Der Zombie im Kosmetiksalon

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen

krokotraene

Mitglied
"Komm, wir gehen ins Kosmetikstudio!" Mit großen Augen, die der Rubbelwerbung im TV ähneln, stehe ich mitten im Zimmer. Ich freue mich, dass mir meine Freundin diesen Vorschlag am Telefon unterbreitet und nicht persönlich anwesend ist. Mein Gesichtsausdruck wäre ein peinlicher Anblick für Stella. Sie lässt nicht locker: "Das wird Dir gut tun. Du wirst sehen, danach bist du wie neugeboren!".

Neugeboren mit knapp sechzig Jahren? Geht das überhaupt frage ich mich. Da höre ich schon: "Also ich hole dich morgen um 10 Uhr ab. Tschüssi!" und schonhatte sie aufgelegt. Ich stehe wie angewurzelt mitten im Raum. Was bitte sollte ich in einem Kosmetikstudio machen? Aber wenn sich Stella etwas in den Kopf setzt, dann kann man schwer nein sagen.

Stella, die hübsche, modische und vollschlanke Chefsekretärin. Stets gestylt und elegant, aber nicht aufreizend steht sie ihrem Chef zur Seite. Sie organisiert, kocht Kaffee und hält die Zügel fest im Griff. Sie würde für ihren Chef ins Feuer springen, doch nie mit ihm ins Bett kriechen. Ich bewundere Stella seit dem Tag unserer Begegnung. Sie weiß was sie will und sie zieht es durch. Sie ist eingefleischter Single und findet Männer nur nett zum Anschauen. Ich habe in den zwanzig Jahren unserer Freundschaft noch nie erlebt, dass sie einen Mann mit nachhause genommen hat. Oder macht sie es so geschickt? Wie oft habe ich mir diese Frage schon gestellt?

Mein Leben hingegen sieht anders aus. Geboren als Kind von Bergbauern habe ich den elterlichen Hof übernommen. Auf einem Kirtag habe ich dann Hans kennengelernt. Geheiratet, Kinder bekommen und vor zwanzig Jahren den Hof verkauft und in die Stadt gezogen. Ich war verloren, einsam und scheu. Soviele Menschen, soviele Straßen. Monatelang fuhr ich mit dem Taxi nachhause, da ich mich in dem Gewirr der Häuser verloren hatte. Ich fühlte mich wie Crocodile Dundee in der Großstadt. Mein Mann hingegen war glücklich. Er war wieder in seiner Heimat in Graz. Wir waren zwei Erwachsene und vier Kinder in einer kleinen Wohnung zusammengepfercht. Keine Tiere. Keine Berge. Keine Natur. Tja, eines Tages lernte ich dann Stella kennen. Sie hat mir soviel geholfen.

Und jetzt zwanzig Jahre später? Hans ist bei einer jungen Kollegin gelandet und gleich zu ihr gezogen. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Meine älteste Tochter lebt irgendwo in Amerika, der jüngste Sohn in Wien. Die beiden anderen geben mir die Schuld an der Scheidung. Und so habe ich nur noch Stella.

"Komm schon!", Stella zerrt mich wie einen störrischen Esel. Wir sind im Kosmetiksalon angekommen. Natürlich kennt Stella alle Damen und alle kennen Stella. Ich stehe wie ihre Putzfrau hinter ihr. "Marie wird dich schon auf Vordermann bringen", Stella schubst mich Marie entgegen, die sich sofort mit einem weißen Zahnpastalächeln auf mich stürzt.

Schwupps bin ich schon ausgezogen und ein Frotteefetzerl bedeckt meine wichtigsten Stellen. Marie bittet mich auf einem weißen Stuhl Platz zunehmen. Ich soll es mir bequem machen. Wie bitte? Ich fühle mich im ganzen Raum unwohl. Stella hat da keine Probleme, sie hat den übernächsten Platz und liegt schon genüsslich auf der Liege. Sie winkt entspannt zu mir rüber: "Schätzchen, mach es dir bequem. Und einfach geniiiiiiiießen!"

