Der verschwundene Park

Der verschwundene Park

Der Park lag in einer gewöhnlichen Kleinstadt, wie es viele in diesem Land gibt, mit gewöhnlichen Menschen, die gewöhnlichen Beschäftigungen nachgingen.

Laut Stadtführer lag er mitten in der Stadt und zählte zu den größten und schönsten, öffentlichen Parkanlagen des Landes.
Viele mächtige Bäume, sowohl Laub- als auch Nadelbäume, manche einige hundert Jahre alt, standen dort und reckten ihre Baumkronen dem Himmel entgegen, als versuchten sie wenigstens die eine oder andere Wolke zu erreichen. Zwischen den kleinen Wäldchen und vielen Blumenwiesen schlängelten sich Kieswege. Liebevoll angelegte Blumenrabatte säumten die Hauptwege. Ein kleiner Bach floss durch die Grünanlage und an so manchem Sommertag übersäten kleine weiße Papierschiffchen die Wasseroberfläche. Gemütliche Bänke luden die Besucher zum Verweilen ein.
Pünktlich um 20 Uhr, im Winter bereits um 17 Uhr, schloss Herr Jannson, der alte Parkwächter das Tor am Haupteingang ab. Eine ziemlich überflüssige Aufgabe, da die Mauer, die einst den ganzen Park umgab, im Laufe der Jahre immer mehr verfiel und der größte Teil deshalb vor etwa fünf Jahren abgerissen wurde. Und so blieb nur ein kläglicher Mauerrest stehen und mit ihm das ehemalige, reich verzierte, schmiedeeiserne Haupttor.
Die Menschen kamen hierher um im Schatten der herrlichen Bäume in Ruhe ihre Mittagspause zu verbringen, oder um abends noch spazieren zu gehen, oder um - ach, es gäbe noch so viele Möglichkeiten- doch, jeder der schon einmal in einem Park ein wenig Zeit zugebracht hat, kennt diese, und es bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, sich weitere Gelegenheiten für einen Parkbesuch einfallen zu lassen.

Doch zurück zu unserem Park.
So idyllisch diese Beschreibung auch sein mag, sie trügt, denn sah man genauer hin - oh je! Geschmacklose Gemälde, politische Parolen und sonstige Sprüche, überzogen den Mauerteil in allen möglichen Farben -zweifellos von Menschen, mit einem minimalen Wortschatz und oft katastrophalen Rechtschreib- und Grammatikkenntnissen, stammend.

Ging man durch das Tor – das wahrscheinlich nur aufgrund seiner massiven Bauweise allen Zerstörungsversuchen getrotzt hatte - in den Park hinein, so war nichts von der früheren Idylle zu bemerken.
Niedergetrampelte Blumenbeete und abgerissene Blumenköpfe boten einen traurigen Anblick.
Abgebrochene Äste und Zweige lagen verstreut herum und die Wiesen zierten leere Coladosen, Plastiktüten und sonstige Überreste zahlreicher Picknicks und Fast-Food-Ketten. Zigarettenkippen, Taschentücher und Schokoladenpapier schwammen träge den Bach hinunter. Gelbe Schaumränder blieben an der Böschung hängen und vergraulten bestimmt schon lange die Kinder mit ihren Papierschiffchen.
Vielen Parkbänken fehlten die Sitzflächen oder die Lehnen oder beides oder sie waren zwar intakt, jedoch so verschmutzt, dass man sie unmöglich nutzen konnte.
Auch die Tiere fühlten sich hier nicht mehr wohl. Vögel wurden mit Steinschleudern vertrieben, Eichhörnchen gejagt, Futterhäuschen umgeworfen und unverbesserliche Tierfreunde konnten es nicht lassen, Enten, Gänse und Schwäne mit ‚Leckerbissen’ zu füttern, bis die Tiere zu dick zum Fliegen waren und sich auch äußerlich in degenerierte Tiere verwandelten.

Nun muss man nicht denken, dass die Menschen hier besonders schlecht gelaunt und aggressiv waren, nein, es handelte sich um ganz normale Bürger, einer ganz gewöhnlichen Stadt. Es war hier nicht anders, als in anderen Städten. Die Menschen und der Park glichen denen anderer Orte und wahrscheinlich könnte diese Stadt überall auf der Welt stehen.

