Die Angst, stets gleich in unseren Seelen

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„Die Versammlung ist bereit, Sir!“
Der Generalsekretär nickte und trat durch die Tür, die sich surrend schloß, während sie gleichzeitig seinen Körper auf Sprengstoff und bakterielle Kampfmittel scannte. Der Raum war bereits voll mit Vertretern der Akademien sowie hochrangigen Abgeordneten und Militärs.
„Sie wurden bereits informiert?“ erkundigte sich der Generalsekretär, aber die Nervosität der Anwesenden zeigte deutlich, daß sie die Neuigkeiten bereits untereinander besprochen hatten.
„Ich will es kurz machen“, begann der Generalsekretär. „Kontakt war um 23 Uhr gestern abend. Unser Wissenstand: Null. Unser weiteres Vorgehen liegt an Ihnen, meine Damen und Herren.“
„Auf jeden Fall sind sie uns technisch weit überlegen, alleine weil sie imstande sind, die Distanzen zwischen den Sternen beliebig zu überbrücken, während wir bislang nur unser System kolonisiert haben“, erklärte ein britischer Professor und putzte seine Brille.
„Die Frage ist ja wohl, was sie hier wollen“, entgegnete ein asiatischer Politiker, und sofort erhob sich ein Gewirr aus Stimmen, das nur langsam verebbte.
„Land“, schlug der Admiral der dritten Raumflotte vor.
„Sie machen sich lächerlich“, entgegnete eine junge Dame, die bereits mit 25 Jahren mit dem Nobelpreis für Astrophysik ausgezeichnet worden war. „Jede fortschrittliche Zivilisation ist zwangsweise friedlich!“
„Übungsplätze für neue Waffensysteme!“ „Handelspartner!“ „Verbündete für potentiell verlustreiche militärische Expeditionen!“ „Seelenverwandte für philosophischen Austausch!“ „Sklaven!“ „Absatzplätze!“ „Nahrungsquellen!“ „Energie!“
„Mit anderen Worten: Wir wissen es nicht“, schnitt der Generalsekretär den Disput ab. „Aber vielleicht weiß es der Mann, der den Kontakt durchgeführt hat.“
Die Köpfe der Anwesenden wandten sich dem kräftigen Offizier zu, der nun eintrat, ein Mann mittleren Alters, der auf der blauen Uniform der Marine die Abzeichen eines Colonels trug.
„Dies“, stellte der Generalsekretär den Mann vor, „ist Colonel Wildburg. Er war an Bord der Human Pride, als der Kontakt stattfand.“
„Sir“, erklärte der Colonel und salutierte, „mir ist leider nicht mehr bekannt, als ich bereits zu Protokoll gegeben habe.“
Enttäuschtes Gemurmel erhob sich. „Allerdings“, fügte der Colonel hinzu, „haben mich die Aliens auf ihr Schiff eingeladen.“
*
Die Rauminsel war ebenso fremdartig wie vertraut. Zwar erkannte Colonel Wildburg nicht, wofür die Apparate und Maschinen zuständig waren, aber nichtsdestotrotz schienen sie nichts anderes als Computer oder Terminals zu sein, an denen hektische Wissenschaftler und Techniker komplizierte Berechnungen vornahmen, die notwendig waren, die gewaltige künstliche Welt zu steuern, in der ein ganzes Volk die ungeheure Leere zwischen den Welten zu überwinden vermocht hatte. Der Colonel hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, denn die Schwerkraft, dreimal so stark wie auf der Erde, machte jeden Schritt zur Qual, und dabei hatte man extra für ihn die Anziehungskraft vermindert, denn bei den gewaltigen Kräften, die auf der Heimatwelt der Außerirdischen herrschten, wäre der Erdenmensch zerschmettert worden oder hätte sich technischer Hilfsmittel bedienen müssen. So reichte eine Gesichtsmaske mit Atmosphärenfilter aus, um sich frei im Schiff seiner Gastgeber zu bewegen. Diese aber waren enorm, groß wie Häuser der noblen Viertel der Oberschicht, Beine von den Ausmaßen eines Elefanten und Augen, die in langen Reihen den Körper umschlangen wie es von Argus in der griechischen Mythologie erzählt wird.

