Der Treppengott

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majissa

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Jedes kretische Haus weist eine mehr oder minder funktionstüchtige Treppe auf. Selbst die äußeren Treppen, die am Haus oder um das Haus herumführen, halten enormes Gewicht aus und bröckeln nur leicht, wenn man etwas schneller geht oder die Stufen hinaufspringt. Im Inneren finden sich meist Wendeltreppen, die von der untersten Etage bis in das Dachgeschoss führen, aber von Stockwerk zu Stockwerk so schmal werden, dass man gezwungen ist, seitlich hinaufzusteigen. Es gibt auch Treppen, die aus feinstem Holz gearbeitet sind und in abenteuerlichen Windungen und Knicken durch die gesamte Wohnung führen, bevor sie die erste Steigung nach oben machen. Giorgis‘ Treppe ins Schlafzimmer mündet knapp unter der Deckenbeleuchtung in eine Art Hängebrücke, aus der mehrere Planken herausgebrochen sind.

”Ihr müsst wissen, Kinder...“ erklärte er, als wir die einzigartige Konstruktion begutachteten, „...dass ich keine Frau mehr habe, die mir die Nacht zum Abenteuer macht. Dafür gibt’s nun meine Brücke, die insgesamt 15 Meter misst und geradewegs ins Bett führt. Es ist jedesmal spannend. Komme ich unbeschadet rüber oder breche ich mir die Knochen? Ich weiß das nie. Manchmal schalte ich vorher das Licht aus und klettere über das morsche Holz. Dann macht es plötzlich ”Knack” und mein rechtes Bein sackt ein. Mit dem linken klammere ich mich an der Seilführung fest, die ich vorsorglich an mehreren Stellen angesägt habe, um die Sache aufregender zu gestalten, und meinen Zahn grabe ich in die erstbeste Planke, die ich zu fassen kriege. Wenn das Ganze dann wie wild zu wackeln beginnt, könnte ich vor Freude platzen.”
”Aber das ist doch gefährlich!” rief ich und machte mir ernstliche Sorgen um Giorgis‘ Wohlergehen.
”Bah! Im Vergleich zu 30 abenteuerlichen Ehejahren ist diese Brücke ein harmloser Zeitvertreib, wenn du verstehst, was ich meine!” antwortete Giorgi und grinste sein Ein-Zahn-Lächeln.

Wo auch immer wir hinkamen, um die absonderlichsten Treppen zu bestaunen, fragten wir nach ihrem Erbauer.
”Ist doch klar, wer das war: Der Mastoras (Meister) aus Ano Viannos“, erhielten wir zur Antwort.
”Der muss gut sein!” sagte mein Mann.

Unser Häuschen liegt zehn Minuten von Ano Viannos entfernt. Die Außentreppe haben wir verbreitert und verstärkt, weil die Schmerzensschreie der Stürzenden die Nachmittagsruhe der Schlafenden empfindlich gestört haben muss. Unser Haus wurde von innen nach außen und von unten nach oben gestülpt, um es unseren Wünschen anzupassen. Es ist noch nicht bezugsfertig.

Nach etlichen Jahren der Sanierung fiel uns ein enormes Defizit auf: Die Innentreppe fehlte. Noch heute kann ich nicht fassen, dass mir das nicht früher auffiel. Es war einfach nicht möglich, vom Wohn- ins Schlafzimmer zu gelangen, ohne über die Außentreppe zu steigen, die Terrasse zu überqueren und die Außentür des oberen Stockwerkes zu öffnen.

Wir brauchten dringend eine geschmackvolle, unseren individuellen Bedürfnissen angepasste, Innentreppe. Und wer könnte für die Erfüllung unseres besonderen Wunsches besser geeignet sein als der Meister aus Viannos! Endlich hatten wir einen Grund, diesen außerordentlichen Menschen aufzusuchen, von dem alle sagten, er arbeite mit Leidenschaft und kenne das Wort „unmöglich“ nicht.

Bereits am nächsten Tag setzten wir uns ins Auto und fuhren nach Ano Viannos. Wir fragten uns zur Schreinerei durch und standen schließlich vor der weit geöffneten Eingangstür, die uns einen Blick in das Innere gestattete, aus dem der anheimelnde Geruch von neuem, alten und behandeltem Holz strömte. Der Meister höchstpersönlich stand über und über mit Holzspänen bedeckt an einer Werkbank und strich prüfend über eine Latte.

”Dort ist er also!” flüsterte mein Mann ehrfürchtig und glotzte neugierig wie eine Eule in die Schreinerei.
„Er sieht aus wie ein Christstollen“, raunte ich.
„Nein! Das sind nur die Sägespäne. Sieh nur! Er geht völlig in seiner Arbeit auf.“
”Nun mach keinen Messias aus ihm!” antwortete ich unwirsch, wobei mir augenblicklich die tiefere Bedeutung meiner Worte bewußt wurde:
”Oh, Gott, der war ja auch Zimmermann!”

Wir traten ein. Der Meister sah von seiner Werkbank auf und reichte meinem Mann die Hand, oder das, was von seiner Hand übriggeblieben war. Mir verwehrte er Daumen und Ringfinger. Stattdessen nickte er mir knapp zu. Er trug eine feine silberne Brille und einen Bleistift hinter’m Ohr. Im hinteren Halbdunkel der Schreinerei arbeiteten zwei Lehrlinge, deren Gliedmaßen noch komplett waren.
”Was kann ich für Sie tun?” fragte der Meister und trat ein paar Schritte ins Licht.
Ein langes Kiefernbrett ließ ihn straucheln. Er hob es vorsichtig vom Boden auf und suchte vergebens nach einem Abstellplatz. Wortlos drückte er es mir in die Hände.

