Die Farbe des Regens

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Cirias

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Die Farbe des Regens




Auf den Blättern hingen die Spuren eines flüchtigen Regens. Einem erstarrtem Fluss gleich spiegelte sich der Himmel in der Stille. Im Schatten eines Baumes lag ein Mädchen. Es sah aus, als würde sie schlafen. Aber sie war tot.
Auf dem Profil ihres blassen Gesichts lag ein unbewegtes Licht, als spielende Kinder sie an diesem Februarabend in der Nähe eines kleinen Dorfes in den Ardennen fanden. Die Rufe der Kinder hallten durch den wieder einsetzenden Regen, der wie eine Schattenhaut auf der Landschaft lag.

Leonie war auf dem Heimweg vom Musikunterricht missbraucht und anschließend erwürgt worden. Sie hatte Geigenstunde bei Albert, einem deutschen Orchestermusiker, der die meisten Schüler aus dem Dorf unterrichtete, seitdem der Musiklehrer des städtischen Gymnasiums eines Tages spurlos verschwunden war.
Albert und seine Frau Sandrine wohnten etwa anderthalb Kilometer außerhalb des Dorfes am Waldrand in einem ehemaligen Forsthaus. Albert war seit einem Autounfall gehbehindert. Er hatte seinen Beruf als Orchestermusiker aufgeben müssen. Sandrine arbeitete in einer Apotheke an der deutschen Grenze. Mit den Stunden, die Albert gab, kamen sie gerade über die Runden.

Die Luft fühlte sich an wie warmes Wasser. Albert spielte auf dem Klavier. Das Summen der nachhallenden Töne schlug an die hohen Wände und zerfloss mit dem Geräusch eines sich dem Haus nähernden Autos. Albert stand auf und ging zum Fenster. Sein Körper zitterte, während er den rechten Fuß etwas nachzog. Eine dunkle Limousine hielt vor dem Haus. Zwei Männer verließen das Auto. Albert ging hinunter.

Die Polizei fragte ihn nach Leonie, nach allem was Albert aufgefallen sein könnte. Sie fragten ihn auch nach seinen anderen Schülern. Dann gingen sie. Albert blieb zurück. Bis in die Dämmerung hinein saß er am Fenster und starrte in den Wald. Er erinnerte sich an die letzte Unterrichtsstunde mit Leonie. An seine Ungeduld, an ihr Lächeln, wenn sie den Ton traf und ohne Fehler spielte. Er folgte ihrem Blick aus dem Fenster, so wie er als Kind aus dem Fenster gesehen und gedacht hatte, das da draußen muss eine andere Welt sein, eine Welt, in der Außergewöhnliches und Außerordentliches geschah.
Sandrine fand ihn im Halbdunkel des Raumes. Wortlos näherte sie sich ihm. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken. Sie küsste ihn auf das licht gewordene Haar.
"Die Polizei war hier", sagte er tonlos. "Ich werde meine Schüler verlieren.?"
"Wie kommst du auf so etwas?"
Sandrine trat vor ihn. Er betrachtete ihr mädchenhaftes Gesicht, ihre schmalen, leuchtenden Augen, die ihn ruhig ansahen.
"Weil sie wiederkommen werden. Weil sich so etwas rumspricht. Weil...was weiß ich nicht."
"Was geschehen ist, ist schrecklich. Aber du hast damit nichts zu tun, Albert. Du musst weiter an deiner Musik arbeiten, hörst du?"
Albert nickte. Ein resigniertes Lächeln stand in seinem Gesicht.

Die Polizei kehrte wieder. Die Gerüchte im Dorf verstummten nicht mehr. Albert verlor nach und nach alle seine Schüler. Selbstzweifel überfielen ihn. Vergeblich kämpfte Sandrine gegen das Gerede der Leute an. Stunden lang saß Albert am Klavier, aber er spielte nicht.
Als eine andere Schülerin schließlich erzählte, Albert habe ihr beim Klavierspiel plötzlich den Arm um die Schulter gelegt, hatte er das Gefühl, dass sich eine Schlinge um ihn zog, eng und enger.

