Der Versuch

Kyra

Mitglied
Der Versuch

Ungeschickt schlüpfte Mona in den grünen OP Kittel, sie wickelte ihn um sich, als wollte sie sich verpuppen. Henning half ihr beim Zubinden. Vorher hatte sie, genau wie er, ihre Nägel gebürstet und die Hände gewaschen. Der Wasserhahn wurde mit dem Ellenbogen bedient, er erinnerte sie an Spezialanfertigungen für Behinderte. Anschließend kam das Desinfektionsmittel über die Hände bis hinauf zu den Ellenbogen, dann der Kittel, ihr langes Haar wurde unter eine Papierhaube gesteckt, schließlich Mundschutz und Handschuhe. Dann war Mona steril. Sie war damit von der gewöhnlichen Welt abgeschnitten, durfte nichts mehr berühren außer einen anderen sterilen Menschen oder Gegenstand – ihre Welt wurde damit sehr klein aber exklusiv.
Vertraut waren Mona nur die Gerüche des OPs, Hennings ganzer Körper roch so, er war ein Teil der Klinik und trug diesen Geruch jeden Abend zu ihr ins Bett. Noch nie hatte sie vorher einen Mann gekannt, dessen Eigengeruch ein zarter Hauch von Desinfektionsmitteln zu sein schien. Seit sie Henning kannte, fühlte Mona sich in jeder Praxis heimisch.
Mona wollte ihm heute bei einem Versuch am Schweineherzen zusehen. Sie hatte sich schon lange gewünscht, Hennings geschickte Hände, die sie so an ihm liebte, einmal bei der Arbeit zu sehen.
Außer Henning waren zwei weitere Ärzte und zwei Schwestern bei der Operation dabei. Es war eng um den Tisch. Henning hatte noch nichts zu tun, so hielt er die Unterarme von Körper abgespreizt um steril zu bleiben - eine Körperhaltung die sie gut an ihm kannte und die ihn etwas tuntig aussehen ließ.
Die Narkose hatte bereits eingesetzt, Mona stand Henning gegenüber und beobachtete, wie er den Brustkorb öffnete. Das Schwein war bis auf die Operationsfläche und den Kopf ganz abgedeckt, Mona sah in das Schweinegesicht, der nach hinten gestreckte Kopf hatte alles Derbe verloren - seine stumme Sauberkeit, die Schläuche und Kanülen ließen ihn fast edel erscheinen.
Henning legte im weit gespreizten Brustkorb das Herz frei. Dann begann er langsam die Blutzufuhr der Hauptschlagader zu drosseln. Mona beobachtete wie das Herz begann, unregelmäßig zu schlagen, es flatterte unter Hennings Händen während er konzentriert einen Monitor beobachtete. Mona fühlte wie der Schweiß ihrer Hände sich in den Spitzen ihrer Latexhandschuhe sammelte. Es war trotz der Klimaanlage sehr warm und sie war es nicht gewöhnt so lange stillzustehen.
Wenige Augenblicke später wurde die Verengung wieder ganz geöffnet, aber das Herz fand trotz langem Zucken und Stolpern nicht in seinen Rhythmus zurück. Monas Mundschutz wurde langsam feucht, bei jedem Atemzug strich ihr das Papier über den geöffneten Mund. Sie trat mit den anderen vom Tisch zurück, ein Stromstoß riss das Schwein in die Höhe, dann noch einer - schließlich ein letzter.
Henning zuckte die Achseln und trennte das schwach bebende Herz mit wenigen Schnitten aus dem warmen Körper. Mona sah das Herz in seiner Hand, er sah es kurz an, dann ließ er es achtlos in eine Nierenschale fallen, zog seinen Mundschutz aus und kam lächelnd zu ihr herüber.
 
E

ElsaLaska

Gast
hallöchen altes haus;-)

klär mich bitte auf: was ist das für ein versuch?
habe ich was überlesen? das kann gut sein, habe nur drübergelesen, wie ich zugebe. gibt es einen grund für diesen versuch? ich meine, eine rechtfertigung? herzkranke kinder retten oder irgendwas moralisch ganz supererhabenes?
liebe grüsse
elsa
 
L

loona

Gast
Hi Kyra, hi ElsaLaska...

Ich hab's gestern schon mal gelesen und finde es klasse!

