Der Tod der Klara Wiegmann

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HajoBe

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Reglos ruht Klara, im Kopf ein Knäuel wirrer Gedanken. Sie lauscht in die Nacht und die Stille der Angst und den Krebszellen, die an ihrem jungen Körper fressen. Hätte Marc nicht noch warten können? Muss er gerade jetzt mit Elfi, ihrer besten Freundin…? Es hatte doch alles so harmonisch begonnen, die gemeinschaftliche Arztpraxis - wir drei eben.
Mühsam erhebt sie sich, schlingt das Seidentuch enger um ihren kahlen Schädel und verschnürt mit zitternden Händen das kleine Päckchen. "Streng vertraulich!" lässt sie den Adressaten wissen.
Ob Marc ihr noch eine Gute Nacht…? Er ist wohl bei der anderen…

"Wie hast du geschlafen?", begrüßt Elfi sie am anderen Morgen. "Wir sollten die Chemo-Infusion jetzt anschließen. Sie hängt seit gestern Abend, als du mich deine eigenartige Ablehnung spüren ließt."
Diese scheinheilige Schlange! Klara weigert sich strikt zu reden, schon gar nicht über die Sache mit Marc. Wozu noch? Sie hasst sie beide mehr, als diese elende Krankheit.
"Ich muss los, Klara. Marcs Op-Tag. Er mault, wenn ich nicht pünktlich die Narkose einleite. Soll ich das Päckchen für dich aufgeben? - Kanada? Dein Bruder? Ihr habt doch seit Jahren keinen Kontakt…"
Sie reguliert den Tropf und wendet sich zur Tür.
"Tschüss, bis später! Versuch ein wenig zu schlafen!"

Klara wendet sich grußlos zur Wand. Zügig fallen die Tropfen, verteilen sich in ihren ausgemergelten Körper. Die Minuten verrinnen. Schweiß perlt auf der Stirn. Sie greift nach dem Telefon. Die Augen weit aufgerissen windet sie sich, keucht, ihr Leib krampft, zuckt, die Atmung stockt, sie erschlafft…ist still. Der Hörer entgleitet ihrer Hand.
"Polizeikommissariat 4, bitte sprechen Sie!", tönt es aus der Muschel.
"Hallo, bitte sprechen Sie! Sind Sie noch in der Leitung?"

Zwei Streifenwagen blinken vor der Praxis.
"Haben Sie uns gerufen?"
Die Putzfrau öffnet zögernd.
"Was sollte ich machen? Ich fand die Frau Doktor tot…", stottert sie sichtlich verstört und wischt Tränen aus dem make-up-verschmierten Gesicht.
"Und warum haben Sie zweimal telefoniert und beim ersten Mal nicht geantwortet?", fragt der Beamte.
"Stimmt nicht, nur einmal habe ich die 110 gewählt. Kurz zuvor hatte ich nach ihr gesehen", stammelt sie schluchzend, "sie schlief, atmete so komisch. Kann ich jetzt gehen?"
"Ja, aber halten Sie sich zu unserer Verfügung!"
Sie schwankt kopfschüttelnd hinaus. Die Angestellten der Praxis nebenan stehen unschlüssig, warten und tuscheln. Ahnen die etwas? Polizei…hier bei uns?

Marc und Elfi sind eingetroffen. Fassungslos, wie versteinert hängen sie in den Sesseln. Marc kämpft mit den Tränen, Elfi verbirgt ihr aschfahles Gesicht in den Händen.
"Herr Dr. Böhm", hebt Kommissar Wagner an, "wir wissen inzwischen, dass Ihre Frau an Krebs erkrankt war. Aber wie erklären Sie beide sich diesen plötzlichen Tod? Der Notarzt hegt Zweifel an einem krankheitsbedingten Ableben."
"Was wollen Sie damit andeuten, Herr Kommissar Wagner?", erregt sich Marc.
"Nun, Sie werden verstehen, dass wir die Staatsanwaltschaft einschalten müssen."
Elfi lehnt bibbernd an Marcs Schulter, krampft ihre Finger um sein Handgelenk.
"Der Raum wird versiegelt, bis die KTU ihre Arbeit abgeschlossen hat", fährt Wagner unbeeindruckt fort. "Bitte, haben Sie Verständnis! Und…natürlich mein Beileid!"
Ein gequältes Lächeln begleitet seine letzten Wort. Den Lederblouson zugeknöpft - wie seine ganze Art - wendet er sich eilig zum Ausgang.

