Der gute Kumpel

Der gute Kumpel

Ein Text von Stefan Seifert





A.:
Guten Abend, mein Freund.
Warum bist du so traurig? Was hat man dir getan?
Hat man dich beleidigt? Hat man dich gekränkt? Beraubt? Geschlagen?
Hat man dich allein gelassen? Bist du einsam? Hast du niemanden, der dich versteht?
Trägst du eine Last auf deinen Schultern, die zu schwer für dich ist?

Willst du dich auf mich stützen? Ist es so besser? Wollen wir ein Stück des Weges gemeinsam gehen?

B.:
Wer bist du? Warum tust du das? Was willst du von mir?

A.:
Ich bin ein Wanderer, wie du. Vielleicht führt unser Weg in die gleiche Richtung. Vielleicht haben wir das gleiche Ziel und wissen es nur nicht.

B.:
Es ist dunkel und kalt. Jetzt fängt es auch noch an zu schneien. Ich wollte schon längst in der Stadt sein. Dort könnte ich jetzt gemütlich in einer Herberge sitzen. Im Warmen und Trockenen. Mit einem großen Teller Suppe vor mir. Einer Kartoffelsuppe mit Fleischstückchen drin. Und einer Flasche Bier daneben.

A.:
Ja, das wäre schön. Aber du mußt jetzt aufstehen, sonst wirst du hier erfrieren.

B.:
Das wäre auch kein Verlust. Für wen auch? Wer sollte mich schon vermissen?

A.:
Hast du niemanden, der dich liebt?

B.:
Mich liebt? Du träumst wohl? Wer soll mich denn lieben?

A.:
Wenn dich niemand liebt, will ich dich lieben.

B.:
Wenn du schwul bist, dann verpiß dich. Ich bin kein warmer Bruder, das merk dir ein für allemal. Und denk nicht, daß ich dir einen blase.

A.:
Du kannst unbesorgt sein. Ich will dir nur helfen. Hast du keine Verwandten oder Freunde?

B.:
Kannste vergessen. Wenn du erst mal auf der Straße bist, kennt dich keiner mehr.

A.:
Hat dich nie eine Frau geliebt?

B.:
Hör mir bloß auf mit den Weibern. Die taugen alle nichts. Da ist eine wie die andere.
Ja, ich war mal verheiratet, falls du das meinst. Ich hab die ganze Woche über geschuftet wie ein Kaputter, hab rangeschafft, damit sie es gut hatte. Wenn ich nach Hause kam, war alles wunderbar. Mein Schatz hier, mein Liebling da. Na ja, ich hatte ihr ja auch immer die volle Lohntüte gegeben. Was ich für mich selber brauchte, hab ich nach Feierabend dazu verdient, mit Schwarzarbeit. Das ging ganz gut, bis ich mal eher nach Hause kam und sie mit meinem besten Kumpel im Bett erwischte. Da ging was los, kann ich dir sagen. Der Kumpel sprang splitternackt aus dem Fenster. War ganz schön hoch, erster Stock. Der muß einen Schiß vor mir gehabt haben. Er hatte sich auch was getan, denn man hörte ihn unten wimmern. Ich hab ihm noch seine Sachen hinterher geschmissen und das Fenster zugemacht. Dann wollte ich mir meine Frau vornehmen. Nur mit ihr reden. Aber die hatte sich eingeschlossen und schrie: „Hilfe! Er bringt mich um, er bringt mich um!“ Da hab ich mir meine Jacke angezogen und bin gegangen. In die nächste Kneipe, natürlich. Und da hab ich mich vollaufen lassen bis zum Stehkragen.
Später hab ich dann erfahren, daß sie es nicht nur mit meinem Kumpel, sondern noch mit etlichen anderen getrieben hatte.

A.:
Und dann habt ihr euch scheiden lassen?

B.:
Ja. Erst wollte ich die Scheidung und sie wollte sich wieder versöhnen. Dann war sie auf einmal diejenige, die die Scheidung wollte und ich war dagegen. Da war sie schon mit einem neuen Typen zusammen. Sie hatte einen anderen Dummen gefunden. Das hab ich aber erst später erfahren.
Vor Gericht hatte sie eine Anwältin, noch ziemlich jung und wirklich gutaussehend. Die hat mich angeguckt, als wäre ich ein Haufen Scheiße. Der letzte Dreck. Sie hat dann auch keinen guten Faden an mir gelassen. Sie sagte, meine Frau hätte in unserer Ehe gelitten und ihre Persönlichkeit hätte sich nicht entfalten können. Ich hätte sie unterdrückt und gedemütigt, hätte gesoffen und sie geschlagen. Die Richterin hat mich bald genau so verbiestert angeguckt wie die Anwältin. Und mein eigener Anwalt war eine totale Nulpe. Der hat den Mund nicht aufgekriegt.

