Der Zeitlauscher - 5. Teil

Markus Veith

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Es war der abendliche achtzehnte Mai.
„Herzlichen Glückwunsch, Klara.“
„Alles Gute für dein Leben, Konrad. Der Herrgott schütze dich.“
„Wie fühlt man sich mit zwanzig Jahren?“
„Das kann ich dich fragen.“
Sie lächelte. Konrad wusste es. „Ich liebe dich, Klara.“
Ein wohliger Atemzug fuhr leise in der Vergangenheit und kam, fast unhörbar leise, wieder zurück. „Ich liebe dich auch, Konrad.“
Kurz darauf lagen ihre zwei Körper ineinander, bloß getrennt von der Nichtigkeit Zeit. Ihre Stimmen, ihr Seufzen, ihr Liebkosen in ihrer beider Köpfen, in ihren nackten Leibern, die verschmolzen ineinander lagen, die Wärme aus ihrem Innern spürten, die Hitze, die brodelte, aufwallte, flutete und verebbte. Ein weicher Frühlingswind kühlte sie ab und sie flüchteten unter die Eiche. Verliebt saßen sie an derselben Stelle, horchten in sich, wie die wilden Herzschläge des anderen sich langsam beruhigten. Die ganze restliche Nacht.
„Konrad?“
„Ja.“
„Mein Vater möchte, dass ich heirate.“
Er hatte so etwas schon befürchtet. Klara musste damals mit ihren zwanzig Jahren fast eine alte Jungfer gewesen sein. Die meisten Mädchen waren bereits mit fünfzehn vor den Traualtar geführt worden. Klara hatte Konrad erzählt, dass es einige, ja, sogar viele Freier um sie herum gebe. Bisher habe sie sich allerdings erfolgreich verwehren können. Sie liebte Konrad und wollte keinen anderen. Andererseits wolle sie ihrem Vater keine Sorgen bereiten, der ihr schließlich alle Freiheiten bot, den aber die Leute aus dem Dorf mit unbequemen Fragen zusetzten.
„Vater sagt, der Krume-Johann sei ein guter Mann. Aber ich finde ihn zu jähzornig. Und ich glaube, er hat nur gefreit, weil seine Mutter es ihm riet. Ich sagte ihm, er solle erst vor Gott treten und ihn um Entscheidung bitten.“
Konrad schwieg. Es tat ihm weh. Aber was konnte er schon machen?
Eine schnelle, helle Bahn glitt über den halbdunklen Morgenhimmel. Der Zeitlauscher sah der Sternschnuppe nach. Ein in letzter Zeit immer häufiger werdender Gedanke an seine Mutter flammte kurz auf. Wie das Leuchten eines fernen Leuchtturms.
„Was wünscht du dir?“
Konrad lächelte, wunderte sich jedoch nicht. Er musste nicht überlegen. „Ich würde dich gern anschauen dürfen. Um dich dann malen zu können. Deine Augen, deinen Mund, dein Gesicht. – Ja. Das würde ich wirklich gern. Endlich genießen können, wie du aussiehst..“
„Das wünsche ich mir auch schon lange.“
Eine Grille zirpte ihren Nachtgesang durch das stillschweigende Dunkel. In der Vergangenheit schrie ein Käuzchen. Doch plötzlich vernahm Konrad das entgeisterte Einatmen des Mädchens.
„Was ist?“
„Konrad!“ rief sie aufgeregt. „Ich kann dir etwas zum Geburtstag schenken.“
„Was?!“
„Ja. Etwas von mir. Du lieber Himmel, das müsste gehen."
Die Stirn irritiert gerunzelt hörte der junge Mann den scharrenden Geräuschen zu, die vor langer Zeit die Erde direkt vor ihm aufgewühlt hatten. „Was, in Herrgotts Namen, machst du da?“
„Konrad, bitte, grabe und hoffe genau hier.“
„Wo? Hier?“ Die Stelle, die ein feststampfendes Geräusch seinem Gehör verriet, war nicht gerade weich. Das Wachstum der Eichenwurzeln hatten sie verdichtet. Doch die Neugier zwang Konrad weiterzubuddeln. Bald darauf stießen seine kratzenden Finger tatsächlich auf etwas Hartes, Metallisches. „Ich werd’ verrückt. Hier ist tatsächlich was.“ Er befreite es aus dem Schlafmantel der Erde und säuberte es. „Ist das ... von dir?“
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Konrad.“
Das Amulett war mit Grünspan überdeckt und uralt: Ein verschnörkeltes K aus Bronze. Umkränzt mit bronzenem Eichenlaub.
