Der Streit um den Mond

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Kautokaino

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DER STREIT UM DEN MOND

Irgendwo im Weltraum, gar nicht so weit entfernt von uns, gab es einmal zwei Planeten, die kreisten friedlich um eine kleine Sonne, ganz ähnlich wie unsere blaue Erde. Der eine Planet hieß Pantena und seine Bewohner hatten große, lange Nasen, die so groß waren, dass man aufpassen mußte, nicht aneinander zu stoßen. Auch der König von Pantena hatte so eine lange Nase, aber seine war ganz besonders groß, weswegen er auch König war.
Der andere Planet hieß Montena. Die Einwohner von Montena hatten große, breite Füße, die so groß waren, dass man aufpassen mußte, sich nicht in die Quere zu kommen. Und sicherlich kannst Du Dir schon vorstellen, daß der König von Montena ganz besonders große und breite Füße hatte. Und so war es auch, denn deswegen war er ja König.
Um die beiden Planeten zog auch ein kleiner Mond ruhig seine Bahn. Es war ein wunderschöner, kugelrunder Mond, der ein halbes Jahr lang erst um Pantena schwebte und dann weiter nach Montena gondelte, um dort für das nächste halbe Jahr groß und hell am Nachthimmel zu stehen und alles in ein silbriges Licht zu tauchen. Das sah etwa so aus:





War das jedes mal eine Freude, wenn eines Abends plötzlich der Mond in seiner ganzen Pracht am Himmel stand! Auf Pantena und Montena fieberten die Leute schon Wochen vorher diesem Ereignis entgegen, und wenn es dann soweit war, feierten alle ein rauschendes Fest, das mehr als einen Monat dauerte und das auf beiden Planeten das Mondfest genannt wurde. Ja, und manchmal besuchten sie sich sogar gegenseitig zum Fest, weil das Feiern doch so viel Spaß machte...
Aber eines Tages wurde alles ganz anders und beinah wäre die tiefe Freundschaft zwischen den Leuten von Pantena und Montena zerbrochen. Und das kam so:

\"Gundur, wo ist Gundur?\" Aufgeregt raste der König von Pantena von einer Ecke des Thronsaales in die andere, wobei er mit seiner langen Nase beinah eine Vase von einem Sockel heruntergeschmissen hätte. \"Warum ist dieser Hofnarr nie da, wenn man ihn braucht?\"
Da streckte jemand seine Nasenspitze durch die schwere goldene Tür und im nächsten Augenblick stand Gundur der Hofnarr vor seinem König. \"Eure Langnasgeborenheit haben gerufen?\" fragte er völlig außer Atem.
\"Ja. Wo steckst du denn nur andauernd?\" grollte der König, der sonst höchst selten wütend wurde. Aber heute schien er irgendwie besonders aufgeregt. Er deutete Gundur sich zu setzen.
\"Was macht unser diesjähriges Fest? Sind alle ausgelassen und fröhlich?\" fragte er.
\"O ja, sehr! Alle feiern und lachen. Gerade komme ich vom Maskenball Der Tausend Farben. Der ist dieses Jahr wirklich vorzüglich gelungen. So viele ausgefallene Kostüme habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Und in einer Stunde beginnt das große Feuerwerk am Nordgebirge. Eure Hochwohlgenastheit sollten sich das auf gar keinen Fall entgehen lassen. Es wird ein Höhepunkt des diesjährigen Festes, das verspreche ich ihnen. Ich habe mir bei den Vorbereitungen sehr viel Mühe gegeben.\" Gundur hoffte, seinen König mit diesen Worten ein wenig zu besänftigen. Doch der war schon gar nicht mehr wütend und der Ärger war einem seltsamen Glanz in seinen Augen gewichen.
\"Sehr schön, sehr schön\", murmelte er. Und dann platzte es aus ihm heraus. \"Gundur, ich habe beschlossen, dass das Fest von nun an länger dauern wird.\"
\"Länger?\" fragte der Hofnarr überrascht. Die Feiern neigten sich bereits dem Ende entgegen und schon übermorgen würde der Mond weiter nach Montena ziehen. \"Eure Langnasigkeit, wieviel länger?\" Gundur floß es kalt den Rücken hinunter. Auf eine Verlängerung der Feierlichkeiten war er überhaupt nicht vorbereitet. Nicht, dass er keine Ideen hatte, o nein! Ihm würde bestimmt etwas einfallen, da war er sich ganz sicher. Aber nun kam alles doch ein wenig plötzlich für ihn.
\"Seeehr viel länger!\", schmunzelte der König. \"Ein Jahr.... oder... vielleicht auch zwei!\" Er zwirbelte sich verzückt seinen langen Schnurrbart.
\"Z... Zw... Zwei Jahre?\", stammelte Gundur und er merkte, wie ihm ganz schwindelig wurde. Einen Tag länger oder vielleicht auch eine Woche... Und selbst das hatte es bisher noch nie gegeben. Aber gleich zwei Jahre! Und noch bevor er sich fragen konnte, woher er um alles in der Welt so schnell die Ideen für ein so langes Fest nehmen sollte, huschte ihm ein Gedanke durch den Kopf: Wenn die Leute auf Pantena jetzt länger feierten, dann würde der Mond schon längst nach Montena weitergezogen sein. Ein Mondfest ohne Mond! War soetwas überhaupt möglich? Er äußerte seine Bedenken gegenüber seinem König. Doch der lachte nur und rief: \"Aber natürlich werden wir einen Mond haben!\"
\"Aber eure Einzignasigkeit, welchen denn?\"
\"Gundur, mein lieber Gundur\"; schmunzelte der König, \"dafür ist gesorgt. Komm, ich möchte dir etwas zeigen.\"
Der König zog seinen Hofnarren auf den Balkon des Thronsaales, wo ein riesiges Fernrohr stand. \"Schau selbst!\"
Gundur beugte sich vor und lugte durch das Fernrohr hindurch. Was er dann sah, erschrak ihn so sehr, dass er glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu können. Vor ihm schwebte wunderschön leuchtend der kreisrunde Mond - und um ihn herum war ein dickes Seil gewickelt, das bis hinunter nach Pantena reichte. Er folgte dem Seil mit seinen Blicken. Es endete unterhalb des Balkons auf dem er und der König standen, im Palastgarten, drüben an der großen Trauerweide beim Goldfischteich.
\"Siehst du, mein guter Gundur,\" lachte der König voller Stolz und klopfte seinem Hofnarren auf die Schulter, \"es wird einen Mond geben. Nun brauchen wir nur noch einige deiner guten Ideen und es wird das größte und schönste Mondfest, dass es je auf Pantena gegeben hat.\" Er rieb sich die Hände, stolzierte zurück in den Thronsaal und ließ Gundur alleine auf dem Balkon zurück.
\"Ich weiß nicht so recht\", dachte der Hofnarr bei sich, \"irgendwie habe ich kein gutes Gefühl bei dieser Sache.\" Er stand noch eine Weile da und schaute den Mond an, wie er an Pantena gefesselt am Himmel leuchtete. Dann ging er in sein Turmzimmer, um Ideen für die nächsten zwei Jahre zu sammeln...