”Treppe innen wollen. Diese wollen“, sagte mein Mann, dessen Griechischkenntnisse sich auf ein Minimum belaufen. Er kramte einen kleinen Zeitungsausschnitt aus seiner Hosentasche hervor.
”Hier!” fuhr er fort und wies auf die abgebildete Zeichnung. ”Das sein Wunsch. Glaube, einfach sein. Nix Problem?”
”Hm, so soll sie also aussehen?” fragte der Meister und drehte und wendete das Papier in seinen Händen.
Es gab nicht viel zu drehen, denn auch auf dem Kopf stehend veränderte sie ihr Aussehen nicht gravierend. Es sollte eine schlichte und wegen der niedrigen Zimmerhöhe etwas steile Treppe mit Podest werden.
”Ja!” antwortete ich. ”Genau so!”
Der Meister ignorierte mich und wandte sich an meinen Mann:
”Kein Problem, was für ein Holz soll es denn sein?”
”Wir wollen ein schönes stabiles Holz. Auf keinen Fall Kiefer! Können Sie uns etwas zeigen?” fragte ich. Meine Worte prallten ab.
”Schöne Holz, stabilo, nix Kiefer, du haben Ikona?“ wiederholte mein Mann, woraufhin der Meister beflissen in der hintersten Ecke der Schreinerei verschwand und bereits nach einer halben Stunde mit einem kleinen Katalog zurückkehrte.
Er machte meinen Mann bedeutsam mal auf dieses, mal auf jenes Modell aufmerksam. Jeder meiner Versuche, ein Auge auf das Heftchen zu werfen, scheiterte, weil der Meister es mit schnellen, ruckartigen Bewegungen immer wieder meinen Blicken entzog.
”Das ist ja albern!” rief ich zu meinem Mann hinüber, den der Treppengott in eine andere Ecke der Schreinerei zog, um nicht länger von mir belästigt zu werden.
Ich wurde ungeduldig.
”Der ist absolut frauenfeindlich, dabei habe ich ihm überhaupt nichts getan. Er kennt mich doch gar nicht! Wer will hier was von wem? Kaufe ich oder er?” schimpfte ich.
Wütend ließ ich das Kiefernbrett fallen und bewegte mich durch einen Haufen Sägespäne auf meinen Mann zu, der bereits Holzart und Preis aushandelte. Aufmerksam folgte der Mastoras seinen Ausschweifungen, die sich in etwa so anhörten:
”Du machen Treppe, ich sehen, dann du zahlen – finito!”
Der Meister kratzte sich verständnislos am Hinterkopf. Trotzig wiederholte ich für ihn das Ganze noch einmal langsam in perfektem Griechisch und erhielt zur Antwort nur das abfällige Zungenschnalzen, das alle Kreter beherrschen. Es bedeutet ”Nein” oder ”du kannst mich mal” und wird immer von einem arroganten Kopfnicken begleitet.
”Ich bins leid! Was soll das hier sein? Die Kaaba zu Mekka? Ich gehe!” rief ich und verschwand nach draußen.
Nach zwei Stunden hatte ich mich soweit abgeregt, dass ich ohne Hysterie sprechen konnte.
”Die Treppe wird in drei Monaten fertig und eingebaut sein!” teilte mein Mann mir mit. Von da ab wurde der Mastoras totgeschwiegen.

Bald ging das Gerücht um, der Schreiner habe bei der komplizierten Treppenkonstruktion für Deutsche einen weiteren Finger verloren. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.

Eines Tages war es soweit: ”Der Mastoras kommt heute mit der Treppe zum Haus. Wenn wir wollen, können wir sie uns vorher in der Werkstatt ansehen”, sagte mein Mann und schubste mich ins Auto, ohne eine Antwort abzuwarten.
”Gut, wenn du neugierig bist, sollst du sie sehen, aber ich bleibe draußen!” sagte ich auf der Fahrt nach Ano Viannos.

Von der Straße aus hatte ich einen recht guten Blick auf unsere nagelneue Treppe, die an einer Mauer im Innern der Schreinerei lehnte. Davon abgesehen, dass sie aus Kiefernholz gearbeitet war, fiel mir auf, dass noch etwas nicht stimmte: Sie hatte viel zu viele Stufen und das Podest fehlte.
”Halt! Nicht bezahlen!” schrie ich in die halbdunkle Werkstatt. ”Etwas ist falsch an der Treppe! Außerdem fehlt das Podest!”
Der Meister kam und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Später trat mein Mann freudestrahlend und um 4000,- DM ärmer auf die Straße.
”Ist die Treppe nicht wunderschön?” rief er und schubste mich ins Auto.
”Das Podest fehlt und sie hat mindestens 30 Stufen zuviel”, antwortete ich zornig.
”Ach, was, du übertreibst. Lieber zuviel als zu wenig und das Podest baut er bestimmt nachträglich an. Heute nachmittag kommt er zum Haus. Dann kann ich das Thema anschneiden, wenn du magst, obwohl ich der Meinung bin, dass sie auch ohne Podest wirkt”, sagte mein Mann und warf mir einen nervösen Seitenblick zu. Später auf der Rückfahrt bemerkte ich, dass sein rechtes Augenlid flackerte und zuckte. Mit schweißnassen Händen klammerte er sich an das Lenkrad. Ich konnte es nicht glauben: Mein Mann fürchtete den Mastoras.

Am Nachmittag stand ich auf der Straße vor unserem Haus. Versonnen betrachtete ich die Bougainvillea, die sich üppig und blühend um unsere Fenster und Türen wand, streichelte den Wein, der planmäßig auf der linken Häuserwand Richtung Terrasse wuchs. Die Äste des Orangenbäumchens streckten sich neugierig ins Schlafzimmerfenster. Bald brauche ich nur noch vom Bett aus zur Seite greifen, um mir Orangen vom Strauch zu pflücken, dachte ich froh.

Eine Matschfontäne, die sich über mein Gesicht und mein Dekolletée ergoss, riss mich aus den Träumereien. Der Meister war gekommen und hatte seinen Lieferwagen mit 60 Sachen durch die einzige Pfütze gejagt, die im Umkreis von fünf Kilometern existierte. Er grinste zufrieden hinter dem Steuer und nickte mir knapp zu. Zusammen mit seinen Lehrlingen hob er die Treppe aus dem Wagen und schleppte sie ins Haus. Ein Blick auf die leere Ladefront des Lieferwagens bestätigte meine Vermutung, dass es nie ein Podest geben würde. Nach zwei Stunden war der Einbau getätigt und der Meister verschwunden.
”Na, wie findest du sie?” fragte mein Mann, tätschelte die Stufen und bewunderte die Holzarbeit.
”Sie stimmt hinten und vorne nicht!” antwortete ich. „Es ist eine Hühnerleiter, eine Stiege, schau doch richtig hin! Sie hat viel zu viele Stufen!”
„Geh‘ mal hinauf! Du wirst sehen, sie ist perfekt.“
Schnell kam ich hinauf, aber der Abstieg dauerte eine Viertelstunde.
„Von wegen perfekt! Die Stufen bieten nicht mal Platz für die Ferse! Da kommt kein Schwein runter!“ rief ich entsetzt aus.
”Dann geh auf Zehenspitzen!” antwortete mein Mann. Er gestand sich die Niederlage nicht ein, sprang selbst die Stufen hinauf und rutschte sie ängstlich auf dem Hintern hinunter.
”Siehst du, es geht doch!” begeisterte er sich, als es ihm beim fünften Versuch nach einer knappen halben Stunde gelungen war, rückwärts und auf Zehenspitzen hinabzuklettern.
”Ja, klar geht’s, wenn du dir Klebstoff auf die Hände schmierst, damit du wenigstens an der Wand Halt findest.“ Ich seufzte. „Gib’s doch zu! Die Treppe ist eine Katastrophe. Soll ich mich von oben runterfallen lassen? Ich bin weder Tausendfüßler noch Spitzentänzerin. Selbst Wildziegen, die überall hinkommen, hätten hier ihre Schwierigkeiten.“
”Wir könnten ein Geländer anbringen”, schlug mein Mann vor.
”Wir haben sie bereits mit Geländer in Auftrag gegeben, wenn ich dich daran erinnern darf”, erwiderte ich giftig.
”Wir müssen mit dem Meister reden. Er hat das Podest vergessen, das Geländer ignoriert und ist bei den Stufen zur Höchstform aufgelaufen. So geht es nicht. Schließlich haben wir bezahlt.”

