Der lichte Moment

4,00 Stern(e) 6 Bewertungen

TaugeniX

Mitglied
„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ Er fiel vom Scheunendach hinunter – weiß Gott wie der Kleine da raufkam – und lag leise röchelnd am Boden. Aus seinem Mund rann helles Blut. „Mir han ja damals kan Telefon net ghabt und kan Auto net; mei Dirndl hab ich aufs Dorf g`schickt um `n Doktor.“ Eine halbe Stunde war das Mädel schon unterwegs, die Mutter kniete sich vor dem Buben, hielt sein schlaff hängendes Ärmchen, rief ihn beim Namen und heulte verzweifelt mit brechender Stimme, die bald ähnlich klang die das Röcheln des Sterbenden.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, wo lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetenuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“

Diese Geschichte erzählt Frau K. täglich, wenn sie aber bei Kräften ist und weniger döst, auch mehrere Male am Tag. Sonst spricht sie nichts. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist leer, es kann weder die Namen ihrer Pfleger noch die letzte Mahlzeit behalten; auch ihre Vergangenheit ist ausgelöscht bis auf einen einzigen Tag. In Gegenwart dieses einzigen Tages, in der qualvollen, immerwährenden Gegenwart von damals vergeht ihre Zeit. Immer wieder, immer wieder steigen die verdutzten Russen achselzuckend ins Auto und fahren fort; immer wieder stirbt ihr das Kind in den Armen, sie kann ihr eigenes spitzes Kreischen hören und die Stille, in der es sich auflöst.

Schwester Lena hat immer zugeschaut, dass sie nicht zu Frau K. eingeteilt wird, aber jetzt steht der Dienstplan nun mal so und die Stationsleiterin will keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche uralten G`schichten. „Schließlich musst du ihr ja nicht sagen, dass Du Russin bist, gehst hin und machst ganz normal deine Arbeit.“

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ …

„Frau K.!“, Lena ergreift ihre Patientin energisch an Handgelenken, „Frau K., bitte, hören Sie mir zu! Bevor ich Sie pflegen darf, müssen Sie mich anhören!“ So eindringlich hat auf die alte Frau schon lange niemand eingeredet, sie stockt und richtet ihre Augen auf die Schwester. „Frau K., ich bin Russin, verstehen Sie, ich will, dass Sie es wissen. Ich will mich Ihnen nicht so unterschieben. Wenn Sie nicht möchten, dass eine Russin bei Ihnen ist, ist es kein Problem, ich kann `ne andere Schwester holen.“

„Du bist also von den Russen?“ Frau K. starrt ins Leere, ihre Finger nesteln auf dem Bettlaken. „Und wärst du zu der Wehrmacht in ihrenen Wagen gestiegen mit dem Kind?“ – „Ich habe damals nicht gelebt, Frau K., ich weiß es nicht. Meine Großmutter wär niemals eingestiegen, das weiß ich sicher. Seit ich `nen Österreicher geheiratet hab`, redet sie mit mir kein Wort, nicht mal ihren Enkel wollte sie ansehen. So ist es. Aber was sollen wir jetzt tun, Frau K., wir Zwei?“

„Wenn du mir bei die Gummistrümpf` helfen tat`st, Kindchen“, Frau K. lächelt sie an, „wie heißt du denn?“ „Lena, Lena, ich heiße Lena“, die Schwester merkt plötzlich, dass sie fürchterlich laut redet und bricht in helles glückliches Lachen aus. Ein riesiger Felsblock hat sich in der Seele ihrer Patientin bewegt und den zugemauerten Eingang freigelassen. Sie, kleine Pflegehelferin, durfte an diesem Wunder teilhaben. Frau K. erzählt plötzlich auch andere Sachen, - wie sie den Hof nicht derhalten konnte und in die Barackensiedlung nach St. Pölten kam, wie ihre Tochter die Schul` g´schafft hat, wie sie die erste Waschmaschine kauften…

Lena rennt zum Stützpunkt und bettelt den diensthabenden Arzt doch mitzukommen: „Sie müssen sich das ansehen, Herr Doktor, die Frau K. ist wie aufgewacht! – Sie hat mir zugehört und erzählt, und sie hat mich nach dem Namen gefragt!“ Mit einer skeptischen Miene läßt sich der Arzt das Wunder einer Spontanheilung vorführen. „Guten Tag, Frau K.! Wie ist das werte Befinden?“ Doch leider war es ein Wunder von sehr flüchtiger Natur. Die Augen der Patientin sind halbgeschlossen und fixieren die Eintretenden nicht:

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo TaugeniX!

