Die Beichte

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Rolander

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Die Beichte

Roland Enders
2006​

Pfarrer Josef Kucera kommt aus der Sakristei und wird durch einen Balken Sonnenlicht geblendet, der durch das hohe Kirchenfenster mit der bunten Bleiverglasung fällt und ihn wie ein Bühnenfluter in einen vielfarbigen Spot taucht, als wäre er ein Rockstar. Für einen Augenblick bleibt er stehen, das Gesicht dem Licht zugewandt, von einem spontanen Glücksgefühl überwältigt. Es sollte nicht lange anhalten, sondern bald lähmendem Entsetzen weichen.

Josef Kucera ist Tscheche. Wie viele Priester aus Osteuropa, ist er dem Ruf der Katholischen Kirche Deutschlands gefolgt, die kaum noch Nachwuchs aus den eigenen Reihen rekrutieren kann. Er fühlt sich wohl hier. Er verdient viel mehr als in Tschechien, hat eine große Gemeinde und ein wunderschönes gotisches Gotteshaus, das durch ein Wort am besten charakterisiert wird: emporstrebend. Die schlanken Säulen des Hauptschiffes ragen hinauf zu einer umlaufenden Empore, getragen von den Rundgewölben der Pfeiler. Von dort strebt eine zweite Reihe Säulen empor, die sich zu Spitzbögen vereinigen, von deren Schlusssteinen die nach oben geschwungenen Träger des Kreuzgewölbes ausgehen, das dem Hauptschiff eine lichte Höhe von 35 m verleiht. Diese Höhe ist im wahrsten Sinne des Wortes licht, denn über der Empore wird die Wand durchbrochen von zahlreichen, schlanken Fenstern, geschmückt mit wunderschönen, farbigen Glasbildern, die die Madonna und einige Heilige darstellen. Der Chor wird durch ein großes, ornamentales Rosettenfenster gekrönt, das jetzt, da draußen die Sonne von einem kobaltblauen Himmel scheint, wie ein Kaleidoskop leuchtet.
Kuceras Wohlbefinden wird zunächst nur ein wenig gestört: durch Schritte, die auf dem Steinfußboden laut hallen. Er wendet sich um und sieht einen Mann um die Vierzig in Jeans und T-Shirt auf den aus Ebenholz geschnitzten Beichtstuhl im Seitenschiff zugehen und darin verschwinden. Er hat den Mann zuvor noch nicht bewusst gesehen, aber seine Gemeinde ist groß, und natürlich gehen viele Menschen selten oder gar nicht in die Kirche, sodass ein Gemeindepfarrer nur die aktiven und die seelsorgerisch zu betreuenden Mitglieder kennen kann. Aber vielleicht ist der Mann auch ein Fremder, ein Durchreisender. Der Pfarrer vermutet es fast, denn eigentlich sollten sich die Gemeindemitglieder an die Beichtzeiten halten, und die heutige ist schon seit über einer Stunde vorbei.
Er seufzt und betritt die mittlere Kammer des Beichtstuhls. Schemenhaft sieht er die Umrisse der Person, die nebenan kniet.
Er hört ihre Stimme murmeln: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes:“ Der Mann schlägt aber kein Kreuz. Kucera antwortet, automatisch dem Ritual folgend:
„Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.“
„Amen“.
Lange bleibt es still. Dann ein Räuspern.
„Entschuldigen Sie, Herr Pfarrer, ich bin ein bisschen ungeübt. Ich glaube, ich habe das letzte Mal gebeichtet, als ich zwölf Jahre alt war.“
„Lass dir Zeit, mein Sohn.“
Es vergeht eine Minute, die Kucera wie eine Viertelstunde vorkommt. Es ist ihm peinlich zu hören, dass sein Magen knurrende und blubbernde Geräusche von sich gibt. Kein Wunder: Er hat einen Bärenhunger. Das Essen steht sicher schon auf dem Tisch. Seine Haushälterin würde ihn für die Verspätung tadeln. Aber sie kocht so verdammt gut! Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen, als er an die krossen Frikadellen mit selbst gemachtem Kartoffelpüree und Rotkohl denkt, die heute auf dem Speiseplan stehen. Zum Nachtisch würde es Vanillepudding mit Himbeersoße…“
„Ich bin ein Mörder“, reißt ihn der Mann brutal aus seinem Traum. Kuceras Magen verkrampft sich zu einem harten Klumpen.