Zum Versuch: Ich fand, daß es ein Versuch von Mona war, Henning als ganzen Menschen kennenzulernen und bin von der Trockenheit, mit der der liebe Henning gut getimt und ohne den winkenden Zaunpfahl, aber einer gehörigen Portion Holzhammer am Schluß, demontiert wird, zutiefst angetan.

Das Ergebnis des Versuchs ist ungewiß. So wie es mir auf den ersten Blick unvereinbar erscheint, so muß Mona jetzt versuchen, die neuen Eindrücke mit dem alten Wissen um Henning in Einklang zu bringen. (Ich muß das ja nicht ;-) )

Es grüßt am Morgen...

loona
 
E

ElsaLaska

Gast
hallo loona,

hey, GENAU! jetzt wo du das so toll erklärt hast, sehe ich es auch! o.k. die idee gefällt mir, so wie loona sie darstellt.
aber entweder habe ich nicht genau gelesen (was möglich ist) oder kyra hat das nicht deutlich genug gemacht. insbesondere hat mich der satz: sie fühlt sich in allen praxen der welt zu hause oder so ähnlich auf die falsche fährte gelockt. das bezieht sich zwar auf den duft, den henning ausströmt, wenn er nach hause kommt, jedoch signalisierte es mir auch, dass ihr das alles gar nicht so fremd ist... und ich hatte auch nicht den eindruck, dass mona zum ersten mal mit im op steht. kyra kann jetzt anfangen damit, was sie mag. vielleicht nochmal die jungfräulichkeit von monas erfahrung stärker betonen.

sehr schön.
grüsse elsa
 
L

loona

Gast
Entschuldige, Kyra, wenn ich mich nun noch mal melde und Du noch gar nicht zu Wort gekommen bist...
;-)


Hi ElsaLaska...

ich finde, es ist eine ausgesprochene Qualität der Geschichte, dem Lesenden die notwendige Aufmerksamkeit abzufordern. So, wie man sich einen guten Film gerne zweimal anschaut oder schon mal bei einem Video zu einer bestimmten Szene zurückgespult hat, kann man gegebenefalls nochmal zurückscrollen. Ein "Verdeutlichen" hätte zur Folge, daß das Ende seine überraschende und wuchtige wirkung verliert, die es im Übrigen auch durch eben jene feinsinnige, elegante Formulierung erlangt (und nicht durch große Gesten und deutliche Worte).

Hier also nochmal einige Highlights, die zeigen, daß alles drin ist, was hinein gehört...:

"Vertraut waren Mona nur die Gerüche des OPs"
"Mona wollte ihm heute bei einem Versuch am Schweineherzen zusehen. Sie hatte sich schon lange gewünscht, Hennings geschickte Hände, die sie so an ihm liebte, einmal bei der Arbeit zu sehen."
"Mona sah das Herz in seiner Hand, er sah es kurz an, dann ließ er es achtlos in eine Nierenschale fallen, zog seinen Mundschutz aus und kam lächelnd zu ihr herüber."

(Natürlich funktioniert die Geschichte nur am Stück... mit dem gewählten Tempo und dem langsamen Spannungsbogen, der in Verwirrung und/oder Bestürzung endet - bei Mona und beim Lesenden)

Bevor ich aber Lobeshymnen noch und nöcher schreibe, verabschiede ich mich ins Wochenende (hoffentlich)

Mit Gruß

loona
 

Kyra

Mitglied
Hallo Elsa Hallo loona

Hallo Ihre Beiden,

loona hat völlig Recht
Das Ergebnis des Versuchs ist ungewiß. So wie es mir auf den ersten Blick unvereinbar erscheint, so muß Mona jetzt versuchen, die neuen Eindrücke mit dem alten Wissen um Henning in Einklang zu bringen. (Ich muß das ja nicht ;-) )

Genau so ist es !!!


was das Technische angeht, mein Exex war Herzchirurg, diese Versuche am Schwein wurden vorgenommen um die Spätfolgen eine Infarktes zu untersuchen. Darum wird die Blutzufuhr gedrosselt und wieder geöffnet, ein künstlicher Infarkt.
Eigentlich sollte das Schwein überleben und würde dann ein habes Jahr später wieder "geöffnet" und untersucht.

