Die Flut

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen
D

Deltabravo

Gast
Die Flut

Der Sturm wehte hundert Kilometer tief in das Land, die Flut ergoss sich über
Dörfer und Höfe, Äcker und Weiden und verschlang Menschen, Vieh und das
Land.
Gegen Abend durchstieß das Meer den Stettiner Deich. Die Flut, in rasenden
Ansturm von allen Seiten einbrechend, umfasste das Dorf Stettinek derartig
schnell, dass mit der Schreckensbotschaft zugleich das Wasser ankam. In der
hastigen Flucht vor dem Tod trieb das Wasser Bauer Härter und seine Frau aus dem Haus. Inmitten haben sie noch ihr Vieh und zwei Kinder glücklich auf die näher gelegte Geest hinaufgebracht. Aber in der geistlosen Todesangst haben die beiden Eltern die fünf Monate alte Jacqueline im Schlafzimmer vergessen.
Jeder von ihnen war überzeugt, dass der andere das Kind mitgenommen hatte.
In der Schar der Flüchtenden fand sich die Familie Härter nicht gleich. Erst
in der Morgendämmerung sahen sich die Eltern mit der furchtbaren Gewissheit
konfrontiert, dass sie die kleine Jacqueline hilflos den Wogen und dem Tod
überlassen hatten.
Von der sicheren Höhe der Geest konnte man erkennen, dass unten im
überfluteten, sturmgepeitschten Stettinek kein Haus mehr stand. Kein Mensch
konnte da noch leben, vor allem nicht solch ein hilfloses Wesen wie ein
Säugling.
Herr Härter nahm seine Frau in die Arme und versuchte mit ungeschickter
anschwärmen die Zitternde zu trösten und zu beruhigen. Auch die Kinder
umarmten das Elternpaar und erinnerten so ungewollt daran, dass sie noch am Leben sind. Frau Härter war entsetzlich verstört, schien weder Mann noch Kinder zu erkennen. Sie sah nur das kleine, hilflose, geliebte Kind, dass
sie noch, ehe die Flut und die Angst über sie kam, mit leisem Gesang in den
Schlaf begleitet hatte. Sie sah nur diese kleinen Händchen, dieses liebliche
Gesicht und die blinzelnden Augen. Ihre Gedanken kreisten nur darum, wie sie sofort zu dem verlassenen Kind kommen könnte.
Sie blickte über das zu den Füßen der Geest brüllende Wasser. Sie sieht die
Leichen der Menschen, die Kadaver des Viehs und die Reste von Häusern und Hausrat treiben.
Die Eltern mussten sich sagen lassen, dass hier an Rettung eines winzigen,
hilflosen Lebens nur zu denken, schon ein Wahnsinn ist. Frau Härters Herz
nahm aber keinen Rat an. Am Rand der Geest entlang huschte sie heimlich, wie eine Wilde, durch das Gebüsch. Hier und allerwärts waren Flüchtende mit Booten, die sich kreuz und quer aufs Trockene warfen.
Sie ergriff den Rand eines der handlichen Boote, stieß es vor sich ins
Wasser, sprang hinein und ruderte mit kräftigen Schlägen der anstürmenden
Flut entgegen, die durch die eintretende Ebbe ein wenig nachzulassen begann.
Bald schwebte sie einsam in der Nussschale über dem kochenden Wasser. Aber dann wendet sich der Zug der Flut, trägt sie rasch und saugend ins Meer, der Stelle zu, an der zwischen alten Obstbäumen bis vor kurzem noch ihr Haus stand.
Mehr steuernd als rudernd vermochte sie unter den hin und her stoßenden
Wassern, dorthin zu kommen. Aber da war nichts mehr. Nur ein leeres
Balkengerüst das Innere war fortgeschwemmt. Frau Härter klammerte sich
verzweifelt an das verschobene Dach und drängte das Boot an das Balkenwerk
heran. Sie erkannte den Herd, den Rauchfang und das ganze Innere, aber alles schien ihr fremd und grausig entleert. Sie suchte die Stelle, an der das
Schlafzimmer gewesen war und in dem das Bett mit dem Kind gestanden hatte.
Ein kalter Schauer überfällt ihren Körper, als sie die entsetzliche Leere
sieht.

Durch das schwappende Wasser hindurch hörte sie plötzlich leises Wimmern.Nicht das Weinen eines Kindes, sondern ein Katzenmiauen.
“Träume ich oder ……? Wo bist du?”” Sie suchte im Gebälk nach dem Tier.
Vergeblich, Frau Härter fand nichts, aber das leise Rufen des Kätzchens hört
nicht auf. Im gleichen Augenblick sah sie den schiefen alten Pflaumenbaum,
der hinter dem Haus gestanden hatte. In dessen mächtigem Astwerk, wie von kräftiger Hand gehalten, war das Kinderbett und auf ihm, zierlich gegen den Himmel erhoben, stand das Kätzlein. Mit raschem Schwung trieb die Frau das Boot an den Baum heran und sie sieht, wie ihr kleines Kind aus dem rosigen Schlaf erwacht. Der Mund öffnete sich zu einem Gähnen und zu einem süßen, herzerschütternden Laut des Erkennens und der Freude. Ohne zu überlegen zog sich die junge Mutter in das höhere, festere Geäst, und lehnte sich in der Krone gegen den Stamm. Mitten im Brüllen und Drohen der Wogen legte sie das kleine Mündchen ans Herz und stillte ihr Kind, indessen das kleine Kätzchen in ihren warmen Schoß flüchtete.
Nicht lange danach kam ein anderes Boot, in dem ihr Mann mit einigen Helfern
die unschöpferische Frau nacheiferte.
Sie retteten die Mutter, das Kind und das Kätzlein.

“Wir sollen nie verzweifeln, unmöglich ist eigentlich nichts. Glaube und
Hoffnung kann dort helfen, wo alles meint, es kommt weder Hilfe noch
Hoffnung.”
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

schade nur, dass man den ausgang von vornherein weiß. einzig baum und katze sind originell, gewöhnlich ist es ein hund, der das baby rettet.
lg
 



 
Oben Unten