Erst nach einer Woche und nur unter Androhung der Scheidung gelang es mir, meinen Mann nach Ano Viannos zu zwingen. Die Schreinerei war verschlossen.
”Na bitte! Er riecht den Braten, aber ich werde hier vor seinem Holztempel warten”, sagte ich und setzte mich entschlossen auf die Türschwelle.

Die Sonne kroch über die Häuserfront der gegenüberliegenden Straßenseite und brannte mir gnadenlos auf den Kopf. Mein Mann war seit einer Stunde überfällig. Mit dem Vorhaben, mal eben schnell Zigaretten zu besorgen, war er in eine der oberen kleinen Gassen entwichen, in der sich zwar kein Kiosk, aber Leftheris‘ Andenkenladen befand, in dem er gerne hockte und Kaffee trank.

Der Meister kam nicht. Irgendwann schlief ich ein. Als ich aufwachte, war es später Nachmittag. Um mich herum lagen Geldscheine. Auch einige Münzen entdeckte ich, die wegen der Hitze teilweise mit dem Boden verschmolzen waren. Man hatte mich für eine Bettlerin gehalten! Der beißende Uringestank auf meiner Hose kündete vom neu erworbenen Platz auf der Markierungsliste irgendeines pinkelwütigen Straßenköters. ”Das wird er mir büßen, dieser Holzwüstling!” dachte ich, stand auf und sammelte das Geld ein.

”Was machst du denn hier? Es ist doch viel zu heiß”, sagte jemand hinter mir. Es war Leftheris‘ Frau.
Sie musterte mich von oben bis unten und rümpfte die Nase, als sie den hellen Fleck auf meiner Hose entdeckte. Ich erklärte ihr den Grund meiner Belagerung vor der Schreinerei und fragte sie, ob sie meinen Mann gesehen habe.
”Oh, ja, der ist zusammen mit Leftheris im Geschäft. Sie trinken Wein und hören Musik; scheinen viel Spaß zu haben. Und noch was: Ich an eurer Stelle würde die Sache mit der Treppe einfach vergessen. Der Meister ist ein Eigenbrötler. Dem musst du jede Stufe einzeln erklären. Ansonsten beginnt er, zu improvisieren und dabei kommen die verrücktesten Dinge heraus. Es hat keinen Sinn, sich bei ihm zu beschweren. Er hält sich für einen großen Künstler, und du weißt ja, wie ungemütlich die werden können, wenn man ihre Werke kritisiert!” erklärte Maria.
”Ist er schon mal ungemütlich geworden?” fragte ich, neugierig geworden.
”Na ja, sieh dich doch hier mal um”, flüsterte sie und blickte sich verstohlen nach allen Seiten um.
”Dir werden die vielen Verstümmelten doch aufgefallen sein. Ganz zu schweigen von den Verätzten. Ich sage dir, so ein Eimerchen Holzbeize kann die Haut schon ganz schön zurichten.”
„Was? Du willst du nicht andeuten, der Mastoras...?“ Maria winkte ängstlich ab und entfernte sich eilig.

Damit war das Thema Treppe bis auf Weiteres verschoben. Am Abend suchte ich Giorgi in seinem Haus auf und versuchte, ihn betrunken zu machen. Mir war da ein Verdacht gekommen.
”Sag mal, wolltest du wirklich, dass deine Treppe direkt unter der Schlafzimmerlampe endet?”
Giorgi räusperte sich unbehaglich.
”Und was hat es mit dieser Brücke auf sich?“ fuhr ich fort. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie geplant war, oder?” Wieder nur ein Räuspern.
”Hast du selbst die Brücke angenagelt, weil du sonst hättest hinunterspringen müssen? Sprich bitte offen mit mir! Wir sind doch Freunde, oder? Wir haben den Meister beauftragt, und er hat uns eine verdammte Hühnerstiege gezimmert, auf der kein Mensch gehen kann.“
”Psst, Kind, nicht so laut!” mahnte Giorgi, erhob sich und zog die Gardinen vor dem Küchenfenster zu. Dann kam er zurück, blieb stehen und stützte seine Arme auf die Tischplatte. ”Du weißt gar nicht, was für Folgen deine unbedachte Äußerung haben kann”, sagte er. Zur Warnung hob er den Zeigefinger, hielt ihn mir vor’s Gesicht und bohrte ihn dann zur Bestärkung seiner Worte in mein Schulterblatt.
Ich verlor die Geduld.
”Also, gut, Giorgi. Was kann so schlimm sein? Womit haben wir es hier zu tun? Mit der Holzmafia, einem außerirdischen Zimmermann, der auf seinem Planeten Scheiße baute und nach Kreta strafversetzt wurde? Ist er nur ein armer Irrer, der ein ganzes Dorf in Atem hält? Hat die orthodoxe Kirche damit zu tun? Läßt er jeden Bauauftrag heimlich vom Metropoliten in Konstantinopel absegnen?“
Giorgi ließ sich auf seinen Stuhl sinken.
”Eine Frage, Kind, weißt du, was auf dem Epitaph unseres großen Schriftstellers Kazantzakis geschrieben steht?”
”Natürlich. Die Quintessenz seiner Forschungen: "Ich erhoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei!
”Na also, da hast du schon die Antwort. Der Meister lebt und arbeitet nach diesen drei Lebensweisheiten. Er baut frei nach seinen Vorstellungen, erhofft kein gutes Ergebnis, und sobald er Beschwerden hört, weist er darauf hin, dass er nichts, aber auch gar nichts zu befürchten hat. Verstehst du, so einfach ist das.”
”Nein, wie könnte ich? Wenn ich etwas in Auftrag gebe und dafür bezahle, erwarte ich korrekte Arbeit. So läufts nun mal. Wieso lasst ihr euch von diesem Holzwurm auf der Nase herumtanzen? Wenn ich nur an die arme Giannikopoulos denke, deren Treppe sich im Zickzack durch alle fünf Räume windet, bevor sie richtig ansteigt. Da wird mir ja schlecht!”
”Na, hör mal!“ warf Giorgi ungehalten ein. „Was beschwerst du dich? Ihr habt ja noch Glück gehabt! Schau dir nur die Treppe der alten Fragonikolakis an. Die Frau ist 85 und muß nach jeder dritten Stufe einen Klimmzug machen, weil der Meister dort ein Loch gelassen hat. Und weißt du, was sie tut? Sie trainiert! Ha! Hängt sich an ihre Hoftür und macht täglich 150 Klimmzüge. Natürlich erst, wenn alle anderen ihren Mittagsschlaf halten. Sie schämt sich, die Gute; ist immerhin Witwe und keine Barrenturnerin!”
”Aber das ist trotzdem nicht zumutbar“, wandte ich ein.
”Soll ich dir sagen, was wirklich an die Grenze des Zumutbaren stößt? Wer das schlechteste Los von uns allen gezogen hat?” Giorgi geriet zunehmend in Erregung.
”Ja, komm, sag es mir!” forderte ich ihn nicht weniger hitzig auf. Seine aberwitzigen Beschreibungen faszinierten mich.
”Nikos!” sagte Giorgi und steckte sich umständlich eine Zigarette an.
”Für seine Wendeltreppe hat er sieben Millionen Drachmen hingeblättert. Sie ist ein Wunderwerk, versteh mich nicht falsch! Von Stockwerk zu Stockwerk führt sie durch sein riesiges Anwesen.
„Nun mach aber mal einen Punkt! Das kann ich von einer Treppe ja auch erwarten, Giorgi.“
Er winkte unwirsch ab. „Unterbrich‘ mich jetzt nicht! Der Meister hat monatelang daran gearbeitet. Feinstes Holz, echte Mooreiche, excellente Verarbeitung, nur...und jetzt halt dich fest!...die Stufen sind allesamt senkrecht angebracht, wenn du verstehst, was ich meine. Nikos hat die größte und teuerste Rutsche Europas im Haus. Seine Enkel wird der jedenfalls nicht mehr los. Die reiben die Stufen mit Möbelpolitur ein und rutschen...”
”Halt...!“ unterbrach ich. „...und wie kommt er hinauf?
”Mit einer Kletterausrüstung”, sagte Giorgi, zuckte gleichmütig die Schultern und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
”Ich verstehe die Kreter nicht”, seufzte ich.
”Da gibt es nichts zu verstehen. Wir ehren Kazantzakis und halten zusammen. So einfach ist das. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich bin müde und habe noch einen langen Weg ins Bett vor mir, wie du dir denken kannst“, lachte Giorgi, klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und ließ mich nachdenklich am Küchentisch zurück.