Tage vergingen und der König hatte im ganzen Land die große Neuigkeit verbreiten lassen, dass das Fest für viele, viele Wochen weitergehen würde. Wie groß war da der Jubel unter den Leuten von Pantena! Morgen für Morgen zogen sie in Scharen zum Palast und ließen ihren König für diese großartige Idee hochleben. Wahrlich, dieser Einfall war ihres Königs würdig, da waren sich alle einig. Alle, bis auf einen.
Jedes mal, wenn Gundur von seinem Turmzimmer aus den angebundenen Mond betrachtete, wurde ihm ganz weh ums Herz. \"Du armer, armer Mond\", dachte er dann, \"möchtest gern weiterziehen und kannst nicht fort. Wie ein Gefangener hängst du dort an deinem Seil fest.\" Und dann hatte er den Eindruck, als zöge der Mond an seinem Seil und versuchte, sich zu befreien. Und er dachte an all die traurigen Leute von Montena, die seit Tagen auf den Mond warteten und sich sicherlich fragten, was wohl mit ihm geschehen sei. Schließlich konnten sie ohne den Mond ihr Fest nicht beginnen. Ganz besonders aber taten ihm die Kinder leid, denn sie freuten sich immer am allermeisten auf das Mondfest. Und so, eines Abends, als Gundur wieder einmal diesen quälenden Gedanken nachhing, fasste er einen Entschluß: Er mußte all seinen Mut zusammennehmen und seinen König darum bitten, den Mond endlich weiterziehen zu lassen. O, wie würde sein König da wütend werden, wenn er, Gundur, es wagen würde, diese Bitte an ihn zu richten! Schon jetzt zitterte er am ganzen Leib, wenn er daran dachte, wie der Thronsaal vom Gebrüll des Königs wiederhallte... \"Aber\", dachte Gundur, \"mein König ist ein weiser Herrscher. Er muß doch einsehen, dass es nicht richtig ist, den Mond an Pantena zu binden und damit all die Leute auf Montena um ihr Mondfest zu bringen und sie schrecklich traurig zu machen.\"
So stiefelte er die Treppen von seinem Turmzimmer hinab, huschte über den Palasthof und stand kurze Zeit später vor der schweren goldenen Tür des Thronsaales. Er atmete noch einmal tief durch und wollte gerade zaghaft an die Tür klopfen, da bemerkte er, dass sie einen Spalt weit geöffnet war. Aus dem Raum drang ein aufgeregtes Stimmengewirr an seine Ohren.
\"Das kommt überhaupt nicht in Frage\", hörte er eine Stimme wütend rufen. Es war der König von Pantena. \"Der Mond bleibt hier!\"
\"Aber eure Nashochwohlgeborenheit, ich flehe euch an! Seit über einer Woche warten die Leute auf Montena bereits auf den Mond, damit das Fest auch bei ihnen beginnen kann. Alle sind schon ganz fürchterlich traurig.\" Gundur erkannte die zweite Stimme sofort. Es war Futo, der königliche Berater. \"Vielleicht sollten Eure Nasohoheit doch in Erwägung ziehen...\" Aber weiter kam er nicht.
\"Niemals!\" brüllte der König. \"Ein letztes Mal: Der Mond bleibt hier!\"
\"Aber Eure Langnasigkeit, so wird es vielleicht Streit geben. Man sagt, der König von Montena habe bereits Bogenschützen zusammenrufen lassen. Er gibt Euch noch drei Tage, um den Mond freizulassen.\"
\"Das ist eine Unverschämtheit!\", rief der König, \"Ich habe alle Leute von Montena zu uns eingeladen. Und das ist der Dank?\"
\"Nun, sie möchten eben lieber selber feiern\", entgegnete Futo mutig.
\"Nein, nein, und nochmals nein\", schrie der König und wurde puterrot vor Wut. \"Sollen sie doch zu uns kommen. Und wenn sie das nicht wollen: bitte sehr. Nur, der Mond bleibt hier!\"
\"Aber Eure Vielnasigkeit, die Bogenschützen!\"
\"Na und? Ich kann auch Bogenschützen haben. Dann werden wir ja sehen, was in drei Tagen geschieht.\"

Gundur hatte genug gehört. Es hatte keinen Sinn, mit seinem König zu reden, das wußte er jetzt. Doch was sollte nun geschehen? Traurig schlurfte er die Treppen zu seinem Turmzimmer hinauf und schloß die Tür hinter sich fest zu. Er wollte niemanden sehen oder sprechen, so traurig war er. Ja, er war sogar noch viel trauriger und begann bitterlich zu weinen. Wer hätte das gedacht? Ein großer Streit mit Bogenschützen stand bevor - und alles wegen des Mondfestes! Lange, lange Zeit saß Gundur in seinem Zimmer und weinte und weinte. Und irgendwann konnte er keine Tränen mehr vergießen, so viel weinte er. Was konnte er nur tun, damit die Könige von Pantena und Montena nicht ihre Bogenschützen aufeinander hetzen würden? Und wie nur konnte er den Leuten auf Montena helfen, damit sie endlich ihr Mondfest bekamen? Den ganzen Tag und die ganze nächste Nacht verbrachte Gundur in seinem Zimmer hoch oben im Turm und dachte und grübelte und grübelte und dachte. Und dann plötzlich, als der königliche Hahn den nächsten Morgen ankündigte, hatte er eine Idee!
\"Heureka! Das ist es!\", rief er. \"So muß es gehen!\" Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht und all die Traurigkeit war im Nu von ihm gewichen. \"Doch alleine werde ich es nicht schaffen. Ich muß meinen Freund Ero, den Hofnarr des Königs von Montena, um Hilfe bitten.\" Schnell kritzelte er eine Nachricht auf ein Stück Papier, band es an einen Pfeil fest, trat auf seinen Balkon und schoß den Pfeil in hohem Bogen in den Himmel. Zisch! machte es und schon war er auf seiner großen Reise, die direkt an Eros Tür auf Montena endete. Und als Gundur wenig später die Antwort in seinen Händen hielt, las er mit großer Freude die zwei Sätze:

Gundur, mein lieber Freund! So machen wir`s!