A.:
Hast du denn deine Frau geschlagen?

B.:
Das war ja gerade das Beschissene, daß alles eigentlich nicht stimmte, aber ein bißchen eben doch.
„Geben Sie zu, ihre Frau geschlagen zu haben?“ fragte mich die Richterin grimmig.
Ich sagte nein, wo werd‘ ich denn. Ich hatte sie doch geliebt. Da ließ die Anwältin von meiner Frau Zeugen aufrufen. Die Nachbarn, nette Leute, mit denen ich immer gut zurecht gekommen bin. Mit dem Mann hatte ich ab und zu mal ein Bier getrunken. Der hatte sich so geschämt, daß er sich zur Gerichtsverhandlung krank gemeldet hatte. Die Frau brachte eine Bescheinigung von seinem Arzt mit. Er hätte es mit dem Herzen und würde sich vor Gericht zu sehr aufregen. Sie hat dann ausgesagt, sie hätten manchmal Schreie aus unserer Wohnung gehört. Und einmal hätte meine Frau ein blaues Auge gehabt. Ein gewaltiges Veilchen.

A.:
Du hast sie also doch geschlagen.

B.:
Ach, Unsinn. Es stimmt schon, daß wir uns öfter mal gestritten hatten. So waren wir nun mal, alle beide. Aber wir haben uns immer wieder versöhnt. Und das mit dem Veilchen, das war ein Ausrutscher, im Eifer des Gefechts. Beim Bumsen, wenn du es genau wissen willst. Wir haben hinterher beide darüber gelacht, wie sie aussah und was die Nachbarn wohl jetzt denken würden. Das hat sich dann alles gegen mich gekehrt.

A.:
Und hast du gesoffen?

B.:
Während unserer Ehe nicht. Jedenfalls nicht mehr, als andere auch. Nach Feierabend ein paar Bier in der Kneipe, mit den Kumpels, und dann gleich nach Hause. Alles in Maßen.
Aber später dann, nachdem das alles so schiefgelaufen war mit meiner Frau, da hab ich richtig angefangen zu saufen. Gleich frühmorgens nach dem Aufstehen, erst mal mit Wodka gegurgelt.

A.:
Hast du da noch mit deiner Frau zusammengewohnt?

B.:
Nein, nein. Ich hab bei Kumpels gewohnt, mal hier, mal da. Sie hatte ja auch vom Gericht die Wohnung zugesprochen bekommen. Sie hat dann mit dem neuen Typ zusammengelebt. Und von allem, was ich offiziell verdiente, mußte ich ihr die Hälfte abgeben. Ich hab dann bald nur noch gepfuscht, schwarz gearbeitet.

A.:
Ihr hattet euch aber einmal geliebt.

B.:
Klar, und beinahe hätte es auch noch mal mit uns geklappt.
Eines Abends, als ich in der Kneipe saß, kam sie plötzlich zur Tür rein. Ich trank mein Bier und ich blieb ganz ruhig, als ob ich sie gar nicht mitgekriegt hätte. Die Kumpels haben sich natürlich Blicke zugeworfen und komische Grimassen gemacht, aber ich tat so, als merkte ich nichts.
Dann kam sie zu mir und fragte, ob sie mich mal unter vier Augen sprechen könnte. Wir sind raus gegangen. Sie sagte, sie hätte dem Typ den Laufpaß gegeben. Sie könnte mich nicht vergessen und ich wäre doch der beste gewesen. Dann haben wir uns geküßt. Plötzlich hatte es wieder gefunkt. Dann sind wir zu ihr gegangen, in unsere alte Wohnung.

A.:
Und warum seid ihr nicht zusammen geblieben?

B.:
Der Suff war schuld. Ich steckte schon viel zu tief drin in dem Schlamassel. Nach zwei Wochen hat sie mich wieder aus der Wohnung geschmissen. Es gab dann noch ein paar peinliche Szenen. Ich habe vor ihrer Tür randaliert und sie hat die Polizei geholt. So bin ich auf der Straße gelandet. Keine Arbeit, keine Wohnung, keine Frau, kein Geld. Im Handumdrehen hatte ich auch keine Freunde mehr. Junge, ist das ein beschissenes Leben.