Nach einer Viertelstunde legte sich der Lärm in der oberen Etage. Ich trank meinen letzten Schluck Wein, stand auf und schloß leise die Tür hinter mir. Und ich verstehe sie trotzdem nicht, die Kreter, dachte ich auf dem Heimweg, aber ihre Solidarität ist unvergleichlich.

Eine prachtvolle Steintreppe löste die unsägliche Hühnerleiter ab, deren Holzstufen sich in diesem Winter in den Kaminen meiner Nachbarn zum ersten und letzten Mal nützlich machen werden.
 

Mazirian

Mitglied
schöne Geschichte

Hallo Majissa,

*seufz*, bis auf die kupierte Bougainvillea und ein fehlendes "und" ("...reiben die Stufen mit Möbelpolitur ein UND rutschen.") hab ich nicht mal Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler gefunden. Geschweige denn Stil- oder Dramaturgiefehler. Ich weiß nur, dass ich lange nicht mehr so gelacht hab.
Meine Lieblingsstelle:
"Oh Gott, der war ja auch Zimmermann!" Hm, und weil er keine gescheiten Treppen machen konnte, wurde er dann Messias? Die Bibel verschweigt das ja gnädig...
Im Ernst, ich war ständig am Lächeln und Grinsen und hatte trotzdem nie das Gefühl, dass hier sehr bemüht ein Gag auf den anderen getürmt wird. Das ist schon echt gut gemacht. *mich respektvoll verneig*
Auf jeden Fall gehört es "...zum Besten, was die LL zu bieten hat..." Volle Punktzahl.
Hoffen wir, dass du beim nächsten Mal auf Kreta kein Eimerchen Beize über den Kittel kriegst und mit allen zehn Fingern wieder nach Hause kommst.

lieben Gruß

Achim
 

majissa

Mitglied
späte Genugtuung

Lieber Achim,

ich erröte ob deines Lobes und dieser peinlichen Blumensache. Dabei war ich so überzeugt von der Schreibweise. Bougainvillea klingt natürlich richtig geschrieben gleich vornehmer. Das fehlende „und“ ist mir Dorn im Auge und wird gleich nachgetragen. Danke für dein Adlerauge.

Aus der Messiasgeschichte könnte man noch einiges herausholen, entfuhr es mir spontan, als ich deinem skurrilen Gedankengang folgte und mir einen frustierten Zimmermann vorstellte, der das Handtuch schmiss und sich fortan aufs Menschenfischen beschränkte. Du hast ja Ideen! (Hier sollte ein Smileyfresschen hin, es kam aber nur ein Viereck!)

Der unsägliche Schreiner ist übrigens echt und seine Stiege bereits verfeuert. Es ist mir eine späte Genugtuung, ihn hier ebenfalls zu verfeuern. Schön, dass ich dich zum Lachen bringen konnte.

Lieben Gruß
Majissa

P.S. Schönes Hemd übrigens!
 
D

Daniel Mylow

Gast
Hallo Majissa,
wunderbare Geschichte- allerdings fand ich sie gar nicht so lustig wie mein Vorredner, für mich hatte sie auch eine leise Melancholie und zugleich etwas Absurdes. Jedenfalls sehr schön, keine Kritik, Höchstwertung! herzliche Grüße Daniel
 

majissa

Mitglied
Hallo Daniel,

erstaunlich, dass dir eine Melancholie, zu der ich durchaus neige, zwischen den Zeilen auffiel. Ich danke dir herzlich fürs Lesen und Loben.