Weiß verhüllte Männer durchsuchen die Wohnräume. Die Leiche wird in die Rechtsmedizin verbracht. Telefonisch ergeht die Anweisung an Marc und Elfi, sich ständig zur Verfügung zu halten.

Elfi verbringt den Abend bei Marc. Nahe kommen sie sich nicht in dieser Nacht. In Trauer und Entsetzen mischt sich ein gegeneinander gehegter, noch unausgesprochener Verdacht.
"Vielleicht war es ja eine plötzlich einsetzende innere Blutung? Ein metastasenbedingter, zentraler Hirntod?", mutmaßt Marc.
"So, so! Na, die Obduktion wird es ja erweisen, oder…willst du mir etwas sagen?"
Elfi ist voll zwiespältiger Zweifel, ringt nach Erklärungen. Über ihre Beziehung breitet sich der Schatten quälender Ungewissheit, versteckten Misstrauens.
"Marc, hör mal, Klara war meine beste Freundin und verdammt krank!"
"Na und! Sie war meine Frau und ist tot! Genügt dir das?"
Wutentbrannt fegt er die leere Whiskyflasche mit dem Fuß über den Teppich.
"Scheiße, Elfi, du warst die Letzte bei ihr!"
Sie verliert die Fassung, ohrfeigt ihn und stürzt hinaus. Marc wirft sich wimmernd auf die Couch. "Das ist doch alles nicht wahr…!"

An der Praxispforte ein Schild. "Geschlossen!" Das Personal wird vernommen. Gegen Mittag das Telefon: "Herr Dr. Böhm und Frau Dr. Lüders, finden Sie sich, bitte, um 15 Uhr auf dem Polizeipräsidium ein, Zimmer 68!"

Kommissar Wagner blickt nicht auf, blättert in den Akten. Dann trifft sein eindringlicher Blick die beiden Ärzte.
"Ihre Frau bzw. Freundin ist an einer tödlichen Überdosis Barbiturat und Pancuronium, einem Curarepräparat, gestorben. Haben Sie hierfür eine Erklärung?"
Die beiden zucken zusammen. Elfi greift nach Marcs Hand, der mit den Tränen kämpft, sie hasserfüllt anstarrt und voll Abscheu ihre Hand abwehrt.
"Sie war unheilbar krebskrank", bringt sie kaum hörbar hervor.
"Daran ist sie nicht gestorben", erwidert Wagner kühl.
"Aber", Elfi ist leichenblass, die Stimme droht ihr zu versagen, "ich verstehe nichts, gar nichts."
"Frau Dr. Lüders, wir haben Rest der tödlichen Medikamente in und ihre Fingerabdrücke an Infusionsflasche und -besteck nachgewiesen; außerdem ein winziges Loch, durch welches die Mittel in den Plastikbehälter injiziert wurden. Sie sind Anästhesistin, haben Zugang zu derartigen Narkotika."
Er zögert kurz, als wollte er der Wirkung seiner Worte auf Elfi Nachdruck verleihen.
"Die Praxis wird versiegelt, wir überprüfen Bücher und Giftbestände. Sie haben keinen Zutritt!"
Elfi ist in ihrem Sessel zusammengesunken, ringt verzweifelt um Beherrschung.
"Wir müssen Sie beide in Polizeigewahrsam nehmen", hört sie wie in Trance.
"Der Staatsanwalt ist eingeschaltet", wendet Wagner sich nochmals an beide.
"Ich rate Ihnen zu einem Anwalt. Das Weitere entscheidet der Haftrichter."
Er macht Anstalten, den Raum zu verlassen.
"Herr Kommissar Wagner, was geht hier vor? Welche Ungeheuerlichkeit werfen Sie uns vor?"
Marc ist außer sich aufgesprungen.
"Was wollen Sie uns anhängen. Ich habe meine Frau verloren."
"Könnte es sein, dass einer von Ihnen dabei nachgeholfen hat?"
Der Kommissar hält kurz inne.
"Falls Sie es zugeben, könnten Sie sich und uns einiges ersparen. Und…wo sind eigentlich die leeren Ampullen und die Injektionsspritze abgeblieben?"
"Ich…äh, wir haben nichts damit zu tun, uns…äh, mich trift keinerlei Schuld", erzürnen sich beide abwechselnd.
"Das wird sich herausstellen. Folgen Sie dem Kollegen zum polizeilichen Erkennungsdienst!"
Elfi wankt gestützt auf eine Beamtin hinaus. Marc folgt, würdigt sie keines Blickes.

