Der nächtliche Anruf

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Raniero

Textablader
Der nächtliche Anruf

Raymund Banduleit schreckte auf, aus tiefstem Schlaf; das Telefon hatte geklingelt, mehrere Male schon, erbarmungslos.
Etwas erschreckt griff er zum Hörer, das Gerät hatte er sich in weiser Voraussicht vor einigen Jahren als Zweittelefon zugelegt und auf dem Nachttisch deponiert, für alle Fälle, denn man konnte ja nie wissen, und so brauchte er nicht mitten in der Nacht durch die halbe Wohnung zu laufen.
„Hier Banduleit, mit wem spreche ich“, murmelte er schlaftrunken.
„Hier spricht Robert de Niro“.
Raymund war versucht, den Hörer samt Telefon gegen die Wand zu knallen, vor Wut.
Das war nicht die Stimme Robert de Niros.
Was war das denn für ein Spinner?
„Sie haben wohl einen Knall, mein Lieber“, herrschte er den nächtlichen Ruhestörer an. „wer sind Sie und was wollen Sie, verdammt noch mal?“
„Sie haben ja Recht“, klang es kleinlaut vom anderen Ende der Leitung zurück, „ich bin nicht direkt Robert De Niro, aber ich fühle mich so, das heißt, ich hatte einen Traum, ich sei Robert de Niro, und nun fühle ich tatsächlich so, als sei ich es“.
„Um mir das zu sagen, rufen Sie mich mitten in der Nacht an, Sie Knallkörper“, geriet Banduleit in Rage, „ich will Ihnen mal was sagen, Sie verhinderter De Niro, ich habe neulich geträumt, ich sei der Papst, und ich habe niemanden angerufen“.
„Entschuldigen Sie bitte, mein Herr, entschuldigen Sie vielmals die Störung, aber ich konnte nicht anders, denn es brannte mir auf der Seele und ich musste es irgendwie loswerden....“
„Aber nicht bei mir, Sie schräger Vogel, und nicht mitten in der Nacht, verdammt noch mal!“
Wütend knallte Raymund den Hörer auf die Gabel und warf sich mit einem Aufschrei der Verzweiflung wieder in die Federn.
So etwas hatte er noch nie erlebt.
Er hatte sich das Zweittelefon ans Bett gestellt, um für nächtliche Notfälle gerüstet zu sein; seine Eltern waren alt, und es konnte immer einmal geschehen, dass sie seine Hilfe brauchten, auch in der Nacht. Zum Glück war ein solcher Notfall bisher noch nie eingetreten; stattdessen rief ihn mitten in der Nacht so ein Verrückter an, es war nicht zum Aushalten.
Krampfhaft versuchte Raymund, wieder Schlaf zu finden, doch es wollte ihm nicht gelingen. Alle möglichen Gedanken gingen ihm durch den Kopf; seine alten Eltern, Situationen aus dem Alltag und schließlich zog sein ganzes Leben an ihm vorüber.
Plötzlich schreckte er erneut auf, diesmal war es nicht das Telefon.
Vielleicht, so sagte er sich, war es ein großen Fehler, vorhin, vorschnell und unüberlegt das Gespräch abzubrechen. Der Anrufer war offenkundig in irgend einer Weise gestört, und solche Menschen konnten gefährlich sein. Er hätte ihn beruhigen müssen, statt ihn anzubrüllen; obwohl dieser Unbekannte nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein schien, so war er andererseits aber im Besitz seiner, Raymunds Telefonnummer, wenn er diese nicht aus purem Zufall gewählt und wieder vergessen hatte.
Es lag also durchaus im Bereich des Möglichen, dass dieser Psychopath es wieder täte, dass er ihn wieder anriefe, wieder und wieder, die ganze Nacht durch.
Zum Glück jedoch blieben weitere Anrufe ‚Robert De Niros‘ aus, doch Raymund tat die ganze Nacht kein Auge mehr zu.
Am nächsten Tag gelang es ihm nicht, seiner beruflichen Tätigkeit – er war Sachbearbeiter bei einer großen Versicherungsgesellschaft – mit normaler Konzentration nachzugehen; immer wieder musste er an den nächtlichen Anruf denken, und darüber hinaus stand er mehrere Male kurz davor, an seinem Schreibtisch einzuschlafen, kein Wunder, nach einer solchen Nacht. In der Hoffnung, dass weitere mysteriöse Anrufe ausblieben, legte er sich abends sehr früh zu Bett, der fehlende Schlaf wollte nachgeholt werden. In der Tat blieb in dieser Nacht das Telefon stumm, und in den folgenden Nächten ebenfalls, selbst am Wochenende, an dem er diese Art von Störung leichter weggesteckt hätte, da er ja am nächsten Tag ausschlafen konnte, blieben weitere Anrufe aus.
Nicht so in der Nacht von Sonntag auf Montag, der absolut schlimmsten Nacht für den berufstätigen Normalbürger, da eine komplette anstrengende Woche ins Haus steht.