Eigentlich sollte man als Pfarrer auf eine solche Situation vorbereitet sein – theoretisch wenigstens. Er ist es ganz und gar nicht.
Natürlich malt sich Josef Kucera hin und wieder aus, wie er reagieren würde, sollte ein Mörder oder Totschläger einmal seinen Beichtstuhl betreten. In seiner Vorstellung ist er dann stets gelassen, verständnisvoll, hilft dem Mann (natürlich ist ein Mörder immer männlich – ein Klischee, das rein statistisch betrachtet, allerdings keines ist) mit seelsorgerischem Einfühlungsvermögen, seine Bürde loszuwerden und seine Tat aus tiefstem Herzen zu bereuen.
Jetzt aber sitzt er da, geschockt, unfähig, etwas zu sagen. Durch das Gitter sieht er den Pönitenten lächeln. Der Mann scheint ausgesprochen gut gelaunt, ja euphorisch. Wie kann man in einer solchen Stimmung sein, wenn man die schlimmste aller Todsünden beichtet? Hat er es mit einem Psychopaten zu tun?
Der Mann fährt, immer noch lächelnd, fort:
„Ich habe ihn lebendig begraben.“
Kuceras Haare auf den Unterarmen sträuben sich. Eine Woge der Übelkeit steigt aus seinem Magen die Speiseröhre empor.
„Wann…“, er muss sich räuspern. Seine Stimme lässt ihn im Stich. „Wann war das?“
„Oh, erst gestern. Warum fragen Sie? Ah, ich verstehe. Sie denken, das Opfer könnte noch am Leben sein? Ja, Sie haben Recht. Es lebt noch.“
„Aber… Sie müssen es befreien! Es leidet sicher Höllenqualen und hat unsägliche Angst! Es…“
Der Mann lacht auf.
„Dieses Es ist ein Er, ein Mann in meinem Alter. Nein, er hat keine Angst, nur Wut. Er schreit vor Hass, kratzt sich die Fingernägel an der Sargwand blutig, aber nicht aus Todesfurcht, sondern er denkt nur an Rache. Käme er wieder frei, würde er mich vernichten!“
Kucera fasst sich endlich ein Herz, wird aktiv, redet mit Engelszungen auf die Gestalt jenseits des Gitters ein, beschwört sie, den lebendig Begrabenen zu befreien oder zumindest zu sagen, wo sie ihn begraben hat, damit er – Kucera – seine Rettung veranlassen könne. Natürlich würde er schweigen gegenüber der Polizei, schließlich sei er dem Beichtgeheimnis verpflichtet. Noch könne der Beichtende seine Tat wieder gut machen. Noch sei es nicht zu spät. Sein Opfer würde bald ersticken, wenn er keine Vorkehrungen getroffen hätte. Hat er vielleicht eine Belüftung in den Sarg eingebaut? Aber dann würde die arme Seele verdursten oder verhungern, wenn sie nicht vorher an Angst stürbe. „Bitte helfen Sie ihm“, sagt er eindringlich, „Aber nicht nur ihm, sondern auch sich selbst, denn glauben Sie mir: Sie können mit dieser Schuld nicht leben.“
„Oh, glauben Sie besser mir, Herr Pfarrer: Ich kann wirklich prima damit leben. Ich sehe Ihr Entsetzen, aber vielleicht verstehen Sie, wenn ich Ihnen etwas über diesen Mann erzähle:
Ich kenne ihn, seit ich denken kann. Wir sind zusammen aufgewachsen, zur Schule gegangen, haben den gleichen Beruf ergriffen, in der gleichen Firma gearbeitet, haben dieselben Bekannten, dieselben Freunde – wenn wir überhaupt welche haben.
Ich bin sozusagen sein Alter Ego, war sein bester Freund, aber er hat mich immer dominiert. Und dennoch habe ich ihn wegen seiner Stärke und Dominanz über andere Menschen bewundert. Er war charmant, besaß Charisma, war ein Anführer. Die meisten Menschen seines Umfeldes schauten zu ihm auf, bis zu dem Tag, an dem er sie benutzte. Mich hat er oft benutzt, und ich habe dennoch weiter zu ihm aufgeschaut, ihn in Schutz genommen. Ich bin kein Vollidiot: Natürlich habe ich schon früh erkannt, dass er nur auf seinen Vorteil bedacht ist, dass seine soziale Kompetenz kümmerlich ist, dass er zu keinerlei Empathie fähig ist, dass ihm andere Menschen völlig gleichgültig sind. Nur ich war ihm anscheinend nicht ganz gleichgültig. Manchmal bezeichnete er mich als sein Gewissen, wenn ich auf ihn einredete, versuchte, sein Verhalten zu ändern. Manchmal tat er so, als höre er auf mich, versprach, sich zu ändern, aber er versuchte es nicht einmal. Ich war für ihn der Streichler seines Egos, und deshalb behandelte er mich etwas besser als die meisten Menschen. Er brauchte mich, und er wollte meine Sonne sein, um die ich als kleiner, unbedeutender Trabant kreisen durfte.
Er war ein Hedonist, Menschenverächter und Zyniker…“
Kucera hat atemlos zugehört, jetzt aber liegt ihm etwas auf der Seele, das er unbedingt loswerden muss:
„Sie reden von ihm, als sei er doch schon tot.“
„In gewisser Weise ist er das auch, wenigstens für mich. Aber er ist zäh und stark, und selbst, nachdem ich ihn eingeschlossen, den Schlüssel weggeworfen und ihn begraben habe, könnte er sich noch befreien, wieder auftauchen und mir den Rest meines Lebens zur beschissenen Hölle machen oder mich umbringen. Sie ahnen gar nicht, wie dieser Mensch hassen kann und wie brutal er ist. Nein, er wird erst tot sein, wenn ich ihn aus meinem Gedächtnis getilgt habe.“
„Wenn Sie mit ihm nur noch einmal reden wollten! Kein Mensch ist durch und durch schlecht. Ich gehe mit Ihnen und…“
„Vergessen Sie’s, Herr Pfarrer. Habe ich behauptet, er sei durch und durch böse? Das ist er keineswegs. Er hat auch seine guten Seiten, hoffe ich zumindest. Ich kenne ihn besser als jeder andere Mensch, sogar besser als seine Frau und seine Tochter. Glauben Sie mir: Sein Tod ist kein Verlust. Fragen Sie zum Beispiel Menschen, die beruflich mit ihm zu tun haben. Er arbeitet in einer Unternehmensberatung, hat sich ziemlich weit nach oben gedient. Ich wette, in einem Jahr hätte ihm die Firma gehört. Er machte seinen Job rein wirtschaftlich betrachtet, exzellent. Die Unternehmen, die er saniert hat, waren sehr zufrieden mit ihm. Dass dabei aber unzählige Menschen auf der Strecke blieben, zählte für ihn nicht. Er hat für Massenentlassungen gesorgt, er hat Unternehmen geraten, ihre Immobilien zu verscherbeln und ihnen Tricks verraten, wie sie die Mieter rausekeln können. Er hat sie bewogen, billige Grundstücke in Problemvierteln zu kaufen und die Kindergärten und Jugendtagesstätten darauf schließen und abreißen zu lassen. Seine Kollegen in der Firma hat er als Trittbretter der Karriereleier bei seinem Aufstieg benutzt. Er ist wie eine Spinne, verstrickt seine Opfer in seinem Netz, saugt sie aus und wirft sie dann weg, leer und wie tot. Er spinnt Intrigen gegen seine Konkurrenten, vernichtet seine Feinde und verrät seine Freunde, und all das, ohne wirklich zu erkennen, was er anderen antut. Wenn ich ihn darauf angesprochen habe, kam er mir meist mit Darwin und der Evolution. Er fühlt sich im Recht, im Recht des Stärkeren. Und trotz allem habe ich ihm immer wieder verziehen, habe erfolglos versucht, ihn zu einem besseren Menschen zu machen. Bis zu dem Tag, als er mir meine Frau stahl.
Wir waren beide in sie verliebt, soweit er überhaupt zu einem solchen Gefühl fähig ist, aber sie hat mich zuerst erwählt. Wir haben geheiratet, bekamen ein Kind und waren eine kurze zeitlang eine glückliche Familie. Dann hat er sie umgarnt. Er blitzte viele Male ab, war aber zäh und ausdauernd, gab nie auf, und endlich lief sie zu ihm über. Sie begehrte ihn körperlich und fand in ihm eine neue Leidenschaft, die ihr mehr wert war, als die Geborgenheit und Liebe, die den Anfang unserer Beziehung bestimmt hatten. Meine stummen Schreie hörte sie nicht. Sie nahm mich nicht einmal mehr wahr. Es war für sie ein kurzes, aufwühlendes und sinnliches Abenteuer. Er mache sie wieder jung, sagte sie, verzieh ihm – wie ich früher – seine egomanischen Charakterzüge, aber bald merkte sie auch, dass sie in der Hölle gelandet war. Er betrachtete sie als Fleischstück, an dem er sich verlustieren konnte, wann immer er das Bedürfnis danach hatte, als Besitz, wie seinen Maserati, als Statussymbol seiner Männlichkeit. Doch als er merkte, dass Sie ihn nicht mehr liebte, als er ihre Leidensmine nicht mehr ertragen konnte, ließ er sie fallen, ignorierte sie einfach. Da verließ sie ihn. Aber sie kehrte nicht zu mir zurück. Solange er da ist, ist sie für mich verloren.
Ich muss sie zurückhaben, und sie sehnt sich nach mir, ebenso wie ich nach ihr. Aber er steht immer zwischen uns. Deshalb muss er sterben. Und auch weil ich nicht mehr sein Alter Ego sein will, weil ich mein eigenes Leben leben will, weil ich es satt habe, von ihm dominiert zu werden, weil er allen Menschen denen er begegnet, schadet, weil die Welt ohne ihn besser dran wäre.
Ich konnte ihn nicht mehr ansehen, ohne dass mir schlecht wurde. Aber ich wusste, ich würde ihm niemals entkommen, wenn ich es nicht tat. Also stellte ich ihm eine Falle, und als diese zuschnappte, schloss ich ihn in seinem Gefängnis ein und begrub ihn damit lebendig. Sein Schreien wird bald verstummen.“