Ein berührender Text!
Obwohl ich das Mundartliche in geschriebenen Geschichten eigentlich nicht mag, passt es in diesem Fall sehr gut zum Inhalt. Es unterstreicht hier die ländliche Herkunft der alten Frau.
Sicher hast du deine beruflichen Erfahrungen hier einfließen lassen. Besonders gefallen hat mir, dass du auf ein positives Ende verzichtet hast; so wirkt die Geschichte sehr realitätsnah und daher überzeugend.

PS. Am Ende des ersten Absatzes ist dir ein Tippfehler unterlaufen: "die" statt "wie"

Gruß,
Hyazinthe
 
Interesanter, lohnender Stoff, recht ordentlich und geradlinig dargeboten, durchaus dem Thema angemessen.

Ja, es ist wohl ein Beispiel für wundersame Spontanheilungen und wie sie sich in nichts auflösen können. Ein entscheidender Moment in einer solchen Geschichte scheint mir die anschließende Enttäuschung der teilnehmenden Mitmenschen zu sein. Dies hätte hier vielleicht zum Schluss auch noch ganz knapp gestaltet werden können, vielleicht in Form einer lakonischen Bemerkung des Arztes gegenüber der Pflegerin.

Ich darf auf einiges sprachlich Inkorrekte hinweisen:

1. Absatz: statt "die das Röcheln" dem Röcheln

2. Absatz: Sowjetuniformen

4. Absatz: bitte du in der Anrede durchgehend klein

6. Absatz: an den Handgelenken

7. Absatz: wir zwei

8. Absatz: die kleine Pflegehelferin

Die Sätze im Dialekt müsste ein anderer überprüfen.

Arno Abendschön
 

Wipfel

Mitglied
Hi Taugi, wieder ein tolles Stück Prosa von dir.
Er fiel vom Scheunendach hinunter
...nur technisch eine Anmerkung: Aus der Sicht der Mutter fällt er herab. Aus der Sicht des Buben fällt er hinunter. Ich würde es eher ganz streichen: Er fiel vom Scheunendach. Fertig.

z.B. Der tauende Schnee tropfte vom Dach herab (schreiben andere) - finde ich auch nicht so glücklich. Der tauende Schnee tropfte vom Dach. Fertig. Herauftropfen wird er wohl nicht.

Grüße von wipfel
 

TaugeniX

Mitglied
„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ Er fiel vom Scheunendach – weiß Gott wie der Kleine da raufkam – und lag leise röchelnd am Boden. Aus seinem Mund rann helles Blut. „Mir han ja damals kan Telefon net ghabt und kan Auto net; mei Dirndl hab ich aufs Dorf g`schickt um `n Doktor.“ Eine halbe Stunde war das Mädel schon unterwegs, die Mutter kniete sich vor dem Buben, hielt sein schlaff hängendes Ärmchen, rief ihn beim Namen und heulte verzweifelt mit brechender Stimme, die bald ähnlich dem Röcheln des Sterbenden klang.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, wo lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“

Diese Geschichte erzählt Frau K. täglich, wenn sie aber bei Kräften ist und weniger döst, auch mehrere Male am Tag. Sonst spricht sie nichts. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist leer, es kann weder die Namen ihrer Pfleger noch die letzte Mahlzeit behalten; auch ihre Vergangenheit ist ausgelöscht bis auf einen einzigen Tag. In Gegenwart dieses einzigen Tages, in der qualvollen, immerwährenden Gegenwart von damals vergeht ihre Zeit. Immer wieder, immer wieder steigen die verdutzten Russen achselzuckend ins Auto und fahren fort; immer wieder stirbt ihr das Kind in den Armen, sie kann ihr eigenes spitzes Kreischen hören und die Stille, in der es sich auflöst.