Lieben Gruß
Majissa
 

JoshHalick

Mitglied
Liebe Majissa,

ich habe deine Geschichte verhältnismäßig schlecht bewertet, warum, das will ich dir erklären:
Ich sagte dir einmal, dass ich niemals bei einer Kritik lügen würde und deshalb gebe ich ehrlich zu, das mich die Geschichte bereits nach drei-vier Absätzen langweilte.
Zum einen lag das an der Vorhersehbarkeit des Geschehens. Und auch die Gags, ja, waren leider allesamt sehr berechenbar, teilweise überzogen.
Was den Humor einer Geschichte anbelangt, habe ich da meine ganz eigene Theorie, mittels der ich dir erklären kann, warum ich dir für diesen Text, lediglich für Form und Stil ein Lob zu kommen lassen kann, während der Unterhaltungswert für mich fast bei Null liegt.
Ich weiß, ich bin heute sehr direkt.
Also, pass auf. Ich erinnere mich noch sehr gut an deine Geschichte mit dem Ziegenbock. Der Titel ist mir entfallen aber den Inhalt habe ich genau vor Augen. In dieser Geschichte, hätten einige deiner Witze, die du hier verwendet hast eventuell göttlich funktioniert. Diese Geschichte besaß damals eine sehr schöne Absurdität, unabhängig davon wie realitätsnah sie war. Der Mond, das stinkende Vieh, die Ratten ...usw. Ja, die Atmosphäre war ganz zauberhaft obskur. Sie spielte sich auf einer ganz anderen Ebene ab, wie die Witze dieses Textes hier. Gerade das wäre eventuell reizvoll gewesen. Oder sagen wir es anders, eine Geschichte wie die von damals hätte die hier vorkommenden teils plumpen (ohne das Wort negativ zu behängen), schon zehnmal gesehen und gehörten Witze retten können. Sie wären sozusagen ihr Gegengewicht gewesen.
Hier nun, beschriebst du eine relativ eintönige Begebenheit, der ich aber durchaus auch die volle Punktzahl zugestanden hätte, wenn ich nicht glaubte, hier wolle jemand eine eigentlich bereits für sich sprechende Handlung, ein wenig aufpeppen und ihr mit Gewalt eine Art der Unterhaltsamkeit abgewinnen, für die sie nicht geschaffen ist. Das heißt im Gegensatz zu der Ziegenbock Geschichte, spielt diese hier von vornherein auf einer sehr... hm... eindimensionalen Ebene (was ebenfalls nichts Negatives bedeutet)... ja, sie spielt auf der selben Ebene wie ihre Witze und das finde ich fatal, denn so fehlt der nötige Kontrast, durch den ein Witz erst wirklich sichtbar wird.
Kurz und knapp, dies wäre eine schöne, informative und lesenswerte Erzählung, wenn der Autor nicht um jeden Preis versuchen würde ihr Humor zu unterstellen.
Das klingt jetzt natürlich sehr gemein aber ich denke du wirst verstehen wie ich es meine und ich brauche nicht zu erwähnen dass ich nur meine persönlichen Eindrücke darlege.
Abgesehen davon das du meinen Humor nicht getroffen hast, was nur ein minderschweres Verbrechen darstellt, ist mir noch etwas aufgefallen. Ich habe keinen Moment lang daran gezweifelt, dass diese Geschichte auf einer wahren Begebenheit aufbaut. In wieweit das nun zutrifft, spielt keine Rolle, klingen tut fast jedes Wort sehr realitätsnah wiedergegeben und gerade das ist es, was mich zusätzlich störte. Besonders den Dialogen verlieh diese Tatsache, so seltsam es auch klingen mag, Unglaubwürdigkeit. Das liegt meines Erachtens daran, das den mündlichen Dialogen meist die Präzision fehlt. Was ich dir in einer Geschichte sagen will, schaffe ich meist in einem Satz unterzubringen, bei einer richtigen Unterhaltung aber benötigt es dann zwei oder drei, weil ich mir natürlich nicht jeden Satz den ich ausspreche vorher so zurechtlege das er immer alles beinhaltet was ich zu sagen habe. Jetzt kann man natürlich sagen, was macht es schon? Mein Dialog soll schließlich natürlich klingen und nicht wie eine Matheaufgabe zu der, der andere Part nur noch die Lösung liefern muß. Die Überlegung ist meiner Meinung nach aber vollkommen falsch. Es versteht sich von selbst, dass die geschriebene Natürlichkeit, nicht gleichzusetzen ist mit der Gelebten. Ich denke, die Geschriebene ist eine perfektionierte Natürlichkeit. Sie besitzt eine klare Struktur und vermittelt alles Wissenswerte, über den Charakter des Sprechenden und die Bedeutung seiner Worte sehr zügig und ohne zu langweilen. Aber verstehe mich nicht falsch, derartige Unterhaltungen gibt es durchaus auch im wahren Leben, nur nicht in Situationen wie diesen hier:

” ”Na, wie findest du sie?” fragte mein Mann, tätschelte die Stufen und bewunderte die Holzarbeit.
Sie stimmt hinten und vorne nicht!” antwortete ich. „Es ist eine Hühnerleiter, eine Stiege, schau doch richtig hin! Sie hat viel zu viele Stufen!”
„Geh‘ mal hinauf! Du wirst sehen, sie ist perfekt.“
Ich kam glücklich hinauf. Der Abstieg dauerte eine Viertelstunde.
„Von wegen perfekt! Die Stufen bieten nicht mal Platz für die Ferse! Da kommt kein Schwein runter!“ rief ich entsetzt aus.
”Dann geh auf Zehenspitzen!” antwortete mein Mann. Er gestand sich die Niederlage nicht ein, sprang selbst die Stufen hinauf und rutschte sie ängstlich auf dem Hintern hinunter.
”Siehst du, es geht doch!” begeisterte er sich, als es ihm beim fünften Versuch nach einer knappen halben Stunde gelungen war, rückwärts und auf Zehenspitzen hinabzuklettern.
”Ja, klar geht’s, wenn du dir Klebstoff auf die Hände schmierst, damit du wenigstens an der Wand Halt findest.“ Ich seufzte. „Gib’s doch zu! Die Treppe ist eine Katastrophe. Soll ich mich von oben runterfallen lassen? Ich bin weder Tausendfüßler noch Spitzentänzerin. Selbst Wildziegen, die überall hinkommen, hätten hier ihre Schwierigkeiten.“
”Wir könnten ein Geländer anbringen”, schlug mein Mann vor.
”Wir haben sie bereits mit Geländer in Auftrag gegeben, wenn ich dich daran erinnern darf”, erwiderte ich giftig.
”Wir müssen mit dem Meister reden. Er hat das Podest vergessen, das Geländer ignoriert und ist bei den Stufen zur Höchstform aufgelaufen. So geht es nicht. Schließlich haben wir bezahlt.”



Diese Unterhaltung, beginnt sehr schön und glaubwürdig, sie besitzt eine Dynamik die den Leser vorantreibt. Das aber ändert sich zu dem Zeitpunkt, da die Erzählerin beginnt von Klebstoff und Wildziegen zu sprechen. Ab da an, klingt es gekünstelt. Denn gerade hier, wo es fehl am Platze ist, versuchst du die oben genannte Präzision des geschriebenen Dialogs anzubringen. Sie steht für mich aber in keinem Verhältnis zu der Haltung der Charaktere, und zur Situation.
Na ja, ich hätte auch noch allerhand zum Handlungsablauf zu sagen, der im gleichen Maße zu viel unnütze Lebensnähe besitzt, die die Geschichte leicht langatmig wirken lässt, aber dazu schweige ich.

Eines aber muß ich dir noch sagen, liebe Majissa. Sicherlich scheint meine Kritik schwer verständlich wenn man deinen Text mit anderen Machwerken der Leselupe vergleicht. Im Vergleich dazu hat er den Nobelpreis verdient, das gebe ich zu. Aber ich habe hier all die Texte die ich bereits von der kenne als Maßstab gewählt. Meine Kritik fiel dementsprechend also noch mäkeliger aus als sonst.

Beste Grüße
Josh
 

majissa

Mitglied
Lieber Josh,

danke für deinen ausführlichen und ehrlichen Kommentar, den ich zu schätzen weiß. Ich habe natürlich über die von dir aufgeführten Punkte, die der Story deiner Meinung nach das Genick brechen, länger nachdenken müssen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass

a) ich dir zustimmen kann, was unnötige Übertreibungen wie „Wildziege, Kleber“ angeht
b) wir ansonsten – unser Humorverständnis betreffend – leider einfach nicht konform gehen und
c) ich meine Geschichte, so wie sie ist, momentan mag und sie deshalb auch so stehen lassen werde.