Schleusen öffneten sich, groß genug, um mehrere A-Kraft-Panzer zugleich passieren zu lassen, und Colonel Wildburg betrat die Schaltzentrale des Raumschiffes, in dem ihn der Kapitän erwartete. Der Soldat salutierte, und hochfrequentes Quietschen antwortete ihm.
„Willkommen auf der Einheit-um-große-Volksteile-auf-Erkundungsmissionen-zu-transportieren“, übersetzte eine Stimme, ohne daß der Colonel hätte sagen können, woher sie stammte.
„Wir sind begierig, die-auf-dem-belebten-Himmelskörper-herumwuselnden-Etwasse zu begrüßen“, setzte die Stimme fort. „Mein Name ist Professor Zortnl“, erklärte sie abschließend.
„Colonel Wildburg, Siebtes Raumgeschwader der Allianz, Erkennungsnummer 378-34-974“, entgegenete der Colonel knapp.
„Willkommen, Colonel Wildburg, Siebtes Raumgeschwader der Allianz, Erkennungsnummer 378-34-974“, sprach der Professor und trompetete erfreut.
Der Colonel warf einen Blick aus dem durchsichtigen Teil der Außenhülle und betrachtete die Sterne, welche die Erde mit einem Strahlenkranz umgaben und Wehmut ergriff sein Herz. Er sah das Blau der Welt, die seine Heimat war und plötzlich begriff er, wie allein diese Wesen waren, die so weit gereist waren, nur um mit ihm zu sprechen.
„Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen“, erklärte Wildburg freundlich und beschloß, alles militärische Zeremoniell außer Betracht zu lassen.
„Aber ich muß darauf hinweisen, daß ich beauftragt bin, Ihre Absichten zu ergründen und sicherzustellen, daß der Erde von Ihnen keine Gefahr droht.“
Wieder ertönte ein menschlichen Ohren kaum wahrnehmbares Geräusch, das vom Übersetzungsgerät als entsetztes Schnauben wiedergegeben wurde.
„Ich verstehe vollkommen, aber ich kann nur versichern, daß unser Besuch rein freundschaftlich erfolgt.“
„Und weshalb haben Sie diese Welt aufgesucht?“
In den vielen Augen des Wesens, sofern es sich tatsächlich um Augen handelte, glitzerte etwas, das von tiefer Traurigkeit kündete.
„Wir reisen seit vielen Jahrmillionen durch die Kälte des Weltalls, seit wir unseren Planeten aufgegeben haben“, erzählte Professor Zortnl, „denn er lag in den äußeren Bereichen der Galaxis, von wo aus nur ein einziger Stern sichtbar war. Dieser eine Lichtpunkt am Himmel aber reichte aus, unsere Phantasie zu erwecken und so entwickelten wir die Raumfahrt und machten uns auf die Reise, den Stern zu besuchen, der uns so verführerisch lockte. Als wir ihn aber erreichten, o Jammer, eine tote Wüste, eine Öde, leblos und kalt wie
die Nacht, die uns umgab. Da weinte unser Volk und machte es sich fortan zur Aufgabe, Leben zu finden, zu beweisen, daß wir nicht alleine waren in der Unermeßlichkeit des Universums, und wer vermöchte wohl zu sagen, wieviele Planeten wir besuchten, wie viele Systeme wir durchquerten und wie oft die Enttäuschung uns zu Übermannen drohte. Nun aber, das-auf-dem-belebten-Himmelskörper-herumwuselndes-Etwas, nun aber hat sich unser Schicksal erfüllt und wir sind nicht länger alleine! O Freude, die Kälte des Alls verblaßt und Leben wollen wir tragen in die entferntesten Winkel der Galaxie, von wo aus es jauchzend und frohlockend von Galaxis zu Galaxis eilen soll, zu künden vom Geist unserer beiden Völker, die beide das Geheimnis teilen, das Geheimnis Leben!“
Die Kommandozentrale füllte sich mit spürbaren Wogen von Liebe, Freude und Erfüllung und Colonel Wildburg spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen. Er öffnete seinen Kommunikator und stellte eine Verbindung zum geheimen Bunker der Erdregierung her.
„Phase Blau!“, rief der Colonel und auf dem holographischen Videobild sah er die Großen der Welt in Applaus ausbrechen, „Sie sind in friedlicher Absicht hier!“
Professor Zortnl drängte sich ins Bild, sein massiger Körper bebte vor Erregung, sodaß sich seine Stimme beinahe überschlug.
„Gruß euch allen, die ihr unsere Freunde und unsere Erlöser seit! Laßt uns unser äonenaltes Wissen mit euch teilen! Laßt uns euch die Geheimnisse übersenden, die wir unter ungeheuren Entbehrungen und schmerzverheißenden Opfern dem feindlichen Universum entrissen haben! Mögt ihr davon profitieren und uns von der Krankheit heilen, deren nur ihr uns entheben könnt – der Einsamkeit!“