Sie hat leicht reden. Ich wälze mich auf den Stuhl. Wie beim Zahnarzt. Ahhhh, was ist jetzt? Marie hat den Stuhl samt mich nachhinten fallen lassen. Ich liege da und starre auf die weiße Decke. Ich spüre Maries Hände, die irgendeine Creme in meinem Gesicht verteilen. Igitt, die fuchtelt in meinem Gesichtsfeld auf und ab. Weiter geht es halsabwärts, dann kommt mein Dekolleté dran und die Schultern. Sie fährt mit den Fingern die Konturen meiner Augen nach. Ob so ein Job Spaß macht? Dauernd in fremden Gesichtern herumsurfen? Ahhh, was ist das? Mir rinnt ein kalter Schauer über den Rücken. Sie trommelt auf meine Wangen. Oje, ich würde ihr am liebsten eine reinhauen. Aber Stella zu liebe, halte ich meine Hände fest an die Griffe des ominösen Stuhles gepresst.
Plötzlich dampft mir heißes Wasser ins Gesicht. Es kitzelt in der Nase. Abermals frage ich mich, wie ich da entspannen soll. Marie fummelt noch immer in meinem Gesicht herum. Der heiße Dampf prallt auf meine Stirn. Ich höre durch die geschlossene Tür die Geräusche des anschließenden Friseurladens. Irgendwer wird gerade geföhnt. Das Geräusch des laufenden Föhns und der Wasserdampf erinnern mich an ein unsagbares Unwetter, in welchem ich ein verlaufenes Lamm gesucht habe. Es war die Hölle. Ich frage mich wieder einmal, wie ich hier entspannen soll. Der Wasserdampf ist aus. Gott-sei-dank. Meine Hände entkrampfen sich wieder. Im gleichen Moment fährt mir Marie mit etwas Eiskalten ins Gesicht. Ich könnte schreien. Es fühlt sich an wie ein Badeschwamm der mein Gesicht erobert.

Kaum ist das kalte Gefühl einigermaßen verklungen, fährt Marie wieder mal mit einer Creme meine Wangenknochen nach. Auf und ab. Auf und ab. Rund im Kreis. Und wieder auf und ab. Wie blöd muss dieser Job sein? Mir fällt unsere junge Magd ein, die immer gejammert hat, wie doof doch unsere Bauernarbeit sei. Es ist immer das gleiche, hat sie am 3. Tag gejammert. Na, wenn die mal an Maries Stelle gewesen wäre... Weiter kann ich nicht denken, denn Marie klebt mir gerade etwas auf die Stirn. Weeeeeehhhhh, was ist das? Fühlt sich an wie Kuhscheiße und auch so warm.

Marie pickt unbeirrt weiter. Rund um die Augen, auf die Wangen, rund um den Mund, auf den Hals. Was wird das? Ich traue mich nicht die Augen zu öffnen. Also liege ich noch immer unbeweglich auf diesem weißen Marterstuhl. Irgendwer hier im Raum schnarcht leise vor sich hin. Ob es Stella ist? Oder die Dame mit den Bergschuhen? Ich fand den Anblick so lustig. Wir müssen alles ausziehen, hat Marie gesagt, und mir den weißen Frotteefetzen entgegengehalten. Den soll ich dann anziehen. Also tat ich so wie sie gesagt hat. Dann brachte sie mich zu dem weißen Stuhl am Fenster. Unweigerlich fiel mein Blick auf die Dame am ersten Stuhl. In ihrem Gesicht pickten Gurkenstücke. Apropos Gurken. Ich hätte jetzt Lust auf Wienerschnitzel mit Gurkensalat mit Knoblauch. Halt! Ich schweife ab. Sowas. Immer ans Essen denken. Kein Wunder, dass ich mindestens fünfzig Kilo mehr als Stella auf die Waage bringe. Also zurück zu den Gesichtsgurken. Hat so witzig ausgesehen, ich hätte am liebsten laut gelacht. Dann habe ich ihre Schuhe gesehen. Sie hatte noch die Bergschuhe an.


Marie fährt mir gerade mit eiskalten Wattebauschen ins Gesicht. Mein Gusto auf Gurkensalat hat sich schlagartig verflogen. Mir fröstelt. Auch meine Zehen sind schon eiskalt. Ich versuche vorsichtig die weiße Decke über die Zehen zu ziehen. Ich denke an die nächste Station. Zur Pedikür müssen wir, hat Stella gesagt. Na fein, die wird sich freuen, wenn ich mit den eiskalten Füssen antrabe. Die wird glauben, die Eiszeit ist ausgebrochen.

