heiligenfiguren am Portal der Burgkapelle, während sich um ihn herum das leise Tuscheln zu empörten Rufen und Gemurmel erhob.
„Mylord, einst versprach ich Euch Eurem Sohn ein Lied zu schreiben, doch damals sang ich nur die erste Strophe. Ihr ließt mich wie einen Hund prügeln, obwohl ich Euch versprach, dass Mortimer auch die weiteren Verse hören würde. Ich habe mein Versprechen gehalten“ Guys Stimme übertönte den Tumult klar und verständlich und bald schon trat wieder gespannte Ruhe ein.
Selbst Lord Bruce war einen Moment zu verwirrt um zu antworten, doch dann verfinsterte sich seine Miene wieder.

„Barde, Ihr habt mich, meinen Sohn, ja das gesamte Haus Beltbory vor meinen Vasallen blamiert, denkt Ihr ich werde Euch danken?“ die Stimme des Lords überschlug sich fast.
Nur kurz musterte Guy die sichtlich entsetzten Windshires, dann wandte er sich wieder seinem Herrn zu.
„Mylord ich will Euren Sohn bloß vor den Fehlern und dem Ungestüm der Jugend bewahren…“ erhob nun auch er die Stimme.
„Ich glaube eher, dass man Mortimer vor Euch bewahren sollte. Ihr seid ein dreckiger Hund, der aus purer Rachsucht den gesunden Geist meines Sohnes mit seinen Lügen zerfressen will. Ihr wollt doch den Untergang meines Hauses!“

Fast schon traurig schüttelte da der Barde den Kopf.
„Ihr versteht nicht Mylord, ich…“
Doch in dem Moment wurde er von zwei Wachen gefasst und in die Knie gezwungen. Allzu viele Erinnerungen kamen in diesem Moment in ihm hoch.
„Guy of Glender, dieses Mal wird es bestimmt nicht bei einigen Peitschenhieben bleiben. Ihr habt meine Güte und mein Vertrauen ausgenutzt, um meinen Sohn zu beeinflussen und letztendlich meine Ehre und den Stolz meines Sohnes zu verletzen. Dieses Mal kann nur der Tod die Vergeltung für Eure Vergehen sein“ die letzten Worte sprach Lord Bruce wieder ruhig und eisig.

„Darf ich etwas sagen Vater?“ nun erhob sich auch Mortimer langsam von seinem Platz an der Tafel.
Sein Vater nickte und alle Blicke wanderten zu dem jungen Bräutigam.
Besonders Guy sah seinen Schüler fragend und hoffnungsvoll an.
Mortimer seufzte.
„Meister Glender, ich habe Euch immer als einen klugen und umsichtigen Lehrer erachtet, ich war stolz auf das Wissen, das Ihr mir vermittelt habt, doch nun beschämt Ihr mich“ der junge Mann sprach ruhig, doch konnte man ihm seinen inneren Aufruhr und unterdrückten Zorn ansehen.
„Ihr beschämt mich vor meiner Familie, meiner Braut und ihren Eltern und vor dem versammelten Adel“ Mortimers Atem ging schneller, sein Blick durchbohrte Guy.
„Ich wünsche nicht, dass Euer Kopf rollt, aber erwartet auch nicht von mir, dass ich meinen Vater milde stimmen werde. Aus dem Kerker seid Ihr zu mir gekommen und dorthin sollt Ihr auch wieder gehen.“

Zustimmende Rufe schallten durch den Saal und Lord Bruce lächelte seinem Sohn zufrieden zu.
Jetzt war es an Guy überrascht zu sein und er konnte seine Verwirrung kaum verbergen als ihn die Wachen aus der Halle zerrten. Noch einmal warf er einen Blick auf seinen Schüler, doch in Mortimers Augen zeigte sich nur Ablehnung.
Dann schlossen sich vor ihm wieder die großen Flügeltüren des Festsaals und dämpften die Kakophonie der Rufe und Schreie.
Als man ihn in eine der finsteren Zellen warf, blieb Guy starr auf dem Boden liegen und starrte an die feuchte und mit Moos bewachsene Kerkerdecke.
Sollte es für ihn da enden, wo es angefangen hatte? Er schalt sich selber einen Narren, dass er all die Jahre in dem naiven Glauben gelebt hatte Mortimer von seiner Verblendung befreien zu können.
Zornig auf sich selber schleuderte er eine Hand voll altem Stroh fluchend von sich, woraufhin eine neugierige Ratte erschrocken quiekend in ihre dunkle Ecke zurückeilte.
Mühselig richtete er sich auf und musterte die schwere Holztür hinter der das Lachen und die derben Witze seiner scheinbar betrunkenen Wächter erklangen.
An diesem Abend trank jeder auf das Wohl des jungen Lord Mortimer.
Wie verblendet sie doch alle waren! Verblendet durch Gold, Ruhm und Ehre. Verblendet durch die großen Worte des Lord Bruce über den Stolz eines Hauses, das langsam durch Dekadenz und Überheblichkeit zu Fall gebracht wurde.
Doch noch immer wollte Guy den Gedanken nicht aufgeben, dass er Mortimer zur Umkehr bewegen konnte.