Denn würde ich sie aufgrund deiner Kritik so ändern, dass sie für dich den gewünschten Unterhaltungswert entwickelt, müsste ich einen völlig anderen Stil anwenden, der mir (noch) fremd ist, was jedoch nicht heißt, dass ich Experimenten gegenüber verschlossen bin. Ganz im Gegenteil versuche ich, in verschiedene Richtungen zu schreiben, wobei es geschehen kann, dass der Humor mal subtil, mal derb oder am Ende sogar ganz verschwunden ist.

Weiterhin wüsste ich anhand deiner Kritikpunkte gar nicht, was es nun – bis auf Wildziege und Kleber - genau zu verändern gäbe, weil du mir zum einen mit Äußerungen wie „plumpe, zehnmal gesehene und gehörte Witze“, „Langatmigkeit durch unnütze Lebensnähe“ oder auch „eindimensionale Ebene“ einfach zu sehr pauschalisierst und zum anderen diese Urteile teilweise gleich im nächsten Satz wieder teilrevidierst, indem du euphemisierst. Wie anders als negativ soll ich beispielsweise den Terminus „plump“ behängen? Hätte mich deine Kritik diesbezüglich anhand konkret angezeigter Textstellen von ihrer Berechtigung überzeugt, gäbe es gegen eine evtl. Überarbeitung keine Einwände, auch, wenn die Story dann dem ein oder anderen nicht mehr gefällt. Diese Überzeugung aber fehlt mir hier.

Interessant fand ich deine Ausführungen zum Thema Gegengewicht und Kontrast, über die sich nachzudenken lohnt, obwohl ich durchaus der Meinung bin, dass Handlung und Witz sich auch auf ein und derselben Ebene vertragen können. Was die Dialoge angeht, so ist es verdammt schwer, sie so zu schreiben, dass Authentizität und Spannung gleichermaßen erhalten bleiben. Da – glaube ich – üben wir noch alle und tappen hin und wieder in die Falle „Künstelei“ oder „Langatmigkeit“

Bevor ich es jetzt zu langatmig mache, komme ich mal zum Ende. Schließlich ist nicht zu vergessen, lieber Josh, dass es sich hier auch um eine Frage des Geschmackes handelt, über den sich bekanntlich nicht streiten lässt, was ich auch gar nicht beabsichtige, weil ich deine Meinung akzeptiere.

Lieben Gruß
Majissa
 

JoshHalick

Mitglied
Liebe Majissa,

zuerst, vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich bin immer wieder glücklich, wenn mal jemand mehr als nur zwei Sätze zu seiner eigenen Geschichte zu sagen hat. Zudem war deine Antwort ganz interessant.
Ich möchte auch nur kurz noch mal ein paar meiner Kritikpunkte erklären, denn mir scheint, du hast nicht ganz verstanden worauf ich hinauswollte.

a) es ging gar nicht um die "Wildziegen" und den "Klebstoff" an sich. Ich bin der Meinung, das steht auch sehr deutlich in meinem Kommentar. Es geht um die Form des Dialogs. Die Wildziege und der Klebstoff galten mehr als Zeitangabe dafür, wo der Dialog für meinen Geschmack zu ausführlich - in Anbetracht der Situation - wird. Für mich kommt dort der Rhythmus durcheinander.
b) ich empfinde das Wort "Plump" durchaus nicht als negativ. Da ich der Meinung war, das andere es möglicherweise anders sehen könnten, fügte ich extra an, dass ich es nicht im negativen Sinne gebrauche. Für mich bedeutete es in dem Moment nur: Einfachheit (was ebenfalls nicht immer negativ sein muß, ebensowenig positiv, in diesem Falle war es ganz neutral gemeint). Womöglich hätte ich mich verständlicher ausdrücken sollen.
c) du weißt wie sehr ich deine Geschichten schätze und das ich sie mit Freude lese. Da ich an der Form nichts zu meckern hatte und von der Grammatik nicht genug verstehe, dachte ich, ich äußere mich diesmal nicht zu dem, was dort geschrieben steht, sondern zu dem, was es vermittelt. Lass es mich so sagen: wenn ich deine Geschichte lese, lese ich sie mit bestimmten Gefühlen. ...Man könnte sie anhand einer Verlaufskurve darstellen, die Gefühle beim Lesen. Hier und da, wirkte die Geschichte auf mich unharmonisch. Ich versuchte dir zu erklären, welche Gründe das hat. (Natürlich für meinen Geschmack, muß man, was bereits auf der Hand liegt, immer wieder erwähnen?)
Zum einen waren es die Dialoge, die ich als unharmonisch empfand, zum anderen waren es die Witze, die mir sehr flach vorkamen. Natürlich könnte ich dir nun sehr detailliert wiedergeben wann genau mich welche Disharmonie beschlich. Da ich aber von vornherein davon ausging, dass du die Geschichte nicht ändern möchtest (zumindest nicht aufgrund meiner Befindlichkeiten), pauschalisierte ich, um mir unnötige Mühen zu sparen.


Solltest ich mich immer noch zu unverständlich ausgedrückt haben, hier noch mal die Zusammenfassung meiner Kritik:

Deine Geschichte ist zwar äußerst formschön, rief in mir aber nicht ein Optimum an Zufriedenheit hervor, weil: Die Handlung für mich absehbar war und die Witze fehlplaziert wirkten. Zusätzlich empfand ich ihren Rhythmus an einigen Stellen (zum Beispiel, in den Dialogen) als holperig.

Beste Grüße
Josh

P.S.: Mit diesem Kommentar, versuche ich nicht noch einmal an dich zu appellieren. (Ganz im Gegenteil, ich fände es sogar sehr schändlich, eine Geschichte abzuwandeln die der Mehrheit gefällt.) Ich wollte nur die Sache mit dem Klebstoff klarstellen, damit ich ruhig schlafen kann.
 
I

inken

Gast
liebe majissa,

die ganze zeit überlege ich, was ich unter deinen text schreiben soll, denn ich vergebe die pünktchen nicht so gern ohne kommentar. joshs argument, mit der etwas überstrapazierten witztechnik, reichte mir auch nicht aus, um mein gefühl auszudrücken. die geschichte ist rund und wie immer sehr sauber gearbeitet und dennoch, irgendetwas, ein häkchen war dran, so fühlte ich.
gestern fiels mir ein - ich glaube das ehepaar kommt mir zu glatt rüber, vielleicht hätte ER sich noch das genick brechen sollen auf dieser treppe und sie den fingerlosen nehmen sollen. irgendwas in der art...ähämmmm, ich meine an konflikt zwischen den beiden würde der geschichte eine zusätzliche dimension verleihen. aber das war nur so ein gedanke von mir.


liebe grüße inken
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

eine sehr nette geschichte, die zu recht einen platz unter "Das Beste" bekommen hat. ich habe mich köstlich amüsiert und bin von dem werk sehr angetan.
ganz lieb grüßt
 

majissa

Mitglied
Lieber Josh,

ein zeitlicher Abstand zum Geschriebenen kann Wunder wirken. Ich werde den Text nochmals auf allzu Absehbares und Profanes hin überprüfen und sehen, ob ich ihn optimieren kann. Danke für deinen ausführlichen Kommentar, der wohl im Nachhinein erst seine ganze Wirkung entfaltete. Wie eine Depotspritze. Bevor ich albern werde, möchte ich noch bemerken, dass dein Adlerauge mir unter meinen Geschichten immer willkommen ist.

