Der teuflische Advokat.

pleistoneun

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"Streichen Sie den letzten Satz aus dem Protokoll. Den vorletzten auch. Streichen Sie überhaupt das ganze Protokoll!". Altrichter Viktor Bodenfass fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und verzweifelte am aktuellen Gerichtsfall. Dieser für den Berufsstand des gnadenlosen Richters offensichtlich etwas zu weichherzige Mann war für die ordnungsliebende Gesellschaft wie ein Fass ohne Boden. Er brachte es nie übers Herz, jemanden hinter Gitter zu bringen, mochte er eine noch so grauenvolle Tat begangen haben. Mann nannte ihn den "teuflischen Advokaten", weil er es in jedem Prozess irgendwie schaffte, Gründe gegen eine Schuldsprechung vorzubringen, also immer Argumente für eine Freisprechung fand.

"Ich möchte, dass sich der Angeklagte bei der Gattin des Ermordeten entschuldigt. Würde das gehen?". Flächenbrandartige Aufruhr im Gerichtssaal. "Ja...ähm... gut, ja aufgrund der Schwere des Verbrechens verlangt das hohe Gericht zudem noch eine Geldstrafe von .... sagen wir € 80,00.". Die Anwesenden waren erbost über die Milde des Urteils. Wieder ein Fall, der wegen richterlichem Dilettantismus in einen ungerechten Freispruch zu kippen drohte. Altrichter Viktor Bodenfass, der noch nie einen Fall wirklich gerecht amtshandelte, wurde an diesem Tag Opfer einer Meute wildgewordener Menschen, die in ihrem aufgebrachten Zorn den teuflischen Advokaten zu Boden warfen und wahrhaftig am Boden wie ein Insekt zertraten.

Über diesen Vorfall im Gericht kam es selbstverständlich zu einem neuerlichen Verfahren und sämtliche Beteiligten, teilweise auch die Gerichtsdiener, wurden verurteilt. Wäre Viktor Bodenfass, der teuflische Advokat, ihr Richter gewesen, er hätte sie alle freigesprochen.
 



 
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