Der dämliche Hut

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenn man als Neuling ins Hochgebirge kommt, tut man sicherlich gut daran, die erste Wanderung etwas kürzer ausfallen zu lassen. Doch meine Familie hatte alle meine Bedenken leichtfertig in den Wind geschlagen und mich mit zu einer Berghütte in luftiger Höhe geschleppt. Während meine Frau in blumigen Worten die einmalige Aussicht pries und mein zehnjähriger Sohn seinen eigens mit hier hoch geschleppten Gameboy malträtierte, dachte ich mit zunehmenden Unbehagen an den langen und ziemlich steilen Abstieg.

Anfangs ging ja auch alles noch ganz gut. Meine Frau schien die Tour sogar richtig zu genießen. Kunststück! In ihr pulsierte schließlich das Blut einer elbsandsteingebirgischen Bergsteigerfamilie. Ihr Vater hatte es sogar bis zum Obergefreiten in einem Gebirgsjägerregiment gebracht. Wie sehr hatte er uns um diese Reise in die Alpen beneidet!
"Wenn ich schon nicht mit dabei sein kann, soll mich wenigstens Felix würdig vertreten", hatte er zum Abschied gesagt und seinem Enkel einen verblichenen Rucksack und einen knorrigen Wanderstab in die Hand gedrückt. Beides waren Relikte jener legendären Ausrüstung, mit der er sich im Sommer 1945 auf recht abenteuerliche Weise der Kriegsgesfangenschaft entzogen hatte. Als Krönung stülpte er dem Kleinen noch einen mächtigen Hut mit wallendem Gamsbart auf den schmalen Schädel. Nur die herrlich abstehenden Ohren meines Sohnes bewahrten ihn vor totaler Erblindung.
"Halte ihn in Ehren. Den habe ich von einem Bergbauernsohn, meinem damals besten Freund."
Felix versprach, auf den Hut gut auzupassen und setzte diesen dämlichen Filz tatsächlich nur noch ab, wenn er ins Bett mußte. Meine wütenden Proteste verhallten ungehört.

Auch jetzt, wo er wie ein Gummiball vor uns her hüpfte, sah man ihm an, wie wohl er sich in seiner Ausrüstung fühlte. Ich regte mich über diesen albernen Aufzug auch nicht mehr auf, hatte ich doch inzwischen ganz andere Sorgen. Argwöhnisch achtete ich vor allem auf mein linkes Knie, wo sich ein feiner Schmerz auszubreiten begann, der nach und nach stärker wurde und sich schließlich ins Unerträgliche steigerte. Auf dem abschüssigen Pfad wurde jeder Schritt wurde zur Qual.