Der Haftrichter hat den Ausführungen des Kommissars, des Staats- sowie Rechtsanwaltes aufmerksam zugehört.
"Frau Dr.Lüders", fährt der Staatsanwalt fort, "auf der Infusionsflasche und dem Besteck wurden ausschließlich Ihre Fingerabdrücke festgestellt. Sie waren die Letzte, die bei Ihrer Freundin zugegen war. Sie haben die Infusion in Gang gesetzt. Und Sie beide haben nach Aussage Ihrer Putzfrau und des Praxispersonals seit einiger Zeit - sagen wir - eine Beziehung, von der die Getötete offenbar erst kürzlich erfahren hat. Sie hatten mutmaßlich beide ein Interesse daran, Ihre Frau bzw. Freundin zu beseitigen", und wendet sich dem Richter zu.
"Da Flucht- und Verdunkelungsgefahr besteht", erläutert dieser, "ordne ich gemäß § 112 StPO Untersuchungshaft an. Die Anklageschrift geht Ihnen zu."
Er nickt in die Runde und verlässt den Raum mit dem abschließenden Satz: "Ein Geständnis käme Ihnen und uns entgegen. Guten Tag!"

Der Anwalt nimmt die beiden, die total entgeistert immer noch nichts begriffen zu haben scheinen, zur Seite.
"Sie sollten sich einigen, wen ich vertreten soll und eventuell einen Kollegen hinzuziehen, da sich augenscheinlich zwischen Ihnen ein Interessenkonflikt mit gegenseitiger Schuld- zuweisung anzubahnen scheint. Es geht hier um vorsätzliche Tötung, wenn nicht Mord, günstigstenfalls um Tötung auf Verlangen sowie Beihilfe. Alles ist strafbar, Sie wissen das."

Der Prozess verläuft unter großer öffentlicher Anteilnahme. In der Beweisaufnahme verdichtet sich der Tatverdacht gegen Elfi im Gegensatz zu Marc immens.
Schlussendlich ergeht ein auf Indizien gestütztes und nicht unumstrittenes, später höherinstanzlich bestätigtes Urteil: Eine mehrjährige Haftstrafe für Elfi wegen vorsätzlicher Tötung. Eine Mordanklage wird fallen gelassen. Eine Tötung auf Verlangen verwirft das Gericht als haltlose Schutzbehauptung. Der Freispruch für Marc erfolgt mangels Beweisen. Doch ihn trifft Elfis abgrundtiefer Hass!

Zwei Jahre darauf erreicht die Staatsanwaltschaft ein Päckchen aus Kanada, darin ein zweites, ungeöffnetes kleineres, sowie ein Brief:
"Sehr geehrte Damen und Herren!
Ausweglose Angst und Verzweiflung aufgrund meiner unheilbaren Erkrankung hätte ich ertragen, nicht aber, was meine beste Freundin mir angetan hat. Ich habe die tödliche Dosis in die Infusion injiziert und alle Spuren beseitigt. Sie wird mich - ohne es zu wissen - töten…erlösen…und büßen für den Verrat an mir."
Gez.: Klara Wiegmann

PS: "Es war der letzte Wunsch an meinen Bruder, dem ich dafür all meinen Besitz vermacht habe, das ungeöffnete Päckchen zwei Jahre nach meinem Tod an Sie zu senden…mit den leeren Ampullen und der Spritze."
 

Wipfel

Mitglied
Hi,

ein Kurzkrimi? Nachteil ist, dass du den komplexen Stoff - der eigentlich die Zeit eines Tatorts ausfüllen würde - so komprimieren musst, dass die einzelnen Charaktere zu kurz kommen. Immer wichtig: der Kommissar. Weißt du, was ich meine? Ich denke, du könntest ohne große Probleme den Stoff zum Kriminalroman verarbeiten.

"Was wollen Sie damit andeuten, Herr Kommissar Wagner?", erregt sich Marc.
Zum Einen: Woher kennt Marc den Kommissar beim Namen? Hab nicht gelesen, dass er sich vorgestellt hätte. Zum anderen - so redet kein Mensch. Vorschlag: "Was genau meinen Sie?" Und nicht zuletzt wurde der Name Wagner im vorhergehenden Satz schon erwähnt.

Dennoch: sauber geschrieben und gern gelesen.

Grüße von wipfel

PS: Bei der Namensgebung der Protagonisten wünsche ich dir mehr Kreativität und Phantasie.
 

