Der Versuch, sie im Bild festzuhalten

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen
Bin leider kein begabter Maler. Kann es daher bei ihr nur mit diesen Schriftzeichen versuchen.
Sie hat nicht die geringste Ahnung, dass sie mir hier im Café Modell sitzt. Von ihr weiß ich vor allem, dass sie ungefähr fünfzig Jahre alt, Professorin und Einzelkind ist und neben anderen ein Buch mit dem Titel „Kinder brauchen Wurzeln und Flügel“ schrieb.
Könnte ich ein Portrait von ihr malen, würde ich Ölfarben nehmen und nicht ihren Name unter das Bild setzen sondern dieser Buchtitel.
Von runden Brillengläsern wenig geschützt, sieht sie mich mit unverhohlen neugierigen Augen an, wohlwollend und zugleich abschätzig amüsiert, wie überlegene Frauen eben auf Männer herabblicken, ohne auf sie herabblicken zu wollen. So gelingt es ihr auch, irgendwie zu mir aufzusehen.
Von diesen Blicken fühle ich mich immer noch ertappt? Ahne noch nicht einmal wobei. Vermutlich dabei, sie ertappen zu wollen? Doch weiß ich, welches Geheimnis ich in ihren Blicken suche? Manchmal ist es nur gut, nichts Genaueres zu wissen.
Ein Strahlenkranz nur wenig gebändigter blonder Haare gibt ihrem Gesicht und ihrem Lächeln jenen sanften Glanz, den ich bisher vor allem in offenen Kindergesichtern sah. Wahrscheinlich hat sie Probleme mit dem Altwerden, allerdings, ohne wirklich Angst vor dem Alter zu spüren. Widersprüchlich ist sie und zugleich eindeutig. Eben eindeutig widersprüchlich. Was mich an diesem Gesicht reizt, lässt mich zugleich auf der Hut sein. Es verleiht meiner Fantasie Flügel und ungeheuere Sehnsucht nach Sicherheit.
„Das Land der Sehnsucht liegt zwischen Freiheit und Geborgenheit.“ sage ich leise. Sie nickt und zuckt kurz mit den Schultern.
Ihre Augen werden feucht. Tränen machen sich nicht auf den Weg.
Für Momente tanzen ihre Finger auf der Tischplatte. Und zum Takt der Finger bewegen sich ihre Augen ruckartig auf und ab und hin und her.
Mit dem Handrücken schiebt sie sich ein blonde Strähne aus dem Gesicht und sieht mich an. Nein, in mich hinein. Kein starrender Blick. Eher ein lockend annehmender.
Sie lächelt und bevor sie es sagt, ziehen sich ihre Lippen leicht nach oben zurück.
„Ich liebe es zu fliegen, zu schweben, zu schwingen…!“ Und ihre Hände werden zu Flügeln, während ihre Augen zu strahlen beginnen, als schwebe sie bereits suchend über einer kleinen Welt weit unter ihr.
Dann schimmern ihre Augen wieder feucht hinter der Brille. Sie lässt die linke Hand auf den Tisch fallen, legt die rechte liebevoll behutsam darauf und streichelt die linke.
„Bin nächste Woche wieder unterwegs. Vortragsreisen. Wien, Innsbruck, Zürich. Lerne hoffentlich ein paar spannende Leute kennen. Gelingt mir eigentlich immer… “
Ihr Gesicht wirkt reisefertig. Erinnert an einen weit gereisten gepackten Koffer, der bereits in der Gepäckannahme wartet.
Mit den bloßen Händen wischt sie ein paar Krümel von der Marmorplatte des Café-Tisches, nimmt hastig einen Schluck aus dem Wasserglas.
„Ja“, sage ich. „Muss auch gehen. Habe gleich noch einen Termin. Würde dich gern bald wiedersehen.“
Sie nickt. Und in ihren Augen leuchtet bereits Wiedersehensfreude.
Schon halb stehend, deute ich an, mich noch einmal setzen zu wollen. Lege aber nur vorsichtig meine Rechte auf ihre linke Flughand, lasse sofort wieder los. Sie steht auf, ich helfe ihr in den Mantel.
Draußen vor dem Café werden wir uns, wie gewohnt, aus der Umarmung lösen und wissen, dass es diesmal noch länger bis zu unserem nächsten Treffen dauern wird.
 
hallo Karl

man mag sich, ist sich vertraut und entfernt sich doch immer weiter auseinander - ein altes menschenübel.

Könnte ich ein Portrait von ihr malen, würde ich Ölfarben nehmen und nicht ihren Name unter das Bild setzen sondern dieser Buchtitel.
diesen

schöne grüße
gernot
 

nachtvogel

Mitglied
Guten Morgen Karl, wer anderen etwas erzählen möchte, sollte etwas Neues erzählen oder etwas Altes in neuen Worte kleiden, sage ich immer mal wieder meinen Aufsätze schreibenden Töchtern. Du hast Letzteres getan und zwar in für mich beeindruckender Weise. Die Beschreibung der Professorin, ihre kleinen Bewegungen hast Du in zarte,liebevolle, nachvollziehbare und für mich neue Bilder gefasst, gemalt... Das Lesen war mir ein Genuss, das Ende der Erzählung ein Grund zum drüber Nachdenken.
Eine kleine Frage hab ich dann doch. Warum lautet die Überschrift " Der Versuche ..." und nicht "Der Versuch..."?
LG Nachtvogel
 