Es regnete fast den ganzen Februar hindurch. Das Haus und der angrenzende Wald versanken in einem Meer aus Schweigen und Finsternis, in denen ihnen nur noch die vage Hoffnung blieb, dass die Gerüchte bald verstummten.
Eines Abends klingelte das Telefon.
"Hallo? Hallo, wer ist da?"
Ein hastiges Atmen antwortete ihm.
"Ich weiß,wer das war", sagte eine männliche Stimme plötzlich. "Ich meine, wer das kleine Mädchen umgebracht hat. Er hat gesagt, er wird weiter machen."
Dann war nur noch ein Knacken in der Leitung. Durchdringend fuhr das Besetztzeichen an sein Ohr. Wer zum Teufel war das? Was hatte das zu bedeuten?
Am nächsten Abend brachte Sandrine einen Fremden mit. Er stellte sich als Bernard vor. Wie sie bald erfuhren, war er der bereits lange pensionierte Leiter der Musikschule in der Stadt. Er war Sandrine in der Apotheke begegnet und wollte Albert wiedersehen, den er von einer Orchesterreise her zu kennen vorgab. Außerdem stellte sich heraus, dass das Forsthaus vor langer Zeit seinen Großeltern gehört hatte. Bernard war ein alter, gebrechlich wirkender Mann , den Albert nicht erkannte, obwohl Bernard ihm die kleinsten Details von einer Orchesterreise vor über zwanzig Jahren erzählen konnte. Der fremde Gast trank viel. Es war offensichtlich, dass man ihn in diesem Zustand nicht mehr zurück fahren lassen konnte. Sandrine machte das Gästezimmer fertig. Albert blieb allein mit Bernard im Zimmer zurück. Dessen Stimme klang auf einmal völlig nüchtern, als er sich nun an ihn wandte.
"Ich weiß, wer Leonie umgebracht hat."
Es war die gleiche Stimme wie am Telefon. Albert lief ein Schauer über den Rücken. Er wollte ihn zur Rede stellen, doch Bernard wandte sich auf dem Absatz und verließ das Haus. Verblüfft sah Albert, wie der alte Mann zwischen den Bäumen in der Nacht verschwand.

Am nächsten Morgen wurde Bernard keine fünfhundert Meter vom Haus entfernt tot aufgefunden. Albert zählte jetzt mehr denn je zum Kreis der Tatverdächtigen. Die Polizei kam fast jeden Tag in das alte Forsthaus. Sie durchsuchten das Haus. Alberts ehemalige Schüler wurden vernommen. Er erzählte niemanden den wahren Grund von Bernards Besuch bei ihm. Er verließ das Haus nicht mehr und schloss sich tagelang in seinem Musikzimmer ein. Selbst in Sandrines Gesicht war ein Schatten gefallen. Etwas unausgesprochenes stand mit einem Mal zwischen ihnen.
Der Regen hüllte die Luft in kalte und unruhige Farben. Er schien nicht mehr aufzuhören. Albert starrte in die Glasfäden vor seinem Fenster, die Regenmale auf dem Glas. Die Gesichter seiner Schüler tauchten vor ihm auf. Der Bericht über Leonies Tod war in der örtlichen Zeitung damals mit der Zeile Das Böse liegt so nah übertitelt. Albert schrieb diesen Satz auf ein leeres Blatt Papier. Zeile um Zeile in einer nicht enden wollenden Reihe, als verberge sich in diesem Satz die Lösung. Und plötzlich erinnerte er sich an genau diesen Satz, den der verschwundene Musiklehrer des städtischen Gymnasiums eines Tages nach einer gemeinsamen Orchesterprobe zu ihm gesagt hatte.
"Das Böse liegt so nah, finden Sie nicht?" Mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht hatte er den Schülern nachgesehen, die mit ihren Instrumenten die Aula verließen. Es gab zu dieser Zeit Gerüchte, dass er das eine oder andere Mädchen zu sich nach Hause eingeladen hätte und dass es dort zu intimen Berührungen gekommen sei. Albert fiel sein Name ein: Bernard Hansen. Er trug den gleichen Namen wie der fremde Besucher, der seit seinem mysteriösen Besuch bei ihm tot war.
Es war, als würde Albert aus einem dunklen Traum erwachen. Er humpelte hinaus in den Regen und atmete die schwere Regenluft, die alle Farben aufgesaugt hatte.
Albert fuhr in die Stadt. In einen Mantel gehüllt, das Gesicht unter einem Hut verborgen, lief er durch die regengrauen Straßen. Er wälzte die Telefonbücher der letzten Jahre, er suchte im Zeitungsarchiv der Stadt und in alten Chroniken. Dann war seine Vermutung Gewissheit: Bernard Hansen war der Sohn des alten Hansen. Das erklärte auch das Zögern des alten Mannes. und ganz offensichtlich erklärte es auch seinen Tod. Bernard musste hier irgendwo in der Nähe sein. Vielleicht hatte sein Vater ihm gedroht, dass er zu Albert oder zur Polizei gehen würde.
Bernard war damals verschwunden, als die Gerüchte um ihn nicht verstummen wollten. Die Polizei fand einen Abschiedsbrief in seiner Wohnung. Man ging davon aus, dass der Musiklehrer Bernard Hansen freiwillig aus dem Leben geschieden war. Aber so wie es aussah, lebte er noch. Nur dass es niemand außer seinem Vater gewusst hatte.