Er schweigt. Seine Beichte scheint zu Ende zu sein.
Kucera räuspert sich. Seine Stimme klingt belegt und rau.
„Das ist keine Beichte, das ist ein Geständnis! Ich kann Ihnen nicht die Absolution erteilen, solange Sie das Opfer noch retten können. Wenn Sie ihn freilassen und die Tat wirklich bereuen…“
Wieder das Lachen, kein diabolisches, sondern ein befreites und fröhliches.
„Bereuen? Oh nein. Ich bin sicher, ich habe das erste Mal in meinem Leben das Richtige getan, Herr Pfarrer. Ich bin nicht wegen der Absolution gekommen. Um Gott um Entschuldigung zu bitten, brauche ich keinen Priester. Wenn ich ehrlich bin, halte ich nicht viel von den katholischen Ritualen. Ich denke, dass kein Priester darüber entscheiden kann und darf, ob Schuld vergeben wird, sondern nur Gott allein. Und ich bin mir hundertprozentig sicher: Gott hat mir nicht nur vergeben, sondern er heißt meine Tat sogar gut!“
Pfarrer Kucera ist angeekelt von solcher Blasphemie.
„Warum sind Sie dann hierher gekommen?“
„Aus einer Laune heraus. Ich wollte die Geschichte einfach jemandem erzählen, von dem ich sicher sein kann, dass er den Mund hält.“
„Können Sie mir nicht wenigstens sagen, wer das Opfer ist, damit ich seinen Angehörigen in ihrer Trauer beistehen kann?“
Kein Problem, sagt der Mann und nennt ihm einen Namen. Dann steht er auf, verlässt, ein Lied pfeifend, den Beichtstuhl, und seine Schritte verklingen im Kirchengewölbe.
Als der Priester das dunkle, nach Mottenkugeln riechende Kämmerchen verlässt und in die große Säulenhalle tritt, haben sich die Fenster verdunkelt. Blitze zucken draußen und zerhacken das lichtlose Innere der Kathedrale wie ein Stroboskop. Donner grummelt und ein Wolkenbruch prasselt auf den harten Stein, was er selbst durch die dicken Wände hört. Es riecht nach Ozon. Ein Theaterregisseur hätte wohl dieses Bühnenbild benutzt, um den Leibhaftigen auftreten zu lassen. Kucera nimmt sein Handy und wählt 110.

