Der Weg

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Kraftgeber

Mitglied
Jetzt noch mal in einem anderen Forum. Das Ding passt sicher besser zu 'Kurzprosa'. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Ich würde mich über Rückmeldung freuen. Verbesserungsvorschläge, Kritik, Fragen, alles sehr willkommen.

Danke,
Jörg

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Der Weg

An einem sonnigen Nachmittag gingen sie Hand in Hand diese Allee entlang. Sie wären gerne mittendurch gegangen, beschattet von den lieben Bäumen mit ihren kühlenden Kronen - so, wie es die Leute früher taten, als hier wohl nur ein paar Pferdefuhrwerke und Kutschen fuhren. Heutzutage hatte man den Baumweg für den Autoverkehr gerüstet. Neuer Asphalt, strenge Markierungen, alles tipp-topp. Einige Bäume hatten eine Art Glitzerröckchen um, der das Scheinwerferlicht diffus reflektierte. Das war, um den Rehen den Sprung über die Straße zu vergraulen - zumindest dann, wenn sich ein Auto näherte. Die Beiden waren auf den kombinierten Fahrrad/Fussgängerweg verbannt, der neben der Allee vorbei führte. Aber hier war es auch schön. Sie gingen langsam nebeneinander her. Ihren Rhythmus hatten sie gefunden, schon ziemlich bald, als sie losgegangen waren.

"Ich gehe gern mit Dir", sagte er und schaute dabei auf die Lerche, die über dem Feld ihr Lied sang.
"Ich gehe auch gerne mit Dir", antwortete sie, Auch sie schaute nun zum Feld hinüber. Die Lerche war aber schon niedergegangen und das machte sie ohne Gesang. Das Korn verdeckte ihren Landeplatz.
"Wie weit willst Du gehen?" fragte er.
"Wir könnten sehr weit gehen, wenn wir wollen" Sie schaute an den Bäumen entlang. Aus dieser Perspektive erkannte man deutlich, wie gerade sie einmal gepflanzt wurden. Man sah jetzt auch , dass der Weg langsam anstieg.
Er schaute sie nun an. "Aber wenn wir zu weit gehen?"
"Ich glaube, solange wir im Rhythmus bleiben, können wir nicht zu weit gehen."
"Weisst Du denn, wohin uns der Weg führt?"
"Nein. Möchtest Du zurück?"
"Nein, wir sind jetzt schon so weit gekommen"
"Ja, das sind wir. Leicht war es nicht"
"Nein, leicht war es nicht. Aber als wir erst mal auf den Weg gemacht haben, ging"s doch ganz gut, oder?"
"Ja, jetzt müssen wir nur noch den höchsten Punkt erreichen"
Er blieb abrupt stehen. "Sollen wir wirklich so weit gehen?"
Sie antwortete nicht. Stattdessen drückte sie seine Hand etwas fester und ging voraus. Ein kleiner, ausgetrockneter Graben trennte den Radweg vom Feld. Sie lächelten sich an und machten einen grossen Schritt. Das Kornfeld verschlang sie vollständig, als sie sich niederlegten.

Die Lerche beschwerte sich lautstark über die Störung. Auf der Allee fuhr zügig ein Auto vorbei. Beim Fahren bemerkte man die Steigung nicht.
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petrasmiles

Mitglied
Man kann sich von der Vordergründigkeit des 'gemeinsamen Weges' als abgenutzter Metapher abschrecken lassen, und sieht etwas scheinbar Bekanntes.
Man kann die seit der Industrialisierung immer wieder als Thema bemühte Gegensätzlichkeit von Natur und Technik, zwischen denen der Mensch zu pendeln scheint, sehen, und denken, das ist nicht neu.
Aber dann nimmt man sich als eiliger und vorschnell urteilender Leser das Vergnügen an einer wirklich empfindsamen Darstellung einer alltäglichen Szene. Ich sitze als Beifahrer in jenem Auto und sehe das harmonisch sich bewegende Paar, das sich schliesslich an den Händen fasst und aus meinem Blickfeld verschwindet, und ich blicke auf den Fahrer, der in Gedanken schon am Ziel ist, und am Ziel schon beim nächsten ist, und ich frage mich, was wäre wohl anders, wenn wir so gegangen wären?
Meine Meinung? Eine feine Speise, die man nicht herunterschlingen darf - und von der ich mir mehr wünsche.
 



 
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