„Mein Vater hat es mir vor ein paar Jahren gefertigt und mir geschenkt. Nun soll es dir gehören. Wie findest du es? Gefällt es dir? Bitte, nun sag schon. Wie findest du es?“
Konrad kratzte mit dem Fingernagel an der dünnen, grünen Patina. Seit über vierhundertfünfzig Jahren hatte dieses Kleinod in der Erde unter der Eiche geruht, war von deren größer und kräftiger werdenden Wurzeln umwachsen und beschützt worden und hatte geduldig auf den Augenblick gewartet, an dem es von seiner Besitzerin verschenkt werden sollte. In den letzten sechs Jahren, seit er mit Klara befreundet war, hatte er so viel Zeit hier unter der Eiche verbracht und nicht einmal im Traum daran gedacht, dass nur wenige Zentimeter unter ihm etwas verborgen lag, das mal seiner Klara gehört hatte.
Seine Stimme zitterte, als er ihr antwortete. „Es ... ist wunderschön, Klara.“ Noch nie hatte Konrad etwas so ehrlich gemeint. Dieses kleine Amulett war schmutzig und ein klein wenig verbogen. Es war nicht von feinen, geübten Goldschmiedefingern gefertigt, sondern mühevoll von groben Dorfschmiedhänden geformt worden. Und trotzdem war es das schönste Geschenk, das er jemals bekommen hatte.
Ein K wie Klara. Oder wie Konrad.
Dass sie daran nicht früher gedacht hatten. Es war so einfach. Klara war es möglich, Konrad etwas in die Zukunft zu ‚schicken’. Sie musste ihm nur verraten, wo er in seiner Gegenwart danach zu suchen hatte. Nur umgekehrt ... da machte ihnen die Zeit einen Strich durch die Rechnung.
„Du kannst mir nichts schenken, nicht wahr?“
Die Stimme des Mädchens klang so niedergeschlagen, dass es Konrad das Herz schwer machte.
„Ach, Klara, ich ...“
Eine Idee traf ihn wie ein Blitzschlag.
„Doch! Herrje! Doch! Ich kann dich malen. Das müsste klappen. Ich werde dein Gesicht der Nachwelt erhalten. Das wird mein Geschenk an dich sein. Unsterblich werde ich dich machen. Und ich werde dich ansehen können, so oft ich möchte. Komm mit! Schnell!“
Der junge Mann schnappte sich seine Umhängetasche, die er ständig bei sich hatte und lief durch die Wiesen und Felder voran, durch die Wiesen und Felder, dem nahen Wald entgegen. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um Klara zu rufen, ob sie hinter ihm her käme. Sie erreichten die kleine Lichtung mit ihrem See und dem Bach, der durch das Halbdunkel plätscherte. Die Staudämme hielten noch. Sie waren in den zwei Jahren von ihnen häufig ausgebessert worden.
Konrad ließ sich am Ufer des Sees nieder und lauschte, wie Klara es ihm gleichtat. Der junge Künstler holte seinen Skizzierblock aus der Tasche und wählte einen Bleistift.
„Beuge dich über den Wasserspiegel. Schau dich an“, forderte er Klara auf, dann flüsterte er sanft: „Beschreibe dich mir. Ich möchte dein Gesicht vor mir sehen können. Mit jeder kleinsten Kleinigkeit.“
„Aber ...“, zweifelte Klaras Stimme. „Was ist, wenn ich dir nicht gefalle?“
Konrad lächelte mit geschlossenen Augen. „Klara, so hässlich könntest du gar nicht sein, dass du mir nicht gefallen würdest.“

Rötlich blonde Haare. Lang, bis auf den Rücken. Ungebunden, leicht gelockt. Ponylocken, die bis auf den Nasenrücken wippen können. Brauen aus kurzen, dunklen Härchen. Wie ein dünnes, genau in der Mitte geknicktes Dach über flachen Augenhöhlen. Die Augen jeweils eine Fingerbreite von der Nasenmitte. Nur ganz leicht geneigt und ein wenig mandelförmig. Von dunkelbrauner Farbe. Die Nase gerade und schlank. Mit kleinen Flügeln. An ihrer Spitze eine leichte, senkrechte Rille. Unter der Nase eine etwas breitere Innenwölbung; eine Fingernagellänge bis zur Oberlippe. Der Mund schmal. Zwei Fingerglieder breit. Gerade. Die Unterlippe ein wenig dicker als die obere. Das Kinn schmal. Ein wenig vorstehend. Mit einem winzigen Grübchen in der Spitze. Ihr Gesicht recht schmal. Drei Finger breit von den Nasenflügeln zu den seichten Jochbeinen. Die Ohren recht groß und ziemlich weit zurückstehend. Von den Brauen bis zur Nasenunterkante. Einen schlanken Hals. Ein kleines, dunkles Muttermal auf der rechten Wange. Genau in der Mitte.