Schwester Lena hat immer zugeschaut, dass sie nicht zu Frau K. eingeteilt wird, aber jetzt steht der Dienstplan nun mal so und die Stationsleiterin will keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche uralten G`schichten. „Schließlich musst du ihr ja nicht sagen, dass du Russin bist, gehst hin und machst ganz normal deine Arbeit.“

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ …

„Frau K.!“, Lena ergreift ihre Patientin energisch an den Handgelenken, „Frau K., bitte, hören Sie mir zu! Bevor ich Sie pflegen darf, müssen Sie mich anhören!“ So eindringlich hat auf die alte Frau schon lange niemand eingeredet, sie stockt und richtet ihre Augen auf die Schwester. „Frau K., ich bin Russin, verstehen Sie, ich will, dass Sie es wissen. Ich will mich Ihnen nicht so unterschieben. Wenn Sie nicht möchten, dass eine Russin bei Ihnen ist, ist es kein Problem, ich kann `ne andere Schwester holen.“

„Du bist also von den Russen?“ Frau K. starrt ins Leere, ihre Finger nesteln auf dem Bettlaken. „Und wärst du zu der Wehrmacht in ihrenen Wagen gestiegen mit dem Kind?“ – „Ich habe damals nicht gelebt, Frau K., ich weiß es nicht. Meine Großmutter wär niemals eingestiegen, das weiß ich sicher. Seit ich `nen Österreicher geheiratet hab`, redet sie mit mir kein Wort, nicht mal ihren Enkel wollte sie ansehen. So ist es. Aber was sollen wir jetzt tun, Frau K., wir zwei?“

„Wenn du mir bei die Gummistrümpf` helfen tat`st, Kindchen“, Frau K. lächelt sie an, „wie heißt du denn?“ „Lena, Lena, ich heiße Lena“, die Schwester merkt plötzlich, dass sie fürchterlich laut redet und bricht in helles glückliches Lachen aus. Ein riesiger Felsblock hat sich in der Seele ihrer Patientin bewegt und den zugemauerten Eingang freigelassen. Sie, die kleine Pflegehelferin, durfte an diesem Wunder teilhaben. Frau K. erzählt plötzlich auch andere Sachen, - wie sie den Hof nicht derhalten konnte und in die Barackensiedlung nach St. Pölten kam, wie ihre Tochter die Schul` g´schafft hat, wie sie die erste Waschmaschine kauften…

Lena rennt zum Stützpunkt und bettelt den diensthabenden Arzt doch mitzukommen: „Sie müssen sich das ansehen, Herr Doktor, die Frau K. ist wie aufgewacht! – Sie hat mir zugehört und erzählt, und sie hat mich nach dem Namen gefragt!“ Mit einer skeptischen Miene läßt sich der Arzt das Wunder einer Spontanheilung vorführen. „Guten Tag, Frau K.! Wie ist das werte Befinden?“ Doch leider war es ein Wunder von sehr flüchtiger Natur. Die Augen der Patientin sind halbgeschlossen und fixieren die Eintretenden nicht:

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“
 

TaugeniX

Mitglied
Liebe Kollegen!

Ich danke herzlich für die positive Kritik, noch mehr aber für die Korrekturen, die ich alle in den Text eingearbeitet habe!

Über den letzten Satz muss ich mir Gedanken machen. Beabsichtigt war nämlich, dass die Geschichte mit dem gleichen Satz endet, mit welchem sie beginnt.

@ Arno, da habe ich mich direkt pubertierend gegen meinen sprachlichen Abgott aufgespielt. :)

Einem waschechten Österreicher, so sich hier einer aufhält, wäre ich für die Korrektur der Dialektsätze natürlich besonders verbunden.
 