Mit Ach und Krach und dank der rührenden Fürsorge meiner Familie schafften wir schließlich den Abstieg und erkannten erst, als wir im Tal ankamen, daß wir uns total verlaufen hatten. Dieses Dorf war nicht unser Dorf. Aber es besaß eine Kneipe mit einem winzigen Biergarten. Bis dahin schleppte ich mich mit letzter Kraft und sank dann auf einen Gartenstuhl, den ich im wohltuenden Schatten einer mächtigen Linde fand. Ich streckte die Beine aus, führte ein großes Glas mit herrlich mit kühlem Bier an die Lippen und beschloß, mich vorerst nicht mehr von hier weg zu rühren. Ganz anders mein Herr Sohn. Kaum, daß er seine klebrige Cola hinter gestürzt hatte, sprang er auf und fragte den alten Mann am Nebentisch nach dem Weg zur Toilette.
Der Angesprochene hatte bis dahin still in sich versunken vor seiner Maß gesessen und den Spatzen zugeschaut, die zu seinen Füßen um ein paar Brotkrümel balgten. Jetzt hob er langsam den Kopf.
"Wie? Ach so. Zum Häusl. Ja, da mußt du..."
Seine Hand, mit der er die Richtung weisen wollte, blieb jäh in der Luft hängen. Mit flackerndem Blick starrte er auf den kleinen Waldschrat.
"Woher hast du diesen Hut?"
"Häh? Ach so! Fetzt wa?" Felix grinste über alle Zahnlücken. Und dann begann er ungeniert zu erzählen, daß sein Opa...
Der Alte hörte sichtlich gespannt zu. Wieder und wieder strich er sich mit immer fahriger werdenden Bewegungen über seinen grauen Schnauzbart. Schließlich schien er es nicht mehr auszuhalten. Mit den Worten: "Junge, laß mich mal schauen", sprang er auf. Er griff nach dem Deckel, riß ihn an sich und hielt ihn dicht vor seine Augen.
"Heh! Was soll das? Geben sie mir meinen Hut zurück!" keifte der Kleine aufgebracht.
Der Mann schien ihn aber gar nicht zu hören. Er drehte das gute Stück nervös zwischen seinen knochigen Fingern und betastete sogar das Futter. Um die immer lauter werdenden Proteste meines Sohnes kümmerte er sich genau so wenig wie um das besorgte Gesicht meiner Frau, die unbemerkt heran getreten war.
Endlich schien er auf etwas für ihn Auffälliges gestoßen zu sein. Sein gekrümmter Rücken streckte sich.
"Das ist nicht dein Hut. Nein. Der gehört mir. Ich habe ihn allerdings vor langer Zeit verborgt."
Er machte eine Pause, wie um sich zu besinnen. Felix sah zu ihm hinauf. In seinem Gesicht malte sich mitleidiges Staunen. Ich wußte , was er in diesem Moment dachte. 'Der Alte tickt nicht richtig!' Und ich dachte das auch.
"Wie heißt denn dein Großvater?" fragte der Mann mit einem merkwürdigen Beben in der Stimme.
"Stichler, Willi Stichler!" kam es wie aus der Pistole geschossen.
Der Alte nickte versonnen. Sein Blick ging über den Jungen hinweg und verlor sich irgendwo zwischen dem Geäst der Linde.
"So, so. Der Willhelm Stichler. Zufälle gibt es." Damit gab er dem völlig verdatterten Jungen den Hut zurück.
"Lebt er denn noch - dein Großvater?"
"Ja, mein Vater lebt noch und erfreut sich bester Gesundheit", mischte sich jetzt meine Frau ein. Es schien, als hätte sie begriffen, was hier vor sich ging.
"Sie sind also die Tochter vom Wilhelm, meinem alten Kriegskameraden?"
"Ja, und sie müssen der Johann Keßler sein. Vater hat viel von ihnen erzählt."
"So, hat er das?"
"Oh ja. Ich kenne seine Geschichten fast auswendig. Aber kommen sie."
Sie führte den Mann an unseren Tisch. Felix trottete mit ungläubigem Staunen hinterdrein.
"Dann ist das wohl auch ihr Rucksack?" fragte er mißtrauisch.
"Ja, wahrscheinlich. Aber den kannst du behalten - genauso wie den Hut."

Der weite Weg bis zu unserer Pension blieb mir erspart. In dieser Nacht waren wir Gäste der Familie Keßler. Nicht nur meine Frau und ich - auch Felix lauschte gespannt den alten Geschichten, in denen immer wieder sein eigener Großvater eine wichtige Rolle spielte.
"Das nächste Mal muß Opa aber unbedingt mitkommen", verlangte der Junge, als wir ihn reichlich spät zu Bett brachten.
"Aber klar", sagte ich. Mein Blick fiel dabei auf den Hut, den Felix sorgsam ausgerichtet auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Ich fand ihn auf einmal gar nicht mehr so wahnsinnig häßlich.
 

zero

Mitglied
Hallo!

Ich fand die Geschichte gut erzählt, auch wenn mir persönlich diese Kriegskameradenromatik ein bisschen schal schmeckt. Aber der letzte Satz 'und mein zehnjähriger Sohn': Ist das ein Überarbeitungsrest oder fehlt da noch was?
 



 
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