Der Tag, An Dem Es Bei Anton Schulz Klingelte

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jimKaktus

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Der Tag, An Dem Es Bei Anton Schulz Klingelte

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Er schaltete das Radio aus. Das schöne Lied war vorbei und der Abwasch fertig. Er nahm seinen Kaffeepot, schüttete den letzten Schluck Kaffee hinein, Milch dazu und ging bedächtig, ohne mit der nur halbvollen Tasse übermütig zu werden, in sein Arbeitszimmer. Dort lag auf dem Schreibtisch noch die Post vom Vortag. Die musste er vor dem Korrigieren noch durchsehen. Zuerst musste er auf die Toilette.

Als er zurückkam war der Kaffee kalt. Schmeckte trotzdem noch. Der erste Brief war die Telefonrechnung. Er schnitt ihn auf mit dem Lineal, prüfte den Rechnungsbetrag und heftete das Blatt zu seinen Vorgängern. Der zweite Brief behauptete Wichtig! zu sein. Was wirklich wichtig ist, braucht nicht darauf hinzuweisen. Dennoch, er war an ihn persönlich adressiert und sah ernstzunehmend aus.

Schulz hatte die Chance auf 100.000 Euro gewonnen. Papierkorb. Der Inhalt des nächsten Briefes war, zugegeben, interessant. Eine Zusatzrentenversicherungs-Police, er müsste nur das Formular unterschrieben zurückschicken und sie galt. Aber er hatte erst letzten Monat woanders abgeschlossen. Diese hier war von derselben Gesellschaft, die ihn gegen Unfälle, Ungerechtigkeit und Hausrat versicherte. Und war billiger. Darum hasste er Werbung.

Manchmal konnte Sie nützlich sein, wie als er eine neue Stereoanlage brauchte: Beim Säubern des Briefkastens streifte sein Blick die Titelseite eines Prospekts. Genau was er gesucht hatte. Für 30 Euro. Preisknüller des Monats. Nur solange der Vorrat reicht. Sofort nach dem Dienst ist er hingefahren. Schon beim Aussteigen auf dem U-Bahnsteig kamen sie ihm entgegen mit seinem Gerät. Im Laden, wo es gleich hinter dem Eingang aufgestapelt war, hatte sich ein Pulk darum gebildet. Neben »seinem« Gerät türmte sich ein anderes, das genau gleich aussah: rundlich, silbern, mit Kassettendeck vorne, CD-Player oben und es glotzte ihn an wie ein Außerirdischer mit seinen runden Lautsprechern. Es hatte ein Plus weniger und kostete fünf Euro mehr das Gerät vom Prospekt - weil es eine Marke war, wie ihm der Verkäufer erklärte. Nach weiteren Erklärungen stellte Schulz beiläufig fest, dass ihm jenes Plus, die Fähigkeit, wiederbeschreibbare CDs abzuspielen, egal sei. Der Verkäufer sagte, Schulz könne das Gerät auch für 30 Euro kriegen. Er dachte tatsächlich, Schulz wollte feilschen. Nun war also doch das andere »sein« Gerät. Einkaufen konnte Spaß machen.

Der nächste Brief - wo diesmal überhaupt nichts draufstand außer seiner Adresse - war von einem Buchclub. Indische Meditationszirkel, Reiseanbieter, alte Filme, Modellflugzeuge, Segelboote - es verblüffte ihn, dass in den Briefen überzufällig oft Gebiete vertreten waren, auf die sich seinerseits ein Interesse richtete. (Und er hatte stets gedacht, er sei das Gegenteil von Mainstream!) Aber er würde jetzt niemals auf die Idee kommen, eine Karte auszufüllen und abzuschicken. Da könnten sie ihm noch so viele Füllferderhalter offerieren.