B

bluefin

Gast
lieber kalli,

im gegensatz zum @nachtvogel sehe ich da leider nichts wirklich neues, sondern eher gar nichts - es wird nämlich nicht klar gemacht, was denn der grund sein könnte, warum eine (sehr gut beschriebene!) professorin und der typ, der erzählt, ein wenig gestelzt nichts reden und glauben machen wollen, sie fänden einenader dennoch anziehend.

da fehlt mir ein wenig zu sehr die realität. es wird nicht deutlich, warum die beiden gefallen aneinander finden könnten - weil sie "professorin" ist? weil er so gut aussieht? weil beide so wichtige "termine" haben?...*grübel*...nein, spannung entsteht bei dieser schilderung keine. jefenfalls keine, die zwischen den beiden langweilern spürbar würde: wer über verzicht nachdenkt oder schreibt, kommt nicht drumherum, zu erklären, worauf.

tipp: dem leser besser begreiflich machen, warum die beiden sich nicht wirklich küssen oder miteinander in die kiste hüpfen können...

nichts für ungut und liebe grüße aus münchen

bluefin
 
Lieber Nachtvogel,
herzlichen Dank für deinen positiven Kommentar. Versuch e ist ein Flüchgtigkeitsfehler, den ich bisher nicht korrigiert habe, weil ich nicht weiß, wie man (rein technisch) das Thema verändern kann.
Herzliche Grüße
Karl
 
Lieber bluefin,
der "Maler" erlebt eine "gestandene" Professorin, in deren Gesicht und Buchtitel er das Kind entdeckt, das Nähe sucht. Gleichzeitig will die Frau aber frei sein.
Es entsteht also weniger Aktion dafür aber mehr innere Spannung, die m.E. keinen Sex oder keine dramtische Trennung benötigt.
Herzliche Grüße
Karl
 
B

bluefin

Gast
lieber @kalli,

von "innerer spannung" entdecke ich in dem stückerl leider gar nichts. wo hast du sie versteckt?

stell dir vor, ein buch wär sowas wie ein kondensator: die einbanddeckel unter erzählstrom gesetzt und die spannung umso höher, je wirksamer das, was du als dielektrikum dazwischen gepackt hast.

bei der gegenständlichen versuchsanordnung ist entweder die batterie leer oder es herrscht plattenschluss - jedenfalls kommt kein zündfunke. im grunde genommen ziehst du doch schon mit dem einleitungssatz den stecker aus der dose, und die hüpfburg bleibt schlaff.

tipp: plausibler zum ausdruck bringen, warum sich die partner anziehend finden sollten und was sie wirklich davon abhält, übereinander herzufallen. die "ich sag dir leise gar nichts"- und "mein terminkalender ist ja so voll"-nummern bringen nicht mal die kleinste sparlampe zum glimmen.

sei mir nicht böse, wenn ich's so unverblümt-bildlich sage, aber ich bin sicher, einer wie du, der's sprachlich ja draufhat, hält's aus und nimmt es für das, als was es gedacht ist: als wohlmeinende kritk am text.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
Lieber Bluefin,
böse bin ich dir selbstverständlich nicht. Aber ich kenne ja deine Vorliebe für Deftigeres. Das meine ich nicht abwertend.
Ich denke, das ist auch einfach eine Geschmacksfrage,
Manchmal mag ich halt auch leisere Töne.
Mit innerer Spannung habe ich jene im Ich-Erzähler gemeint. Er versucht, diese Frau an sich zu bindet, indem er sich ein Bild von der Prof., um wenigstens das festhalten zu können.
Herzliche Grüße
Karl
 
B

bluefin

Gast
ach so, @kalli, du meinst, nur das lyrich stünde unter strom und die spannung fände sich in dessen innerem?...*grübel*...da wüsste der leser dann gern, was denn an dieser kurzsichtigen professorin, die mal ein buch über irgendwas mit kindern geschrieben hat, so anziehend wäre, dass es dem lyrich gleich die sprache verschlägt und er zuflucht zu leis gehauchten aphorismen suchen muss.

einen s. o. an sich zu binden klappt, wenn überhaupt je, nur dann, wenn an dem einen etwas ist, was der andere nicht hat, aber braucht. ein bild allein langt da für gewöhnlich nicht.

wenn es deine absicht war, darzustellen, dass dein lyrich hinter etwas ganz und gar unerreichbarem her wäre und ihm deshalb nur ein foto von ihr im geldbeutel (oder im herzen oder in beidem) bliebe, dann gehörte das mädel wirklich idealisiert und die gefühle des lyrich deutlicher gemacht. präpotentes wie
So gelingt es ihr auch, irgendwie zu mir aufzusehen.
darf man ihm dann aber nicht in den sinn komen lassen, denn das implizierte ja, dass vielleicht doch etwas ginge.

ich empföhle für den fortgang der geschichte ein treffen, in dem sich eine(r) der beiden erfraut (oder ermannt) und es darauf ankomen lässt. je nachdem können dann schlaue sprüche über "essen ohne abwasch?" resp. "bindungsangst!" folgen und die beiden erklären.

so aber stochert der leser ein wenig im nebel herum, lieber @kalli, und weiß - trotz überschrift - nichts rechtes mit dem text anzufangen.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
Oben Unten