Den Rest des Tages hat er eine heftige Diskussion mit seinem Gewissen, das ihm vorwirft, das Beichtgeheimnis gebrochen zu haben. Er argumentiert dagegen: Das war keine Beichte. Der so genannte Pönitent hat weder vorgehabt zu bereuen noch Absolution zu erhalten. Außerdem geht es um ein Menschenleben. Indem er – Kucera – die Polizei anrief, hat er die letzte Möglichkeit ergriffen, den lebendig Begrabenen noch zu retten. Die Ermittler fänden hoffentlich Mittel und Wege, den Mörder aufzuspüren. Vielleicht würde dieser bei der richtigen Vernehmungstaktik das Versteck des Opfers noch rechtzeitig preisgeben.
Richtige Vernehmungstaktik? So, so, sagt sein Gewissen. Vielleicht wie im Mordfall Jakob Metzler, als die Frankfurter Polizei dem Entführer Folter androhte? Dem Opfer hat es nichts mehr genützt. Es war längst tot. Dafür ist der ehemalige Polizeipräsident Daschner verurteilt worden. Die Androhung von Gewalt ist eindeutig eine Menschenrechtsverletzung. Willst du dafür verantwortlich sein?
Hast du denn kein Mitleid mit dem Opfer?, ging Kucera in die Gegenoffensive. Kannst du dir seine Situation vorstellen? Seine Angst, seine Qualen? Vielleicht kämpft es gerade um jeden Atemzug, atmet jetzt schon mehr Kohlendioxid als Sauerstoff ein, verbraucht die Luft in seinem Sarg. Es kann sich vermutlich nicht bewegen, nichts sehen, nichts hören, außer seinen Schreien. Und jeder Schrei bringt es dem Tod näher. Dafür möchte ich nicht verantwortlich sein!
Das Gewissen schweigt. Triumphierend öffnet der Pfarrer eine Flasche Wein und feiert seinen Sieg.