Mit einem Schmunzeln auf seinem Gesicht verschwand er in seinem Zimmer - und wurde danach nicht mehr gesehen. Ja, er war ganz einfach verschwunden. Überall ließ der König nach ihm suchen, im ganzen Palast, in allen Dörfern und in jedem Winkel des Planeten. Doch keiner konnte Gundur finden. Er war einfach nicht mehr da.
Schließlich saß der König von Pantena eines Abends völlig erschöpft und niedergeschlagen auf seinem Thron und wußte nicht mehr ein noch aus. \"Ach Futo\", jammerte er und blickte seinen königlichen Berater traurig an, \"seit drei Tagen nun ist Gundur schon verschwunden. Was sollen wie bloß tun? Bald gehen uns seine Ideen aus. Und ich habe den Leuten von Pantena doch ein langes Fest versprochen... Ach, wenn Gundur nur nichts zugestoßen ist.\"
\"Ich befürchte, Eure Hochlobgenastheit, das ist nicht unser einziges Problem\", sagte Futo da. \"Der König von Montena hat seinen Besuch angekündugt.\"
\"O, der soll nur kommen,\" zischte der König von Pantena, \"bestimmt hat er etwas mit Gundurs Verschwinden zu tun.\"
Und kaum hatte er diesen Satz zu Ende gesprochen, da wurde die schwere goldene Tür des Thronsaales aufgetreten und ein großer dicker Fuß stand in der Türschwelle. \"Du rücksichtsloser Schuft\", ertönte es wütend und einige Augenblicke später schob sich der dicke König von Montena durch die Tür.
\"Das ist wirklich der Gipfel der Frechheit! Was bildest du dir eigentlich ein?\", polterte er sofort los. \"Was hast du mit Ero, meinem Hofnarren, gemacht? Wo hast du ihn versteckt? Seit Tagen schon ist er verschwunden. Reicht es dir nicht, dass mein ganzes Volk in Traurigkeit verfällt, weil du den Mond gefangen hälst und wir kein Mondfest feiern können?\"
Es dauerte keine fünf Minuten, und die beiden Könige waren in den heftigsten Streit geraten, von dem man bis dahin je gehört hatte. Der arme Futo versuchte verzweifelt, die zwei wieder auseinander zu bringen - vergeblich. Ja, der Streit wurde sogar so heftig, dass die beiden Könige zu kämpfen begannen. Sie kämpften und kämpften, schlugen sich gegenseitig windelweich und beschimpften sich so fürchterlich, dass sie zunächst die Stimmen nicht hörten, die von draußen in den Thronsaal drangen.
\"Hallo!\", ertönte es und immer wieder \"Haaalloo!\"
\"Hörst du das?\", fragte schließlich der König von Montena den König von Pantena, als er ihm gerade eine saftige Ohrfeige verpassen wollte. \"Da ruft doch jemand...\"
\"Es kommt vom Balkon her\", sagte Futo und er sah erleichtert, wie die beiden Könige voneinander abließen und auf den Balkon traten.
\"Wer ruft da?\" schrien sie und schauten sich suchend um.
\"Na, wir sind es,\" schallte es wieder. \"Haaalloo! Hier sind wir!\"
\"Wo ist wer? Will uns etwa jemand zum Narren halten?\" Der König von Montena konnte im Augenblick wirklich nicht über solche Scherze lachen. \"Komm, König, laß uns weiterprügeln,\" sagte er und zerrte am Mantel des Königs von Pantena. Doch der winkte ab.
\"Pssst!\", zischte er. \"Hörst du es nicht?\"
\"Was?\" fragte der König von Montena ungeduldig. Er wollte unbedingt kämpfen und tänzelte mit seinen großen Füssen aufgeregt hin und her.
\"Die Stimmen, du dummer König\", sagte der König von Pantena. \"Es sind Gundur und Ero.\" Und frotzelnd fügte er hinzu: \"Sag, erkennst du deinen eigenen Hofnarren nicht mehr?\"
Und tatsächlich! Als die Stimmen das nächste mal zu hören waren, erkannte sie auch der König von Montena. \"Wir sind hier oben!\" riefen sie. \"Schaut durch das Fernrohr!\"
Und als die beiden Könige durch das Fernrohr sahen, erblickten sie Ero und Gundur - sie saßen auf einem großen Felsen auf dem Mond, ließen ihre Beine baumeln und winkten ihren Königen zu.
Sofort nahm der König von Pantena einen großen Trichter, der neben dem Fernrohr stand, hielt ihn vor seinen Mund und rief zum Mond empor: \"Was macht ihr da? Wir haben uns solche Sorgen um euch gemacht.\" Seine Stimme klang dabei so laut und eindringlich, dass eine Nachtigall, die gerade im Palastgarten auf einem Baum saß und ihr Abendlied trällerte, beinah ihre Melodie vergessen hätte. So sehr erschrak sie.
\"Los, kommt sofort da herunter!\" befahl der König von Pantena.
\"Nein, das tun wir nicht\", rief Gundur vom Mond hinab. \"Ich komme erst wieder herunter, wenn Eure Wohlgenastheit den Mond weiterziehen läßt.\"
Der König von Pantena war sichtlich verblüfft über soviel Ungehorsam. Er war es nicht gewöhnt, dass man seinen Anordnungen nicht Folge leistete. In all den Jahren seiner langen Zeit als König hatte es noch niemend gewagt sich ihm zu widersetzen. \"Das ist ja ungeheuerlich\", murmelte er, \"was bilden sich diese Hofnarren eigentlich ein?\"
\"Lass mich mal\", zischte da der König von Montena und riss ihm den Trichter aus der Hand. \"Ero!\", brüllte er hindurch, \"Du kommst sofort von diesem Mond da hinunter, hörst du! Ich befehle es dir!\"
\"Verzeiht, Eure Plattfüssigkeit, aber das werde ich nicht tun\", hallte es vom Mond herab. \"Ich komme erst wieder zurück, wenn Ihr Eure Bogenschützen nach Hause zu ihren Familien schickt. Wir bleiben so lange hier oben sitzen, bis unsere Könige endlich zur Vernunft gekommen sind.\"
Wie vom Blitz getroffen standen die beiden Könige auf dem Balkon und sahen sich an.
\"Das ist alles nur deine Schuld\", fauchte der König von Montena, warf dem König von Pantena verächtliche Blicke zu und watschelte wutentbrannt in den Thronsaal zurück.