Konrad wischte sich über die Augen. Dann legte er die Skizze fort, beugte sich vor und blickte in das schillernde Wasser. Er hörte Klaras Atem. In sich. Seine Augen schwammen dort unten. Der Wasserspiegel zog sein Gesicht auseinander und wieder zusammen. – Waren das wirklich seine Augen, in die er sah? Seine waren grün. Jene im Wasser schimmerten dunkelbraun. Und er glaubte, dass langes Haar ihm entgegenlockte. Rötlich blondes Haar.
„Warum habe ich das getan, Klara?“ seufzte er. „Wäre ich doch nie auf diese Idee gekommen. Wie soll ich deinen wundervollen Anblick nun ertragen, ohne von dir berührt zu werden.“
* * *
Der junge Mann schlägt die Augen auf. Seine Hände erforschen immer noch die Konturen des Amuletts.
Draußen graut der Morgen. Doch der Wind tobt stärker und treibt Regenwolken über das Land. Konrad wendet seinen Blick vom Fenster ab und schaut zu der feinen Graphitzeichnung hinüber, die in einem Rahmen an der Backsteinwand über dem Kamin hängt. Als Blume das letzte Mal hier gewesen ist, hat sie lange davor gestanden und nichts gesagt. Erst nach einer ganzen Weile hat sie sich umgewandt und ihn angelächelt, ein Hauch von Bitternis in ihrer Miene.
Konrad lässt sein Gehör schweifen.
„Sie ist tot, Konrad.“
„Ich weiß.“ Er hat genickt. „Seit mindestens drei Jahrhunderten.“
„Tut es dir sehr weh?“
Sein Schmunzeln hat gezwängt geklungen. „Ich kann nur in die Vergangenheit lauschen. Wie das Reisen dorthin funktioniert, habe ich bisher nicht herausgefunden. Schmerz hin, Schmerz her: Was kann ich schon tun? Kein Mensch lebt ewig, oder?“
Daraufhin hat sie mit nachdenklichem Gesicht dagestanden. „Brüderchen“, hat sie schließlich gesagt und dabei geheimnisvoll gelächelt. „Brüderchen, genieß diese Liebe. Sie ist vielleicht die Unglücklichste der Geschichte ... aber sicherlich auch die Ungewöhnlichste. Das kann dir die Zeit nicht nehmen.“
Konrads Wahrnehmung rauscht zu ihm zurück. Das alles ist noch gar nicht so lange her. Ein paar Tage nur.
Wie lange war es dagegen her, dass er sein Talent dazu benutzt hatte, etwas anderes zu hören als Klaras Stimme? Das fiel ihm gestern beim Einkaufen auf. Kurz zuvor hatte er einen Brief erhalten, um dessen Inhalt seine aufgewühlten Gedanken kreisten, und der im Innern seiner Jackentasche brannte wie ein in den Ärmel gerutschter Funke. Statt einem Namen stand das Wort ‚Mutter’ über der Absenderadresse. Konrad hatte die Zeilen in altvertrauter Schrift gelesen und freute sich darauf ihn zu beantworten. ‚Ja. Komm zurück.’
Da fiel ihm, gerade als er an der Kasse den Käse in die Leinentasche packte, mit einem Male auf, wie lange das alles her war. Seit Jahren lauschte er ausschließlich in die Vergangenheit, um mit Klara zusammenzusein.
‚Versuch’ es mal wieder! Einfach so. Hier und jetzt.’
Also ging er auf den Marktplatz, setzte sich an den Brunnen in der Mitte ... und ließ sein Gehör in die Zeit sinken.
„Hexe!!“
Konrad zuckte erschrocken zusammen. Er ließ den gefüllten Leinenbeutel fallen. Ein Honigglas zerklirrte dumpf. Seine Hände stützten sich auf den Brunnenrand.