Liebe Inken,

danke fürs Lesen und Kommentieren. Über deine Anregungen (Konflikt usw.) denke ich nach. Die Eindimensionalität scheint (!) vielleicht darauf zurückzuführen sein, dass dieser Text nur Ausschnitt einer großen Erzählung ist, die in ihrer Gesamtheit betrachtet schon mehrdimensional ist.
Aber wie gesagt: Ich werde das Teil nochmals kritisch beäugen und melde mich dann wieder.

Liebe Flammarion,

und ich bin sehr angetan von deinem Lob. :) Erst dachte ich: Na schau an! Der nächste, den es nach mehr Tiefe verlangt. Aber du bist wohl wirklich mit dem Text einverstanden. Das freut mich. Danke dir. Vielleicht schreibe ich zwei Versionen...

Lieben Gruß an alle
Majissa
 
Hallo Majissa!

Das Wichtigste ist schon von meinen Vorrednern gesagt werden. Ich möchte noch auf ein paar Kleinigkeiten hinweisen:

1. "Es war einfach nicht möglich, vom [red]Wohn- ins Schlafzimmer[/red] zu gelangen..." Das klingt mir zu bürokratisch. Ein Zimmer mehr kann nicht schaden.
"Es war einfach nicht möglich, vom [blue]Wohnzimmer ins Schlafzimmer[/blue] zu gelangen..."

2. "Und wer war bestens geeignet, uns diesen besonderen Wunsch zu erfüllen? Der Meister aus Ano Viannos!" Finde ich sehr holprig. Ich schlage vor:
"Und wer könnte für die Erfüllung unseres besonderen Wunsches besser geeignet sein als der Meister aus Viannos!"

3. "4000 DM" Wie wärs mit "2000 Euro"?

4. "Heute nachmittag kommt er [red]zum Haus[/red]." Zu abstrakt; er kommt ja nicht zu irgendeinem Haus-an-sich, sondern zu ihrem Haus. Deswegen: "Heute nachmittag kommt er [blue]zu uns[/blue]."

5. "Ich kam glücklich hinauf. Der Abstieg dauerte eine Viertelstunde." Der Nachsatz ist zu sehr eine Feststellung wie "Der Zug kam an." Ich würde deutlicher machen, warum der Abstieg von einer Viertelstunde etwas Besonderes ist, könnte ja sonst sein, dass sie oben eine Zigarette geraucht hat und deswegen alles so lang gedauert hat. Ich schlage vor: "Schnell kam ich hinauf, aber der Abstieg dauerte eine Viertelstunde."

6. "Zur Warnung hob er den rechten Zeigefinger, hielt in mir vors Gesicht und bohrte ihn dann zur Bestärkung seiner Worte in mein linkes Schulterblatt." Hmm... wie soll man sich das vorstellen?
Wenn Giorgi ihr gegenüber ist - und das ist er ja offensichtlich ("hielt den Zeigefinger mir vors Gesicht"), dann wäre das Bohren seines Zeigefingers in ihr linkes Schulterblatt doch eine arge Verrenkung. Die Angaben "rechts" und "links" tun nichts zur Sache. Besser:
Zur Warnung hob er den Zeigefinger, hielt in mir vors Gesicht und bohrte ihn dann zur Bestärkung seiner Worte in meine Schulter."

7. "'Aber das ist trotzdem nicht zumutbar', [red]wand[/red] ich ein." => "'Aber das ist trotzdem nicht zumutbar', [blue]wandte [/blue]ich ein."

8. "Eine prachtvolle Steintreppe löste die unsägliche Hühnerleiter ab, deren [red]Stufen [/red]sich in diesem Winter in den Kaminen meiner Nachbarn zum ersten und letzten Mal nützlich machen werden." Anstatt "Stufen" würde ich "[blue]Holzstufen[/blue]" schreiben, dann wird sofort klar, was mit denen geschieht.

Ich wünsche mir, dass es mir dieser Götter gibt: Bäckergötter, Computergötter, Politikgötter,... dann wäre es in Deutschland nicht mehr so langweilig.

Viele Grüße,
Alexander
 

majissa

Mitglied
Hallo Alexander,

danke auch hier für dein sorgfältiges Lektorat, das sehr nützlich war. Ich gehe es jetzt nicht Punkt für Punkt durch, da ich nahezu alle Vorschläge übernehmen werde. Nur die gute alte DM und die Formulierung „zum Haus“ werden bleiben. Die Geschichte ereignet sich in der Vergangenheit, wo es auf Kreta noch die Drachme und hier unsere alte Währung gab. Zudem – aber das konntest du ja nicht wissen – ist der „Treppengott“ Teil einer Sammlung von Erzählungen, die aufeinander aufbauen und liegt in der chronologischen Abfolge ziemlich weit hinten.
Die Formulierung „zum Haus“ ist eine auf Kreta gängige – egal, ob das eigene oder ein fremdes Haus gemeint ist. Niemand sagt dort: „Er kommt zu uns“ oder „zu unserem Haus“. Überall heißt es: „Er kommt zum Haus.“ Sollte das aber zu irreführend sein, was ich nicht glaube, denke ich auch hier über eine Änderung nach.

Über den bohrenden Zeigefinger musste ich lachen und stimme dir zu. Was mich da geritten hat, weiß ich auch nicht. Jedenfalls bohre ich – wenn mir danach ist – mit dem rechten Zeigefinger ausschließlich in rechte Schulterblätter.

Lieben Gruß
Majissa
 
T

Thys

Gast
Hi majissa,

wieder beim Frühstück. Diesemal gabs aber keine Brötchenprobleme. Lauthals lachen mußte ich nicht... aber ein ständiges Grinsen könnte ich mir nicht verkneifen.
Wenn mancher Leser darin auch Übertreibung sieht; der Kern dahinter ist schon ziemlich realistisch. Besonder gut gefallen haben mir folgende Teile:

Die mehr oder weniger funktionierende Treppe, die jedes kretische Haus hat, wobei die Stufen bei heftigem hinaufspringen nur wenig bröckeln. Ich denke in der Art hat wohl jedes peleponesisches Haus eine Solaranlage, die mehr oder weniger gut funktioniert und auch heißes Wasser erzeugt, solange nur der Druck im Behälter nicht zu arg ansteigt. Dann fatzt es nämlich den Schlauch vom Anschluss und du genießt eine Kaltdusche.

Gut gefallen hat mir auch der Deutsche, der plötzlich wie ein Türke spricht :)... naja und so viele Kleinigkeiten wie Jesus und Zimmermann etc. pp. (hab keine Lust alles aufzuzählen).