Am Nachmittag des nächsten Tages bekommt er Besuch von der Polizei, und zwar in Gestalt einer attraktiven Rothaarigen, die sich als Hauptkommissarin Frida Nothnagel vorstellt. Kucera ist immun gegen die Reize der Frau. In seiner Pubertät hat er feststellen müssen, dass er seinem eigenen Geschlecht zugeneigt ist – undenkbar in der streng katholischen Familie, in der er aufgewachsen ist, weshalb er sich seinen Eltern und Geschwistern nicht hatte anvertrauen können. Er fand erst wieder Ruhe vor seinen Gewissensqualen, als er die Laufbahn zum Priester einschlug. Jetzt ist er froh, auf diese Weise zu Gott gefunden zu haben, betrachtet seine Homosexualität als Gottesgeschenk, weshalb sich seine Einstellung zur gleichgeschlechtlichen Liebe drastisch von der der Kirche unterscheidet, die sie als Todsünde betrachtet. Seine anfangs zaghaften Ansätze, offen für die Schwulen seiner Gemeinde einzutreten, ja, einmal sogar der mutige Versuch, zwei homosexuelle Männer zu trauen (außerhalb des Rahmens des Sakraments, nur symbolisch, versteht sich) hat ihm allerdings eine harte Rüge und einen Eintrag in seiner Personalakte eingebracht. Die Warnung aus dem Büro des Erzbischofs war eindeutig: Sollte er Ähnliches noch einmal versuchen, sei es aus und vorbei mit seiner Laufbahn als Priester. Kucera hat sich gefügt. Was blieb ihm anderes übrig?
Aber wir schweifen ab. Zurück also zu Frida Nothnagel.
Sie ist, wie gesagt, eine attraktive Frau, was auch einem katholischen, schwulen Priester nicht verborgen bleibt: Mitte dreißig, groß, schlank, kupferrotes, mittellanges Haar, grüne Augen, ungeschminkt, natürlich, sympathisch. Ohne Umschweife kommt sie nach kurzer Einleitung zur Sache:
„Das ist eine merkwürdige Geschichte, Herr Pfarrer, denn das angebliche Opfer, André Markowitz, schaut sich keineswegs die Radieschen von unten an. Er freut sich bester Gesundheit. Wir haben gestern noch mit ihm gesprochen. Er hält das Ganze für einen schlechten Scherz.“
„Was?“
„Keine Angst. Natürlich glauben wir nicht, dass Sie die Geschichte erfunden haben. Wir ermitteln vorläufig weiter gegen Unbekannt. Bei der Staatsanwaltschaft wird der Fall als Vortäuschung einer Straftat betrachtet, aber ehrlich gesagt, ich glaube, da steckt mehr dahinter.“
Pfarrer Kucera ist sehr erleichtert, dass niemand zu Schaden gekommen ist, aber auch ein bisschen angefressen, dass jemand einen so üblen Scherz mit ihm getrieben hat. Aber was sollte da schon groß dahinter stecken, worauf will die Polizistin hinaus? Er hebt fragend die Augenbrauen.
„Wir haben uns natürlich ein wenig umgehört. Markowitz polarisiert die Menschen in extremer Weise. Er hat eine kleine Schar von Anhängern in seiner Firma, die zu ihm aufschauen, wie zu einem Gott. Aber vielen seiner Kollegen und Kolleginnen hat er heftig ans Bein gepinkelt. Für sie ist er das Oberarschloch. Oh, entschuldigen Sie bitte, Herr Pfarrer, ich habe vergessen, wo wir hier sind.“
Kucera lächelt. „Im Hause Gottes, und damit mitten im Leben. Gott hat bestimmt nichts gegen eine klare Sprache, Frau Nothnagel. Reden Sie ruhig Tacheles.“
„Also, fest steht jedenfalls, dass er Feinde hat. Nicht nur in der Firma, in der er gearbeitet hat. Er ist mehr Menschen auf den Schlips getreten, als Berlusconi und Bush zusammen. Seine Frau hat sich auch von ihm scheiden lassen. Den nahen Freund, der gestern bei Ihnen gebeichtet hat, haben wir bisher nicht aufgespürt. Unter seinen ‚Aposteln’ wie Markowitz sie genannt hat, seinen Speichelleckern in der Firma, die ihm als Kometenschweif beim Aufstieg am Karrierehimmel zu folgen hofften, hat keiner zugegeben, ihn schon seit seiner Kindheit zu kennen und mit ihm zusammen aufgewachsen zu sein. Aber wenn es stimmt, was der Mann Ihnen gestern erzählt hat, hat einer seiner Jünger gelogen, dass sich die Balken biegen. Wir werden ihn bald finden.“
„Sie sagten eben: in der Firma, in der er gearbeitet hat. Ist er denn nicht mehr bei dieser Unternehmensberatung?“
„Nein, das ist das Komische: Vorgestern, also einen Tag vor seinem angeblichen Tod, hat er gekündigt und all seinen Resturlaub genommen. Er wird die Firma nicht mehr betreten. Vielleicht hat er Muffensausen bekommen, weil er eine Morddrohung erhalten hat.“
„Eine Morddrohung?“
„Ja, der Staatsanwalt mag glauben, dass das ein übler Scherz war, aber ich denke, der Mord war tatsächlich geplant. Der Mann, der gestern bei Ihnen war, hat die Notbremse gezogen, Herr Pfarrer. Er hat gebeichtet, um sich selbst von der Tat abzuhalten. Natürlich hoffte er, dass Sie die Polizei rufen würden. Und er wusste, dass dies den Mord verhindern würde – wenigstens vorläufig.“
„Sie denken…“
„Dass der Mann eine tickende Zeitbombe ist. Er kann immer noch zuschlagen, wenn wir ihn nicht finden. Wahrscheinlich braucht er psychiatrische Hilfe.“
„Hat denn dieser André Markowitz, das vorgebliche Opfer, Ihnen nicht weiterhelfen können? Er muss doch wissen, um wen es sich handelt.“
„Nein, das war ja das Seltsame. Ich habe gestern lange mit ihm gesprochen. Bisher habe ich mich für einen guten Menschenkenner gehalten. Diese Fähigkeit ist enorm wichtig für eine Ermittlerin, wissen Sie. Ich habe normalerweise eine Nase für den wahren Charakter eines Menschen, kann durch aufgesetzte Fassaden durchsehen wie durch Glas. Aber dieser Markowitz hat mich total hinters Licht geführt. Er wirkt gar nicht wie der Kotzbrocken, als den ihn seine Kollegen später dargestellt haben, er scheint in keiner Weise der testosterongetränkte Macho zu sein, den seine geschiedene Frau beschrieb. Der Mann wirkte offen, herzlich und sympathisch. Ja, meinte er, er habe vielen Menschen heftig in die Eier getreten, aber er bereue es aufrichtig. Nein, er kenne niemanden, auf den die Beschreibung zuträfe, die Sie, Herr Pfarrer, gegeben haben. Er habe keinen Kollegen, den er schon seit frühester Jugend kenne. Er sei schon jahrelang keinem alten Schulfreund mehr begegnet. Das alles ist sehr rätselhaft, Herr Pfarrer.“
Die Hauptkommissarin befragt Kucera noch einmal eingehend über den gestrigen Besucher, lässt sich eine Personenbeschreibung geben und bittet ihn, die Beichte möglichst wortgetreu zu wiederholen. Dann ersucht sie ihn, am nächsten Tag ins Präsidium zu kommen, um bei einer Phantombildzeichnung zu helfen, schließlich verabschiedet sie sich und lässt Josef Kucera ratlos zurück.