Viele Grüße

Kyra
 
E

ElsaLaska

Gast
ich HAB'S!

hallo kyra,
ich habe unaufmerksam gelesen, mea culpa!
ABER: du hast auch schuld! jaaahahaaaaa! jetzt staunt sie, die kyra! wie kann das sein?
hast du deiner elsa denn schon jemals eine geschichte präsentiert, in der ein liebespaar mitspielte? na? siehst du. ein mann und eine frau als paar hat es meines wissens noch nicht gegeben. oder vielleicht in den sachen die ich nicht kenne....also, schlussfolgere ich mal wieder viel zu schnell: es geht um die beschreibung einer ekligen situation, wie meistens:)

ich bin schon sozusagen kyra-blind geworden. oha, denke ich, ein kyra-text und stelle mich innerlich auf unschöne ereignisse wie z.b. die biografie eines schafsbeschälers, das mundtot-machen von singvögeln durch wegsprengen des kopfes, das anzünden eines wurfs junger katzen mithilfe von brandpfeilen ... und derlei mehr ein.
das ist wiederum meine schuld.
deshalb kriegst du jetzt, weil ich in deinem werk eine neue dimension entdeckt habe, von mir, sagen wir mal....10 punkte!
;-)
liebe grüsse
elsa
 

Kyra

Mitglied
Ideen

Hallo Elsa,

Du bringst mich auf Ideen, danke!!!

die biografie eines schafsbeschälers, das mundtot-machen von singvögeln durch wegsprengen des kopfes, das anzünden eines wurfs junger katzen mithilfe von brandpfeilen ...

:D:D:D

Liebe Grüße

Kyra
 
E

ElsaLaska

Gast
komisch,kyra,

wenn du die ganze gräuel aufzählst, wirken sie gleich irgendwie noch viel ekliger. (ich finde hier die smilies immer nicht, kruzifix...)
aber ich habs kapiert. danke.
gaaanz lieb grüssend
deine elsa
 

Kyra

Mitglied
??????

Hallo Elsa

Du schreibst:
aber ich habs kapiert. danke.

nur habe ich eigentlich gar nichts gemeint...
vielleicht bin ich am Besten wenn ich nichts meine :)

Liebe Grüße

Kyra
 

gladiator

Mitglied
Und ich hatte mich schon gewundert...

..woher Du diese detaillierten Kenntnisse hast. Aber ein "Exex" erklärt da natürlich einiges.

Wie die meisten Geschichten von Dir habe ich auch diese sehr gern gelesen.

Mich störte nur das "tuntig" aussehen etwas. Vielleicht gibt es da ein anderes Wort, oder eine andere Beschreibung...

Gruß, Gladiator
 
E

ElsaLaska

Gast
ein missverständnis,kyra

das ich sowieso schon aufklären wollte.
bisher erschienen mir die beschreibungen von "grausamkeiten" immer ein bisschen eindimensional. mir schien so, als wolltest du lediglich präzise beschreibungen üben. (das stimmt auch wieder nicht, bei dem kanarienvogel handelte es sich ja ebenfalls um ein symbol und nicht nur eine fiese geschichte) deshalb schreibe ich auch extra "mir schien usw."
hier nun benutzt du die beschreibung einer "unappetitlichen grausamkeit",und bringst gleichzeitig eine echt psychologische komponente mit rein (das musst du dir jetzt einfach so gefallen lassen. bei "angst" kann man auch von einer psychologischen komponente sprechen. aber nicht in diesem ausmass. ach mir fehlen die worte heute...)
und das hat mir schlicht gefallen.
liebe grüsse
elsa
 

gladiator

Mitglied
hihihi...mal ein kleiner Zwischenruf...

Liebe Elsa,

das wird ja langsam unheimlich...jetzt lesen wir schon fast zeitgleich dieselben Geschichten...;)

Ist mir nur grad aufgefallen...

Gruß
Gladiator
 

Kyra

Mitglied
Hallo

Hallo Gladiator

Du schreibst:
Mich störte nur das "tuntig" aussehen etwas. Vielleicht gibt es da ein anderes Wort, oder eine andere Beschreibung...

ja, ich habe schon hin und her überlegt, es ist halt die wirklich typische Tuntenhaltung, Unterarm nach oben, Hände abgeknickt, hängend. Es sieht total witzig aus, weil echte Chirurgen haben sie sofort drauf, auch wenn man sie bei völlig anderen Dingen unterbricht, wie Abwaschen, Bügeln usw. ;)
wenn Du sie ansprichst stehen sie sofort steril da. Über diese Bewegung habe ich ihn (Exex) überhaupt kennengelernt, weil es so lustig aussah.
Pinguin? Conterganartig? Eingefahrenes Armwerk in Ruhestellung?

Eine für Vorschläge sehr dankbare Kyra grüßt Dich
 



 
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