Brief Nummer fünf handelte von Menschen wie Elke G. Müller, Arbeitsgemeinschaft der Haushüter-Agenturen, Gelnhausen: Ich war geschieden, arbeitslos und mit 40 schlecht vermittelbar. Da kam eine Freundin mit der Geschäftsidee an, mit einem Artikel über Haushüter-Agenturen. Das war eine Idee, die schien mir vernünftig. Ich habe sie dann umgesetzt und mein eigenes Unternehmen gestartet. Das habe ich erfolgreich aufbgebaut und nebenbei zwei Kinder allein großgezogen. Mein größter Engpass sind jetzt die Mitarbeiter. Ich bräuchte viel mehr. Frau Müller verdient jetzt um die 120.000 Euro im Jahr,... mit einer Idee, die sie durch uns kennengelernt hat. Als Deutschlehrer ergötzte ihn auch die Überschrift: Sie hätte sich fast 100.000 Euro entgehen lassen. Machen Sie nicht den gleichen Fehler! 100.000 Schulden oder was. Der Brief kam vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft und wollte aus ihm einen Unternehmer machen. Absurd. Und einen Abonnenten natürlich. Das erinnerte ihn an die Frau, die anrief, weil sie sich verwählt hatte, und dann noch mal, um zu sagen, dass sie seine Stimme toll fand und um ihn zum Essen einzuladen. Nur konnte sie grad nicht reden. Er sollte sie zurückrufen. Ihre Nummer lautete in etwa 01-903-64-...

Er war beim dritten Heft, Luise Lenz. Wenn er davon aufsah und wieder hinsah, wusste er nicht mehr, wo er gelesen hatte, da ihre Schrift so gleichmäßig war und rund und die Buchstaben m und n, genauso wie v, w und u nur aufgrund des Sinnzusammenhangs zu unterscheiden; nach eimer UUeile beganmen sie uor den Avgen zu tamzen. Doch nun klingelte es bei Schulz, und er ging zur Tür. Nicht unwahrscheinlich, dass es einer dieser Prospektverteiler war. Er nimmt den Hörer der Sprechanlage ab. Und wirklich: »Infopost!« radebrechte eine osteuropäische Männerstimme. Was für ein hübscher Euphemismus.

»Infopost???« Erst mal dumm stellen.

»Wie biete?«

»Infopost. Sie haben Infopost gesagt. Was ist das denn?«

Keine Antwort, dann doch. »Werbung«, sagte der Osteuropäer ganz selbstverständlich, als würde er Guten Tag sagen. Guten Tag hatte er nicht gesagt. Wenn sie ihm Werbung aufnötigten, konnten sie wenigstens Guten Tag sagen.

»Werrr-bung«, wiederholte der Klingler aufs Deutlichste.

Die Verteiler konnten natürlich nichts dafür, sie waren bloß Handlager, die froh waren, Arbeit zu haben. Sie waren sogar zu bewundern, diesen Job zu machen und sich dabei von Leuten anschnauzen zu lassen, die weniger verständnisvoll waren als Schulz, die sich nicht in die Lage des Verteilers versetzten, sondern nur die Vermüllung ihres Briefkasten sahen und zum Teil gewaltsam bekämpften. Schulz sagte freundlich: »Ach so, hm, da muss ich Ihnen sagen, ich mache aus Prinzip nicht auf. Haben Sie denn nicht mein Klingelschild gelesen.« Auf dem Klingelschild stand: ÖFFNET NICHT FÜR WERBUNG O. Ä.

Der Klingler schwieg. Er hörte ihn Knöpfe drücken - umsonst. Denn solange Schulz die Sprechanlage benutzte, konnte kein anderer Hausbewohner fragen, wer unten steht. Und niemand würde öffnen, ohne zu wissen für wen. Gern hätte Schulz aufgemacht, aber wie sollte er dem Mann dann beibringen, nicht mehr bei ihm zu klingeln? Es wäre pädagogisch falsch. O das hatten sie wieder mal geschickt organisiert, einen Russen zu schicken, der seinen Warnhinweis nicht verstand! Vielleicht ließ er mit sich reden.

»Für uns beide wäre es von Vorteil gewesen, wenn sie nicht bei mir geklingelt hätten.« Er hörte den Russen weggehen. Noch nicht ...