Oben auf dem Mond rieben sich Gundur und Ero die Hände.
\"Bald wird alles wieder gut sein\", sagte Ero und biss in ein Stück Brot, das er sich von zu Hause mitgebracht hatte.
\"Das glaube ich auch. Ohne uns haben sie bald keine Ideen mehr. Dann werden unsere Könige schon zur Vernunft kommen.\" Gundur blickte seinen Freund mit einem zuversichtlichen Grinsen im Gesicht an.
\"O, das glaube ich nicht!\" donnerte da plötzlich eine dunkle Stimme, die so dunkel war, daß sie aus den tiefsten Tiefen des Mondes zu kommen schien. Und dann, auf einmal, bebte ganz leicht der Boden unter den Füßen der beiden Hofnarren und mit einem Kichern fügte die finstere Stimme hinzu: \"Hihihi, würdest du bitte ein wenig mit deinem Brot aufpassen? Dort, wo die Krümel hinfallen, bin ich nämlich ein bisschen kitzelig...hohoho...\"
Gundur und Ero schauten sich verwundert um.
\"Wer spricht da?\" fragten sie.
\"Ich bin es\", antwortete die Stimme, \"euer Mond.\"
\"Unser Mond?\" rief Gundur aufgeregt. \"Unser Mond kann sprechen?\"
\"Aber ja, du kannst es doch auch\", antwortete der Mond.
\"Das ist aber schön, dass wir uns endlich einmal persönlich kennenlernen,\" sagte Ero und schob sich schnell das letzte Stück seines Brotes in den Mund. \"Ich heiße Ero und das hier ist mein Freund Gundur.\"
\"Aber das weiß ich doch,\" lachte der Mond und wieder begann der Boden zu beben, nur dieses Mal fiel es den beiden Hofnarren schon viel schwerer auf den Beinen zu bleiben, so sehr bebte es. \"Ich kenne alle Leute auf den Planeten, die ich umkreise. Schließlich scheine ich schon lange genug auf ihre Häupter.\"
\"Und wie ist dein Name?\" Gundur war sehr gespannt darauf, ob auch ein Mond einen Namen besaß.
\"Ich?\" fragte der Mond überrascht. Noch nie hatte ihm jemand eine so seltsame Frage gestellt. \"Ich bin der Mond. Ganz einfach der Mond.\"
Und dann tat der Mond einen großen, schweren Seufzer.
\"Was hast du, Mond?\" fragte Gundur.
\"Ach, es tut so weh\", stöhnte der Mond. \"Das Seil ist so fest um mich gebunden, es drückt fürchterlich.\" Und wieder tat er einen Seufzer, nur war er noch größer und noch schwerer. Doch dann hielt der Mond plötzlich inne. Eine unheimliche Stille legte sich über seine raue Oberfläche.
\"Sagt mir\", flüsterte er finster, \"kennt ihr einen großen Vogel mit zwei Köpfen, dessen Federn in allen Farben des Regenbogens schillern und der wohl die größten Schwingen und den längsten Schnabel hat, die es je gegeben hat?\" flüsterte er schließlich und bebte dabei ängstlich.
Gundur wurde bei den Worten des Mondes kreidebleich. \"Das ist Leth\", zitterte er. \"Der Greif meines Königs. Genau so sieht er aus. Seit die Herrscher von Pantena seine goldene Schwanzfeder besitzen ist er ihnen treu ergeben, doch im Grunde seines Herzens ist er hinterhältig und böse. Er fliegt so schnell wie der Wind, kämpft mit großem Mut und ist sehr listig. Noch nie ist jemand seinen Krallen entkommen.\"
\"Dann sollten wir uns schnell etwas einfallen lassen,\" sagte der Mond, \"denn ich sehe ihn in der Ferne direkt auf uns zufliegen.\"
Gundurs Augen tasteten aufgeregt den dunklen Horizont ab. Konnte es wirklich sein, dass sein König den großen Greif aus seinem Nest hoch oben in den Gipfeln des Nordgebirges gerufen hatte, um ihn und Ero zurück nach Pantena zu bringen? Doch dann hörte er aus weiter Ferne das durchdringende Krächzen des Vogels, das bedrohlich immer näher kam.
\"Kraaaaa!\" machte es, und immer wieder \"Kraaaaa!\"
\"Ja, das ist er,\" rief er, \"schnell, denkt nach! Wenn Leth uns ersteinmal entdeckt hat, wird er nicht eher ruhen, bis er Ero und mich in seinen Krallen zurück auf den Planeten gebracht hat - und alles war umsonst!\"
\"Eine Idee, eine Idee...\" Ero stolzierte ratlos im Kreis umher. Das tat er immer, wenn ihm etwas einfallen musste.
\"Kraaaaa!\"
\"Ihr lieben Ideen, wo seit ihr denn nur...\" Angsterfüllt blickte Gundur in den schwarzen Sternenhimmel empor. Jeden Augenblick würde Leth dort auftauchen und sich auf ihn und Ero stürzen...
\"Kraaaaa!\"
\"Ihr Ideen, kommt, bitte!\"
\"Kraaaaa!\"
\"Bitte...\"
\"Kraaaaa!\"
Das Krächzen kam immer näher....
\"Kraaaaa!\"
... und näher...
\"Kraaaaa!\"
\"Ich hab`s!\" brüllte der Mond da plötzlich und bebte dabei so heftig, dass die beiden Hofnarren in den staubigen Sand fielen. \"Schnell, nehmt einen scharfen Stein und schneidet das Seil durch, das mich an Pantena fesselt!\"
\"Was hast du vor?\" fragte Ero.
\"Das verrate ich euch später. Los, tut, was ich euch sage, Leth ist gleich hier. Ich spüre auf meiner anderen Seite schon den Luftzug seines Flügelschlages!\"
Gundur und Ero rannten eine kleine Anhöhe herauf und standen vor dem riesigen Seil, das von einem Ende des Mondes zum anderen reichte. Jeder nahm einen scharfen Stein und gemeinsam begannen sie, das dicke schwere Seil durchzuschneiden.
\"Beeilt euch,\" rief der Mond, \"Leth hat gerade meinen Nordpol überflogen. Er ist gleich hier!\" Und wie um den Worten des Mondes mehr Nachdruck zu verleihen, ertönte sogleich ein ohrenbetäubendes \"Kraaaaa! Kraaaaa!\"
O, wie sägten und schnitten die beiden Hofnarren da, als sie das fürchterliche Krächzen des Greifes hörten. So schnell hatte man bestimmt noch nie zwei Hofnarren sägen und schneiden sehen! Und schließlich, als sich der dunkle Schatten des riesigen Vogels bereits bedrohlich über die Mondlandschaft schob, hatten sie es geschafft: Mit einem lauten Knall riss das große Seil und der Mond war frei!
\"Haltet euch gut an dem Felsen dort fest!\" brüllte der Mond und im nächsten Augenblick raste er los. Ja, er verließ einfach seine Bahn um Pantena und düste ins tiefe dunkle Weltenall hinein. Gundur und Ero hatten alle Mühe, sich an dem großen Stein festzuklammern und wären beinah weggeweht worden, so schnell schoss der Mond mit ihnen durch das All.
Der Greif staunte nicht schlecht, als er plötzlich den Mond unter sich verschwinden sah. Und als er erkennen musste, dass er ihn nie würde einholen können, da stieß er vor Wut ein so lautes Krächzen aus, dass es die Leute in der nächsten Galaxie noch hören konnten. Er war sogar so wütend, dass er weinen musste und dicke runde Tränen vergoß, die als kleine Sternschnuppen auf Pantena herabrieselten.