TaugeniX

Mitglied
„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“

Er fiel vom Scheunendach – weiß Gott wie der Kleine da raufkam – und lag leise röchelnd am Boden. Aus seinem Mund rann helles Blut. „Mir han ja damals kan Telefon net ghabt und kan Auto net; mei Dirndl hab ich aufs Dorf g`schickt um `n Doktor.“ Eine halbe Stunde war das Mädel schon unterwegs, die Mutter kniete sich vor dem Buben, hielt sein schlaff hängendes Ärmchen, rief ihn beim Namen und heulte verzweifelt mit brechender Stimme, die bald ähnlich dem Röcheln des Sterbenden klang.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, wo lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“

Diese Geschichte erzählt Frau K. täglich, wenn sie aber bei Kräften ist und weniger döst, auch mehrere Male am Tag. Sonst spricht sie nichts. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist leer, es kann weder die Namen ihrer Pfleger noch die letzte Mahlzeit behalten; auch ihre Vergangenheit ist ausgelöscht bis auf einen einzigen Tag. In Gegenwart dieses einzigen Tages, in der qualvollen, immerwährenden Gegenwart von damals vergeht ihre Zeit. Immer wieder, immer wieder steigen die verdutzten Russen achselzuckend ins Auto und fahren fort; immer wieder stirbt ihr das Kind in den Armen, sie kann ihr eigenes spitzes Kreischen hören und die Stille, in der es sich auflöst.

Schwester Lena hat immer zugeschaut, dass sie nicht zu Frau K. eingeteilt wird, aber jetzt steht der Dienstplan nun mal so und die Stationsleiterin will keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche uralten G`schichten. „Schließlich musst du ihr ja nicht sagen, dass du Russin bist, gehst hin und machst ganz normal deine Arbeit.“

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ …

„Frau K.!“, Lena ergreift ihre Patientin energisch an den Handgelenken, „Frau K., bitte, hören Sie mir zu! Bevor ich Sie pflegen darf, müssen Sie mich anhören!“ So eindringlich hat auf die alte Frau schon lange niemand eingeredet, sie stockt und richtet ihre Augen auf die Schwester. „Frau K., ich bin Russin, verstehen Sie, ich will, dass Sie es wissen. Ich will mich Ihnen nicht so unterschieben. Wenn Sie nicht möchten, dass eine Russin bei Ihnen ist, ist es kein Problem, ich kann `ne andere Schwester holen.“

„Du bist also von den Russen?“ Frau K. starrt ins Leere, ihre Finger nesteln auf dem Bettlaken. „Und wärst du zu der Wehrmacht in ihrenen Wagen gestiegen mit dem Kind?“ – „Ich habe damals nicht gelebt, Frau K., ich weiß es nicht. Meine Großmutter wär niemals eingestiegen, das weiß ich sicher. Seit ich `nen Österreicher geheiratet hab`, redet sie mit mir kein Wort, nicht mal ihren Enkel wollte sie ansehen. So ist es. Aber was sollen wir jetzt tun, Frau K., wir zwei?“

„Wenn du mir bei die Gummistrümpf` helfen tat`st, Kindchen“, Frau K. lächelt sie an, „wie heißt du denn?“ „Lena, Lena, ich heiße Lena“, die Schwester merkt plötzlich, dass sie fürchterlich laut redet und bricht in helles glückliches Lachen aus. Ein riesiger Felsblock hat sich in der Seele ihrer Patientin bewegt und den zugemauerten Eingang freigelassen. Sie, die kleine Pflegehelferin, durfte an diesem Wunder teilhaben. Frau K. erzählt plötzlich auch andere Sachen, - wie sie den Hof nicht derhalten konnte und in die Barackensiedlung nach St. Pölten kam, wie ihre Tochter die Schul` g´schafft hat, wie sie die erste Waschmaschine kauften…