„HEXE!!“
Hektisch versuchte Konrad, die genaue Zeit festzustellen, hoffte, er hätte sich vertan. Aber er irrte sich nicht. Seine Gewohnheit hatte sich eingeschaltet. Er war die Feineinstellungen nicht mehr wie früher gewohnt. Nur noch die feste Distanz von 476 Jahren ... Vor Schreck rutschte er einige Tage, vielleicht auch eine ganze Woche weiter zurück in die Vergangenheit.
„Dieses Miststück ist mit Luzifer im Bunde!“
„Aber Frau Bredel, glauben sie denn in der Tat, dass ...“
„Natürlich. Ich habe sie doch beobachtet. Seit Monaten. Und ich bin mir ganz sicher. Sie spricht mit Ihm, wenn sie sich alleine glaubt ...“
„Mein Gott ...“, flüsterte Konrad entsetzt.
„Lesen und Schreiben hat er sie gelehrt, dieser Hexe. Sie vermag es. Ohne das nur ein anderer es ihr gezeigt ... Glaubt mir ruhig, ihr Leute.“
„Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.“
„Und dann diese Haare.“
„Ja, genau! Satans Glut sprießt ihr aus dem Kopfe.“
„Konrad, ist etwas mit dir?“ Der junge Mann schreckte auf.
„Der Priester mag ja seine Bedenken haben, doch hört auf meine Worte: Ihr Name steht bei Luzifer unter Vertrag!“
„Meiner Treu, du bist ja leichenblass, mein Junge.“
„Diese Hexe!!“
„Geht es dir gut?“
„Ja, ja“, keuchte Konrad. Seine rotweißen Finger krallten sich um das Eisengeländer des Brunnens.
„Das Amulett von ihrem Vater ... sie hat es verbuddelt ...“
„Geht schon wieder, Frau Gremsen.“
„Meinen Johann hat sie abgewiesen.“
„Konrad, wirklich ...“
„Ja, ich war ihr wohl zu gottesfürchtig ...“
„Du siehst krank aus.“
„... Aber ich habe sie verfolgt ...“
„Nein, nein, Frau Gremsen.“
„... Was sie da unter der Eiche tat ...
„Es ... es geht schon wieder. Ehrlich.“
„... An ihrem Jahrestag hat sie mit Ihm gebuhlt ... auf abscheulichste Weise!“
„Mir war nur kurz ...“
„... mit dem Teufel hat sie sich vermählt!“
„... etwas schwindelig.“
„Du, mein Mann ist hier. Soll er dich nicht vielleicht nach Hause fahren?“
„Sie muss brennen, diese Hexe! Brennen, sage ich!“
„Verbrennt sie!!!“
„HEXE!! VERBRENNT DIE HEXE!!!“
„NEIN! NICHT!!“
„Ist ja gut, Konrad. Wie du willst. War ja nur nett gemeint“, stammelte die Frau, erschrocken über den plötzlichen Ausbruch des blassen, jungen Mannes.
Konrad war aufgesprungen und schaute wie ein gehetztes Tier um sich. Sein Atem keuchte stoßweise. „Klara ... Ich..“ Er wollte mehr sagen, doch seine trockene Stimme versagte ihm.
Frau Gremsen runzelte besorgt die Stirn, berührte Konrad behutsam am Arm. „Konrad, Junge, was ist denn los mit dir?“
„Ich muss sie warnen“, flüsterte er. „Sie muss von hier weg. Sofort. Damals. Mist!“
„Konrad! Wen musst du warnen? Und weshalb?“
„Hoffentlich ist es nicht ... Aber nein! Das ist ja alles schon längst ... Mein Gott! Scheiße! Scheiße!! VERDAMMTE SCHEISSE!!!“
Er rannte los.
„Konrad!“ hörte er die ältere Dame empört rufen.
Er lief in die Straße, in der die Schmiede von Klaras Vater gestanden haben musste und wo sich heute die kleine Polizeiwache des Dorfes befand. Er fand seine schreckliche Ahnung bestätigt: Hier war ein Massenauflauf gewesen. Aufgebrachten Stimmen schrien durcheinander. Laut und wütend forderten sie den alten Schmied und seine Familie vor die Tür. Konrad hörte, wie sie sich die Mäuler wund diskutierten.