\"Sag, lieber Mond, wohin fliegen wir eigentlich?\" wollte Ero wissen, nachdem sie schon eine ganze Weile geflogen waren.
\"Ich bringe euch zu meiner Schwester, der Sonne,\" sagte der Mond, \"vielleicht kann sie euch helfen. Sie ist sehr weise und hat immer einen Rat.\"
Weiter und weiter düsten sie durch den Weltraum und ihr Weg führte sie an allerlei Planeten vorbei; großen und kleinen, bunten und einfarbigen und auch an solchen, die ganz viele Krater hatten, so wie der Mond, und aussahen wie ein großer Käse mit ganz vielen Löchern darin. Jeder einzelne wurde freundlich vom Mond gegrüßt, wie es unter den Planeten eben üblich ist.
\"Ist es noch weit?\" fragte Ero schließlich, als sie gerade den siebten Planeten gegrüßt hatten, der ein Cousin des Mondes war.
\"Nein, wir sind gleich da,\" antwortete der Mond. \"Schau!\" Und im nächsten Augenblick erstrahlte ein helles Licht über den Mondbergen und die feurig-gelbe Sonne ging am Horizont auf. Die großen Felsen hatten sich plötzlich einen Mantel aus sattem Orange übergeworfen und selbst die kleinsten Sandkörner blinkten so fröhlich sie nur konnten. Es schien, als tanzten die Sonnenstrahlen über die Mondlandschaft und überzögen sie mit einem Meer aus Licht und Farben. \"Wie wunderschön!\" Gundur und Ero bestaunten mit weit aufgerissenen Augen das Spiel der Sonnenstrahlen.
Dann verlangsamte der Mond seinen Flug und hielt schließlich inne.
\"Schwester, liebe Schwester!\" rief er und bebete dabei zaghaft vor Aufregung. \"Endlich sehen wir uns einmal wieder!\"
\"O Bruder, wie schön, dass du wieder bei mir vorbeischaust. Ich habe dich so vermisst!\" rief die Sonne dem Mond entgegen. Sie hatte eine wundersam weiche und warme Stimme, dachte Gundur und er konnte sich nicht erinnern, je eine derart einladende, vertrauensvolle Stimme gehört zu haben. (in der so viel Klang von Weisheit und Ewigkeit lag.)
\"Wo warst du nur so lange? Du hättest doch schon vor Tagen an mir vorbeiziehen sollen.\" Und dann erblickte sie die beiden Hofnarren. \"O! Wen hast du denn da mitgebracht?\"
\"Das sind meine Freunde Gundur und Ero,\" antwortete der Mond. \"Sie brauchen deine Hilfe.\" Geduldig hörte die Sonne, was Gundur, Ero und ihr Bruder zu erzählen hatten und je mehr sie hörte, desto wütender wurde sie. Das liebliche Gelb ihres Lichtes wich einem dunklen Rot und als sie die Geschichte bis zum Ende gehört hatte war sie so wütend, dass ihr Antlitz glutrot geworden war. Überall schossen riesige Feuerfontänen aus ihrem Körper und mit Zorn in der Stimme grollte sie: \"In all den Jahren und Jahrtausenden, ja, in all den Jahrmillionen, in denen ich als Sonne scheine ist mir so etwas noch nicht untergekommen. Was bilden sich diese Könige eigentlich ein? Ihr habt ganz recht gehabt, damit zu mir zu kommen. Ich werde euch helfen, eure Könige wieder zur Vernunft zu bringen. Und ich weiß auch schon, wie.\"
Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da löste sich ein zarter Strahl aus ihrem Lichtschein und tänzelte aufgeregt zwischen der Sonne und ihrem Bruder hin und her. Sie flüsterte ihm erst etwas zu und rief dann laut: \"Nun flieg, mein lieber Strahl, und tu, was ich dir aufgetragen habe. Aber flieg schnell, denn die Zeit eilt sehr!\" Hui! Da düste der Strahl los, umkreiste noch einmal die Sonne und verschwand dann in Richtung Pantena.
\"Jetzt brauchen wir nur noch ein wenig Geduld zu haben,\" sprach die Sonne in ruhigem Ton und strahlte wieder in ihrem wunderschönen Kleid aus orangenem Licht.


