Der verdammt haarige Seitensprung

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tinta

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Ich bin ihm untreu geworden. Eigentlich wollte ich ja bloß hin, weil meinem Kurzen die Haare zu lang geworden waren. Aber als ich dann da hockte und alle um mich herum so schön aussahen, betrachtete ich nachdenklich die sauerkrautähnlichen Zotteln auf meinem Kopf. Und ich wusste, ich musste was tun.

„Ich hätte auch gern die Haare etwas kürzer“, begann ich zögerlich. Andreas würde toben! Aber ich war schon mittendrin: „Ich bin Bridschitt“, sagte sie und begann ihr Werk. Schnipp-Schnapp landete eine Strähne nach der anderen auf dem Boden. Neben mir schnitten sie dem Kurzen das wüste Haar. Der nahm es gelassen und spielte mit seinem Gameboy. Ich hingegen rutschte unruhig auf meinem Stuhl. Um mich zu beruhigen, ließ ich meinen Blick durch den Salon schweifen. Vorsintflutlich anmutende Trockenhauben hangelten sich von der Decke herunter. Warum waren die mir nicht schon vorher aufgefallen? Und dieses Schild "Waschen, legen, trocknen." Legen. Jetzt wusste ich, was sie damit meinten.

Oder waren die Hauben für Dauerwellen? Wie auch immer, das war ich jedenfalls gar nicht mehr gewöhnt! Andreas weigert sich seit Jahren standhaft, Dauerwellen zu machen.
„Schamhaarlocken“, zischte er entsetzt, als ich ihm einmal mit diesen Ansinnen kam. Bridschitt holte mich unsanft in die Wirklichkeit zurück. Sie zog mit der Harke an meinem Haar, als wollte sie es auf natürliche Weise verlängern.

Als sie mir um die 15 Rundbürsten ins Haar flocht, dachte ich: „Jetzt ist das Desaster perfekt. Die kriegt sie nie im Leben wieder raus. Am Ende schneidet sie sie mir streichhölzerkurz!“ Rundhaarbürsten! Andreas bekäme einen Lachkrampf. Na bravo! Das Geschrei beim Herausziehen würde ihnen ein für allemal sämtliche Kunden vergraulen. Die würde sie nicht ohne Probleme wieder herausfriemeln können, keine Frage.

Verbittert schloss ich die Augen und nahm mir mir, sie erst an der Kasse wieder zu öffnen. Müssten sie mich eben hinführen. Ich weiß nicht genau wie sie die Sache mit den Rundbürsten gemanagt hat, am Ende schaffte es Bridschitt jedenfalls doch. Tja, und dann siegte meine Neugier. Sie überrumpelte mich blindlings. Ich wagte einen Blick in den Spiegel. Was ich sah, raubte mir schier die Sprache. Stattdessen entfuhr mir ein spitzer Schrei. Andreas hätte es noch zu ein paar Oktaven mehr gebracht. Ich sah so aus, wie ich es nie im meinem ganzen Leben gewollt hatte: Mindestens 10 Jahre älter. Mit einem braven Hausfrauenschnitt.

Toupierend fuhrwerkte mir Bridschitt ein paar Strähnen hinters Ohr. „Sieht flotter aus“, trällerte sie fröhlich. Ich war nicht imstande, etwas Originelles darauf zu erwidern.

An der Kasse drückte sie mir ihre Visitenkarte in die Hand. „Brigitte“, stand darauf.
„Die brauche ich nicht“, lächelte ich höflich.
„Wir werden uns nämlich nie wiedersehen.“

Andreas, oh Andreas! Ich schwor ihm stillschweigend die Treue. Von jetzt an bis ans Ende meiner Tage.

Den Kurzen hatten sie übrigens prächtig hergerichtet.
„Ich sehe cool aus“, stellte er fest.
Und: „Aber Du leider nicht.“
 

Kerensa

Mitglied
Haarige Angelegenheiten

Liebe Tinta,
habe herzhaft gelacht, ich erinnere mich noch an manche eigenen Friseurversuche. Nach vielen Friseurstudiohhhhhhhs habe ich endlich was passables erwischt. Für mich ist dieses Erwachen nach dem Schnitt übrigens besonders schlimm, weil ich so kurzsichtig bin - und wenn ich keine Brille aufhabe - o weh.
Du solltest Deinen Beitrag in Humor/Satire setzen!
LG
Kerensa
 

tinta

Mitglied
Herrlich... das Erwachen nach dem Aufsetzen der Brille kann ich mir lebhaft vorstellen. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar - habe mich sehr gefreut! Tinta
 



 
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