Es scheint mir aber keine Besonderheit des Mastoras zu sein, daß du nicht genau das bekommst, was du eigentlich haben willst. Ich war damals in einem Tante-Emma-Hier-Gibts-Alles-Und-Nichts-Laden um mir einen Fahrradschlauch zu kaufen. Der alte Schlauch war nun wirklich nicht mehr zu gebrauchen, da er inzwischen mehr Flicken aufwies als ursprüngliches Gummi. Also ich rein in diesen Bindestrichladen und sage, ich möchte eine Schlauch Größe 28. Er guckt mich an, ich denke schon er hätte mich nicht verstanden und wollte es anders probieren, doch ehe ich mit einem neuen Satz anfangen kann, war er doch in ein Hinterzimmer verschwunden. Es dauert nicht lange und er drückt mir ein Päckchen in die Finger. Sah eigentlich gut aus. Ich gucks mir genauer an und sehe, daß die Größe nicht stimmt. Ich weise ihn darauf hin, wobei er mit einer gönnerischen Mimik und entsprechenden Handbewegungen mir bedeutet, daß dieses Ding wohl schon seinen Dienst ordentlich verrichten wird. Ich bin skeptisch aber lasse mich nach einer Zeit überzeugen, da ich ja auch friedlich gutwettergestimmt bin. Naja, nach 1,5 Tagen war der arme Schlauch so überstrapaziert, daß er seine Geist aufgab. Nun brach wieder die Tip-Top-Zeit an.

Gruß

Thys
 

majissa

Mitglied
Hi Thys,

ich sehe, du hast auch schon so deine Erfahrungen mit den Griechen gemacht. Die Schlauchgeschichte ist bezeichnend. Ich musste echt lachen. Meine Solaranlage funktioniert übrigens auch nicht. Der Verantwortliche erscheint zwar alle zwei Tage, edel gekleidet und mit Designer-Sonnenbrille, lächelt geheimnisvoll, legt seine Handschuhe an (er arbeitet stets mit Handschuhen, seitdem er seine Ehefrau gegen eine jüngere Dame eingetauscht hat) und schraubt ein neues Ventil auf. Dann nickt er und geht. Das Wasser bleibt kalt. Ich habe eine mit Sicherheitsventilen gespickte Solaranlage und er vermutlich ziemlich sanfte Hände.

Über dein Lob freue ich mich. Gerade beim ersten von dir zitierten Satz haderte ich nämlich und fand ihn ziemlich langweilig. Eigentlich wollte ich ihn hinausnehmen. So kann man sich irren.

Lieben Gruß
Majissa
 
E

Edgar Wibeau

Gast
Hallo, Majissa!

"Treppengott", das klang vielversprechend und ich pickte mir diesen Text aus Deiner Werkliste heraus. "Mist!", dachte ich dann, als Buchstabenströme den Bildschirm fluteten, Satzwogen strudelnd gegen die Mattscheibe brandeten. "Was für ein elendig langes Ding. Daran wirst du dich zu Tode scrollen." Aber tapfer kämpfte ich mich voran durch die Wellenberge und ergab mich schließlich ihrer Macht. Ich ließ mich willenlos mitreißen in thymianduftendes Sonnenflirren, streichelte harzendes Ziestrosengebüsch, schmeckte den schier ungenießbaren kretischen Kaffee auf meiner Zunge und sagte mir zum Schluss glücklich lächelnd, ich hätte Kishon mit Genuss gelesen, wäre es ihm je gelungen, auch nur annähernd so feine Satire zu produzieren. Mit solchen Texten kriegt man lesefaules Pack wieder ans Buch!

Gruß

EW
 

majissa

Mitglied
Lieber Edgar,

entschuldige die Verzögerung. Dein Lob hat mich (im positiven Sinne) etwas sprachlos gemacht. Ausgerechnet Kishon! Den mochte ich nämlich ganz gern.

Es hätte übrigens noch kürzere Texte von mir gegeben. Doch es ist schon gut, dass deine Wahl auf den Treppengott fiel, denn er liegt mir am Herzen. Wenn es dich also mitreißen konnte, habe ich erreicht, was ich wollte. Danke dir.

LG
Majissa (liebt griechischen Kaffee)
 

San Martin

Mitglied
Find ich gut. Besonders die "Schmerzensschreie der Stürzenden", die Matschfontäne, die sie aus den "Träumereien" riss, die Szene, in der man ihr Geld hingeworfen hat, weil man sie für eine Bettlerin hielt, und schließlich die Klimmzüge machende alte Frau. :)

Und weil ich mir die Geschichte ausgedruckt und im Bett gelesen habe (und ein ekelhafter Grammatikfaschist bin), habe ich etliche Kommafehler angestrichen... nun nützt dir das erstmal nicht viel. Mal sehen, wie ich das am besten hier aufschreibe...

- Kommata müssen hinzugefügt werden zwischen:

"Knack" und mein
als zu wenig und
zu improvisieren und
großen Künstler und

- Kommata müssen weg nach diesen Worten:

Bedürfnissen angepasste

- Apostroph hinzufügen bei

Ich bins leid!
So läufts nun mal

"Häuserwand" vielleicht in "Hauswand" ändern? Ist ja nur ein Haus.
"excellente" in "exzellente" ändern

Grüße, Martin.
 

majissa

Mitglied
Lieber Martin,

es freut mich, wie sehr du dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast. Auch, dass er dir gefällt. Was die etlichen Kommafehler angeht, so waren es keine. Ich habe das unten näher ausgeführt. Dennoch vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Seit der neuen Rechtschreibung wird in der Kommasetzung ja viel dem Sprachgefühl überlassen. So ist beispielsweise die früher obligatorische Kommasetzung vor „und“ bzw. „oder“, wenn ein vollständiger Hauptsatz folgt, freigestellt. Wie hier im Text das von dir bemäkelte fehlende Komma zwischen „Knack“ und „und“ getrost wegfallen darf, da der folgende – vollständige - Hauptsatz zudem noch winzig ist und ein Komma nur den Lesefluss stören würde. Das entscheide ich also nach Gefühl. Ebenso bei „als zu wenig und“. Nur zwischen „großen Künstler“ und „und“ habe ich nun ein Komma eingefügt, weil der folgende Satz sehr lang ist.

Nach „Bedürfnissen angepasste“ kommt kein Komma, da eingeschobener Satzteil. Was das Apostroph angeht, so ist es nicht mehr zwingend notwendig. Es sei denn, der Text wäre ansonsten schwer lesbar oder missverständlich. Was hast du gegen mein „excellent“? Und die Häuserwand finde ich auch korrekt so. Du siehst, ich kann auch ein ekelhafter Grammatikfetischist sein. ;)

Lieben Gruß
Majissa
 

San Martin

Mitglied
Bei den Kommata hast du recht (oder "Recht"? Hach, ich bin verwirrt!). Aber...

Was das Apostroph angeht, so ist es nicht mehr zwingend notwendig
Trotzdem solltest du konsistent in deinen Texten entweder Apostroph setzen oder nicht. Deshalb, weil ich bei dir viele Apostrophe gesehen habe, habe ich an jener Stelle, wo kein Apostroph war, eines vorgeschlagen.

Was hast du gegen mein „excellent“?
Das es kein deutsches Wort ist?

M
 



 
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