»Hallo, sind Sie noch da? Schade, grad wollte ich« Er drückte den Türöffner und hörte das Summen durch die Anlage. Dann ein paar schnelle Schritte. »Haha, reingelegt! Ich bin ein Mann von Prinzipien, merken Sie sich das. Aber nicht übel nehmen!« Der hatte seine Lektion. Sollte er doch weiter Prospekte bringen. Nur wollte Schulz nichts damit zu tun haben und nichts davon wissen. Es genügte, das Resultat - trotz vieler Verbotsschildchen - im Briefkasen zu finden. Jedesmal wenn er ihn ausmistete, wurde er wütend. Und mit Genugtuung erfüllte es ihn, alles Bunte unbesehen zusammenzuknüllen und sofort in den Karton zu feuern, den er unter den Briefkästen aufgestellt hatte und den er - auch für seine dankbaren Nachbarn - alle zwei Tage leerte. Über dem Karton prangte ein weiteres Schild: WERBUNG BITTE GLEICH HIER ABLADEN! Pfeil nach unten.

Schulz war noch nicht wieder bei der Korrektur der Hefte, da klingelte es erneut. Er bog vor dem Arbeitszimmer ab, um in der Küche aus dem Fenster zu schauen. An der Haustür war niemand. Der Prospektverteiler stand vor dem nächsten Aufgang und sah verdrossen aus. War er es gewesen? Es klingelte noch einmal. Schulz begab sich leise zur Tür. Durch den Spion erkannte er den Hausmeister.

Ein großer Mann, größer als er selbst, jedoch stämmiger - ein Wonneproppen mit Lachen auf dem breiten Gesicht, das sich zusammen mit der umgebenden blonden Lockenfrisur zu einem dicken Ballon rundete. Schulz löste die Sicherheitskette und hielt inne. Trug der Hausmeister für gewöhnlich so ein Lachen auf dem Gesicht? Erneut spähte er durchs Guckloch. Schulz hatte ihn eher als einen besorgten Mann im Gedächtnis, besorgt um Schulz' Toilette, für deren Stinken er keine Erklärung fand: »Ich kann mir das nicht erklären. Ich weiß nicht mehr weiter. Sie können es nur immer wieder mit dem Zeug« - einem Chemie-Pulver - »versuchen. Ich bin absolut ratlos. Keine Ahnung. So was ist mir noch nicht untergekommen.« Der Mann vor der Tür hingegen lachte onkelhaft aus allen Gesichtszügen ein Lachen, das ein Dauerzustand, ein Lebensgefühl zu sein schien; nicht übertrieben, nicht künstlich, sondern einfach voller Lebenslust und -genuss. Die Augen waren funkelnde Schlitze zwischen Wülsten; wulstig auch die Stirnfalten, während die Wangen feist und käsig und pockennarbig glänzten vom Schweiß, der die Schläfen hinab rann. Dazu ein breiter Mund - wie ein Froschmaul! - mit dünnen Lippen.

Schulz öffnete. Der Mann war wirklich ein Hüne und ganz gewiss nicht der Hausmeister. Die Optik des Spions hatte Schulz die Kleidung nicht berücksichtigen lassen: Khaki-Hosen, Oberhemd und darüber ein hellbrauner Sommermantel, in der Hand ein Hut in Olive. Diese Kleidung wirkte auf Schulz sonderbar vertraut. Ja, sie hätte sich bruchlos in seine eigene Garderobe eingliedern lassen.

»Sind Sie glücklich«, wollte der Mensch unmittelbar wissen. Bei »glücklich« senkte er die Stimme, statt sie zu heben, als stellte er keine Frage, sondern etwas fest, als wolle er nur sicherstellen, dass Schulz - Ausatmen - glücklich ist.

Darüber machte sich Schulz so gut wie nie Gedanken, aber eigentlich ... fühlte er sich glücklich, ja fühlte er, und sagte es.

Der Mann schätzte Schulz ab, scannte ihn, angefangen bei den Füßen, die in karierten Hauslatschen steckten, bis zum Kopf, der sich rötete - unangenehm ... Und der Mann zweifelte. Er legte den Ballonkopf schräg, verzog den Mund und kniff ein Auge zusammen, das in der verschwollenen Augenhöhle und hinterm Speck der Wange nun praktisch verschwand. Schulz fiel auf, dass der Mann so gut wie keine Augenbrauen besaß, was im Widerspruch zu seiner Lockenmähne stand. Keinesfalls war das der Hausmeister, der hatte buschige Augenbrauen, die in der Mitte zusammenwuchsen. Vielleicht dessen Bruder?