Lena rennt zum Stützpunkt und bettelt den diensthabenden Arzt doch mitzukommen: „Sie müssen sich das ansehen, Herr Doktor, die Frau K. ist wie aufgewacht! – Sie hat mir zugehört und erzählt, und sie hat mich nach dem Namen gefragt!“ Mit einer skeptischen Miene läßt sich der Arzt das Wunder einer Spontanheilung vorführen. „Guten Tag, Frau K.! Wie ist das werte Befinden?“ Doch leider war es ein Wunder von sehr flüchtiger Natur. Die Augen der Patientin sind halbgeschlossen und fixieren die Eintretenden nicht:

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Taugenix,

mir ist die Geschichte leider ein bisschen zu konstruiert. Natürlich ist die Pflegehelferin Russin, natürlich hat die alte Frau nichts dagegen, dass sie ihr hilft, natürlich spricht sie dann plötzlich und erinnert sich, natürlich ist sie danach wieder stumm. Erinnert mich ein bisschen an die heile Welt Rosamunde Pilchers, sorry.


LG DS

P.S. Der Text kommt mir bekannt vor. War er im www schon mal zu lesen?
 

TaugeniX

Mitglied
Rosamunde Pilcher Vergleich ist eine heftige Schelte in meinen Augen, aber Du hast nicht Unrecht. Gerade durch die Umkehrbarkeit des "Wunders" hoffte ich eigentlich diesem Vorwurf zu entkommen. Offensichtlich gelingt es mir nicht.

Ich glaube, dass ich höchstens irgendwo erwähnt haben kann, aus diesem Plot eine Geschichte machen zu wollen. Aber als Text war die Geschichte gestern eben gerade fertig.

Hoffentlich komme ich nicht unter Plagiatverdacht, ich bin mir da keiner Schuld bewußt.
 
S

steky

Gast
Hallo, TaugeniX (mit großem X)!

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“
Was Du hier machst, ist extrem schwierig. Ich denke, der Salzburger-Dialekt unterscheidet sich nicht viel vom kärntnerischen. Bei uns hieße es: "Vom Scheinendoch is er mir obagfollen, der Bur." Oder so ähnlich. Dabei kann ich dir leider nicht helfen. Ich bemühe mich stets, mich sauber zu artikulieren. Was leider nicht immer klappt.

Er fiel vom Scheunendach – weiß Gott wie der Kleine da raufkam – und lag leise röchelnd am Boden.
Nach "weiß Gott" setzte ich ein Komma. Auch stört mich der Teil nach dem Gedankenstrich. Ich würde das so schreiben:
"Er fiel vom Scheunendach - weiß Gott, wie der Kleine da raufkam. Er lag leise röchelnd Boden."

Ich finde es etwas komisch, dass die Pflegehelferin ein schlechtes Gewissen hat, weil sie Russin ist, und es ihrer Patientin aufschwatzt. Das überzeugt mich nicht.

Ansonsten eine gute Geschichte, gut erzählt.

LG
Steky
 

TaugeniX

Mitglied
@ Steky, das mit dem Dialekt ist ein Kreuz. Ich wohne nun schon fast 10 Jahre in Salzburg und schaffe es nicht, den Dialekt auch nur irgendwie in den Griff zu bekommen. Dabei würde ich es sehr gerne können.

Aufs Kärntnerische darf ich nicht ausweichen, weil da die Briten waren, aber eigentlich auch nicht aufs Salzburgerische, denn da waren die Amis. Ich brauche einen alten Niederösterreicher, der sich der paar Zeilen erbarmen würde und sie in Sprache seiner Kindheit übersetzt. :)

Es ist schwierig mit einem Menschen, von dem Du weißt oder vermutest, er würde sich mit Abscheu von dir abwenden, wenn er bloß wüßte wer/was du wirklich bist. Man hat eben das Gefühl, man würde sich dem Menschen heimlich "unterschieben".
 