HajoBe

Mitglied
Der Tod der Klara Wegmann

Hallo Wipfel,
danke für dein Interesse und die positiven und kritischen Anmerkungen.
Der Text war Aufgabe einer Schreibwerkstatt und die Vorgaben lauteten: Nicht mehr als 120 Zeilen. Sicher könnte man daraus einen ganzen Roman machen.
Sobald ich Zeit finde, werde ich den Text deinen Vorschlägen nach, die einleuchten, ein wenig frisieren…
Schönes WE
HajoBe
 

Lomil

Mitglied
Hallo HajoBe

Die Rache der betrogenen Ehefrau. Ein immer wieder kehrendes Thema in der Literatur. Obwohl der Leser ahnte, dass sie selbst ihren eigenen Tod inszeniert hatte, war nicht erkennbar wie. Perfide Bestrafung derer die sie betrogen haben. Großartig gelöst. Spannend bis zum Schluss.

Gruß Lomil
 

HajoBe

Mitglied
Der Tod der Klara Wegmann

Hallo Lomil,
danke für deine Meinung zu dem kleinen Krimi!
Ja, so kann es gehen…manchmal.
Schönes WE
LG HajoBe
 

HajoBe

Mitglied
Reglos ruht Klara, im Kopf ein Knäuel wirrer Gedanken. Sie lauscht in die Nacht und die Stille der Angst und den Krebszellen, die an ihrem jungen Körper fressen. Hätte Marc nicht noch warten können? Muss er gerade jetzt mit Elfi, ihrer besten Freundin…? Es hatte doch alles so harmonisch begonnen, die gemeinschaftliche Arztpraxis - wir drei eben.
Mühsam erhebt sie sich, schlingt das Seidentuch enger um ihren kahlen Schädel und verschnürt mit zitternden Händen das kleine Päckchen. "Streng vertraulich!" lässt sie den Adressaten wissen.
Ob Marc ihr noch eine Gute Nacht…? Er ist wohl bei der anderen…

"Wie hast du geschlafen?", begrüßt Elfi sie am anderen Morgen. "Wir sollten die Chemo-Infusion jetzt anschließen. Sie hängt seit gestern Abend, als du mich deine eigenartige Ablehnung spüren ließt."
Diese scheinheilige Schlange! Klara weigert sich strikt zu reden, schon gar nicht über die Sache mit Marc. Wozu noch? Sie hasst sie beide mehr, als diese elende Krankheit.
"Ich muss los, Klara. Marcs OP-Tag. Er mault, wenn ich nicht pünktlich die Narkose einleite. Soll ich das Päckchen für dich aufgeben? - Kanada? Dein Bruder? Ihr habt doch seit Jahren keinen Kontakt…"
Sie reguliert den Tropf und wendet sich zur Tür.
"Tschüss, bis später! Versuch ein wenig zu schlafen!"

Klara wendet sich grußlos zur Wand. Zügig fallen die Tropfen, verteilen sich in ihren ausgemergelten Körper. Die Minuten verrinnen. Schweiß perlt auf der Stirn. Sie greift nach dem Telefon. Die Augen weit aufgerissen windet sie sich, keucht, ihr Leib krampft, zuckt, die Atmung stockt, sie erschlafft…ist still. Der Hörer entgleitet ihrer Hand.
"Polizeikommissariat 4, bitte sprechen Sie!", tönt es aus der Muschel.
"Hallo, bitte sprechen Sie! Sind Sie noch in der Leitung?"

Zwei Streifenwagen blinken vor der Praxis.
"Haben Sie uns gerufen?"
Die Putzfrau öffnet zögernd.
"Was sollte ich machen? Ich fand die Frau Doktor tot…", stottert sie sichtlich verstört und wischt Tränen aus dem make-up-verschmierten Gesicht.
"Und warum haben Sie zweimal telefoniert und beim ersten Mal nicht geantwortet?", fragt der Beamte.
"Stimmt nicht, nur einmal habe ich die 110 gewählt. Kurz zuvor hatte ich nach ihr gesehen", stammelt sie schluchzend, "sie schlief, atmete so komisch. Kann ich jetzt gehen?"
"Ja, aber halten Sie sich zu unserer Verfügung!"
Sie schwankt kopfschüttelnd hinaus. Die Angestellten der Praxis nebenan stehen unschlüssig, warten und tuscheln. Ahnen die etwas? Polizei…hier bei uns?