»Was wollen Sie? Kommen Sie vom Hausmeister?« Das war nur so dahingefragt, damit der Mann aufhörte, ihn zu mustern. Aus drei möglichen Gründen klingelte jemand Fremdes an der Tür: um Spenden zu sammeln; um etwas zu verkaufen; um deine Seele zu retten.

»Ich will, dass Sie glücklich sind. Wir haben das Gefühl, Sie sind nicht optimal versorgt.«

»Ich bin beides. Seien Sie beruhigt.«

Der Mann verdrehte die Augen - sie waren tief blau, wie Schulz jetzt sah - und sofort lächelte er wieder, gutmütig. Schulz war ein bockiges Kind, dem der gutmütige Mann eine Unflätigleit verzieh. Dies war der Moment mit einem Knallen die Tür zuzuschmettern. Schulz wollte nur noch etwas warten. Der Mann faszinierte ihn zu sehr.

»Kann ich reinkommen?«

»Sagen Sie mir erst, was Sie wollen.« Wie zufällig, wie von selbst begann sich die die Tür zu schließen. Eine Schutzautomatik gegen Eindringlinge.

»Ich will reinkommen.« Der Mann stellte seinen Fuß in die Tür, ohne die Ruhe und seinen überlegenen Charme fallenzulassen. Es war nur eine weitere Feststellung, so unwiderlegbar wie die Tatsache, dass er am Leben war und hier vor Schulz' Tür stand.

»Nehmen Sie den Fuß aus meiner Tür.«

»Haben Sie noch einen andern Vorschlag?«

»Also gut, ich lasse Sie reinkommen. Aber nur wenn ich erfahre, wer Sie sind und was Sie von mir wollen.«

»Sie sind aber misstrauisch. Ich bin Stanley und komme von der Firma.«

»Welche Firma?«

»Die Firma.«

» Hat die denn keinen Namen??«

»Nein, wozu? - - Mein Anliegen hab ich genannt.«

Schulz hatte gehofft, dass der Mann auf das Versprechen, reinkommen zu dürfen, die Tür freigeben würde - und hatte sich verrechnet. Der Mann, Schulz beiseite schiebend, trat ein.

»Wohin?«

Nirgendwohin. Wer sich so gewieft Zutritt verschaffte - Schulz dachte den Gedanken nicht zu Ende. »Das ist ja wohl eine Frechheit!« entfuhr es ihm. Es war eine absolute Frechheit und man konnte es sagen. Er packte den Mann am Ärmel, der wandte sich um und sah ihn ruhig an, ein wenig erstaunt. Schulz ließ ihn los, hielt jedoch noch an der Tür fest und an dem Zustand, dass der Mann draußen stand. Der Mann schaute sich um, ging ins Wohnzimmer und inspizierte es. Fassungslos beobachtete Schulz, wie er die Vitrine öffnete und ein Glas herausnahm und wieder zurückstellte. Der Mann machte wieder Feststellungen. Dann verschwand er in dem Raumteil, der von der Tür aus nicht einzusehen war.

Schulz schloss die Tür mit einigem Nachdruck. Das stärkte ihn. Er richtete sich auf. Er war Anton Schulz, Beamter, hatte einen Platz in der Gesellschaft und musste sich von so einem nicht dumm kommen lassen.

»Was erlauben Sie sich!« rief er ins Wohnzimmer.

»Sie haben es mir erlaubt!« rief es heraus.

Das hatte er nicht, und selbst wenn: er konnte es sich anders überlegt haben und durfte. Er lebte in einem Rechtsstaat.

Der Mann kniete vor der Schrankwand. Er hatte ein Schubfach geöffnet. »Sind das Ihre Tischdecken? Von Mutti? Und warum finde ich kein Lexikon. Sie sind doch ein Intellektueller.« Er öffnete die Klappe, in der das Kaffeeservice war. »Scheußlich. - Sie sind geizig. Und: hier fehlt weiblicher Geschmack. Aber Frauen mögen keine Geizhälse, nicht wahr?«

»Das geht Sie gar nichts an.«

»Würden Sie nicht zustimmen, dass Frauen keine Geizhälse mögen??? Sie beziehen es auf sich. Also sind Sie einer.«

»Ich habe ein Lexikon in meinem Arbeitszimmer.«

»Das schauen wir uns als nächstes an. Wenn ich hier fertig bin. - Was ist das! Sie brauchen schnell einen neuen Fernseher.« Er schaltete den Fernseher an.