Ich lausche den Geräuschen. Irgendwer mixt irgendwas zusammen. Es wird gerührt und gerührt. Wie in der Hexenküche schießt es mir durch den Kopf. Plötzlich fährt mir ein Pinsel ins Gesicht. Ahhhhh, jetzt würde ich aber wirklich gerne laut schreien. Haben die da null Anstand? Ich würde doch auch keinem anderen mit einem Pinsel im Gesicht herumfummeln. Also wenn Stella nicht auch da wäre, wäre ich spätestens jetzt aufgesprungen und gegangen. Aber ich will mich vor Stella nicht blamieren. Ich soll ja genießen.

Der Pinsel fährt auf und ab, zieht Kreise und wiederholt alles noch einmal. Ich schnuppere. Es riecht herrlich nach Schokolade. Mhhhhhhhhmmmmmm. Oh, ein Königreich für eine Rippe Schokolade. Ich schnuppere noch einmal. Oh gott, ist das gut. Da fällt mir Stella ein. Wir sind bei der Anmeldedame gestanden und Stella sagte: "Sophie, heute nehmen wir zweimal die Schokoladepackung!" Aha, also isst hier keiner eine Schoko, sondern Marie schmiert sie mir gerade ins Gesicht. So eine Verschwendung. Mein Magen knurrt. Oh, wie peinlich. Der will wohl auch eine Schoko. Ich denke nach was mir lieber ist. Gurken auf den Augen oder Schoko auf den Wangen? Mein Magen knurrt nochmals.

Ich komme zum Entschluss, ich hätte jetzt doch gerne ein Wienerschnitzel mit Gurkensalat und danach einen Schokokuchen. Mein Magen knurrt schon wieder. Es wird noch peinlicher. Der Schokoduft hängt in der Nase. Darf ich mal mit der Zunge den Patz aus dem Gesicht schlecken? Ich mahne mich sofort wieder zur Vernunft. Aber das wäre doch Kundenservice. So ein Stückchen Schoko zur Maske. So in den Mund gestopft. So einfach auf der Zunge zergehen lassen? Mein Magen knurrt schon wieder. Ich muss ein anderes Thema finden. Irgendwer schnarcht noch immer genüsslich. Die Tür geht auf. Irgendwer schlürft leise herein. Zwei Damen flüstern. Ich versuche die Worte zu verstehen. Mein Vater hat immer gesagt, wer flüstert hat Geheimnisse. Schwachsinn, ich ermahne mich schon wieder.

Irgendwer lässt sich auf dem Bett neben mir nieder. Irgendwer schnauft tief durch und rülpst. Na Hallo, kein Anstand in den weißen Hallen? Ich komme dann später drauf, es war nicht gerülpst, es war nur ein komisches Geräusch vom komischen, weißen Foltersessel.

"Nur noch die Augenbrauen und Wimpern, dann sind Sie fertig!", Marie redet mit mir. Juhu, es geht dem Ende zu. Ich soll die Augen groß aufmachen. Achgott, das ist Arbeit, ich soll mich doch hier entspannen. Eigentlich bin ich jetzt nur verspannt, aber bitte. Marie pickt mir was unter die Lider, und jetzt die Augen wieder schließen. Jaja, bin ja folgsam. Marie zupft an meinen Wimpern. Achja, Stella hat so etwas ähnliches erwähnt. Wie war das? Irgendwas färben und wie noch? Aja, sowie früher die Pecher, also Harzen. Ich verstehe zwar nicht, was man im Gesicht harzen will, aber vielleicht habe ich es auch falsch verstanden.

Marie fährt mit irgendwas an meinen Wimpern entlang. "Jetzt nicht die Augen öffnen, bis ich es Ihnen sage!" Ok, das ist doch leicht. Ahhhhhhh, Mensch, meine Fingernägel bohren sich gerade in die Sessellehne. Was um alles in der Welt macht die Frau mit mir? Ahhhh, oh gott, lass mich sterben. Ich habe das Gefühl, Marie zieht mir die Augenbrauen bei lebendigen Leib aus dem Gesicht. Wie schön, wenn der Schmerz vergeht.

Aber es dauert nicht lange, da ist das Gefühl schon wieder da. Ich könnte Marie eine schmieren. Inzwischen brennen meine Augen wie die Hölle. Bitte schickt mir eine Feuerwehr. Die rote mit den blauen Lichtern. Und Grisu als Feuerwehrmann. Bitte Wasser Marsch. Ich glaube, ich werde blind. Bitte nochmals Wasser. Grisu, wo bist du?