\"Ach herje, ich habe verschlafen!\" Der König von Pantena fuhr erschrocken auf und rieb sich seine müden Augen.
\"Guten Morgen!\" piepste da eine kleine Stimme in freundlichem Ton. \"Du hast nicht verschlafen. Ich habe nur ein wenig auf deinen Wimpern herumgetanzt und dich aufgeweckt. Sag, hast du gut geträumt?\"
Der König von Pantena traute seinen Ohren nicht. Wer hatte da eben mit ihm gesprochen? Er schaute von einer Ecke des königlichen Schlafzimmers in die andere, suchte unter seinem königlichen Bett und durchwühlte seine hochköniglichen Kleider. Doch er konnte niemenden sehen.
\"Gib dir keine Mühe, du kannst mich nicht finden\", kicherte die kleine Stimme.
\"Das ist eine Unverschämtheit!\" polterte der König. \"Zeige dich sofort, oder ich hole meine königlichen Wachen!\" Da kam mit einem Mal ein Sonnenstrahl durch das Fenster und flackerte hell auf der Decke des königlichen Bettes.
\"Hier bin ich\", fiepste die kleine Stimme.
\"Ein Sonnenstrahl!\" rief der König und war ziemlich erleichtert. Er hatte schon gedacht, der König von Montena hätte einen frechen Kobold in seinem Schlafgemach versteckt. Und das wäre wirklich schlimm gewesen, denn Kobolde einzufangen war nicht besonders leicht, vor allem wenn sie von Montena kamen. Dort gab es nämlich die frechsten Kobolde des ganzen Universums.
\"Ja, ein Sonnenstrahl\", äffte der Sonnenstrahl den König nach, hüpfte von der Bettdecke auf dessen Nasenspitze und tänzelte fröhlich hin und her. Plötzlich jedoch wurde sein freundliches, piepsiges Stimmchen dunkel und eindringlich. \"Ich habe eine wichtige Nachricht\", donnerte es durch das königliche Schlafzimmer und der König zuckte zusammen. \"Eure Sonne schickt mich, denn sie ist sehr wütend und enttäuscht über das, was ihr hier macht.\" O, wie wurde der König von Pantena da von dem Sonnenstrahl gescholten, dass er den Mond festgebunden hatte, dass Mondfest einfach verlängert und nicht auf die Hofnarren gehört hatte und dass er einen großen Streit mit den Bogenschützen austragen würde. Ja, der kleine Sonnenstrahl schimpfte wirklich bitterlich mit ihm. Doch den König beeindruckte das überhaupt nicht.
\"Warum schimpfst du mit mir?\", fragte er. \"An allem ist doch nur dieser störrische König von Montena Schuld. Ich habe alle Leute von Montena eingeladen bei uns zu feiern. Ich habe nicht zuerst mit den Bogenschützen gedroht. Er war es...\"
\"Ach, die Sonne hat recht gehabt\", unterbrach ihn der Sonnenstrahl mit tiefer, enttäuschter Stimme, \"sie wusste, dass du es nicht verstehen willst. Und deshalb hat eure Sonne beschlossen, so lange nicht mehr für euch zu scheinen, bis die Vernunft wieder auf Pantena und Montena zurückgekehrt ist. Jawohl, sie schaltet sich so lange aus, bis ihr euch wieder vertragt.\" Der kleine Strahl sprang von der Nasenspitze des Königs auf das Fenstersims. \"Sie hat nämlich keine Lust, tagein, tagaus für euch zu scheinen, wenn ihr nichts besseres zu tun habt, als euch die Köpfe einzuschlagen.\" Mit einem Sprung heftete er sich nun an die schwere Gardine. \"Wenn du meinen Rat hören möchtest, König: Vertrage dich schnell wieder mit dem König von Montena, denn es ist nicht sehr schön, in ständiger Dunkelheit zu leben. Und deinem Volk wird es auch nicht gefallen, glaube mir.\" Die letzten Worte rief der Strahl schon von hoch oben im Himmel.
Der König von Pantena geriet ausser sich. Er eilte auf den Balkon und schrie dem Strahl hinterher: \"Niemals werde ich nachgeben, hörst du. Der König von Montena ist an allem Schuld.\" Mit geballten Fäusten stand er da und blickte voller Zorn hinüber nach Montena.
\"Ganz wie du meinst\", rief der Sonnenstrahl, blinkte kurz auf und verschwand.
Der König von Montena saß gerade beim königlichen Frühstück, als sich plötzlich neben seinem goldenen Teller ein Sonnenstrahl niederließ und freundlich \"Guten Morgen!\" flötete.
\"Guten Morgen\", sagte der König überrascht. \"Wer bist du denn?\"
\"Ich bin nur ein kleiner Lichtstrahl, den eure Sonne geschickt hat, denn sie hat ein wichtige Nachricht für dich.\" Mit einem Satz hüpfte er auf den riesigen Fuß des Königs.
Und kaum hatte dieser gefragt, was die Sonne ihm denn mitzuteilen habe, da polterte der kleine Strahl mit dunkler Stimme los und schimpfte bitterlich. Warum er nicht auf die Hofnarren gehört habe und gleich mit den Bogenschützen gedroht habe und warum er nun so stur sei und sich nicht mit dem König von Pantena einigen könne. Doch den König von Montena ließ dies alles völlig kalt.
\"Was willst du?\", fragte er und rührte gelassen in seinem Kaffee herum. \"Habe ich denn etwa mit all dem angefangen? Ich habe den Mond nicht an Pantena gefesselt, ich habe meinen Planeten nicht um das Mondfest gebracht. Was also erwartet die Sonne von mir?\"
\"Auch du willst nicht verstehen\", fiepste der kleine Lichtstrahl, der mittlerweile auf dem Kerzenständer in der Mitte des Tisches herumtänzelte. \"Doch solange du und der König von Pantena keine Vernunft annehmen, wird eure Sonne nicht mehr für euch scheinen. Ja, du hast ganz richtig gehört. Sie knipst sich einfach aus, denn sie hat keine Lust, tagein, tagaus für euch zu scheinen, wenn ihr nichts besseres zu tun habt, als euch die Köpfe einzuschlagen.\" Der Lichtstrahl schwebte zur offenen Balkontür und rief dem König zu: \"Höre auf meinen Rat und vertrage dich mit dem König von Pantena wieder. Es ist nicht sehr schön, jeden Tag in Dunkelheit zu verbringen.Und deinem Volk wird es auch nicht gefallen, glaube mir.\" Und dann war er verschwunden.
Der König von Montena geriet ausser sich. Er eilte auf den Balkon und schrie dem Sonnenstrahl hinterher:\"Niemals werde ich nachgeben, hörst du. Der König von Pantena ist an allem Schuld.\" Er ballte die Fäuste und blickte voller Zorn hinüber nach Pantena.


Die Leute auf Montena und Pantena staunten nicht schlecht, als sie am nächsten Morgen aus dem Fenster schauten und dort, wo sie das zarte Licht des neuen Tages erwarteten, nichts als Dunkelheit zu sehen war. Selbst die königlichen Hähne standen verwirrt auf ihren Misthaufen, blickten zu den funkelnden Sternen empor und fragten sich, was nun aus ihrem allmorgendlichen Konzert werden sollte.
So ging es Tag um Tag, oder besser: Nacht um Nacht, denn die Sonne dachte nicht daran, sich auch nur für eine Sekunde am Himmel blicken zu lassen. Und es dauerte nicht lange, da machte sich große Traurigkeit auf den beiden Planeten breit. Die Leute standen bei Dunkelheit auf, arbeiteten bei Dunkelheit und gingen bei Dunkelheit auch wieder zu Bett. Selbst die Pflanzen ließen ihre Blätter hängen und hätten sie sprechen können, so wäre bestimmt allerorts ein lautes Wehklagen zu hören gewesen. Den Tieren ging es auch nicht viel besser. Die Kühe standen niedergeschlagen in ihren Ställen und gaben keine Milch mehr. Stattdessen träumten sie davon, gemütlich auf ihren grünen Wiesen zu liegen und sich das saftige Gras schmecken zu lassen, so wie es jede Kuh gerne tut. Und die Hennen saßen gelangweilt auf den Stangen in ihren Hühnerverschlägen und hatten ihre kleinen Köpfchen tief in ihrem Federkleid vergraben. So verbrachten sie Stunde um Stunde und träumten davon, im staubigen Boden nach leckeren Grassamen zu picken, wie es eben Hühnerart ist. Ans Eierlegen dachte in dieser Zeit nicht ein einziges Huhn.
Nein, dies war wirklich kein schönes Leben und die Leute dachten mit Wehmut an die Zeit, als der Mond noch ihre Nächte erhellte, die Hofnarren für Spaß und Feste sorgten und die Sonne jeden Tag vom Himmel lachte. Und wenn sie daran dachten, dann wurden sie nur noch trauriger und noch wehmütiger. Schließlich waren sie so traurig, dass sie von überall her in Scharen vor die Paläste zogen, damit ihre Könige sehen würden, wie unglücklich sie waren. Einige trugen hell brennende Fackeln, andere hatten sich Lampions in Form von Sonnen gebastelt, die in einem matten gelb leuchteten und wieder andere hielten große Transparente in die Luft, auf denen verschiedene Sprüche zu lesen waren. So wie diese hier:

Hört endlich auf, euch zu streiten! Holt uns lieber unsere Hofnarren wieder!\" Wir wollen feiern - und keinen Streit!
Ihr Könige - laßt die Bogenschützen zu Hause - streitet euch doch allein!
Wir wollen unseren Mond und unsere Sonne wiederhaben!