»Was haben Sie gegen meinen Fernseher. Gut, Eiche rustikal ist Geschmackssache, aber er funktioniert noch einwandfrei und außerdem passt er zur Schrankwand.«

Der Mann schlug wiederholt mit der flachen Hand auf den Fernseher.

»Warum schlagen Sie meinen - hören Sie auf damit!!«

»Das Bild ist schlecht.« Er machte weiter und der Fernseher machte ein Geräusch, wie ein lautloser Furz. Dann war er aus. »Sehen Sie? Er ist kaputt.«

»Sie haben ihn kaputt gemacht!«

Der Mann studierte schon den CD-Ständer, der zu den modernsten Einrichtungsgegenständen im Raum zählte. »Wann haben Sie das letzte Mal eine CD gekauft.«

»Ich höre viel Radio. Ich zahl schließlich Gebühren.«

Der Mann schüttelte mitleidig den Kopf. »Wenn Sie zu wenig Geld haben, warum verändern Sie sich nicht? Machen Sie sich selbstständig.«

»Ich bin Lehrer.«

»Machen Sie eine eigene Schule auf. Über so was haben Sie noch nie nachgedacht, hab ich Recht? Sie haben wirklich überhaupt keinen Geschäftssinn.«
»Ich kann doch keine Schule aufmachen.«

»Wenn Sie sich das einreden, nicht. Nein.«

»Ich bin Deutschlehrer, Deutsch und Geographie. Es gibt aber noch andere Fächer.«

»Na und? Schule ist sowieso einseitig. Diversifizieren können Sie immer noch. Oder schließen sie sich mit andern Lehrern zusammen.«

»Das ist doch kompletter Blödsinn.«

»Nicht unbedingt. Aber lassen Sie es Blödsinn sein, machen Sie was Anderes. Was, ist letztlich egal. Es sollte bloß eine Anregung sein. Wichtig ist, dass Sie Ihre Augen öffnen für die unendlich vielen Geschäftsmöglichkeiten, die, wo Sie auch sind, nach Verwirklichung schreien. Ja, schreien. Sie müssen nur zu den Ersten gehören, die Sie wahrnehmen. Dann werden Sie reich.«

»Ich will das aber nicht.«

»Kaufen Sie wenigstens mehr. Einen neuen Fernseher. Eine komplette Wohnzimmereinrichtung. Legen Sie doch dem Leben keine Steine in den Weg. Tun Sies für Ihr Land. Sie sind doch im Staatsdienst. Alle Räder stehen still, wenn dat Kind nich kaufen will. Lesen Sie Zeitung? Die Rede des Bundespräsidenten? Kauft! Liebe Bundesbürger, nutzt euer Geld, bringt es in die Läden. Ihr bekommt es doch zurück! Der Mann ist fertig. Ein Wrack. Auch die Regierung überlegt, wie sie den Konsum ankurbeln kann. Der Bundestag hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, dass das Werben mit elektronischen Medien erleichtert.«

Schulz hörte nicht mehr zu. Er überlegte, ob an dem Gewese um Geschäftsideen nicht doch etwas dran sein könnte. Der Brief heute hatte doch Ähnliches behauptet. Ein ausgebeuteter Konsument wollte er jedenfalls am allerwenigsten sein. Und Unternehmer? Sie haben einen Vorsprung gegenüber 97 Prozent der Deutschen!, informierte ihn der Brief. Sie haben Unternehmergeist und das Know-how, das man braucht, um ein Geschäft zu betreiben. Verschwenden Sie diese Fähigkeiten nicht für wenig einträgliche Dinge. Die Worte waren ihm gut in Erinnerung. Vielleicht gab man bewusst ihm die Chance, zu den Herrschenden zu gehören. »Man« - wer auch immer das war. Jemand, der Bescheid wusste. Eine höhere Intelligenz, die geschickt die Geschicke lenkte, könnte durchaus existieren. Vieles in seinem Leben hatte sich so harmonisch, so scheinbar planmäßig entwickelt. Das gemeinsame Eintreten einiger höchst unwahrscheinlicher Ereignisse und Entwicklungen war durch den Zufall allein nicht erklärbar.