Marie dürfte mein stilles Flehen gehört haben. Sie dreht sanft meinen Kopf auf die Seite und fährt mit tropfnassen Wattebauschen über meine Lider. Die Kälte lässt mich erschauern und meine Zehen endgültig steif gefrieren. Mein ganzer Körper scheint geeist. Und die andere Seite. Marie schwappt mir abermals eiskaltes Wasser ins Gesicht. Ich hatte es doch nur als Spaß verstanden, lieber Grisu. Bitte nehmt mich nicht immer beim Wort.

"Ursel, Sie waren wieder hinreißend. Ich fühle mich wie neugeboren. Und diese wunderbaren Augenbrauen. Perfekt!", ich erkenne Stellas Stimme. Anscheinend hat sie das Martyrium als Erholung angesehen und lobt gerade ihre Foltertante. "Nein, also wirklich, die Schokopackung ist ein Hit. Ich könnte jetzt Bäume ausreißen!", setzt Stella fort. Ja, ich könnte auch Bäume ausreißen, aber ich glaube erst wieder in einem Monat. Wenn ich mich wieder erholt habe.

"Sie sind fertig!", juhu, ich könnte Marie umarmen und knuddeln. Aber das würde jetzt komisch aussehen. Ich quäle mich von dem weißen Stuhl hinunter. Stella steht mit dem Rücken zu mir und plaudert angeregt und jetzt wieder flüsternd mit Ursel.

Ich wandere auf wackligen Beinen Richtung Umkleidekabine als mein Blick in den Spiegel fällt. Ich erschrecke zu Tode. Ich schaue aus wie der Zombie aus dem Kosmetiksalon. Meine Augenbrauen sind auf einen schmalen Streifen geschrumpft, meine Wimpern sind tiefschwarz und mein Gesicht weder schokobraun noch babyzartrosa. Ich bin einfach nur knallrot im Gesicht. Was hat Marie mit mir gemacht? Ich werde sie verklagen. Diese Marie gehört an den Marterpfahl. Wo hat die ihre Ausbildung gehabt? Am Schlachthof? Oder im städtischen Foltermuseum?

Hinter mir taucht Stellas Kopf im Spiegel auf. "Schätzchen, perfekt. Marie versteht ihr Handwerk genauso wie Ursel!" Wie bitte? Stella ist genauso knallrot wie ich. Auch ihre Augenbrauen sind wesentlich geschrumpft und ihre Wimpern tief schwarz. Zombie Nummer 2. "Mach dir keine Sorgen, die roten Stellen sind in zwei Tagen vorbei! Dann hast du eine Haut wie ein Baby-Popo!", Stella zerrt mich aus dem Raum. "Komm, die Pedikür wartet!"
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Wenn aus Zombies Bambis werden

Tschüssi!" und schonhatte sie aufgelegt.
schon hatte
Soviele Menschen, soviele Straßen.
Hier würde ich „so viele“ schreiben.

Verrate mir auch noch was ein „Kirtag“ ist. Meintest du Kirchtag, oder muss ich für das Verständnis des Wortes auf der Donau weiter gen Südost streben? Aber lass es so stehen, wenn das Wort in der Alpenrepublik verstanden wird.

Dein Werk weckt in mir wieder mal die Lust auf einen Verwöhntag, den ich mir jetzt schon seit langer Zeit nicht mehr gegönnt habe.

Keine Kosmetik. Da ist bei mir sowieso alles zu spät - das wäre Perlen vor die Säue geworfen. Nein, mal wieder eine professionelle Massage, Sauna, Mineralbad mit Düsentrieb, Relaxen im vorher handtuchreservierten Liegestuhl (deutsche Tugend), Sonneblinzeln, danach ein fettiges Wiener Schnitzel mit noch fettigeren Pommes und abends dann ab in die Heia zum Träumen. Aber mir geht es da so wie deiner Protagonistin – da müsste mich jemand gegen meinen Willen mal wieder hinschleppen.

Eine ansprechende kleine Satire, die zudem nachvollziehbar ist (zumindest für die Damenwelt), Schadensfreude hervorruft und versteckte Sehnsüchte wecken kann - so wie bei mir.

Gut und flüssig geschrieben mit humorvollen Wortspielen und Vergleichen - gern gelesen.

