Der andere Ort...

HarryHaller

Mitglied
Der andere Ort


Eines Tages stand er fragend vor dem Spiegel
Er sah kein Bild, nur einen schweren Riegel
Was er ist, so war die altbekannte Frage
Er kannte nur die schaurig - schöne Sage.

Er glaubte dran und ging ganz langsam vor
Und wie von selbst geöffnet: ein Spiegeltor
Was er nun sah, das war sein wahres Ich
Fern ab von realem und gewußtem Ich.

Zukunft, Vergangenheit, er wußte nicht die Zeit
Sein Blick hing nicht am Horizont, der war zu weit
Sollte er dankbar sein für diese selt´ne Reise
Wenn ja, wem und auf welche Art und Weise.

Er sah ein Dorf und lenkte seinen Schritt
Er dachte zweifelnd an den oft verkannten Teufelsritt
Sah das Treiben und blieb selbst unerkannt
Doch denen war sein Selbst nur zu bekannt.

Die Menschen da, die waren sein Licht
Sie waren sein Selbst, jedoch nicht nur aus seiner Sicht
Langsam begriff er diese herbe Realisation
Jede gelebte und noch zu lebende Variation.

Er war schockiert und lief weit fort
Er haßte diesen scheinbar so bekannten Ort
Laufend suchte er den Weg zurück
Er kam nicht fort, nicht mal ein kleines Stück.

Er mußte wohl bleiben, das wurde ihm klar
Nun sollte er erfahren, wer und was er war
Er hatte Angst und alte Wunden klafften wieder auf
Dennoch blieb er, nahm die Schmerzen wohl in Kauf.

Im Dorf zurück erlebte er sein Leben
Genommen viel, ein bißchen auch gegeben
Gedacht hat er sehr viel, gewollt davon nur wenig
Am Abschied dann die Augen rot und tränig.


Auf dem Rückweg durch das akzeptierte Moor
Und wie von selbst stand er vorm Spiegeltor
Er sah hindurch, sah mich hier sitzen
Ich sah ihn auch, durch niedergeschriebene Zeilenritzen...

EK `90
 
Hallo Harry,

wer möchte da noch hinter den Spiegeln landen ? = Wer kann sich selber gegenüber treten ?


Jedenfalls, der Einfall mit der Reise zu sich selbst ist sehr gut !

Gruß, das.lila.im.regenbogen
 

Zauberfrau

Mitglied
da hast du recht regenbogen, aber wie wäre das?
mich würde es interessieren.
ob ich mein SELBST aushalten würde - ich weiß es nicht,
aber neugierig wäre ich schon.
ich denke, jeder schaut sich im leben öfters mal von der seite an, stellt sich neben sich und betrachtet die eigene art und weise.
wie du das dich "in dich gehen" beschrieben hast, harry, finde ich ganz toll!

lieben gruß

zauberfrau
 

wolfsfrau

Mitglied
Das Ich

Hi Harry

Ich finde deine Reise gut Selbst kennt man sich viel zu wenig. Mach weiter so.

Viele liebe Grüße
die Wolfsfrau
 

HarryHaller

Mitglied
Dank an alle

Da komme ich nichts ahnend nach Hause und finde gleich 3 Antworten auf mein so altes Gedicht...das ist schön und hat mich gefreut. Noch angenehmer war natürlich, daß eure Antworten auch noch positiv ausfielen. Ich danke euch...

Ja, ihr habt recht, es ist nicht einfach, in den Spiegel zu schauen, denn dort sieht man jedesmal die Differenz von Idealismus und Realismus, einfach das, was man schon längst verändern wollte oder auch einfach nur an sich nicht mag...(ich selber stehe immer mit ´ner dunklen Brille davor und habe den Spiegel zusätzlich noch in der dunkelsten Ecke des Kellers angebracht).
An manchen Tagen fällt es aber auch leichter und die darf man trotz all des mühsamen und oft vergeblichen Strebens nach mehr Idealismusverwirklichung nicht vergessen...daher auch mein "Motto", meine Signatur :

Nosce te ipsum... and keep your bones alive

zu gut deutsch:

Erkenne Dich selbst und bleib dir trotzdem treu...


Also, nochmals Danke für eure Mühen und bis bald
Erich
 



 
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