„... die ganze Umgebung ...“ „... verseucht ... verhext ...“
„... meine tote Kuh ...“ „... die Fehlgeburt bei ...“
„... das Feuer auf Lönnemanns Hof ...“ „Verbrennt sie!“ „Diese Hexe!!“
Dazwischen vernahm er eine männliche Stimme. Ein mächtiges Brüllen lateinischer Worte, die er nicht verstand. Konrad rief Klaras Namen. Rief und rief ihn so laut er konnte immer und immer wieder in die Vergangenheit. Die Leute blieben um ihn herum stehen. Polizeibeamte kamen aus der Wache. Wachtmeister Frese kannte Konrad. So hatte er den jungen Bode noch nie erlebt. Er sprach beschwichtigend auf ihn ein, was Konrad aber nicht zu beruhigen vermochte. Er brüllte weiter Klaras Namen durch die Nachbarschaft. Schrie dazwischen die bestürzten Leute an, sie sollten still sein, er könne nichts verstehen. Herr Frese wollte ihn schließlich ergreifen und in Gewahrsam nehmen. „Zu seinem Schutz“, wie er sagte. Konrad aber riss sich los und hastete weiter die Straßen entlang.
„Lasst ihn“, sagte Frese. „Der Junge kriegt sich schon wieder ein. Ist ja sonst nicht so. Vielleicht hat er einen über den Durst getrunken.“ Und bedauernd die Köpfe schüttelnd, zerstreute sich die Menge wieder. In der Vergangenheit allerdings nicht ...
* * *
Konrad hastete durch die schmalen Gassen des Dorfes. Klara war nicht bei der Schmiede gewesen, da war er sich sicher. Sein Zeitgehör lauschte ständig. Doch überall, wo er herkam, vernahm er nur mordlustige Stimmen, die gen Schmiede strömten und dabei immer das gleiche riefen.
„Verbrennt die Hexe!“
Die Leute in den Straßen schauten sich nach ihm um. Konrad war das völlig egal. Er musste Klara finden und sie warnen. – Herrgott, er musste! Aber trotz allem traute er sich nicht, sein Gehör zu sich heran zu ziehen, um in Klaras Zukunft hinein zu horchen. Er hatte ihr versprochen, es nie zu tun. Aber es war so ein leichter Schritt, der ihm Gewissheit verschaffen würde. Doch auch die Angst hielt ihn gepackt. Was, wenn sie wirklich als Hexe dem Feuer ausgeliefert worden war? Weil sie zu Unsichtbaren sprach. Weil sie von ihm, Konrad, Dinge gelernt hatte, die sie damals noch gar nicht hätte lernen können. Er trüge die Schuld an ihrem Flammentod. Er mit seinem Talent, das er mit Klara geteilt hatte. Was würde er in ihrer Zukunft hören? Ihre Schreie, wenn das Feuer sie auffraß? O nein, bitte, nicht das!!
Er lief den Strand entlang. Und zu der Eiche. Und durch den Wald. Und durch die Felder. Er schrie, er brüllte ihren Namen. Nirgends erhielt er eine Antwort.
Es war bereits dunkel, da lief er noch einmal durch das Dorf.
Verzweifelt hallte sein Rufen durch die Straßen. Viele Dorfbewohner verfluchten ihn mindestens ebenso lautstark. Doch da...
„Die Ärmste.“
„Ja. Sie war noch nicht sehr alt.“
Die vergangene Stimme ließ ihn vor Schreck erstarren.
„Aber wenn es so ist, wie Ihr sagt, dann musste es wohl sein.“
„Das sagt auch mein Weib, obwohl sie es fürwahr grausam findet.“
Sie hatten es getan. Es war zu spät. Klara war ...
„Sie gab schon keine Milch mehr und da ...“
„Nein, nein, Ihr habt ganz recht. Mit dieser Rinderpest ist nicht zu spaßen.“
„Hast du sie gefunden, du Schreihals, ja?! Ist endlich Ruhe?!“ schnauzte es von oben auf den jungen Mann herab. „Nimm dein Liebchen und verschwinde!“
Wie ein Irrer lachend und weinend zugleich lief er noch einmal am Strand entlang, obwohl er ahnte, dass es nicht viel bringen würde. Es war bereits nach Mitternacht, als Konrad zur Eiche lief. Er war völlig erschöpft. Keuchend lehnte er seine feuchte Stirn an die Rinde des Baumes.
„Konrad? Bist du das?“ flüsterte es.
 



 
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