Gruß nach Wien von Ironbiber
 

Maribu

Mitglied
Hallo Krokotraene,

mir ist sofort das Sprichwort: "Wer schön sein will, muss leiden!" eingefallen.
Da es aber aus einer Zeit stammt, in der man noch kein
'Kosmetikstudio' kannte, musste es wohl auch schon
"Foltermethoden" gegeben haben, um die Haut faltenfrei zu bügeln.

Köstlich, die Schilderung der Behandlungsstufen unter gleichzeitiger Preisgabe von profanen Gefühlen und Gedanken.

Auch als Mann konnte ich es nachempfinden und habe mich amüsiert!

Liebe Grüße von Hamburg nach Wien!
Maribu
 

krokotraene

Mitglied
"Komm, wir gehen ins Kosmetikstudio!" Mit großen Augen, die der Rubbelwerbung im TV ähneln, stehe ich mitten im Zimmer. Ich freue mich, dass mir meine Freundin diesen Vorschlag am Telefon unterbreitet und nicht persönlich anwesend ist. Mein Gesichtsausdruck wäre ein peinlicher Anblick für Stella. Sie lässt nicht locker: "Das wird Dir gut tun. Du wirst sehen, danach bist du wie neugeboren!".

Neugeboren mit knapp sechzig Jahren? Geht das überhaupt frage ich mich. Da höre ich schon: "Also ich hole dich morgen um 10 Uhr ab. Tschüssi!" und schon hatte sie aufgelegt. Ich stehe wie angewurzelt mitten im Raum. Was bitte sollte ich in einem Kosmetikstudio machen? Aber wenn sich Stella etwas in den Kopf setzt, dann kann man schwer nein sagen.

Stella, die hübsche, modische und vollschlanke Chefsekretärin. Stets gestylt und elegant, aber nicht aufreizend steht sie ihrem Chef zur Seite. Sie organisiert, kocht Kaffee und hält die Zügel fest im Griff. Sie würde für ihren Chef ins Feuer springen, doch nie mit ihm ins Bett kriechen. Ich bewundere Stella seit dem Tag unserer Begegnung. Sie weiß was sie will und sie zieht es durch. Sie ist eingefleischter Single und findet Männer nur nett zum Anschauen. Ich habe in den zwanzig Jahren unserer Freundschaft noch nie erlebt, dass sie einen Mann mit nachhause genommen hat. Oder macht sie es so geschickt? Wie oft habe ich mir diese Frage schon gestellt?

Mein Leben hingegen sieht anders aus. Geboren als Kind von Bergbauern habe ich den elterlichen Hof übernommen. Auf einem Kirtag habe ich dann Hans kennengelernt. Geheiratet, Kinder bekommen und vor zwanzig Jahren den Hof verkauft und in die Stadt gezogen. Ich war verloren, einsam und scheu. So viele Menschen, so viele Straßen. Monatelang fuhr ich mit dem Taxi nachhause, da ich mich in dem Gewirr der Häuser verloren hatte. Ich fühlte mich wie Crocodile Dundee in der Großstadt. Mein Mann hingegen war glücklich. Er war wieder in seiner Heimat in Graz. Wir waren zwei Erwachsene und vier Kinder in einer kleinen Wohnung zusammengepfercht. Keine Tiere. Keine Berge. Keine Natur. Tja, eines Tages lernte ich dann Stella kennen. Sie hat mir soviel geholfen.

Und jetzt zwanzig Jahre später? Hans ist bei einer jungen Kollegin gelandet und gleich zu ihr gezogen. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Meine älteste Tochter lebt irgendwo in Amerika, der jüngste Sohn in Wien. Die beiden anderen geben mir die Schuld an der Scheidung. Und so habe ich nur noch Stella.

"Komm schon!", Stella zerrt mich wie einen störrischen Esel. Wir sind im Kosmetiksalon angekommen. Natürlich kennt Stella alle Damen und alle kennen Stella. Ich stehe wie ihre Putzfrau hinter ihr. "Marie wird dich schon auf Vordermann bringen", Stella schubst mich Marie entgegen, die sich sofort mit einem weißen Zahnpastalächeln auf mich stürzt.

Schwupps bin ich schon ausgezogen und ein Frotteefetzerl bedeckt meine wichtigsten Stellen. Marie bittet mich auf einem weißen Stuhl Platz zunehmen. Ich soll es mir bequem machen. Wie bitte? Ich fühle mich im ganzen Raum unwohl. Stella hat da keine Probleme, sie hat den übernächsten Platz und liegt schon genüsslich auf der Liege. Sie winkt entspannt zu mir rüber: "Schätzchen, mach es dir bequem. Und einfach geniiiiiiiießen!"

