Des freien Taumels Zaertlichkeit

stemo

Mitglied
Des freien Taumels Zärtlichkeit

Schmelzendes Schneeflöcklein
rinnt durch das von rostigen Nägeln
zerrissene Plastikdach
in meinen vom Wetter steifen Kragen
Im kalten Stiefel steckt ein klammer Fuss,
der andere dampft auf den Steinen
des schwelenden Lagerfeuers

Gastarbeiterjungs aus dem Zürcher Gettho
reichen mit sich rötenden Augen,
hustend, keuchend
und die Sprache verlierend
die aus einer Petflasche gebastelte Haschpfeife
von Hand zu Hand

Das Heim, die Schule, die Berufslehre:
In bedrängten Nischen
dämpfen sie in sich raunend
die zerrissenen Innereien von Müttern und Vätern
und anderen fernen Bezugspersonen
Sie blicken ins Feuer und
die Fernsehbilder entflimmern ihren Augen
Eine Kerze schmilzt und erlischt
Ihre Mofas heulen mit spulenden Rädern
im durchnässten grauen Winterboden davon

Drei unbegrabene Hunde drehen sich
in der eingekehrten Stille
vor dem Feuer unter Dach
wohlig wimmernd im Spreu
Schneeflöckchens Rinnsal
fliesst vom Nacken ins Gesäss

Du gehst mir nicht aus dem Sinn
In der kühlbewölkten Freitagvollmondnacht:
Die Berührung mit deinen fliehenden Haarlocken
setzt neben einem fröstelnden Schauer
einen milden Taumel
von Zärtlichkeit frei
 
V

Vadian

Gast
Nachts spät, vielleicht am Limmatplatz, vielleicht in einer rotbeleuchteten Seitengasse der Langstrasse, doch am ehesten noch in der Bäckeranlage, Kanalrattenängste, und man wehrt sich dagegen, Mitleid zu empfinden, weil sie doch Menschen sind.

Mit Dank für dies düstere Liebesgedicht und seinen schönen Titel

Vadi
 

stemo

Mitglied
Das haette ich nicht erwartet, fast so etwas wie einen "Einheimischen" zu treffen. Das freut mich ungemein.
Uebrigens spielte das Ganze auf einem früher bekannten Robinsonspielplatz im Grünauquartier, wo ich eine Zeit lang in einem Wohnmobil gehaust habe. Ich muss Dich unbedingt bald einmal bei Deinen Texten besuchen, auch wenn die Zeit dafür knapp ist, da ich keinen eigenen Netzanschluss besitze.
Mit den freundlichsten Grüssen
stemo
 



 
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