Albert fuhr zurück. Die Scheinwerfer fraßen sich durch den Regenfilm über der Straße. Das Haus tauchte aus den Regenschleiern. Alles was ihm blieb war Sandrine und das Haus. Auf einmal erschien ihm die Welt so zerbrechlich. Er bog in die Einfahrt. Plötzlich trat ein Mädchen aus den Schatten des Torwegs. Albert bremste den Wagen.
"Was machst du hier?" rief er sie ans Wagenfenster.
"Ein Mann hat angerufen. Ich soll hier üben."
Das Mädchen war vielleicht zehn. Sie trug einen Geigenkasten über der Schulter. Der Regen rann durch ihre Haare und sie schien völlig durchnässt zu sein. Albert nahm sie mit ins Haus.
"Was für ein Mann? Hat er seinen Namen gesagt?"
Sie schüttelte den Kopf und schob ihre Füße unter die Heizung.
"Nein. Er hat gesagt, er ist von der Schulbehörde und ich soll um drei hier sein und um viertel nach vier wieder gehen, auch wenn niemand da ist."
"Und deine Eltern?"
Albert reichte ihr ein Glas Milch. Wieder schüttelte sie den Kopf.
"Sind nicht da. Und er hat gesagt, ich soll die Straße zurück ins Dorf laufen, dann kommt ein Schulauto und holt mich ab. Und er hat gesagt, es sind noch andere Kinder hier."
"Es sind keine anderen Kinder hier. Warte hier auf mich."
Albert ging hinauf in sein Arbeitszimmer. Er wählte die Nummer der örtlichen Polizeibehörde. Er erzählte ihnen alles was er wusste.
Wenig später war die Polizei da. Entlang der Straße postierten sie überall Leute. Um viertel nach vier schickte Albert das Mädchen, das von all dem nichts bemerkt hatte, auf den Nachhauseweg. So wie damals Leonie, dachte er nervös.
Bernard Hansen tauchte wenige Minuten später auf. In einem gemieteten Van fuhr er den schmalen Fahrweg vom Dorf zum Forsthaus entlang. Als er ausgestiegen war, um das Mädchen anzusprechen, griff die Polizei zu. Bernard Hansen leistete keinen Widerstand.

Sandrine und Albert saßen im Wintergarten des alten Forsthauses. Sie sprachen kein Wort. Es hatte aufgehört zu regnen. Morgen würde der Himmel in einem kalten, unfreundlichen Blau erstrahlen, als wäre nichts geschehen. Blasse Farben hatten sich aus dem Regen gelöst und tönten die Nacht
 
hallo cirias,

wie ich es von dir gewöhnt bin, finde ich wenig fehler in deiner sprache. allerdings vermisse ich die spannung. alles ist zu vorhersehbar und wenig bleibt mir als leser, das ich nicht bereits ahne.

ich weiß, krimi schreiben ist verdammt schwer, ich versuchte mich einmal daran und ließ es bleiben, weil ich selber beim schreiben buchstäblich vor dem pc einschlief ;-))

die zusammenhänge zwischen den protagonisten, den gerüchten, dem täter und dem vater des täter sind auch zu blass und überzeugen mich nicht. mit ein wenig mehr länge und detail könnte dies aber eine gute geschichte werden.

meint
 
Da schließe ich mich meiner Vorrednerin an. Leider vorhersehbar und ein wenig unspektakulär, wenn auch sehr schön und stimmungsvoll geschrieben.
 

Cirias

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Liebe Freifrau von Löwe, lieber Michael,

in der gemeinsamen Richtung eurer Kritik muss ich euch beiden recht geben. Ich denke, dass der Text durch die sprachliche Gestaltung sehr gewinnt, aber dadurch vielleicht auch die Gestaltung von Spannungsaufbau und Inhalt vernachlässigt hat und zu durchschaubar wird.
Dein Vorschlag, Freifrau von Löwe, ist gut, aber meist versuch ich es in solchen Fällen ganz neu. Mal sehen...
Danke und herzliche Grüße,
Cirias
 
Lieber Cirias,

vielleicht konzentriest du dich auf die Menschen derr Geschichte und rückst den Kriminalfall an den Rande, ich glaube, da würde die Geschichte gewinnen.

Bis bald,
Michael
 



 
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