Der letzte Traum

hellforce

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Auf der Schwelle von Leben und Tod, liegt er begraben unter den Toten Körpern seiner Gefährten.
Er spürt wirklich, dass sein Herzschlag beginnt sich zu verlangsamen, wie ein altes rostiges Uhrwerk in den letzten Zügen seines seins. Scheinbar liegen sämtliche Organe zerfetzt unter dem noch wenigen nicht gebrochenen Rippen und warten darauf endlich dem Ende ihrer Aufgaben entgegen zu gehen.
Aber das zählt jetzt nicht.
Beinahe jeder Zentimeter der Haut ist übersäht mit Narben und Wunden.
Auch das ist nicht mehr wichtig.
Sein Oberkörper wird von zwei über ihm liegenden Menschen schmerzlich zerquetscht und die Beine und die Hoden fühlen sich an, wie mit dem Hammer bearbeitet. Jedoch ist es keinesfalls sein eigens Blut, welches ihm letzte Sorgen bereitet, sondern jenes seines besten Freundes das ihm in alle Öffnungen läuft und droht ihn zu ersticken. Es wäre einigermaßen erträglich gewesen, erstochen zu werden, auf dem Scheiterhaufen in Flammen aufzugehen, aber am Blut eines Menschen zu ersaufen, noch dazu von dem der ihm so viel bedeutet, ist noch schlimmer als der Tod selbst.
Er weiß es nicht, aber all das wird in wenigen Momenten nicht mehr die Realität sein.
Verbliebene Lichtstrahlen eines gebliebenen Tages erreichen das rechte Auge. Das Linke baumelt träge an ein paar Nerven aus der Höhle. Er spannt die Muskeln an und versucht sich zu bewegen. Unmenschliche Schmerzen wandern die fast gebrochene Wirbelsäule hinauf und bohren sich tausendfach, wie Nadeln ins Gehirn. Alles dreht sich und die Welt vor ihm verschwimmt , als ob man sie durch die Oberfläche eines unruhigen Teiches betrachtet. Er bricht wieder zusammen und merkt, dass er nur ein wenig aus dem Leichenberg geraten ist. Ich habe versagt, dachte er, ist der einzigste Gedanke der ihm immer wieder durch den Kopf geht. Ich habe versagt. Allerdings geht der Gedanke keinen Meter weiter. In diesem Zustand des Deliriums versteht er es nicht mehr und das ist die größte Schande.
Er streckt die Rechte gen Himmel, will die Sonne regelrecht greifen und merkt dann, dass die Hand keine Finger mehr hat. Ein blutender Stummel zuckt wild hin und her, als ob er einen Schuldigen sucht auf den er zeigen könnte.
Die Umgebung kommt für einen Moment wieder ins Lot und er hat noch Zeit für ein Letztes Aufblitzen seines Verstandes. „Ich will nicht sterben. Nicht hier, auf diesem Feld der Unehre.“ Dann beginnt sich vollkommen alles zu verändern. Er registriert noch am Rande, wie eine Silhouette sich vor die Sonne schiebt und wundert sich, dass eine gesunde Hand, welche sich um die eigene verstümmelte schließt, ihm keine Schmerzen bereitet.
Erneut dreht sich die Erde. Die Säule auf denen sein Geist aufgebaut ist, zerbersten und das komplizierte Gebäude darauf, fällt scheinbar in den Abgrund. Er verlässt diese Ebene und wenn sich der Tod so anfühlen soll, hat er nichts dagegen.
Alle Farben verlieren ihre Kraft. Das Licht verblasst und der Schatten vor ihm ist verschwunden. Alles ist verschwunden.
Genau wie er.