A.:
Was empfindest du jetzt für sie? Habt ihr einander vergeben?

B.:
Ich würde wieder zu ihr zurückkehren, wenn ich könnte. Lieber heute als morgen. Aber wahrscheinlich würde sie mich nicht mehr nehmen wollen. Guck doch nur, wie ich aussehe. Wie ein Penner eben. Hab kaum noch Zähne im Maul. Ich weiß auch gar nicht, wo sie jetzt wohnt und ob sie wieder mit jemandem zusammen ist. Bestimmt ist sie das. Sie ist ja ein hübsches Ding. Ich sah auch nicht übel aus, in meinen Glanzzeiten.

A.:
Für mich bist du auch jetzt noch schön.

B.:
Bist du sicher, daß du nicht schwul bist?

A.:
Du hast noch einen weiten Weg vor dir.

B.:
Das ist wahr. Ich stecke ganz schön in der Tinte. Heute früh schien noch alles gut zu laufen. Ich war in einer Kneipe mit einem Fernfahrer ins Gespräch gekommen. Der sagte, wenn ich nach L. wollte, könnte er mich mitnehmen. Er fuhr auch in die Richtung. Das war ein Glückstreffer. Mich nehmen ja eigentlich überhaupt nur LKW-Fahrer mit. Die anderen haben Angst, daß ich ihre Polster schmutzig mache. Dann hat er mich an einer Kreuzung abgesetzt und hat gesagt, von hier wäre es nicht mehr weit. Da steckte ich dann fest. Es kamen kaum Autos vorbei und keiner hielt an. Ist ja auch kein Wunder, bei dem Wetter. Da ging ich eben zu Fuß los. Jetzt bin ich müde. Ich habe Hunger und mir ist kalt.

A.:
Siehst du das Haus dort drüben? Wo noch Licht an der Pforte brennt? Dort leben fromme Menschen. Mehrmals am Tag versammeln sie sich zum gemeinsamen Gebet für alle, die in Not sind. Dort kannst du anklopfen und man wird dich freundlich aufnehmen. Man wird es um meinetwillen tun.

B.:
Die kennen dich? Kannst du nicht mitkommen und ein gutes Wort für mich einlegen?

A.:
Ob du dort anklopfst oder ich, das ist das Gleiche. Es macht keinen Unterschied.

B.:
Du willst wirklich nicht mitkommen?

A.:
Ich muß weiter.

B.:
Ja dann ... Jetzt habe ich so viel von mir erzählt und ich weiß gar nichts von dir. Haben sie dir auch so übel mitgespielt?

A.:
Genau so. Wäre ich sonst hier?

B.:
Ja, da hast du recht. Wärst du sonst hier, auf der Straße? Bei dem Sauwetter? Jeder normale Mensch sitzt jetzt zu Hause vor dem Fernseher, neben seiner Frau, mit einem Bier in Reichweite.
Wo gehst du denn jetzt hin?

A.:
Ich werde in deiner Nähe sein.

B.:
Dann sehen wir uns ja vielleicht noch. Machs gut, Kumpel.


_


Mönch:
Was willst du hier?

B.:
Mein Freund hat gesagt, ich könnte hier Unterkunft finden. Nur für diese Nacht. Ihr würdet es um seinetwillen tun.

Mönch:
Dein Freund? Was für ein Freund? Einer wie du hat keinen Freund.

B.:
Er sagte, hier würden fromme Menschen leben.

Mönch:
Und das nutzt ihr Penner schamlos aus. Ich kenne euch doch. Wenn ihr spitzkriegt, daß es irgendwo was umsonst gibt, dann seid ihr wie die Schmeißfliegen. Wie wär‘s denn zur Abwechslung mal mit Arbeit?

B.:
Ich dachte, nur für diese Nacht ...

Mönch:
Tut mir leid, wir haben keinen Platz mehr. Versuch es bei der Bahnhofsmission.

Knallt die Tür zu.

B.:
Aber wieso, das ist doch ... wie komm ich denn da hin?

Er hat doch gesagt, sie würden mich aufnehmen. Das kann nur ein Mißverständnis sein. Er muß das aufklären.

Wo ist er nur hingegangen? Er kann mich doch nicht einfach im Stich lassen.

He, Kumpel, wo bist du?

Kumpel, guter Kumpel! Wo soll ich dich denn jetzt finden?
 



 
Oben Unten