Als sich eines sonntags abends, also einer jener Tage, an welchem der Park besonders strapaziert wurde, da sonntags nun einmal besonders viele Menschen frei haben, die Dunkelheit über die Stadt legte und es endlich Nacht wurde, geschahen merkwürdige Dinge im Park.
Die Pflanzen und Tiere hatten es satt, malträtiert zu werden. Sie beschlossen fortzugehen. Irgendwohin, wo Pflanzen und Tiere geachtet werden, wo die Menschen sich freuten über einen schönen Park und die Natur respektierten.
Und so verschwand eines Sonntags der Park. Sogar der Bach versickerte.

Jemand könnte jetzt auf die Idee kommen, zu sagen, so ein Blödsinn, ein Park verschwindet doch nicht einfach. Aber es stimmt! In allen Zeitungen des Landes stand es. Schlagt doch einmal in einer alten Zeitung nach!
Als der alte Herr Jannson am nächsten Morgen das Tor aufschließen wollte, traute er seinen Augen nicht. Der Park war verschwunden. Einfach weg!
Nur die Mauer bzw. der Mauerrest stand noch da – einsam und verlassen.
Der alte Parkwächter rief sofort den Bürgermeister und die Polizei an. Es dauerte ziemlich lange, bis er sie davon überzeugen konnte, nicht betrunken zu sein.
In Windeseile sprach es sich in der Stadt herum.
Und dann kamen sie! Sämtliche Einwohner der Stadt erschienen! Schweigend betrachteten die Bürger den leeren Platz. Ein trostloser Anblick!

Der Bürgermeister rief sofort den Stadtrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Stundenlang saßen sie dort, jede Partei beschuldigte die andere, dafür verantwortlich zu sein. Nach endlosen, ermüdenden Diskussionen kamen sie zu dem Schluss, dass das Verschwinden des Parks etwas sei, das jeglicher Logik entbehrte.
Doch was sollte der Bürgermeister den Bürgern und vor allem der Presse mitteilen? Wie sollte er diese Ungeheuerlichkeit erklären?
Da kam einer der Stadträte auf eine glänzende Idee: Der Park sei wegen städtebaulicher Maßnahmen entfernt worden. Und um den regen Straßenverkehr (immerhin lag der Park im Zentrum) nicht zu behindern, habe die Aktion nachts statt gefunden.
Der Bürgermeister klatschte vor Begeisterung in die Hände und gab diese Erklärung sogleich an die Medien weiter.
Und damit den Worten auch Taten folgten, betonierte eine Baugesellschaft in den nächsten Tagen den Platz zu. Die vorhandenen Straßen wurden verbreitert, um eine Fahrspur erweitert und es wurde sogar noch ein Brunnen errichtet.
Schon bald vergaßen die Menschen ihren Stadtpark. Sie gewöhnten sich daran, abends über den Platz zu flanieren oder am Brunnen zu sitzen. Nur der alte Herr Jannson erinnerte sich an den Park und glaubte auch der Erklärung des Bürgermeisters nicht. Aber was nützte es ihm?
Der Park war nun endgültig weg!

Welche Aufgaben der alte Herr Jannson danach übernahm? Nun, er fegte morgens und abends den zubetonierten Platz sauber, schaltete im Frühling den Brunnen ein und im Spätherbst wieder ab.

Und was geschah mit dem Park?

Tja, das weiß kein Mensch zu sagen!
 
C

cellllo

Gast
Geniale, höchst vielsagende Geschichte !
Genial geschrieben !

- - - Vielleicht auch angeregt von ähnlich schlimmen Vorgängen
in einer gewissen größeren Stadt im Süden der Republik ???

Eine Bekannte von mir war sehr stolz, einer jungen japanischen Familie mit 2 kleinen Kindern ihre Parterre-Wohnung am Stadtrand vermieten zu können, wo direkt vor dem Haus bequem bereinigte Wege geradeaus durch die grünen Felder führten. Sie konnte deshalb partout nicht verstehn, warum sich die junge japanische Mutter täglich die Mühe machte, mit dem Bus mit den Kindern in den Park im Stadtzentrum zu fahren. Ich ließ der Vermieterin ihr Staunen und fühlte in mir große Sympathie für die Japanerin, welcher vermutlich der Unterschied zwischen nützlichem Grün und gestaltetem Grün so viel Mühe wert war.
 



 
Oben Unten