Drei Tage und vier Nächte dauerte die Datenübertragung, bis das gesamte Wissen der außerirdischen Rasse in den völlig überlasteten Rechnern der Regierung gespeichert war, die zu diesem Zweck die gesamte freie Speicherkapazität der Erde beschlagnahmt hatte. Während die Informationen durch den Äther flossen, sprach der Colonel zum Kapitän des Raumschiffs von den Menschen, ihrer Geschichte, ihrem Leid, ihren Irrtümern und Erfolgen, wie aus den Schrecken schwerster Fehler der Fortschritt geboren wurde und wie diese Spezies gerade eben noch Hexen verbrannt hatte und im nächsten Augenblick zu den Sternen gereist war. Er erzählte von der Kunst, der Liebe und daß die Einsamkeit auch bei den Menschen ein furchtbarer Gast war, daß auch wir uns nach Brüdern in den Sternen sehnten und schließlich wurden sie Freunde, der Soldat von der Erde und der fünfzehnmal größere Kapitän des Raumschiffes, das vor undenklichen Vorzeiten gebaut worden war, um sein Volk genau zu dieser Begegnung zu führen.
Der Kommunikator piepte und das Gesicht des Generalsekretärs erschien.
„Datentransmission abgeschlossen“, erklärte der Generalsekretär und verschwand vom Bildschirm, der daraufhin sofort wieder erlosch.
Colonel Wildburg seufzte erleichtert, zog eine fingerhutgroße Schatulle aus der Tasche seiner Uniform und reichte sie dem Kapitän.
„Was ist das?“, fragte Professor Zortnl neugierig und betätigte eine grüne Taste an der Schatulle.
„Das“, entgegnete der Colonel mit einem stolzen Lächeln, während die Zeit ablief, „ist eine Antimaterienbombe.“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

eine richtige gänsehaut geschichte. aber das glaubst du doch selber nicht, daß ein so weit gereister sich von der neugier so übermannen läßt, daß er einen knopf drückt, ehe ihm seine bedeutung klar ist? ansonsten - respekt! ganz lieb grüßt
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Eine genial konstruierte Pointe, die unglaublich tief trifft. Ich glaube durchaus, dass der Alien den Kopf drückt: Wie ein Kind, das neugierig an allem herumspielt. Er weiß nicht – so wie das Kind es noch nicht weiß –, dass Menschen jemandem vorwarnungslos, ja sogar bewusst warnungslos gefährliche Dinge in die Hand geben können. Abgesehen davon ist es egal, denn wäre der Alien nicht so neugiereig gewesen, hätte der Mensch – wie beiläufig natürlich – den Knopf gedrückt: Die Pointe wäre die gleiche.