Dieses Mal hatte man dem Barden sein Hab und Gut nicht entrissen, die Mannen des Lords gingen von Guys baldiger Hinrichtung aus, und so nestelte dieser in der Nacht mit einem Gänsekiel an dem Schloss seiner Zellentür, während das laute Lallen und Schnarchen der betrunkenen Wachen durch den Korridor hallte.
Als sich schließlich das Türschloss mit einem leisen Klacken öffnete und die Tür mit einem gefährlichen Quietschen aufschwang, warf Guy einen letzten Blick durch das winzige Gitterfenster seiner Zelle.
Der neue Tag dämmerte in einem tiefen rot, als wollte er von der kommenden Schlacht künden.

Es war nicht schwer gewesen die drei stark angetrunkenen Wachtposten zu überwältigen, doch hatte sich Guy trotzdem auf dem Heuboden der Stallungen verstecken müssen, um von keinem Bediensteten entdeckt zu werden, denn nach dem Zwischenfall beim Hochzeitsbankett war sein Gesicht allseits bekannt.
Mit der aufgehenden Sonne erwachten auch die Pferde unter ihm im Stall und bald schon hörte man das Schnauben, Wiehern und Scharren der Hufen der Reittiere bis auf den Burghof. Durch die Ankunft der Vasallen und Hochzeitsgäste waren die Stallungen der Beltborys zum Bersten gefüllt und die Stallknechte mussten Unmengen von Heu für die Fütterung heran schleppen.
So hatte Guy schon befürchtet entdeckt zu werden, als vier Knechte den Heuboden betraten und dabei laut über die adligen Herrschaften und ihre störrischen Klepper fluchten.
Doch inzwischen herrschte auch auf dem Burghof bereits solch ein Durcheinander von Pagen, Soldaten und Rittern, die nach ihren Pferden und Rüstungen schrieen, dass die vier Jungen ihn in ihrer Hektik übersahen.
Noch eine ganze Weile, es waren mehrere Stunden, hielt sich Guy unter Stroh und Heu versteckt, das entsetzlich in Nacken und Hände stach und seine Nase kitzelte.
Erst als im Stall und auf dem Hof wieder Ruhe eingekehrt und der Tross des Lord Bruce unter lauten Jubelrufen abgezogen war wagte sich Guy vom Heuboden herunter und warf suchende Blicke in alle Ecken der Stallungen.
Er wollte der Armee der Beltborys Folgen, aber dazu benötigte er ein schnelles und gutes Pferd. Zum Glück des Barden hatte man die edlen und eleganten Stuten der Ladys in ihren Boxen zurück gelassen und so preschte kurze Zeit später ein einzelner Reiter mit einer Laute auf dem Rücken an zwei überraschten Torwächtern vorbei.
Keine Sekunde zu spät, denn nun drangen aus der Burg Warnrufe und Flüche an sein Ohr. Die Kerkerwachen mussten zu sich gekommen sein.

Schon bald hatte Guy so weit aufgeholt, dass er die letzten Karren und Pferde des Trosses in einigen Meilen Entfernung ausmachen konnte. Trotzdem sorgte er dafür, dass er immer einigen Abstand zu dem Kriegszug hatte, denn ihm war klar, dass seine Entdeckung auch seinen sofortigen Tod zur Folge hätte.
Nur wie sollte er Mortimer erreichen, mit dem jungen Mann reden und ihm alles erklären?
Dieses Problem wurde ihm abgenommen, als Lord Bruces Armee nach eintägigem Marsch mit den Truppen des Hauses York zusammentraf.