Runde um Runde drehten sie vor den Palästen, doch ihre Könige achteten nicht auf sie. Stattdessen saßen die beiden Herrscher an der prächtig gedeckten Tafel des Königs von Pantena und aßen zu Abend. Das heißt, sie wollten eigentlich zu Abend essen. Sie waren sich jedoch bereits nach kurzer Zeit dermaßen in die Haare geraten, dass sie sich wutentbrannt mit Hühnerbeinen bewarfen und aufs Übelste beschimpften.
\"Wie hast du mich genannt? Ist das der Dank dafür, dass ich zu dir gekommen bin?\" Der König von Montena schnappte sich voller Wut ein besonders grosses Hühnerbein und warf es zielsicher auf sein Gegenüber. Mit einem leisen Klatsch! landete es auf der riesigen Nase und blieb dort etwa in der Mitte hängen.
\"Das... das geht zu weit.... Eindeutig zu weit geht das!\" Angeekelt schnippte der König von Pantena das Hühnerbein von seiner Nase und wollte ein noch grösseres und ekligeres Hühnerbein von seinem Teller nehmen und es dem frechen König von Montena ordentlich heimzahlen. Doch er griff ins Leere. Es waren keine Hühnerbeine mehr da.
Sofort rief er einen Diener herbei.
\"Ich brauche neue Hühnerbeine!\" befahl er, \"und spute dich, es eilt sehr.\"
Bei den letzten Worten sah er den König von Montena scharf an und seine Augen blitzten streitlustig auf.
\"Es tut mir leid, eure Schönnasigkeit, aber wir haben leider keine Hühnerbeine mehr.\" O, wie zitterten dem armen Diener die Knie, als er dies seinem König mitteilen mußte. So etwas war noch nie vorgekommen und bestimmt würde sein König ihn gleich wütend anbrüllen, weil er ihm seinen Wunsch nicht erfüllen konnte.
\"Was soll das heißen, es gibt keine Hühnerbeine mehr?\" brüllte der König los.
\"Verzeiht, eure Langnasigkeit, aber auf ganz Pantena werdet ihr kein einziges Hühnerbein mehr finden\", stotterte der Diener. \"Die Bauern, die die Hühner haben, sitzen traurig in ihren Stuben und können nicht mehr arbeiten, so traurig sind sie, weil doch der Mond verschwunden ist und die Sonne nicht mehr für uns scheinen will. Und den Metzgern geht es genauso. Und auch den Müllern. Und den Bäckern. Und den Schneidern. Und den...\"
\"Ja, ja, ist ja schon gut,\" unterbrach ihn der König barsch. \"Sag, macht überhaupt noch irgendjemand irgendetwas?\" Er deutete dem Diener, sich zurückzuziehen.
Der König von Pantena trommelte mit seinen grossen Füßen belustigt unter dem Tisch und spottete: \"Ach, lieber König, laß nur. Gib dir keine Mühe. Ich werde uns schon ein paar schöne Hühnerbeine besorgen.\" Und sogleich winkte er einen seiner Diener herbei und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Diener stutzte kurz und flüsterte dann seinerseits dem König etwas in dessen königliches Ohr.
\"Waaaaas?\" schrie der und sprang von seinem Stuhl auf. \"Was soll das heißen?\"
\"Verzeiht, eure Fußgeplattheit, aber auf ganz Montena werdet ihr nicht ein einziges Hühnerbein mehr finden,\" antwortete der Diener verschämt. \"Niemand arbeitet mehr, alle sitzen nur traurg in ihren Wohnungen und warten darauf, dass die Hofnarren wieder Freude in unser Leben bringen und die Sonne wieder für uns scheint und dass der Mond gross am Himmel leuchtet, damit das Fest endlich beginnen kann. Es gibt schon keine Schokolade mehr. Und keinen Pudding. Und keine Milchcreme. Und keine Marmelade. Und...\"
\"Ja, ja, schon gut.\" Enttäuscht darüber, dass er den König von Pantena nun so gar nicht beeindrucken konnte, sank der König von Montena auf seinen Stuhl zurück. \"Du darfst gehen!\" zischte er und erleichtert trottete der Diener aus dem Saal.
Stille legte sich über den Raum. Von draussen drangen dumpf die Schritte all derer, die unten im Palasthof ihre Runden drehten und ihre Transparente in die Luft hielten. Die Blicke der beiden Könige wanderten durch den Raum, doch sie trafen sich nie. Nein, sie konnten es nicht ertragen, sich gegenseitig in die Augen zu schauen. Keiner von beiden sagte ein Wort. So verging eine lange Minute nach der anderen. Nach einiger Zeit war die Stille im Saal so unerträglich geworden, dass der König von Pantena schließlich aufsprang und rief: \"Also, so kann es nicht weitergehen.\"
\"Ganz meine Meinung\", fiepste da ein kleines Stimmchen und durch das große Palastfenster schien ein helles Licht. Es war der Sonnenstrahl!
\"Hast du es endlich erkannt?\" sagte er und seine Stimme klang nun gar nicht mehr klein und piepsig. Er ließ sich auf einem Silberlöffel nieder und tänzelte hin und her.
\"Schau, was aus unseren Planeten geworden ist\", rief der König von Montena, ging zum Fenster und deutete in die Dunkelheit hinaus. \"Wer hält soetwas schon lange aus?\"
\"Nun, das habe ich euch gleich gesagt. Aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören.\" Der Strahl hüpfte auf einen großen goldenen Bilderrahmen, der an der Wand hing. \"Und glaubt mir, der Sonne ist es egal, wie lange ihr euch noch streiten wollt. Sie und ihr Bruder, der Mond, haben sich viel zu erzählen, ihnen wird bestimmt nicht so schnell langweilig.\" Er blinkte kurz auf und kicherte. \"Ich soll euch übrigens Grüsse von euren Hofnarren ausrichten.\"
Die beiden Könige schauten sich an. \"Gundur und Ero! Wie geht es ihnen?\" riefen sie aufgeregt und vergaßen dabei völlig, über deren Ungehorsam zu schimpfen.
\"Sehr gut. Ich glaube, sie fühlen sich pudelwohl auf dem Mond\", antwortete der kleine Lichtstrahl. \"Und ihr?\" fragte er dann, \"seit ihr nun bereit, euch wieder zu vertragen?\"
Die beiden Könige blickten auf den Palasthof herab. \"Also... ich... ich bin immer bereit gewesen, mich zu vertragen\", flüsterte der König von Pantena schließlich. \"Aber erst muss der da sich bei mir entschuldigen!\" schob er noch schnell hinterher und deutete auf den König von Montena.
\"Ich mich bei dir entschuldigen? Wofür denn? Nein, das mache ich nie!\"
\"Siehst du\", schnaubte der König von Pantena, \"er will sich nichteinmal bei mir entschuldigen. Unerhört ist das!\" Wütend ballte er die Fäuste.
\"Ach, laßt nur\", seufzte der kleine Lichtstrahl, \"ich sehe schon. Ihr wollt euch noch immer nicht vertragen. Ich schaue in ein paar Tagen wieder vorbei. Vielleicht seit ihr dann bereit.\" Er erhob sich langsam von dem goldenen Bilderrahmen und schwebte durch das Zimmer. Gerade wollte er durch das Fenster verschwinden, da riefen die beiden Könige: \"Halt, warte!\"
\"Bitte, lieber Sonnenstrahl, bleib hier.\" Der König von Pantena schaute zwischen dem Lichtsrahl und dem König von Montena hin und her. Schließlich seufzte er und sagte: \"Na schön. Wenn der da...\", und dabei zeigte er auf den König von Montena, \"... seine Bogenschützen nach Hause schickt, dann... dann mache ich das gleiche. Aber ich entschuldige mich für nichts!\" Und zum Sonnenstrahl gewand zischte er leise: \"Und, bist du nun zufrieden?\" Der König von Montena war sichtlich erstaunt. \"Dann... dann... entschuldige ich mich ebenfalls für nichts und schicke meine Bogenschützen nach Hause... wenn der da...\", und nun zeigte er auf den König von Pantena, \"... das gleiche tut.\"
\"Aber dann seit ihr euch ja einig\", rief der Lichtstrahl mit freudiger Stimme und flackerte wild auf. \"Wie wunderbar! Das wird die Sonne aber freuen!\" Und mit einem großen Satz hüpfter er auf die Nasenspitze des Königs von Pantena. \"Dann möchte ich dir jetzt gerne noch ein Geheimnis anvertrauen\", sagte er. \"Der König von Montena hat nämlich gar keine Bogenschützen. Er wollte dir nur Angst machen. Ist das nicht lustig?\" Er kicherte und sprang auf den riesigen Fuß des Königs von Montena. \"Und auch für dich habe ich ein Geheimnis. Denn der König von Pantena hat ebenfalls gar keine Bogenschützen. Was sagt ihr nun?\"
Da schnaubten die Könige und wurden sehr wütend aufeinander. \"Das ist ja wohl die Höhe!\" riefen sie und: \"So eine Frechheit!\" Am liebsten hätten sie sich geprügelt, aber das gehört sich nicht, wenn man sich gerade wieder vertragen hat. Daher beschlossen sie, die ganze Sache einfach zu vergessen.
Sie blickten auf den Lichtschein, der mittlerweile auf dem Kronleuchter Platz genommen hatte und herumflackerte und fragten: \"Sag uns, woher hast du das gewußt?\"
Der Lichtstrahl lachte. \"Vergeßt nicht, ich bin ein Sonnenstrahl und die Sonne weiß alles. Aber ihr hat es nicht gefallen, dass ihr euch so sehr zerstritten habt, dass ihr einen grossen Streit mit Bogenschützen ausgetragen hättet. Doch nun habt ihr euch ja wieder vertragen.\" Er löste sich von dem Kronleuchter und schwebte zum Fenster hinaus. \"Schon morgen früh wird die Sonne wieder für euch scheinen\", rief er noch, dann war er verschwunden und ließ die beiden erstaunten Könige allein in dem großen Saal zurück.