Sie hat leicht reden. Ich wälze mich auf den Stuhl. Wie beim Zahnarzt. Ahhhh, was ist jetzt? Marie hat den Stuhl samt mich nachhinten fallen lassen. Ich liege da und starre auf die weiße Decke. Ich spüre Maries Hände, die irgendeine Creme in meinem Gesicht verteilen. Igitt, die fuchtelt in meinem Gesichtsfeld auf und ab. Weiter geht es halsabwärts, dann kommt mein Dekolleté dran und die Schultern. Sie fährt mit den Fingern die Konturen meiner Augen nach. Ob so ein Job Spaß macht? Dauernd in fremden Gesichtern herumsurfen? Ahhh, was ist das? Mir rinnt ein kalter Schauer über den Rücken. Sie trommelt auf meine Wangen. Oje, ich würde ihr am liebsten eine reinhauen. Aber Stella zu liebe, halte ich meine Hände fest an die Griffe des ominösen Stuhles gepresst.

Plötzlich dampft mir heißes Wasser ins Gesicht. Es kitzelt in der Nase. Abermals frage ich mich, wie ich da entspannen soll. Marie fummelt noch immer in meinem Gesicht herum. Der heiße Dampf prallt auf meine Stirn. Ich höre durch die geschlossene Tür die Geräusche des anschließenden Friseurladens. Irgendwer wird gerade geföhnt. Das Geräusch des laufenden Föhns und der Wasserdampf erinnern mich an ein unsagbares Unwetter, in welchem ich ein verlaufenes Lamm gesucht habe. Es war die Hölle. Ich frage mich wieder einmal, wie ich hier entspannen soll. Der Wasserdampf ist aus. Gott-sei-dank. Meine Hände entkrampfen sich wieder. Im gleichen Moment fährt mir Marie mit etwas Eiskalten ins Gesicht. Ich könnte schreien. Es fühlt sich an wie ein Badeschwamm der mein Gesicht erobert.

Kaum ist das kalte Gefühl einigermaßen verklungen, fährt Marie wieder mal mit einer Creme meine Wangenknochen nach. Auf und ab. Auf und ab. Rund im Kreis. Und wieder auf und ab. Wie blöd muss dieser Job sein? Mir fällt unsere junge Magd ein, die immer gejammert hat, wie doof doch unsere Bauernarbeit sei. Es ist immer das gleiche, hat sie am 3. Tag gejammert. Na, wenn die mal an Maries Stelle gewesen wäre... Weiter kann ich nicht denken, denn Marie klebt mir gerade etwas auf die Stirn. Weeeeeehhhhh, was ist das? Fühlt sich an wie Kuhscheiße und auch so warm.

Marie pickt unbeirrt weiter. Rund um die Augen, auf die Wangen, rund um den Mund, auf den Hals. Was wird das? Ich traue mich nicht die Augen zu öffnen. Also liege ich noch immer unbeweglich auf diesem weißen Marterstuhl. Irgendwer hier im Raum schnarcht leise vor sich hin. Ob es Stella ist? Oder die Dame mit den Bergschuhen? Ich fand den Anblick so lustig. Wir müssen alles ausziehen, hat Marie gesagt, und mir den weißen Frotteefetzen entgegengehalten. Den soll ich dann anziehen. Also tat ich so wie sie gesagt hat. Dann brachte sie mich zu dem weißen Stuhl am Fenster. Unweigerlich fiel mein Blick auf die Dame am ersten Stuhl. In ihrem Gesicht pickten Gurkenstücke. Apropos Gurken. Ich hätte jetzt Lust auf Wienerschnitzel mit Gurkensalat mit Knoblauch. Halt! Ich schweife ab. Sowas. Immer ans Essen denken. Kein Wunder, dass ich mindestens fünfzig Kilo mehr als Stella auf die Waage bringe. Also zurück zu den Gesichtsgurken. Hat so witzig ausgesehen, ich hätte am liebsten laut gelacht. Dann habe ich ihre Schuhe gesehen. Sie hatte noch die Bergschuhe an.