Marc und Elfi sind eingetroffen. Fassungslos, wie versteinert hängen sie in den Sesseln. Marc kämpft mit den Tränen, Elfi verbirgt ihr aschfahles Gesicht in den Händen.
"Herr Dr. Böhm", hebt der Kommissar an, "wir wissen inzwischen, dass Ihre Frau an Krebs erkrankt war. Aber wie erklären Sie beide sich diesen plötzlichen Tod? Der Notarzt hegt Zweifel an einem krankheitsbedingten Ableben."
"Was wollen Sie damit andeuten?", erregt sich Marc.
"Nun, Sie werden verstehen, dass wir die Staatsanwaltschaft einschalten müssen."
Elfi lehnt bibbernd an Marcs Schulter, krampft ihre Finger um sein Handgelenk.
"Der Raum wird versiegelt, bis die KTU ihre Arbeit abgeschlossen hat", fährt der Ermittler unbeeindruckt fort. "Bitte, haben Sie Verständnis! Und…natürlich mein Beileid!"
Ein gequältes Lächeln begleitet seine letzten Wort. Den Lederblouson zugeknöpft - wie seine ganze Art - wendet er sich eilig zum Ausgang.

Weiß verhüllte Männer durchsuchen die Wohnräume. Die Leiche wird in die Rechtsmedizin verbracht. Telefonisch ergeht die Anweisung an Marc und Elfi, sich ständig zur Verfügung zu halten.

Elfi verbringt den Abend bei Marc. Nahe kommen sie sich nicht in dieser Nacht. In Trauer und Entsetzen mischt sich ein gegeneinander gehegter, noch unausgesprochener Verdacht.
"Vielleicht war es ja eine plötzlich einsetzende innere Blutung? Ein metastasenbedingter, zentraler Hirntod?", mutmaßt Marc.
"So, so! Na, die Obduktion wird es ja erweisen, oder…willst du mir etwas sagen?"
Elfi ist voll zwiespältiger Zweifel, ringt nach Erklärungen. Über ihre Beziehung breitet sich der Schatten quälender Ungewissheit, versteckten Misstrauens.
"Marc, hör mal, Klara war meine beste Freundin und verdammt krank!"
"Na und! Sie war meine Frau und ist tot! Genügt dir das?"
Wutentbrannt fegt er die leere Whiskyflasche mit dem Fuß über den Teppich.
"Scheiße, Elfi, du warst die Letzte bei ihr!"
Sie verliert die Fassung, ohrfeigt ihn und stürzt hinaus. Marc wirft sich wimmernd auf die Couch. "Das ist doch alles nicht wahr…!"

An der Praxispforte ein Schild. "Geschlossen!" Das Personal wird vernommen. Gegen Mittag das Telefon: "Herr Dr. Böhm und Frau Dr. Lüders, finden Sie sich, bitte, um 15 Uhr auf dem Polizeipräsidium ein, Zimmer 68!"

Der Kommissar blickt nicht auf, blättert in den Akten. Dann trifft sein eindringlicher Blick die beiden Ärzte.
"Ihre Frau bzw. Freundin ist an einer tödlichen Überdosis Barbiturat und Pancuronium, einem Curarepräparat, gestorben. Haben Sie hierfür eine Erklärung?"
Die beiden zucken zusammen. Elfi greift nach Marcs Hand, der mit den Tränen kämpft, sie hasserfüllt anstarrt und voll Abscheu ihre Hand abwehrt.
"Sie war unheilbar krebskrank", bringt sie kaum hörbar hervor.
"Daran ist sie nicht gestorben", erwidert Wagner kühl.
"Aber", Elfi ist leichenblass, die Stimme droht ihr zu versagen, "ich verstehe nichts, gar nichts."
"Frau Dr. Lüders, wir haben Rest der tödlichen Medikamente in und ihre Fingerabdrücke an Infusionsflasche und -besteck nachgewiesen; außerdem ein winziges Loch, durch welches die Mittel in den Plastikbehälter injiziert wurden. Sie sind Anästhesistin, haben Zugang zu derartigen Narkotika."
Er zögert kurz, als wollte er der Wirkung seiner Worte auf Elfi Nachdruck verleihen.
"Die Praxis wird versiegelt, wir überprüfen Bücher und Giftbestände. Sie haben keinen Zutritt!"
Elfi ist in ihrem Sessel zusammengesunken, ringt verzweifelt um Beherrschung.
"Wir müssen Sie beide in Polizeigewahrsam nehmen", hört sie wie in Trance.
"Der Staatsanwalt ist eingeschaltet", wendet der Beamte sich nochmals an beide.
"Ich rate Ihnen zu einem Anwalt. Das Weitere entscheidet der Haftrichter."
Er macht Anstalten, den Raum zu verlassen.
"Herr Kommissar, was geht hier vor? Welche Ungeheuerlichkeit werfen Sie uns vor?"
Marc ist außer sich aufgesprungen.
"Was wollen Sie uns anhängen. Ich habe meine Frau verloren."
"Könnte es sein, dass einer von Ihnen dabei nachgeholfen hat?"
Der Kommissar hält kurz inne.
"Falls Sie es zugeben, könnten Sie sich und uns einiges ersparen. Und…wo sind eigentlich die leeren Ampullen und die Injektionsspritze abgeblieben?"
"Ich…äh, wir haben nichts damit zu tun, uns…äh, mich trift keinerlei Schuld", erzürnen sich beide abwechselnd.
"Das wird sich herausstellen. Folgen Sie dem Kollegen zum polizeilichen Erkennungsdienst!"
Elfi wankt gestützt auf eine Beamtin hinaus. Marc folgt, würdigt sie keines Blickes.