Oben auf dem Mond jubelten Gundur und Ero vor Freude als sie hörten, dass sich ihre Könige wieder vertragen hatten. \"Welch wunderbare Nachricht!\", riefen sie. Wie sehr hatten sie sich diesen Augenblick herbeigesehnt. Und nun war er da! \"Liebe Sonne, wie können wir dir nur für deine Hilfe danken?\"
\"Das habe ich doch gerne gemacht\", sagte die Sonne mit sanfter Stimme. \"Doch nun solltet ihr auf eure Planeten zurückkehren, damit das Mondfest weitergehen kann.\" Sie löste einen kleinen Lichtschein von ihrer Oberfläche und strich damit sanft über die rauhe Kraterlandschaft des Mondes. \"Lieber Bruder, es war schön, dass wir uns endlich einmal länger unterhalten konnten. Aber auch du solltest nun wieder deine Bahn ziehen\", sagte sie. \"Und wenn du möchtest, kannst du dir von nun an ein wenig mehr Zeit dabei lassen, damit die Leute auf Pantena und Montena das Mondfest länger feiern können.\"
\"Ich danke dir, liebe Schwester\", sagte der Mond und bebte zaghaft. \"Das mache ich gern.\" Mit einem seichten Ruck setzte er sich in Bewegung und schon bald war die Sonne nur noch als kleiner Punkt am Horizont zu erkennen. Gundur und Ero standen auf einem Felsen und winkten ihr zu. \"Danke!\", riefen sie, \"Hab vielen, vielen Dank!\"
Als sie nach langer Reise Pantena und Montena erreicht hatten, konnten sie schon von weiter Ferne die bunten Blitze der Feuerwerke sehen, die die Leute auf den beiden Planeten vor Freude entzündeten. Alle Traurigkeit war verschwunden und jeder freute sich schon auf den nächsten Tag, wenn die Sonne ihnen wieder das Morgenrot schenken würde.
Mit einem kleinen Ruck setzte sich der Mond auf seine alte Bahn um Pantena und gondelte noch ein paar Mal hin und her. Und als er es sich so richtig gemütlich gemacht hatte, leuchtete er wieder voll und hell am Nachthimmel. \"Es ist schön, wieder zu Hause zu sein,\" sagte er. \"Und auch für euch ist es jetzt Zeit, wieder auf eure Planeten zurückzukehren.\" Er wirbelte etwas Staub von seiner Oberfläche auf und pustete ihn nach Pantena und Montena. Im hellen Mondlicht glitzerten die kleinen Staubkörnchen in tausend Farben, schöner noch als der schönste Regenbogen. Auf diesem schimmernden Bogen aus Licht und Staub segelten die beiden Hofnarren zurück auf ihre Planeten. \"Kommt mich bald einmal besuchen\", hörten sie den Mond noch rufen, dann standen sie schon vor ihren Haustüren. \"Das machen wir bestimmt. Und vielen Dank für deine Hilfe\", flüsterten die beiden Hofnarren und blickten in den Nachthimmel empor, wo ihr Mond groß und hell leuchtete und für einen kleinen Augenblick hatten sie das Gefühl, als hätte er ihnen kurz zugeblinkt.

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