Der Zwang

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pleistoneun

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Er lebte unter dem Zwang, sich zu nichts zwingen zu müssen. Dieser Umstand bereitete ihm große Anstrengung und er zwang sich dazu, nicht ständig daran zu denken. Niemand zwang ihn dazu, er machte es aber auch nicht unfreiwillig. Jedesmal, wenn er sich dabei ertappte, wie er sich beharrlich dazu zwang, sich zu nichts zu zwingen, stand er gezwungenermaßen unter dem enormen Zwang, diese kniezwingenden Gedanken abzuwehren. Nichts viel ihm schwerer, nichts mit mehr Zwang belegt. Die Tage verbrachte er mit geschlossenen Augen, die ihn dazu zwangen, einen Blindenhund zu nehmen, er zwang sich, nicht darüber nachzudenken, was denn wäre, wenn er keinen Blindenhund bräuchte, schrecklich, wo bekäme er um diese Jahreszeit einen Sehhund her? Schrecklicher Gedankenzwang.

Schaffte er es einmal nicht, irgendeinem seiner Zwänge nachzukommen, so dachte er, würde eine noch viel stärkere Macht als seine innere Zwangsjackenheimat ihn dazu zwingen nichts Erzwingendes zu tun. Allein der Gedanke daran löste blinden Hass gegen alle Zwangseinrichtungen und Zwangslager, Zwingturner und Zwangsneurosen, Zwangsausgleiche und Zweitwohnsitze und überhaupt alles was in seinem Leben zwangsverpflichtend war. Er musste zwingend etwas dagegen unternehmen, als allerletzte Hoffnung vor dem totalen Supergau in seinem Kopf. Seine nackten Gedanken auf dem Flohmarkt anzubieten, schien ihm allerdings doch etwas zu ungezwungen. Und als ihn gerade ein unbezwingbarer Zwang dazu veranlasste, augenlos Zwangsarbeiterkleidung zu schneidern, tauchte wie aus dem Nichts plötzlich ein Riesenzwang auf, der ihn zwang, seine Zwänge aufzugeben. Er öffnete langsam die Augen und sah sich um. Inmitten einer großen Eingangshalle eines noch größeren Hotels fand er sich wieder. In den Händen die Spätausgabe eines Zwangsneurotikermagazins haltend, die er zu Zwangsarbeiterkleidung umschneidern wollte, sah er, wie zwei Hotelangestellte auf ihn zueilten, um ihn, diesen papierschnipselnden Blindenschleifenträger, diskret und unhöflich nach draußen zu bitten. Er verstand nicht, was die beiden sagten, aber er musste sich das erste Mal in seinem Leben nicht dazu zwingen, nicht zu lachen. Er tat es einfach nicht.
 

flammarion

Foren-Redakteur
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hallo,

ich bin sicher, daß die leute sich kugeln, wenn du das irgendwo vorliest. dennoch hat es etwas gezwungenes an sich. ich drucks mir mal aus, um die unstimmigkeiten kenntlich zu machen. das beste ist der schluß. 6 punkte von mir. ganz lieb grüßt
 



 
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