TaugeniX

Mitglied
„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“

Er fiel vom Scheunendach – weiß Gott, wie der Kleine da raufkam, und lag leise röchelnd am Boden. Aus seinem Mund rann helles Blut. „Mir han ja damals kan Telefon net ghabt und kan Auto net; mei Dirndl hab ich aufs Dorf g`schickt um `n Doktor.“ Eine halbe Stunde war das Mädel schon unterwegs, die Mutter kniete sich vor dem Buben, hielt sein schlaff hängendes Ärmchen, rief ihn beim Namen und heulte verzweifelt mit brechender Stimme, die bald ähnlich dem Röcheln des Sterbenden klang.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, wo lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“

Diese Geschichte erzählt Frau K. täglich, wenn sie aber bei Kräften ist und weniger döst, auch mehrere Male am Tag. Sonst spricht sie nichts. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist leer, es kann weder die Namen ihrer Pfleger noch die letzte Mahlzeit behalten; auch ihre Vergangenheit ist ausgelöscht bis auf einen einzigen Tag. In Gegenwart dieses einzigen Tages, in der qualvollen, immerwährenden Gegenwart von damals vergeht ihre Zeit. Immer wieder, immer wieder steigen die verdutzten Russen achselzuckend ins Auto und fahren fort; immer wieder stirbt ihr das Kind in den Armen, sie kann ihr eigenes spitzes Kreischen hören und die Stille, in der es sich auflöst.

Schwester Lena hat immer zugeschaut, dass sie nicht zu Frau K. eingeteilt wird, aber jetzt steht der Dienstplan nun mal so und die Stationsleiterin will keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche uralten G`schichten. „Schließlich musst du ihr ja nicht sagen, dass du Russin bist, gehst hin und machst ganz normal deine Arbeit.“

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“ …

„Frau K.!“, Lena ergreift ihre Patientin energisch an den Handgelenken, „Frau K., bitte, hören Sie mir zu! Bevor ich Sie pflegen darf, müssen Sie mich anhören!“ So eindringlich hat auf die alte Frau schon lange niemand eingeredet, sie stockt und richtet ihre Augen auf die Schwester. „Frau K., ich bin Russin, verstehen Sie, ich will, dass Sie es wissen. Ich will mich Ihnen nicht so unterschieben. Wenn Sie nicht möchten, dass eine Russin bei Ihnen ist, ist es kein Problem, ich kann `ne andere Schwester holen.“

„Du bist also von den Russen?“ Frau K. starrt ins Leere, ihre Finger nesteln auf dem Bettlaken. „Und wärst du zu der Wehrmacht in ihrenen Wagen gestiegen mit dem Kind?“ – „Ich habe damals nicht gelebt, Frau K., ich weiß es nicht. Meine Großmutter wär niemals eingestiegen, das weiß ich sicher. Seit ich `nen Österreicher geheiratet hab`, redet sie mit mir kein Wort, nicht mal ihren Enkel wollte sie ansehen. So ist es. Aber was sollen wir jetzt tun, Frau K., wir zwei?“

„Wenn du mir bei die Gummistrümpf` helfen tat`st, Kindchen“, Frau K. lächelt sie an, „wie heißt du denn?“ „Lena, Lena, ich heiße Lena“, die Schwester merkt plötzlich, dass sie fürchterlich laut redet und bricht in helles glückliches Lachen aus. Ein riesiger Felsblock hat sich in der Seele ihrer Patientin bewegt und den zugemauerten Eingang freigelassen. Sie, die kleine Pflegehelferin, durfte an diesem Wunder teilhaben. Frau K. erzählt plötzlich auch andere Sachen, - wie sie den Hof nicht derhalten konnte und in die Barackensiedlung nach St. Pölten kam, wie ihre Tochter die Schul` g´schafft hat, wie sie die erste Waschmaschine kauften…

Lena rennt zum Stützpunkt und bettelt den diensthabenden Arzt doch mitzukommen: „Sie müssen sich das ansehen, Herr Doktor, die Frau K. ist wie aufgewacht! – Sie hat mir zugehört und erzählt, und sie hat mich nach dem Namen gefragt!“ Mit einer skeptischen Miene läßt sich der Arzt das Wunder einer Spontanheilung vorführen. „Guten Tag, Frau K.! Wie ist das werte Befinden?“ Doch leider war es ein Wunder von sehr flüchtiger Natur. Die Augen der Patientin sind halbgeschlossen und fixieren die Eintretenden nicht:

„Vom Scheunendach ist er mir obagfallen, der Bur.“
 

steyrer

Mitglied
Hallo TaugeniX!