Ein (in der Lupe) durchaus bemerkenswertes Sprachgefühl – schön fand ich vor allem die glaubwürdig blumige Sprache der Aliens und die kurios anmutende aber in sich sehr logische Übersetzer-Sprache. Kleine Schwächen – wie der 2. Abschnitt, in dem (mir) die Sätze zu lang und die Bezüge ein wenig zu konstruiert daher kommen – und ein Logik-Problem (*1) könnte man dabei fast als übersehen oder hinnehmen.
(*1) Das Logik-Problem, das mir aufstieß: Die Aliens sehen nur einen Stern – ob sie trotzdem oder deshalb Raumfahrt entwickeln, sei mal dahingestellt, ebenso wie die Frage wie weit "draußen" die Kerle um Gottes Willen denn hausen!– und besuchen ihn und finden ihn leblos. Wer um alles in der Welt gab ihnen die Idee ein, dass es außer diesem – leider toten – Planeten noch andere geben könnte, die sich besuchen ließen? Es ist nicht die Rede davon, dass man – so weit draußen – nun doch noch diesen oder jenen Stern sieht. Und: Selbst wenn die Aliens ganz anders denken als Menschen – die menschliche Idee, es gäbe Leben auch auf anderen Planeten gründet sich auf der Erkenntniss, dass es andere Planeten gibt. Worauf gründet sich die Alien-Idee, es gäbe (hoffentlich) Leben außerhalb ihrer Welt, wenn sie doch nur von der Existenz ihrer Welt wissen (inklusive des toten Planeten)?
Für meinen Geschmack ist diese Zuspitzung (nur ein einziger sichtbarer Stern) nicht viel mehr als ein (störender) Schnörkel an diesem ansonsten sehr (effektsicher) sicher bemessenem Text.
 

jon

Mitglied
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Die Bombe an sich ist die Antwort: Natürlich würde er drücken – was nützt schon eine Bombe, wenn man nicht sicher sein kann, wann oder gar ob sie explodiert. Doch natürlich ist es eleganter, den Knopf drücken zu lassen als ihn selbst zu drücken.
Nur über eines bin ich mir noch nicht recht schlüssig: Wer gab dem Colonel die Bombe?
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oja,

kampf allem, was wir nicht verstehen. nur nicht fragen, gleich weg mit denen, die nicht zu uns gehören. oder was
 

jon

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Teammitglied
Schlimmer noch...
Der Text geht so weit: sich holen, was man brauchen kann und dann eine vermeintlich potentielle Gefahr end-auf-lösen.
Wenn das rauskommt – dass wer auch immer das Schiff sprengte – werden viele viele Menschen aufschreien. Die (vorgeblich) Verantwortlichen werden ihre Hüte nehmen müssen. Doch was nützt das noch…
 
Hi alle!

Bin grade zurück vom Urlaub und freu mich über eure Resonanz, insbesondere, weil sie positiv ausgefallen ist. Nö, im ernst, vielen Dank für Lob und Kritik, und nicht vergessen: Immer den Himmel im Auge behalten!
Nebenbei glaube ich, daß bei einem eventuellen Kontakt mit Außerirdischen immer eine Menge Menschen feindselig reagieren, einfach aufgrund der ungeheuren Vielfalt an menschlichen Anschauungen und Verhaltensweisen. Ob Aggression immer die schlechteste Reaktion ist, weiß ich nicht, aber ich fürchte auch, daß irgendjemand (irgendwann) den Knopf drücken würde.

Liebe Grüße,
Chris
 

goblin

Mitglied
Lieber Christian!

Ein ebenso schlichter wie genialer Username, den du da gewählt hast. Denkt man doch zuerst, du hättest tatsächlich deinen echten Namen eingetragen, so erscheint dies doch auf den zweiten Blick allzu abwegig!
Savoy!!
Was für ein klingender, edler Name.
Fast wäre ich darauf hineingefallen. Doch wer heißt schon so, außer vielleicht die Erben des berühmten Londoner Hotels?

Deine Geschichte hat mir jedenfalls wirklich gut gefallen, vor allem der bombige Showdown. Weiter so, hoffe, bald wieder was zu lesen von dir.
Bomb on!

Mit besten Grüßen

Der Goblin
 



 
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