Marie fährt mir gerade mit eiskalten Wattebauschen ins Gesicht. Mein Gusto auf Gurkensalat hat sich schlagartig verflogen. Mir fröstelt. Auch meine Zehen sind schon eiskalt. Ich versuche vorsichtig die weiße Decke über die Zehen zu ziehen. Ich denke an die nächste Station. Zur Pedikür müssen wir, hat Stella gesagt. Na fein, die wird sich freuen, wenn ich mit den eiskalten Füssen antrabe. Die wird glauben, die Eiszeit ist ausgebrochen.

Ich lausche den Geräuschen. Irgendwer mixt irgendwas zusammen. Es wird gerührt und gerührt. Wie in der Hexenküche schießt es mir durch den Kopf. Plötzlich fährt mir ein Pinsel ins Gesicht. Ahhhhh, jetzt würde ich aber wirklich gerne laut schreien. Haben die da null Anstand? Ich würde doch auch keinem anderen mit einem Pinsel im Gesicht herumfummeln. Also wenn Stella nicht auch da wäre, wäre ich spätestens jetzt aufgesprungen und gegangen. Aber ich will mich vor Stella nicht blamieren. Ich soll ja genießen.

Der Pinsel fährt auf und ab, zieht Kreise und wiederholt alles noch einmal. Ich schnuppere. Es riecht herrlich nach Schokolade. Mhhhhhhhhmmmmmm. Oh, ein Königreich für eine Rippe Schokolade. Ich schnuppere noch einmal. Oh gott, ist das gut. Da fällt mir Stella ein. Wir sind bei der Anmeldedame gestanden und Stella sagte: "Sophie, heute nehmen wir zweimal die Schokoladepackung!" Aha, also isst hier keiner eine Schoko, sondern Marie schmiert sie mir gerade ins Gesicht. So eine Verschwendung. Mein Magen knurrt. Oh, wie peinlich. Der will wohl auch eine Schoko. Ich denke nach was mir lieber ist. Gurken auf den Augen oder Schoko auf den Wangen? Mein Magen knurrt nochmals.

Ich komme zum Entschluss, ich hätte jetzt doch gerne ein Wienerschnitzel mit Gurkensalat und danach einen Schokokuchen. Mein Magen knurrt schon wieder. Es wird noch peinlicher. Der Schokoduft hängt in der Nase. Darf ich mal mit der Zunge den Patz aus dem Gesicht schlecken? Ich mahne mich sofort wieder zur Vernunft. Aber das wäre doch Kundenservice. So ein Stückchen Schoko zur Maske. So in den Mund gestopft. So einfach auf der Zunge zergehen lassen? Mein Magen knurrt schon wieder. Ich muss ein anderes Thema finden. Irgendwer schnarcht noch immer genüsslich. Die Tür geht auf. Irgendwer schlürft leise herein. Zwei Damen flüstern. Ich versuche die Worte zu verstehen. Mein Vater hat immer gesagt, wer flüstert hat Geheimnisse. Schwachsinn, ich ermahne mich schon wieder.

Irgendwer lässt sich auf dem Bett neben mir nieder. Irgendwer schnauft tief durch und rülpst. Na Hallo, kein Anstand in den weißen Hallen? Ich komme dann später drauf, es war nicht gerülpst, es war nur ein komisches Geräusch vom komischen, weißen Foltersessel.

"Nur noch die Augenbrauen und Wimpern, dann sind Sie fertig!", Marie redet mit mir. Juhu, es geht dem Ende zu. Ich soll die Augen groß aufmachen. Achgott, das ist Arbeit, ich soll mich doch hier entspannen. Eigentlich bin ich jetzt nur verspannt, aber bitte. Marie pickt mir was unter die Lider, und jetzt die Augen wieder schließen. Jaja, bin ja folgsam. Marie zupft an meinen Wimpern. Achja, Stella hat so etwas ähnliches erwähnt. Wie war das? Irgendwas färben und wie noch? Aja, sowie früher die Pecher, also Harzen. Ich verstehe zwar nicht, was man im Gesicht harzen will, aber vielleicht habe ich es auch falsch verstanden.

Marie fährt mit irgendwas an meinen Wimpern entlang. "Jetzt nicht die Augen öffnen, bis ich es Ihnen sage!" Ok, das ist doch leicht. Ahhhhhhh, Mensch, meine Fingernägel bohren sich gerade in die Sessellehne. Was um alles in der Welt macht die Frau mit mir? Ahhhh, oh gott, lass mich sterben. Ich habe das Gefühl, Marie zieht mir die Augenbrauen bei lebendigen Leib aus dem Gesicht. Wie schön, wenn der Schmerz vergeht.