Bei Bosworth Fields vereinigten sich die Heere der Yorks und Beltborys und bildeten eine lange Mauer aus Leder, Stahl und Holz die auf die Ankunft des Feindes, der Lancasters, wartete.
Mortimer saß hoch zu Ross bei seinem Vater an der Spitze der Armee. Wie ein seidener Regenbogen flatterten die Flaggen der Lords und Ritter in seinem Rücken, über allen die weiße Rose der Yorks. Und ihm, Mortimer, war die Ehre zuteil geworden mit dem Banner der Beltborys in der Hand in die Schlacht zu reiten.
Als schließlich die feindlichen Truppen mit dem Wappen des Hauses Lancaster, der roten Rosen, auf der weiten Ebene erschienen fasste Lord Bruces Sohn den Schaft der Flagge fester.
Ein Ruf hallte über die Ebene, auf der ansonsten Totenstille herrschte. Leder Raschelte, Stahl klirrte und Pferde wieherten.
Mortimer sah zu seinem Vater. Lord Bruce nickte seinem Sohn zu und in seinem Blick lag alles, was doch das Hause Beltbory seit so vielen Jahren kennzeichnete: Tatendrang, Ehrgeiz, Zorn. Doch vor allem der Stolz eines Vaters auf seinen Sohn.
Wieder ertönte ein Ruf, dann begann das Gemetzel.

Stöhnen, Schreie, heisere Hilferufe – der Kampflärm war dem Klang des Leidens gewichen. Einzelne Landknechte streiften gerüsteten Sensenmännern gleich im Schein der untergehenden Sonne zwischen zerbrochenen Lanzen, blutverschmierten Rüstungen, toten Pferden und erschlagenen Männern umher, um dem Leiden sterbender Soldaten mit einem gezielten Stich ein Ende zu setzen und sich ihrer Habseligkeiten zu bemächtigen.
Lord Bruce schlug die Augen auf, nur um sie sofort wieder zu schließen, als ihm Blut aus einer Platzwunde am Kopf in die Augen lief.
Eine Lanze ragte aus seiner Seite und bereitete ihm unsagbare Schmerzen.
Die Schlacht war verloren.
Mit einem Stöhnen versuchte er sich aufzurichten und merkte, dass seine Beine unter dem Kadaver seines Streitrosses eingeklemmt waren.
Entsetzt stellte Lord Bruce fest, dass er im Sterben lag.
Plötzlich drang eine Melodie an sein Ohr, eine Melodie, die ihm nur allzu bekannt war.
Sanft und traurig wehten die Klänge über das Schlachtfeld, als wollten sie die Klagen und Schreie vertreiben.
Als der sterbende Lord seinen Kopf wendete entdeckte er einen Mann, der mit einer Laute unbeirrt zwischen den Toten einher schritt, als wäre er einer der Landsknechte.
Doch diese Gestalt, das wusste Bruce mit plötzlicher Trauer, suchte einen bestimmten Mann unter den Gefallenen.
Und er fand ihn auch, denn plötzlich kniete die Gestalt nieder.

Mortimers prächtiges Schwert und die Rüstung waren zerschmettert, genauso wie sein jugendlicher Körper. Sein Haar war vom Blut verkrustet und er konnte seinen Stimmbändern nur noch ein Röcheln abringen, als er Guy gewahr wurde, der sich neben ihn kniete und ihm die Haare aus dem Gesicht strich.
Noch immer hielt die Rechte des jungen Mannes das zerfetzte Banner der Beltborys verkrampft umschlossen und als der Barde dies sah konnte er sich seiner Tränen nicht mehr erwehren.
„Ihr habt noch nicht das Ende meines Liedes gehört Mylord“, sagte er mit heiserer Stimme, „als ich Euch damals nach Eurer Geburt die ersten Strophen vortrug hoffte ich, dass Ihr das Ende niemals vernehmen müsstet.“
Mortimer blickte ihn aus trüben Augen an, Blut sickerte aus seinem Mundwinkel.
Guy begann zu singen.

Oh mein Lord, mein törichter Lord
Hört Ihr die Toten? Sie rufen Euch fort.
Hört Ihr die Krähen? Sie krächzen ein Lied
Verspotten den Barden, der zur Umkehr Euch riet.
Was sind weiser Rat und Alter noch wert,
wenn sich das Herz nach Ruhme verzehrt?