Nun, ich bin zwar ein mittelalter Oberösterreicher und kein „alter Niederösterreicher“, ;) aber ich wohne relativ nah an der Grenze zum Mostviertel. Da dürfte es keine allzu großen Unterschiede geben.

Nun zur Sache: Der erste Satz klingt im südlichen Traunviertel etwa so: Vom Stodldoch is a ma obigfoin da Bua. Die o werden etwa so ausgesprochen wie das a in Wall Street. Behutsam dem Hochdeutschen angenähert: Vom Stadeldach ist er mir obig`fallen der Bub. Scheune ist hochsprachlich und geht gar nicht (wenigstens im Traunviertel).

Eine weitere Stelle:

„Mir han ja damals kan Telefon net ghabt und kan Auto net; mei Dirndl hab ich aufs Dorf g`schickt um `n Doktor
Mir [strike][red]han[/red][/strike] [blue]ham[/blue] damals ja [strike][red]kan [/red][/strike][blue]ka[/blue] Telefon net ghabt und [strike][red]kan[/red][/strike] [blue]ka[/blue] Auto net; mei Dirndl hab ich [strike][red]aufs[/red][/strike] [blue]ins[/blue] Dorf g`schickt um `n Doktor.

Telefon und Auto sind sächlich und nicht männlich. Richtig wäre nur kan Wagen. Aufs Dorf erscheint mir spontan falsch, ich kenne das nur wie in aufs Auto (auf das Autodach), aufn Kirtag, oder aufn Friedhof.

Allgemeines:

Er fiel vom Scheunendach – weiß Gott, wie der Kleine da raufkam, und lag leise röchelnd am Boden.
Das weiß Gott ist umgangssprachlich und sollte nur in direkter oder indirekter Rede vorkommen.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, wo lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“
Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, [strike][red]wo[/red][/strike] [blue]in dem[/blue] lauter Russen saßen.

Hm … diese Weigerung kann ich verstehen. Nicht weil es Besatzer waren, sondern eben Soldaten.

Abschließend:

Die Grundidee mit dem „lichten Moment“ finde ich durchaus glaubwürdig und ansprechend umgesetzt.

Ich hoffe, ich konnte helfen
steyrer
 

TaugeniX

Mitglied
„Vom Stadldach ist er mir obig`fallen der Bua.“

Er fiel vom Scheunendach – wer weiß, wie der Kleine da raufkam, und lag leise röchelnd am Boden. Aus seinem Mund rann helles Blut. „Mir ham ja damals ka Telefon net ghabt und ka Auto net; mei Dirndl hab ich ins Dorf g`schickt um `n Doktor.“ Eine halbe Stunde war das Mädel schon unterwegs, die Mutter kniete sich vor dem Buben, hielt sein schlaff hängendes Ärmchen, rief ihn beim Namen und heulte verzweifelt mit brechender Stimme, die bald ähnlich dem Röcheln des Sterbenden klang.

Ihre Tochter kam in einem kleinen Militärlaster zurück, in den lauter Russen saßen. Ein junger Bursche in Sowjetuniform sprang raus und deutete der Frau, dass sie mit dem Kind einsteigen soll. „Aber des warn doch die verfluchten Besatzer, i konnt net einsteigen zu die Russen, verstehst, da konnt i net einisteigen.“

Diese Geschichte erzählt Frau K. täglich, wenn sie aber bei Kräften ist und weniger döst, auch mehrere Male am Tag. Sonst spricht sie nichts. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist leer, es kann weder die Namen ihrer Pfleger noch die letzte Mahlzeit behalten; auch ihre Vergangenheit ist ausgelöscht bis auf einen einzigen Tag. In Gegenwart dieses einzigen Tages, in der qualvollen, immerwährenden Gegenwart von damals vergeht ihre Zeit. Immer wieder, immer wieder steigen die verdutzten Russen achselzuckend ins Auto und fahren fort; immer wieder stirbt ihr das Kind in den Armen, sie kann ihr eigenes spitzes Kreischen hören und die Stille, in der es sich auflöst.