Aber es dauert nicht lange, da ist das Gefühl schon wieder da. Ich könnte Marie eine schmieren. Inzwischen brennen meine Augen wie die Hölle. Bitte schickt mir eine Feuerwehr. Die rote mit den blauen Lichtern. Und Grisu als Feuerwehrmann. Bitte Wasser Marsch. Ich glaube, ich werde blind. Bitte nochmals Wasser. Grisu, wo bist du?

Marie dürfte mein stilles Flehen gehört haben. Sie dreht sanft meinen Kopf auf die Seite und fährt mit tropfnassen Wattebauschen über meine Lider. Die Kälte lässt mich erschauern und meine Zehen endgültig steif gefrieren. Mein ganzer Körper scheint geeist. Und die andere Seite. Marie schwappt mir abermals eiskaltes Wasser ins Gesicht. Ich hatte es doch nur als Spaß verstanden, lieber Grisu. Bitte nehmt mich nicht immer beim Wort.

"Ursel, Sie waren wieder hinreißend. Ich fühle mich wie neugeboren. Und diese wunderbaren Augenbrauen. Perfekt!", ich erkenne Stellas Stimme. Anscheinend hat sie das Martyrium als Erholung angesehen und lobt gerade ihre Foltertante. "Nein, also wirklich, die Schokopackung ist ein Hit. Ich könnte jetzt Bäume ausreißen!", setzt Stella fort. Ja, ich könnte auch Bäume ausreißen, aber ich glaube erst wieder in einem Monat. Wenn ich mich wieder erholt habe.

"Sie sind fertig!", juhu, ich könnte Marie umarmen und knuddeln. Aber das würde jetzt komisch aussehen. Ich quäle mich von dem weißen Stuhl hinunter. Stella steht mit dem Rücken zu mir und plaudert angeregt und jetzt wieder flüsternd mit Ursel.

Ich wandere auf wackligen Beinen Richtung Umkleidekabine als mein Blick in den Spiegel fällt. Ich erschrecke zu Tode. Ich schaue aus wie der Zombie aus dem Kosmetiksalon. Meine Augenbrauen sind auf einen schmalen Streifen geschrumpft, meine Wimpern sind tiefschwarz und mein Gesicht weder schokobraun noch babyzartrosa. Ich bin einfach nur knallrot im Gesicht. Was hat Marie mit mir gemacht? Ich werde sie verklagen. Diese Marie gehört an den Marterpfahl. Wo hat die ihre Ausbildung gehabt? Am Schlachthof? Oder im städtischen Foltermuseum?

Hinter mir taucht Stellas Kopf im Spiegel auf. "Schätzchen, perfekt. Marie versteht ihr Handwerk genauso wie Ursel!" Wie bitte? Stella ist genauso knallrot wie ich. Auch ihre Augenbrauen sind wesentlich geschrumpft und ihre Wimpern tief schwarz. Zombie Nummer 2. "Mach dir keine Sorgen, die roten Stellen sind in zwei Tagen vorbei! Dann hast du eine Haut wie ein Baby-Popo!", Stella zerrt mich aus dem Raum. "Komm, die Pedikür wartet!"
 

krokotraene

Mitglied
Hallo meine Lieben,

danke für das tolle Feedback. Die Fehler habe ich schon ausgebessert. Danke für die Hinweise.

Ja, Kirtag ist bei euch in deutschen Landen Kirchtag.

Liebe Grüße aus dem Nachbarland!!!!
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Und noch was

Da ist mir gerade noch das Nord-Süd Gefälle aufgefallen:

Nord- und Mitteldeutschland: Kirchentag
Süddeutschland: Kirchtag
Österreich: Kirtag
Vatikan: Alltag

So isch halt ... Ironbiber
 
U

USch

Gast
Hallo krokotraene,
herrlich beschrieben diese Folter. Empfehle eine Ganzkörpermassage mit warmem Öl.
Es sind noch einige kleine Rechtschreibfehler und fehlende Kommata drin. Da würde ich noch mal rübergehen.
Z.B.
Marie zieht mir die Augenbrauen bei lebendigen Leib aus dem Gesicht.
[blue]lebendigem[/blue]

Es ist immer das gleiche, hat sie am 3. Tag
gejammert lieber [blue]dritten [/blue]ausschreiben
LG USch
 



 
Oben Unten