Der Haftrichter hat den Ausführungen des ermittelnden Beamten, des Staats- sowie Rechtsanwaltes aufmerksam zugehört.
"Frau Dr.Lüders", fährt der Staatsanwalt fort, "auf der Infusionsflasche und dem Besteck wurden ausschließlich Ihre Fingerabdrücke festgestellt. Sie waren die Letzte, die bei Ihrer Freundin zugegen war. Sie haben die Infusion in Gang gesetzt. Und Sie beide haben nach Aussage Ihrer Putzfrau und des Praxispersonals seit einiger Zeit - sagen wir - eine Beziehung, von der die Getötete offenbar erst kürzlich erfahren hat. Sie hatten mutmaßlich beide ein Interesse daran, Ihre Frau bzw. Freundin zu beseitigen", und wendet sich dem Richter zu.
"Da Flucht- und Verdunkelungsgefahr besteht", erläutert dieser, "ordne ich gemäß § 112 StPO Untersuchungshaft an. Die Anklageschrift geht Ihnen zu."
Er nickt in die Runde und verlässt den Raum mit dem abschließenden Satz: "Ein Geständnis käme Ihnen und uns entgegen. Guten Tag!"

Der Anwalt nimmt die beiden, die total entgeistert immer noch nichts begriffen zu haben scheinen, zur Seite.
"Sie sollten sich einigen, wen ich vertreten soll und eventuell einen Kollegen hinzuziehen, da sich augenscheinlich zwischen Ihnen ein Interessenkonflikt mit gegenseitiger Schuldzuweisung anzubahnen scheint. Es geht hier um vorsätzliche Tötung, wenn nicht Mord, günstigstenfalls um Tötung auf Verlangen sowie Beihilfe. Alles ist strafbar, Sie wissen das."

Der Prozess verläuft unter großer öffentlicher Anteilnahme. In der Beweisaufnahme verdichtet sich der Tatverdacht gegen Elfi im Gegensatz zu Marc immens.
Schlussendlich ergeht ein auf Indizien gestütztes und nicht unumstrittenes, später höherinstanzlich bestätigtes Urteil: Eine mehrjährige Haftstrafe für Elfi wegen vorsätzlicher Tötung. Eine Mordanklage wird fallen gelassen. Eine Tötung auf Verlangen verwirft das Gericht als haltlose Schutzbehauptung. Der Freispruch für Marc erfolgt mangels Beweisen. Doch ihn trifft Elfis abgrundtiefer Hass!

Zwei Jahre darauf erreicht die Staatsanwaltschaft ein Päckchen aus Kanada, darin ein zweites, ungeöffnetes kleineres, sowie ein Brief:
"Sehr geehrte Damen und Herren!
Ausweglose Angst und Verzweiflung aufgrund meiner unheilbaren Erkrankung hätte ich ertragen, nicht aber, was meine beste Freundin mir angetan hat. Ich habe die tödliche Dosis in die Infusion injiziert und alle Spuren beseitigt. Sie wird mich - ohne es zu wissen - töten…erlösen…und büßen für den Verrat an mir."
Gez.: Klara Wiegmann

PS: "Es war der letzte Wunsch an meinen Bruder, dem ich dafür all meinen Besitz vermacht habe, das ungeöffnete Päckchen zwei Jahre nach meinem Tod an Sie zu senden…mit den leeren Ampullen und der Spritze."
 



 
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