Schwester Lena hat immer zugeschaut, dass sie nicht zu Frau K. eingeteilt wird, aber jetzt steht der Dienstplan nun mal so und die Stationsleiterin will keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche uralten G`schichten. „Schließlich musst du ihr ja nicht sagen, dass du Russin bist, gehst hin und machst ganz normal deine Arbeit.“

„Vom Stadldach ist er mir obig`fallen der Bua.“ …

„Frau K.!“, Lena ergreift ihre Patientin energisch an den Handgelenken, „Frau K., bitte, hören Sie mir zu! Bevor ich Sie pflegen darf, müssen Sie mich anhören!“ So eindringlich hat auf die alte Frau schon lange niemand eingeredet, sie stockt und richtet ihre Augen auf die Schwester. „Frau K., ich bin Russin, verstehen Sie, ich will, dass Sie es wissen. Ich will mich Ihnen nicht so unterschieben. Wenn Sie nicht möchten, dass eine Russin bei Ihnen ist, ist es kein Problem, ich kann `ne andere Schwester holen.“

„Du bist also von den Russen?“ Frau K. starrt ins Leere, ihre Finger nesteln auf dem Bettlaken. „Und wärst du zu der Wehrmacht in ihrenen Wagen gestiegen mit dem Kind?“ – „Ich habe damals nicht gelebt, Frau K., ich weiß es nicht. Meine Großmutter wär niemals eingestiegen, das weiß ich sicher. Seit ich `nen Österreicher geheiratet hab`, redet sie mit mir kein Wort, nicht mal ihren Enkel wollte sie ansehen. So ist es. Aber was sollen wir jetzt tun, Frau K., wir zwei?“

„Wenn du mir bei die Gummistrümpf` helfen tat`st, Kindchen“, Frau K. lächelt sie an, „wie heißt du denn?“ „Lena, Lena, ich heiße Lena“, die Schwester merkt plötzlich, dass sie fürchterlich laut redet und bricht in helles glückliches Lachen aus. Ein riesiger Felsblock hat sich in der Seele ihrer Patientin bewegt und den zugemauerten Eingang freigelassen. Sie, die kleine Pflegehelferin, durfte an diesem Wunder teilhaben. Frau K. erzählt plötzlich auch andere Sachen, - wie sie den Hof nicht derhalten konnte und in die Barackensiedlung nach St. Pölten kam, wie ihre Tochter die Schul` g´schafft hat, wie sie die erste Waschmaschine kauften…

Lena rennt zum Stützpunkt und bettelt den diensthabenden Arzt doch mitzukommen: „Sie müssen sich das ansehen, Herr Doktor, die Frau K. ist wie aufgewacht! – Sie hat mir zugehört und erzählt, und sie hat mich nach dem Namen gefragt!“ Mit einer skeptischen Miene läßt sich der Arzt das Wunder einer Spontanheilung vorführen. „Guten Tag, Frau K.! Wie ist das werte Befinden?“ Doch leider war es ein Wunder von sehr flüchtiger Natur. Die Augen der Patientin sind halbgeschlossen und fixieren die Eintretenden nicht:

„Vom Stadldach ist er mir obig`fallen der Bua.“
 

TaugeniX

Mitglied
Lieber Kollege, natürlich hast Du mir geholfen! Vielen Dank! Ich habe Deine Korrekturen sofort übernommen.

Ich fürchte, ich kriege den Dialekt niemals in Griff. Verstehen kann ich viel, zumindest solange es eine "gemäßigte" Dialektversion ist. Aber sprechen lerne ich wohl niemals. Wenn wir Patienten aus dem Lungau haben, dann verstehe ich auch fast nichts.
 

steyrer

Mitglied
Hallo!

Gut, dass ich helfen konnte. Wenn es wieder einmal Schwierigkeiten geben sollte, dann lass es mich wissen.

Schöne Grüße
steyrer
 



 
Oben Unten