In dieser Nacht findet der Priester keine Ruhe. Stundenlang liegt er wach und grübelt. Er weiß, die Sache wird ihn die nächsten Wochen beschäftigen, wenn er sie nicht aufklären kann. Er muss denn Mann finden und ihn fragen, warum er diese so genannte Beichte abgegeben hat. Er weiß, wo er mit seiner Suche anfangen kann: Natürlich muss André Markowitz die Person kennen, die ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Offenbar schützt er sie, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht erzählt er einem Priester mehr als der Polizei? Kucera ist entschlossen, sein Vertrauen zu gewinnen.

Markowitz’ Adresse steht im Telefonbuch. Der Priester steht nach einem viertelstündigen Spaziergang durch die Innenstadt vor einem renovierten alten Wohnturm aus rotem Sandstein in einer noblen Gegend. Er drückt den Klingelknopf, an dem der Name des vermeintlichen Mordopfers steht. Die Gegensprechanlage verzerrt die Stimme des Mannes, der ihm die Tür öffnet, nachdem sich Kucera vorgestellt hat. Sie sagt ihm, er solle den Fahrstuhl ganz nach oben nehmen.
Im obersten Stockwerk angekommen, will er gerade an die Tür zu Markowitz’ Wohnung klopfen, da öffnet sie sich, und vor ihm steht die Person aus dem Beichtstuhl.
Der Pfarrer erschrickt zu Tode. Die Gedanken rasen in seinem Kopf: Der Mann ist in der Wohnung seines vorgeblichen Opfers! Ist er hier eingedrungen, um den angekündigten Mord doch noch zu begehen? Steht Kucera einem Mörder gegenüber? Der Drang, sich umzudrehen und die Treppe hinunter zu rennen, ist überwältigend. Doch der Mann lächelt ihn an und sagt:
„Was für eine schöne Überraschung. Kommen Sie doch herein, Herr Pfarrer.“
Dem Angesprochenen hat es die Sprache verschlagen. Willenlos folgt er der einladenden Geste, betritt eine riesige, lichtdurchflutete, geschmackvoll und teuer eingerichtete Wohnung, findet sich Sekunden später allein im großen Wohnzimmer auf einer bequemen Couch sitzend, und fragt sich, wohin sein Gastgeber entschwunden ist. Dann fällt im vage ein, dass der ihn gefragt hat, ob er etwas trinken wolle. Er erinnert sich nicht, genickt zu haben, hört aber die Stimme des Mannes – wahrscheinlich aus der Küche kommend:
„Bei dem Wetter ist ein Eistee nicht verkehrt, was, Herr Pfarrer? Es dauert nur eine Minute.“
Der Schock lässt langsam nach. Kucera sieht sich um. Wenigstens liegt im Wohnzimmer keine Leiche. Dafür sieht er teure Bilder an den Wänden, eine fast anderthalb Meter hohe Skulptur aus poliertem Granit, die einen springenden Delfin darstellt, flauschige Teppiche auf hellem Eichenparkett und Designermöbel. Die breite, bis auf den Boden reichende Fensterfront gibt den Blick frei auf eine riesige, terrakottafarbene Terrasse, beschattet durch eine orange Markise, und – eingerahmt von beiden – das atemberaubende Panorama der Stadt.
Der Mann aus dem Beichtstuhl kehrt zurück mit zwei Gläsern und einer beschlagenen Glaskaraffe. Er schenkt ein und reicht Kucera den einskalten Tee. Er lächelt. Sein Gesichtsausdruck ist scheinbar freundlich und offen. Der Pfarrer findet seine Stimme endlich wieder:
„Was haben Sie mit André Markowitz gemacht?“
„Das habe ich Ihnen doch schon erzählt, Herr Pfarrer. Ich habe ihn begraben.“
„Aber gestern hat die Polizei noch mit ihm gesprochen!“
Der Mann lacht.
„Ich war es, mit dem die hübsche Kommissarin geredet hat. Sollte bei ihr der Eindruck entstanden sein, dass sie mit dem sprach, der vorher hier gelebt hat, so war das durchaus beabsichtigt. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es ihr nicht erzählten. Ich weiß nicht, ob die Polizei es verstehen würde.“
Der Mann ist offenbar verrückt. Er hat Markowitz ermordet und sich für ihn ausgegeben. Und jetzt verlangt er, dass Kucera die Tat decken soll. Auf einmal fühlt sich die Zunge des Pfarrers wie eine große, vertrocknete Schnecke an, und er trinkt einen großen Schluck aus dem Glas. Seine Gedanken rasen:
Der Mann aus dem Beichtstuhl glaubt offenbar, den perfekten Mord begangen zu haben, indem er die Identität des Opfers angenommen hat. Keine Leiche, also auch kein Verbrechen. Er hat in der Firma gekündigt, seine Frau hat sich von ihm getrennt, es gibt also im Augenblick niemanden, der ihn identifizieren könnte. Außer Kucera: Er ist der Einzige, der von dem Mord weiß! Und was, wenn der Mann glaubt, dass Kucera nicht dichthält? Schließlich weiß der Mörder, dass der Pfarrer das Beichtgeheimnis gebrochen und ihm die Polizei auf den Hals gehetzt hat. Er hat also nicht den geringsten Grund, ihm zu vertrauen. Kucera fürchtet um sein Leben.
Der Mann sieht ihm offenbar seine Todesangst an, denn sein freundliches Lächeln gefriert auf einmal. Sein Gesichtsausdruck scheint Bedauern und ein wenig Mitleid auszudrücken, als er sich erhebt und auf den Pfarrer zugeht, dessen Herz bis zum Hals klopft, und der sich mit wildem Blick umsieht und erkennt, dass der einzige Fluchtweg durch den Mörder versperrt ist. Er springt auf, duckt sich wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Der Mann hebt die Hand und – streckt sie Kucera zum Händedruck entgegen.
„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Pfarrer. Ich habe offenbar einen völlig falschen Eindruck erweckt. Ich glaubte, Sie hätten es verstanden, als ich Ihnen die Tür öffnete und Sie mich als den Mann aus Ihrem Beichtstuhl wieder erkannten: Niemand ist ermordet worden. Ich bin André Markowitz.“
„Aber…“
„Setzen wir uns wieder, dann erkläre ich Ihnen alles.“
Der Pfarrer ließ sich in die Polster sinken.
„Ich habe Ihnen die Wahrheit über André und mich erzählt. Allerdings hat diese wie Janus zwei Gesichter. Man glaubt eines zu erkennen und geht dem falschen auf den Leim.
Ich war der André, von dem ich Ihnen vorgestern erzählt habe. Der Mann, der Menschen in die Kategorien nützlich oder störend einteilte und sie entsprechend behandelte. Jetzt bin ich der andere André, der sein Alter Ego anfangs bewundert, später verachtet hat.
Die Wandlung begann vor einem halben Jahr, nachdem mich meine Frau verlassen und meine Tochter mitgenommen hat. Dieser Verlust war die bis dahin schmerzlichste, niederschmetternste Erfahrung meines Lebens. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Danach begann die Phase der Selbsterkennung, eine Hölle, gegen die der Schock der Einsamkeit und der verletzten Eitelkeit nur ein leichtes Unwohlsein war. Ich habe mich bald nicht mehr im Spiegel sehen können, ohne kotzen zu müssen. Es war keine plötzliche Erkenntnis, kein reinigendes Gewitter, sondern ein langer, blutiger Krieg in meinem Innern. Auf der einen Seite kämpften Verlogenheit, Unmenschlichkeit, Selbstverliebtheit und Arroganz, auf der anderen Seite mein lange unterdrücktes Gewissen, die Reste von Anstand und Menschlichkeit, und nach und nach und unter schweren Opfern gewann diese Seite die Oberhand. Den Sieg errang sie erst vor wenigen Tagen.
Ja, die Tat ist tatsächlich geschehen, Herr Pfarrer. Ich habe Ihnen nicht von zwei Personen, sondern von meinen beiden Ichs erzählt, dem dominierenden und dem unterdrückten. Das erste Ich ist nun tief begraben, an einem Ort in meinem Innern, in ein hoffentlich ausbruchssicheres Verließ eingeschlossen, und der Schlüssel weggeworfen. Ich habe ein neues Leben begonnen.
Wissen Sie, als ich gesiegt hatte, war der Drang, jemandem davon zu erzählen, einfach übermächtig. Ich habe meine Frau angerufen, aber die wollte mir nicht glauben. Zu oft schon habe ich sie mit meinen Lügenmärchen und meinen Behauptungen, mich zu bessern, versucht, einzuwickeln. Da verließ ich die Wohnung, ging hinunter auf die Straße, fest entschlossen, meine Freude über den Sieg mit einem Wildfremden zu teilen. Ich wollte in den Park, mich zu einem x-beliebigen Spaziergänger auf die Bank setzen und ihm meine Geschichte erzählen. Da kam ich an ihrer Kirche vorbei. Und auf einmal kam mir die Idee, zu beichten.
Natürlich sollte es keine echte Beichte werden. Sehen Sie: ich habe für meine Seele gesorgt, bin also ein Seelsorger in eigenem Auftrag. Und da dachte ich, ich sollte mal einen Profi wie Sie fragen, ob ich alles richtig gemacht habe. Während der so genannten Beichte ist mir dann klar geworden, dass in diesem Fall nur ich allein entscheiden kann, was richtig und was falsch ist. Und ich bereue meine Tat nicht: Die Schreie des Begrabenen sind verstummt, und ich bin neu geboren.“
 

