Die Fischer von Livorno

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eisfisch

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Die Fischer von Livorno
(Gedanken zu einem Bild 1)

Seit Menschengedenken wird über die wahre Liebe nachgedacht, spekuliert, gestritten und um sie gekämpft. Aber sie ist oft noch näher als wir hoffen, viel einfacher zu gewinnen, als wir glauben...
Es war einmal vor langer Zeit ein junger schwarzhaariger Italiener mit Feuer im Blut und Feuer in den Augen. Er lebte seit einigen Jahren selig vor Glück mit der ersten Liebe seines Lebens zusammen in einem kleinen Haus am Strand von Livorno.
Während er jeden Morgen gemeinsam mit den anderen Fischern oft noch vor Sonnenaufgang aufs Meer hinausfuhr, kümmerte sich seine Frau um das Haus. Sie tauschte selbstgemachten Schmuck gegen Köstlichkeiten für die Küche ein und wartete abends im Hafen auf die Rückkehr der Fischerboote und auf ihren Mann.
Eines Tages gab er dem langgehegten Wunsch seiner Frau nach, mit ihr gemeinsam auf das Meer zu fahren, der aufgehenden Sonne entgegen. Sie fuhren weiter hinaus, als die übrigen Boote und blieben länger auf See, als die anderen Fischer. Sie genossen die gemeinsamen Stunden auf dem Meer und fühlten intensiv und ohne Worte, wie nahe sie sich waren...

Aber wie bei jedem übermäßigen Glück war der Schritt zum übermäßigen Unglück nicht weit. Ein Sturm kam auf und zerstörte das Boot. Fest aneinandergeklammert und mühsam über Wasser bleibend, trieb das Paar der Küste entgegen. Doch bevor sie das Ufer erreichten, konnte sich die Frau nicht mehr über Wasser halten. Von allen Kräften verlassen sank sie in die Fluten. Der junge Mann versuchte verzweifelt, sie noch zu halten. Aber alles, was er von ihr in den Händen behielt, war ihr Ring...
Seine Frau hatte diesen Ring von ihrer Großmutter geschenkt bekommen. Man sagte ihm magische Kräfte nach, mit denen man das Meer milde stimmen könnte. Aber er hatte der jungen Frau kein Glück gebracht! Wütend warf der Mann den Ring ins Meer und erreichte kurz darauf das Ufer.

Verzweifelt weinend lag er stundenlang am Strand, bis die Fischer ihn fanden und in sein Haus brachten. Am nächsten Morgen fand er nicht mehr die Kraft, mit den anderen Fischern aufs Meer zu fahren. Das ganze Leben schien ihm sinnlos, ohne die Frau, die er liebte, an seiner Seite zu haben. Er schloss einfach die Augen und wollte nur noch schlafen.
Als er wieder aufwachte, saß die Großmutter der jungen Frau an seinem Bett und sah ihn lange an, bevor sie ihm die Geschichte des Ringes erzählte. Sie glaubte fest daran, dass der junge Mann vom Meer seine Frau zurückfordern konnte, wenn er nur den Ring wiederfände.
Traurig ging der Mann an den Strand und blickte auf das Wasser. Er wollte daran glauben, dass der Ring ihm seine Frau wiederbrachte. Aber wo sollte er anfangen zu suchen? Als gegen Mittag die Glocken der nahen Kirche läuteten, hob er verzweifelt seine Arme in den Himmel und schrie seine Hilflosigkeit in den Wind. Plötzlich zog sich das Meer viele Meter zurück und der Mann wusste tief in seinem Herzen, dort irgendwo lag der Ring. Das Meer gab ihm die Chance, ihn zu finden...

Seit diesem Tage war der junge Mann jeden Mittag am Ufer und wartete darauf, dass sich das Meer für eine Stunde zurückzog, um ihm die Hoffnung zu geben, den Ring und damit seine Frau wiederzufinden. Niemals wieder fuhr er aufs Meer hinaus, niemals wieder sprach er mit den anderen ein Wort. Trotzdem machte sich keiner der Fischer über ihn lustig. Jeden Sonntag versammelten sich die Fischer nach der Messe am Strand und sahen schweigend und voller Rührung, wie der Mann Quadratmeter um Quadratmeter des freigelegten Grundes absuchte. Jeder in der Fischersiedlung wünschte ihm bei seiner Suche den Erfolg. Sie kümmerten sich um den Mann all die Zeit, in der er voller Hoffnung suchte. Tag um Tag, Jahr um Jahr....

Eines Tages, an einem Sonntag, hatte der inzwischen alte Mann nicht mehr die Kraft, aufzustehen und ans Meer zu gehen. Die Fischer hatten geahnt, dass der Tag mal kommen würde. Ratlos standen sie am Strand, keiner sagte ein Wort. Hatte die Suche jetzt ein Ende? Würde das Meer den Ring nie wieder hergeben? War die Hoffnung des Mannes umsonst gewesen? Plötzlich trat einer von ihnen, ein junger schwarzhaariger Fischer, auf das Meer zu. Und wie von Geisterhand bewegte sich das Wasser an diesem Teil des Ufers zurück, wie es bisher jeden Tag geschehen war. Sofort begann der Fischer mit der Suche nach dem Ring. Jeden Tag fand sich nun jemand, der anstelle des alten Mannes zur Mittagsstunde nach dem Ring suchte. Voller Hoffnung und voller Geduld...

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Längst lebt der alte Mann nicht mehr. Die Liebe zwischen ihm und seiner Frau ist nur noch eine Legende...
Aber pünktlich um die Mittagszeit zieht sich das Meer an einer bestimmten Stelle des Ufers weit zurück. Und man sieht irgendeinen der Fischer aus Livorno langsam den Grund absuchen. Selbst heute fragt keiner der Fischer danach, was eigentlich passiert, wenn sie den Ring finden. Aber sie wissen, dass sie ihn finden werden. Irgendwann...

Für Karen
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe.
deine geschichte liest sich anfangs etwas zäh, wird aber von zeile zu zeile besser. gänzlich versöhnt der schluss den ungeduldigen leser.
lg
 

eisfisch

Mitglied
danke fürs willkommen! :)

zum kommentar: kann ich schon nachvollziehen. da ich in der regel von ideen ausgehe, die sich vor allem im finale enthüllen, ist es in meinen geschichten oft so, dass sich dramatik und tempo zum schluss hin erhöhen. das bringt natürlich das risiko mit sich, dass der leser durchhalten muss... :)
übrigens entstand die geschichte als zugabe zu einem eigenen urlaubsfoto, sozusagen als der in mitternächtlicher diskussion geforderte beweis für den romantikgehalt des bildes... :)
wen es interessiert: http://www.frankenfoto.info >> dort in den bereich "kurzgeschichten" gehen...

viele grüße
der eisfisch
 



 
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