Der Tanz ist vorbei, mein ist Lied beendet
Ich beklage den Jungen, der von Stolz war geblendet.
Der sein Blut auf Gottes heiligen Acker vergoss,
die Hoffnung der Ahnen, der einzige Spross.
Doch nicht Gott, nicht Mensch, nicht Federvieh
Nur der Regen
beweint den Fall des Hauses Beltbory


Nachdem er geendet hatte zerschmetterte er die Laute mit der Kraft seiner emporsteigenden Wut auf dem Boden und verharrte einen Moment atemlos auf allen Vieren.
Dann griff er nach einem in der Nähe liegenden Dolch und stieß ihn Mortimer direkt in die Kehle.
Der Junge Mann bäumte sich ein letztes Mal auf, bevor sein Blick sich endgültig trübte und ins Jenseits glitt.
Nicht einmal mit einem Lächeln war er gestorben.

Guy entriss den Fingern des Toten die zerfetzte Flagge des Hauses Beltbory und stapfte mit ihr wie ein Verirrter umher, bis ihn eine schwache Stimme rief:
„Barde!“
Als er sich umsah erblickte er den tödlich verletzten Lord Bruce, der den Lehrer seines Sohnes sogar noch im Sterben mit unbändigem Hass betrachtete.
„Er…er ist auch gefallen, nicht wahr?“ hustete das Oberhaupt der Beltborys und verzog dabei das Gesicht vor Schmerz.
Zur Antworte warf ihm Guy das blutbefleckte Banner des Hauses vor die Füße.
„Er hat es noch im Tode fest umschlossen gehalten, obwohl längst alles verloren war. Er ist für Euch gestorben, für Euch und Euren Stolz.“
„Was…was macht Ihr hier? Ihr…Ihr solltet in einem Kerker vermodern“ stöhnte der Lord und versuchte vergeblich seine Beine zu befreien.
„Ich bin gekommen, um mein Versprechen Euch gegenüber einzulösen Herr“, die letzten Worte spuckte Guy fast aus, „Mortimer hat sein Lied bis zur letzten Strophe gehört. Einst sagtet Ihr zu mir, dass man vielleicht sonst nie ein Lied über Euren Sohn dichten werde. Nun ist es geschehen, doch ich bedauere, dass es unter diesen Umständen passieren musste. Euer Haus ist nicht mehr Mylord…“ sprach er mit belegter, ja trauriger Stimme und wankte ohne ein weiteres Wort von dannen.

Noch lange blickte der Lord dem Barden hinterher, betrachtete schließlich die Reste seines zerrissenen Banners und befühlte den blutigen Stoff, als wollte er es nicht wahr haben.
Dann begann Bruce, der Tapfere, der Zornige, der Stolze zu weinen.
 

Andreas E

Mitglied
Hallo,

eine wunderschöne Geschichte, die einen tollen Verlaufsbogen aufweist und den Leser mit wohlkingenden Worten direkt in die Handlung bringt.
Ich bin beeindruckt.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ach,

lass doch bitte den barden nicht zum messer greifen! das macht ihn ja den anderen gleich. die gut geschriebene geschichte ist viel runder, wenn mortimer durch feindeshand stirbt.
lg
 

Felix

Mitglied
Liebe flammarion

im Prinzip ist Mortimer ja durch Feindeshand gestorben, er hat ja schon mit dem Tod gerungen.
Der Barde hat ihn ja nur von seinen Leiden erlöst.
Aber ich werde über deinen Vorschlag nachenken
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

als ich etwa 7 jahre alt war, trat ich einen schmetterling tot, der hilflos am boden flatterte. seine flügel waren schon ganz zerfetzt, er hätte sich nie und nimmer in die luft schwingen können. meine mutter sah, dass ich das tier von seinem leiden erlöste und rügte: einen am boden liegenden sollte man nicht auch noch zusätzlich treten. und sterbehilfe ist gesetzlich verboten.
außerdem würde deine geschichte meiner meinung nach viel gewinnen, wenn der barde nicht hand anlegt. er ist kein arzt, kann also nicht beurteilen, ob der jüngling nicht doch genesen könnte.
lg
 

Felix

Mitglied
Hmm das mit der gesetzlich verbotenen Sterbehilfe hättest du im Mittelalter wahrscheinlich keinem erzählen dürfen ;)
Aber du hast schon recht flammarion, es wäre wohl geschickter gewesen, hätte ich den Barden nicht den Dolch benutzen lassen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
genau.

jeder, der die leiche findet, sieht den schnitt im hals und denkt: der ist ermordet worden! das schreit nach rache! also lass das adlige pack einfach nur an ihrem stolz verrecken.
lg
 

pablo

Mitglied
Hallo Felix,

bewundernswert, wie du die gesamte Story über den altertümlichen, märchenhaften Stil beibehalten hast. Respekt!