moersmaus

Mitglied
Hallo!

Nur kurz von mir ein dickes Lob für deine Geschichte; das Lesen hat Spaß gemacht.

Sprache und Ausdruck sind prima, alles ließt sich leicht und fließend.

Was mir nicht gefallen hat ist dieser Satz am Ende des ersten Absatzes: "Es sollte nicht lange anhalten, sondern bald lähmendem Entsetzen weichen."
Lass ihn weg; den braucht die Geschichte so nicht. Oder mach den Punkt nach "anhalten". Reicht vollkommen.

Lieber Grüß
 

Rolander

Mitglied
Vielen Dank für die motivierende und konstruktive Kritik.

Ja, dieser Satz am Ende des ersten Absatzes klingt irgendwie reißerisch und wie aus dem Baukasten für Thriller-Autoren. Allerdings geht weglassen meines Erachtens nicht, denn dann blieben viel Leser, die von Beginn an Spannung erwarten, nicht bei der Stange.
Ich muss mir eine andere Formulierung überlegen, die nicht so platt und stereotyp wirkt.

Gruß

Roland
 
S

suzah

Gast
hallo rolander,
eine spannende gut erzählte geschichte, hat mir gefallen.

moersmaus hat recht, der satz könnte entfallen.

"Am Nachmittag des nächsten Tages bekommt er Besuch von der Polizei, und..."
die zeitspanne erscheint mir zu lang, die polizei würde sofort kommen.

liebe grüße suzah
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Gute Sprache, angenehmer Lesefluss (wenn auch etwas zu umfangreich, ich habe – wie sich herausstellte folgenlos, was kein gutes Zeichen ist – diverse Zeilen übersprungen oder nur quergelesen).

Am Ende war ich allerdings massiv enttäuscht. Mal ganz abgesehen davon, dass die Figuren wie gedruckt reden (und das auch noch auf sehr, sehr, sehr ähnliche Weise) ist die Ausflösung – entschuldige bitte! – Wunschdenken (des "Möders" UND des Autors). In der Mitte irgendwo (ich glaube, als der Pfarrer gesagt bekommt, man habe mit dem Opfer geredet) dachte ich noch, es ginge um einen Menschen mit zwei Persönlichkeiten, dann wäre das ja noch "witzig" gewesen – aber diese Radikal-Bekehrung taugt vielleicht für eine Satire oder Komödie oder so, aber nicht für etwas ernst Gemeintes.

Auch nicht gut: Mittendrin wird aus der Jetzt-Kamera plötzlich ein Erzähler, der dem Leser persönlich gegenüber tritt.


… ich finde das so schade, weil hier ein Sprachschatz glänzt, der für "mehr" taugt
 



 
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