Diesmal war es John Wayne respektive jemand, der sich dafür ausgab.
Raymund erkannte sofort an der Stimme, dass es sich nicht um den verblichenen Holly Wood Star handelte, aber er bemerkte auch, dass es nicht der gleiche Anrufer wie beim ersten Mal war.
Wer zum Teufel rief da jetzt an, mitten in der Nacht, und warum hatte es dieser nur auf ihn, Raymund Banduleit, abgesehen?
Es war zum Verzweifeln.
„Wer ist denn da, verflucht noch mal, wer sind Sie eigentlich?“ brüllte Raymund mit unmenschlich verzerrter Stimme in den Hörer,
„In wessen Auftrag handeln Sie, sagen Sie mir das sofort! Wer sind Ihre Hintermänner, die Drahtzieher dieses Komplotts?“
„Was für Hintermänner, was für Drahtzieher, ich bin John Wayne, mein Freund. John Wayne braucht keine Hintermänner und Drahtzieher, John Wayne handelt und spricht für sich selbst“.
Nun wurde es Raymund aber zu bunt. Er vergaß alle Formalitäten und Höflichkeitsfloskeln, ging vom steifen Sie zum persönlichen Du über und schrie in den Telefonhörer:
„Jetzt habe ich aber die Schnauze voll, du Komiker. Wer hat denn hier bei mir vorige Woche angerufen und sich als Robert De Niro ausgegeben, wenn nicht einer von deinen Spießgesellen. Ich will dir mal was sagen, mein lieber Freund, den habe ich schon kleingekriegt, den Idioten, der ruft hier nicht mehr an, und du gefälligst auch nicht mehr, hast du verstanden?“
Diese forsche Anrede Raymunds bewirkte, dass der Anrufer sich etwas zurücknahm.
„Na ja, wenn Sie mir das so direkt sagen, vielleicht habe ich etwas übertrieben, eigentlich bin ich gar nicht John Wayne, ich habe es nur geträumt, aber glauben Sie mir, ich war der festen Überzeugung, es zu sein. Wie kommt das nur, können Sie mir das erklären?“
Raymund Banduleit konnte es nicht und er verspürte auch absolut keine Lust dazu.
Stattdessen knallte er wiederum erbost den Hörer auf die Gabel, nicht ohne dem Anrufer zynisch weiterhin schöne Träume zu wünschen, er solle jedoch bloß nicht auf den Gedanken kommen, wieder anzurufen.
Auch den weiteren nächtlichen Anrufern in den folgenden Wochen, männlichen wie weiblichen Geschlechts, vermochte Raymund nicht erklären, warum diese sich so fühlten wie Barbara Streisand, Liza Minnelli, Dustin Hoffmann oder Arnold Schwarzenegger, und vor allem aber fand er keine Erklärung dafür, aus welchem Grund alle diese verhinderten Hollywood Größen ausgerechnet ihn zu nächtlicher Stunde anriefen, um ihm von ihren Gefühlen zu berichten.
Eines Tages hatte Raymund es satt.
Er war fest entschlossen, sich bei seiner eigenen Firma neu zu bewerben, als Pförtner für den Nachtdienst, so brauchte er zumindest nicht zu befürchten, immer wieder zu nächtlicher Stunde aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Kurzfristig ließ er sich daher einen Termin geben, in der Personalabteilung.
Als er sich auf den Weg machte, stellte er zu seiner Verwunderung fest, dass er sich zuerst einmal kundig machen musste, wo sich diese Abteilung befand, in dem großen verwinkelten Gebäudekomplex; zu lang schon hockte er in seinem einsamen Büro, und außer den nächsten umliegenden Räumen war ihm der Rest des Hauses wenig bekannt.
Er benutzte den Aufzug bis zur dreizehnten Etage.
Als er die Flure entlang ging, suchenden Blickes, bemerkte er, dass ihm dieser Bereich des Gebäudes völlig fremd vorkam.
Vorsichtig klopfte er an die Tür des Leiters der Personalabteilung und trat ein.
Der Personalchef begrüßte ihn freundlich.
„Nehmen Sie Platz, Herr Banduleit. Was kann ich für Sie tun?“
Bevor jedoch Raymund sein Anliegen vorbringen konnte, fühlte er, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab.
Als er aus dem Fenster blickte, über die Schultern des freundlichen Personalleiters hinweg, gewahrte er auf dem niedriger gelegenen Dach des Nachbargebäudes, in dem eine Castingfirma untergebracht war, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Schauspieler herauszubringen und Superstars zu kreieren, ein großes Reklameschild mit folgendem Werbespruch:
„Hollywood, the top of the stars. Fühlen auch Sie, dass in Ihnen eine Barbara Streisand, ein Robert De Niro steckt? Machen Sie Ihre Träume wahr und rufen Sie uns an, unverzüglich, tagsüber oder nachts, wir sind immer für Sie bereit!“