Unzählige Bilder entstehen in der Dunkelheit seines geistigen Auges und verschwinden, wie sie erschienen. Kaum eines dieser Fragmente ergibt in geringsten einen Sinn. Menschen, die er nicht kennt. Orte, an denen er nie gewesen ist. Aber alle wirken mehr als nur deutlich.
Mehr als nur real. „Das ist die Wahrheit!“ denkt er und weiß nicht woher oder warum er das weiß.
Und es ist war. Wird niemals wahrer sein als in diesem Moment.
Er schwimmt in einem absolut schwarzem Meer und spürt den Widerstand des Wassers, dessen Kälte. Am Rande, in unbeschreiblicher Ferne, wie es scheint, funkeln klar und ohne jedwede Verzerrung die Milliarden Sterne.
Er will sich bewegen, will Atmen, hat aber keine Arme und Beine zum Rudern oder Lungen um die Luft einzusaugen. „Welche Luft auch“, denkt er sich. Wenigstens kann er denken, irgendwie Beweis genug dafür, dass er nicht tot ist, obwohl sein rationaler Verstand diese Möglichkeit an die Erste Stelle setzen würde.
Hier schwebt kein Körper. Noch nicht einmal ein Paar Augen. Es ist lediglich sein Bewusstsein allein, welches offenbar noch existiert und diese Erkenntnis ist erschreckend beruhigend. Sofern das wirklich das ist, wovon sein ach so vernünftiger Verstand ausgeht.
Die Bilder verändern sich, nehmen sozusagen physische Form an. Plötzlich sieht er seine Ziehmutter, nur wenige Zentimeter vor sich schweben und sieht ihr tief in die mandelbraunen Augen. Sie zwinkert ihm zu und ist auch schon verschwunden.
Eine andere Frau taucht auf. Wieder ist sie so nahe, dass er nur ihr Gesicht war nimmt, aber er erkennt sie nicht. Sie trägt dichtes, blaues Haar. Blaues Haar? Hatte er jemals einen Menschen mit blauem Haar gekannt? Er wusste es nicht. Ihr Gesicht wirkte so unglaublich zart und verletzlich und das muss er sich einfach eingestehen, wunderschön. Auf einmal merkt er, dass weit in seinem Inneren (das innere seines geistes, sein Körper scheint ja bereits zur Hölle gefahren zu sein) er etwas für sie empfindet. Nicht diese Dinge, die man führ ein derart attraktives Weibliches Wesen empfinden würde. Mehr wie……
Er versucht sich zu konsentrieren, aber da ist es auch schon vorbei und er wieder allein. Die Sterne beginnen zu Rotieren, führen ein irritierendes Schauspiel oder Tanz auf ihrer schwarzen Bühne auf nur um dann in einer anderen Konstellation zu erstarren.
Er verliert jedwede Kontrolle und wünscht sich nur noch, aus diesem Wo und Wann zu fliehen. „Aber deine zeit ist noch nicht um.“ Erklingt es. „Es ist dein Leben und du wirst weit sehen.“ Die Stimme klingt alt, brüchig, als ob diese Jemand seine beste zeit bereits hinter sich gelassen hätte. Aber sie ist ihm nicht fremd, scheint sie nie gewesen.
Auf einmal bricht der Horizont entzwei. Ein gewaltiger weißer Riss, als wenn man ein Blatt Papier teilt, vernichtet das Universum. Er versucht sich abzuwenden, will die Hände vor die Augen halten, aber er hat weder das eine noch das andere. Gleißendes Licht fließt wie in Wellen um ihn herum und umgibt ihn jetzt, wie es die Flüssigkeit zuvor getan hat.
Er fühlt sich plötzlich um Jahre älter und merkt, dass eiskalte Luft seinen Körper umgibt und es seine Lungen sind, die sie begierig einsaugen. Was ist passiert? Passiert noch?
Ein brandneues Paar Augen öffnet sich und sieht sich um.
Er erblickt einen scheinbar künstlich aufgerichteten, steilen Hügel, bewachsen mit dem grünsten und vielleicht duftensten Gras, hinauf. Der Himmel darüber ist leuchtend Rot, als ob das Blut der Menschheit selbst von ihm regnen würde.
Kniend liegt er dort und blickt starr zum höchsten Punkt des Hügels hinauf….