»... die Preise sind niedrig wie nie. Die Wirtschaft tut doch nun wirklich alles, um« Der Mann predigte immer noch die Bürgerpflicht des Kaufens. Seine Augen waren riesig und der Schweiß stand ihm auf der Stirn.

»Ja, Sie haben - Sie haben Recht. Lassen Sie mich - Ja. - Ja, ich sehs ja ein. Also lassen Sie, passen Sie auf: Ich werde ein paar Anschaffungen machen. Ich verspreche es. - Wirklich, ich schwörs. - Wie wärs damit: Sie haben doch bestimmt etwas dabei, das Sie verkaufen möchten.«

Der Mann fasste sich wieder. »Ich hab da so ein paar Postkarten. Wirklich hübsch.« Sie zeigten Bürotürme verlustreicher Konzerne, Limousinen, Messestände, Betriebsfeiern, Wachstumskurven - alles fotografiert von ehemaligen Topmanagern, wobei der eine oder andere sehr bekannt gewesen sei.

»Kann ich nicht Ihren Mantel haben? Fünfzig Euro.«

Es gelang dem Mann, Schulz das Dreifache dafür abzunehmen. Schulz hatte keine andere Wahl. Er zahlte mit Karte. Der Mann war anders nicht loszuwerden und sich dessen bewusst. Wer weiß, was er noch für Schaden angerichtet hätte. Er ging schließlich, vergaß jedoch seinen Hut, den er in der Hand gehalten und zum Mantelausziehen aufs Sofa gelegt hatte. Zwei Minuten später klingelte es erneut an der Wohnungstür. Schulz, den Hut in der Hand, riss die Tür auf, um ihn dem Mann entgegenzuschleudern. Aber es war nicht der Mann.

Draußen stand ein sechsbeiniger Roboter von der Größe eines Erstklässlers, und im »Gesicht« war er Schulz' Stereoanlage verwandt. Doch hatte er die Lautsprecher an den Händen seiner langen Tentakelarme. Schulz hatte sie erst für Saugnäpfe gehalten. »Ich bin AngeBot 500«, sang eine weiche Telefonansagestimme. »Ich bringe Ihnen die neuesten und günstigsten Angebote und teile Sie Ihnen mit, bis Sie das richtige für sich gefunden haben. Angebot eins:« Sie sprach plötzlich mit einer Männerstimme, die ihm bekannt vorkam. »Wie gayt's?? Zuviel Arbeit? Kein Geld? Machen Sie’s wie Gates!«

Schulz schmiss die Tür zu und machte klappernd die Kette davor. Was, wenn das Ding Raketen hatte. Pflopf. Pflopf. Der Roboter hatte sich an der Tür festgesaugt und benutzte Schulz' Wohnung als Resonanzraum. »ZWEIKOMMASECHSSECHS GIGAHERTZ INTELPENTIUM-PROZESSOR-120 GIGABYTEFESTPLATTE-HUNDERTFACH CDRW-BRENNER-UND ...« Schulz merkte, dass er wahnsinnig wurde.
 

Yamana

Mitglied
der titel sagt es: wenn es klingelt wirds interessant...
vorher ist es endlos und nicht sehr erbaulich. so, als hättest du bis zum 'klingeln' nicht gewusst, was deinem inhalt form geben kann. tip: lass den ganzen anfang weg, komm früh zum punkt und die story wird ganz knackig.
gruss y.
 

jimKaktus

Mitglied
Hi Y.,

schade, dass dir der Anfang nicht gefällt. Ist dir zu psychologisch, wa? Schulz setzt sich mit diesen Dingen sehr genau auseinander. Ich möchte sein Verhältnis zu Werbung und Konsum (aber auch die Macht oder Ohnmacht der Werbung und den Missstand einer rechtlich zulässigen Manipulation insbes. im Fall von "Infopost") präzise darstellen, damit klar wird, warum die "Firma" persönlich ihn besuchen kommt. Die Wahrnehmungsprobleme hinsichtlich der Kinderschrift und seines Besuchers (Spion-Stelle) sind mir auch wichtig, um sein Verrücktwerden (dessen zeitlicher Beginn unsicher ist) vorzubereiten.

Gruß,
jim
 



 
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