Unterhalb des Werbeslogans war eine Telefonnummer angegeben, die Privatnummer Raymund Banduleits, oder fast dieselbe; nur mit dem Unterschied, dass seine Nummer eine Null weniger aufwies...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aua, aua,

der arme kerl! dem nutzt die flucht in die nachtschicht überhaupt nicht . . .
sehr amüsant und ein völlig unerwarteter schluss. gut gemacht!
lg
 

Raniero

Textablader
Tja, in der Tat, ein armer Kerl, dieser Raimund; ich möchte auch nicht mit ihm tauschen.

Gruß Raniero

PS
Die besten Storys resp. die besten Anregungen kommen tatsächlich aus dem wirklichen Leben.
 
N

no-name

Gast
Hallo Raniero,

eine wirklich amüsante Story, sofern man nicht "Raymund Banduleit" heißt... ;-)

Mich erinnert Deine Geschichte an eine Freundin von mir, die eine zeitlang eine ähnliche Telefonnummer wie ein Pizzaservice hatte und ständing Anrufe von Leuten hatte, die bei ihr bestellen wollten. Am Anfang hat sie das ja noch mit Humor genommen, aber irgendwann war sie hypergenervt, so dass sie sich letztendlich eine neue Telefonnr. besorgt hat.
Nur zu verständlich, wie ich finde.

Grüße von no-name.
 

Raniero

Textablader
Hallo
no-name,

ich habe tatsächlich vor einiger Zeit einmal einen Anruf erhalten, mitten in der Nacht, bei dem mir ein Blödmann (wahrscheinlich betrunken) mitteilte, er sei Robert De Niro und könne nicht schlafen.
Am liebsten wäre ich seinerzeit, wenn ich gekonnt hätte, dem Blödmann durch den Hörer an die Gurgel gesprungen, doch im Nachhinein musste ich doch schmunzeln; hat mich der Kerl doch zu dieser Story angeregt.
Hoffentlich liest er jetzt nicht diese Zeilen und ruft wieder an, vielleicht aus dem Jenseits, als Attilla, der Hunnenkönig...

Gruß Raniero
 

Mortimer

Mitglied
Moin Raniero,
gestatten - Heidi Klum, ich wollt fragen, ob ich mit meinen 4 Freundinnen heute bei dir nächtigen darf?

Ne, jetzt mal im Ernst, du hast dich dramatisch verbessert, seit ich (war seit einigen Monaten nicht mehr auf dieser Seite) deine letzte Story gelesen habe, ich glaube, sie hieß Assekuranz oder so ähnlich. Seinerzeit hast du noch mit etwas holprigen Schachtelsätzen um dich geworfen und jetzt liest sich alles flüssig und rhytmisch. Auch die Idee - die übrigens auch bei deiner damaligen Story gelungen war - ist großartig. Witzig erzählt, man hat den leicht cholerisch angehauchten Raymond richtig vor Augen wie er im Pyjama auf der Bettkante sitzend in den Hörer flucht. Das Ende ist auch nicht vorhersehbar. Frag mich nur, warum du keinen deutschen Namen verwendest. So ein Versicherungsfuzzi hat schließlich Horst - Günther Schmidt-Bergmann (Doppelnamen von seiner Frau aufoktroyiert) zu heißen.
P.S: Mit den Versicherungen scheinst du's echt zu haben :)

Gruß Mortimer
 

Raniero

Textablader
Hallo Mortimer,
moin, moin!

Entschuldige bitte meine verspätete Reaktion, denn ich bin soeben erst aus einem internetfreien Urlaub zurückgekehrt.
Freut mich, dass Dir diese Story gefallen hat.
Bezüglich meiner 'dramatischen Verbesserung', na, ja, nicht soviel Dickes, würde ich sagen, vor allem, weil ich diese wie auch die 'Assekurianz' bereits vor fast zwei Jahren geschrieben habe.
Ich glaube eher, dass Tagesform und Laune bei der Umsetzung entscheidend sind.

In diesem Sinne, moin, moin.

Gruß Raniero
 



 
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