Und dort hängt sie, mit offenen Armen angebunden an ein riesiges Kreuz aus strahlendem, weißem Gestein. Ihre Hände und Arme sind offen, als wenn sie mit ihnen gen Himmel emporsteigen wollte. Kein einziges Kleidungsstück bedeckt ihren Körper. Allein das wallende violette Haar, welches bis zu den hüften anliegt, bedeckt die Brüste. Die Beine sind verschränkt um ihre Schamhaftigkeit zu bewahren.
In diesem Augenblick ist es die reine Klarheit die von jenem Hügel auf ihn hernieder scheint. Sein Name, sein richtiger Name, nicht der, wie er sich selbst nennt oder von anderen genannt wird, sonder der, welcher ihm von der leiblichen Mutter verliehen wurde, kehrt wieder.
Jason steht auf, geht mit seinem traumartig geliehenen Körper auf die gestalt am Kreuz zu und stellt sich vor sie hin. Er befindet sich mit dem Mund nur einen Atemhauch von ihrem Bauch entfernt und reckt den Kopf empor um ihr Gesicht zu sehen.
Ein beklemmend kalter Strom läuft an ihm hinunter und lässt ihm mehr als nur erschauern. Jason will ihr in die Augen sehen, will es so unwahrscheinlich, dass es ihm Schmerzen bereitet. Es war richtig dies zu tun, auch wenn er das nun bitterlich bereut.
Jemand hatte der Frau in unbeschreiblicher Gewalt die Augen aus ihrer Fassung gerissen und lediglich zwei pechschwarze Hülsen hinterlassen. Ein winziges Rinnsal Blut floss von der linken Höhle bis zum Kinn und tropfte dann zu Boden.
Das Menschliche Grauen hängt an diesem Kreuz. Das versteht Jason sofort und begreift nicht, wieso er den Drang verspürt, sich zu nähern, sie gar zu berühren. Er will jetzt auf einmal nur noch fort. Weg von ihr und ihrem Blick, der auf irgendeine Weise vorhanden ist, aber gleichzeitig auch wieder nicht.
Sein Wunsch ist wie eine Brechstange, die eine massive Tür in seinem Verstand aufstößt und erneut zerreißt der Himmel und Horizont und Jason scheint sicht selbst darin zu verlieren.
Er fällt.
 

Nina H.

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Eine sehr eindrucksvolle Schilderung!

Was mir aber auffällt ist, dass die Satzstellung mitunter einfach gezwungen wirkt.

Er spürt wirklich, dass sein Herzschlag beginnt sich zu verlangsamen, wie ein altes rostiges Uhrwerk in den letzten Zügen seines seins.
Meiner Ansicht nach besser: Er spürte ["wirklich" kann man in dem Fall streichen], dass sich sein Herzschlag wie ein altes, rostiges Uhrwerk in den letzten Zügen seines Seins zu verlangsamen beginnt.

So etwas kommt hier mehrmals vor und ich würde mir den Text besonders in Hinblick auf "eigentümliche" Satzstellungen noch mal ansehen.

Was ich auch nicht ganz verstehe: Dein Erzähler liegt scheinbar in einer Blutlache und droht darin zu ersticken. Wie schafft er es gleichzeitig, noch in die Sonne zu schauen und seine Hand auszustrecken? Wie liegt er denn da, am Bauch, auf der Seite, am Rücken?
Wie schafft er überhaupt noch irgendetwas, wenn er zum einen sehr schwer verletzt ist, zum anderen noch zwei Menschen über ihm draufliegen?

Die Szene mit der Sonne hat zwar eine gewisse Dramatik, aber es fehlt hier einfach, aber wenn ich mir das ganze bildlich vorstelle, merke ich, dass es so nicht funktionieren kann.
 



 
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