Gut, dass wir nicht im Mittelalter leben, denn ich kann nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es mir gelungen wäre, bei Ungerechtigkeiten immer Stillschweigen zu bewahren.

Ich habe zwar mit Guy gefühlt, aber mir dennoch gewünscht, dass er seine Emotionen besser unter Kontrolle gehabt hätte. Das Leben wäre für ihn leichter gewesen und er hätte sich manche Demütigung ersparen können. Für unsere heutige Generation ist das Dasein Gott sei Dank wesentlich einfacher, brauchen wir doch kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.

Dass der Barde zum Schluss Mortimer erdolcht, passt meiner Ansicht nach nicht zu seinem sanftmütigen Wesen, das jede Gewalt verdammt und für seine Überzeugung Kerker und Auspeitschungen in Kauf nimmt. Humane Sterbehilfe hin oder her.
Da möchte ich mich Flammarion anschließen.

Ansonsten ist dein Werk einfach großartig!

Gruß
Pablo
 

Felix

Mitglied
Hallo pablo

danke für deinen Beitrag, es freut mich, dass die Geschichte solch positive Resonanz findet.
Die Schlussszene mit Mortimers Tod wird geändert.
Einen schönen Tag wünsche ich noch.
 

Andreas E

Mitglied
Der brutale Barde

Also ich kann gar nicht so recht nachvollziehen, warum sich alle daran stören, dass der Barde zum Dolch greift. Sicher ist er ein Mensch von sanftem Gemüt. Aber soll er deswegen die Augen vor der Realität verschließen? Er hat einfach nur der Situation entsprechend gehandelt und einen Menschen von seinen Todesqualen erlöst. Wäre es nicht wesentlich unmenschlicher und kälter von ihm, wenn er den jungen Mortimer einfach hätte sterben lassen? Wenn er sein Leiden ignoriert und sich einfach kaltherzig von ihm abgewendet hätte? Aus dem Blickwinkel unserer heutigen Gesellschaft betrachtet ist diese Verhaltensweise sicher veraltet und unmodern. Heute ist es ja fast schon zwingend erforderlich, dass alle Menschen 80 Jahre und älter werden. Koste es was es wolle. Wie es dabei dem einzelnen geht ist aber durchaus nur von nebensächlichem Interesse. Ich habe vor knapp 10 Jahren Zivildienst in einem Altersheim geleistet und habe da täglich mit Menschen zu tun gehabt, die dem Tode näher waren als dem Leben. Für diese wäre der Tod ganz sicher die letzte Freude gewesen, die man ihnen hätte machen können. Aber die Zwänge der Gesellschaft verlangen, dass man Leben so lange erhält, wie es irgendwie geht. Die Frage nach dem Sinn der dahinter steht ist aber nicht hinreichend beantwortet worden. Denn wenn jemand nur noch stocksteif im Bett liegt und ohne fremde Hilfe keine 2 Tage überleben könnte, was hat dann das Leben noch für einen Sinn für diesen Menschen? Außer das andere solange Geld damit verdienen, wie noch ein kleiner Funken Leben in dem Körper steckt, fällt mir keiner ein.
So gesehen ist dem Verhalten des Barden durchaus mit Respekt zu begegnen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
klar doch.

ich kann das durchaus achten, dass der barde dem sterbenden den gnadenstoß versetzt. edler wäre sein handeln, wenn er zu helfen versuchen würde, wenn er wenigstens laut um hilfe rufen würde! ich kann nur widerholen: die stichwunde im hals wird als erstes gesehen, also mord und nicht im kampf gefallen. da kann sich der barde drehen, wie er will, er ist des todes. genau wie der pfleger, der sterbehilfe auf ausdrücklichen wunsch leistete.
lg
 



 
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