Die Fragestunde

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simgeo

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Die Fragestunde oder
der Unterschied zwischen Jugendbuch und Jugendunterricht oder Fiktion und Realität

Als ich fünfzehn war, fragte unser Lehrer uns einmal zu Beginn einer Vertretungsstunde, was wir denn in den kommenden fünfundvierzig Minuten tun wollten.
Ich hatte in meiner Kindheit mit Begeisterung Christine Nöstlingers Nagle einen Pudding an die Wand gelesen, in dem haargenau die gleiche Szene beschrieben wird. Der Lehrer, ein junger alternativ angehauchter Referendar, fragt die Schüler, was sie denn in den kommenden fünfundvierzig Minuten tun wollten. Als erwartungsgemäß keiner der durch die Bank gelangweilten Schüler einen Vorschlag macht, schlägt dieser Lehrer ihnen vor, ihn all das zu Fragen, was sie interessiere. Er versuche dann, ihnen darauf zu antworten, gleichwohl könne er nicht versprechen, dass er alles wisse. Ich erinnere mich heute nicht mehr daran, aber ich stelle mir vor, dass die Schüler genervt waren von der aufgesetzten Offenheit des jungen Referendars. Dachten sie doch daran, dass er von ihnen Fragen zu Drogen und Sex erwarte, Fragen die man in ihrem Alter mit Sicherheit mit keinem noch so alternativ daherkommenden Lehrer besprechen möchte.
Als ich ein Kind war, stellte ich in einer Phase meiner Kindheitsentwicklung meinem Vater unablässig eine Frage nach der anderen. Hatte mein Vater auf eine Frage eine Antwort gegeben, nahm ich die Antwort als Anlass für eine weitere, tiefergehende Frage und die Antwort auf diese erzeugte für mich eine neue Frage und so ging es oft fortdauernd weiter bei der Erforschung der tiefstliegenden Ursache und aller Wörter und Dinge, die ich noch nicht kannte, die mein Vater gleichwohl bei der Beantwortung einer meiner Fragen verwendet hatte. Das Fragespiel endete meist damit, dass er heillos genervt war und es mit einem Wutausbruch abbrach. Kurz vor dem Wutausbruch versuchte er oft noch, seine emporsteigende Genervtheit mit Sarkasmus in Schach zu halten. Dann erzählte er mir einfach, dass Autos fahren würden, weil sonst die Fahrer sie schieben müssten, dass die Fahrer sie nicht schieben wollten, weil ihre Frauen sich sonst auf dem Beifahrersitz alleine fühlen würden, und dass Frauen nicht gerne auf dem Beifahrersitz alleine wären, weil Frauen Angst vor dem Auto fahren hätten, „und jetzt reicht es mir! Diese endlose Fragerei! Nichts gegen Fragen mein Sohn, aber ich brauche auch einmal Pause!“ schimpfte er dann. Bis tief in die Pubertät hinein, erlebte ich noch Momente in denen mir plötzlich klar wurde, dass mein Vater bei diesen und jenen Dingen Unrecht gehabt hatte und ich die ganze Zeit lang etwas falsch verstanden haben musste: Das Auto fährt, weil es einen Verbrennungsmotor hat, den der Fahrer mit Benzin füttert. Gar so einfach ist es. Dass er mich aber zu jener Zeit an der Nase herumgeführt hatte, fiel mir erst viel später auf.
Aber zurück zu jener Zeit, als ich fünfzehn war. Die Mitschüler also erwägten Spiele zu spielen, einer wollte einen Film sehen, andere im Hof Fußball spielen. Ich meldete mich und schlug eine Fragestunde vor. Jeder könne den Lehrer doch das fragen, was ihn interessiere. Dabei dachte ich an Fragen zur Unendlichkeit des Universums, zum Leben nach dem Tod, zu Gott und die Welt. Der Lehrer aber, er lachte mich aus. So etwas bescheuertes, absurdes habe er ja noch nie gehört: eine Fragestunde, wo jeder fragen könne, was ihn interessiere.
 

mitis

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mir ist der text zu wenig fühlbar. es ist mehr eine gedankliche auseinandersetzung, die durchaus berechtigt ist, aber keine "erzählung".
der text wirkt auf mich wie eine art "gleichnis" oder vielleicht wie eine predigt.

Als ich ein Kind war, stellte ich in einer Phase meiner Kindheitsentwicklung meinem Vater unablässig eine Frage nach der anderen. Hatte mein Vater auf eine Frage eine Antwort gegeben, nahm ich die Antwort als Anlass für eine weitere, tiefergehende Frage und die Antwort auf diese erzeugte für mich eine neue Frage und so ging es oft fortdauernd weiter bei der Erforschung der tiefstliegenden Ursache und aller Wörter und Dinge, die ich noch nicht kannte, die mein Vater gleichwohl bei der Beantwortung einer meiner Fragen verwendet hatte. Das Fragespiel endete meist damit, dass er heillos genervt war und es mit einem Wutausbruch abbrach. Kurz vor dem Wutausbruch versuchte er oft noch, seine emporsteigende Genervtheit mit Sarkasmus in Schach zu halten.
wenn es eine erzählung sein soll, versuch doch einfach einmal den oben entnommenen abschnitt beispielhafter zu schildern.
was hast du als bub konkret gefragt,
welche antwort hast du bekommen,
wie hast du weitergefragt,
wohin hat das geführt,
auf welche tiefstliegende ursache bist du gekommen,
wie hat sich das abgespielt, wenn dein vater wütend wurde, etc.

lg mitis
 

simgeo

Mitglied
hallo mitis,

vielen dank für deine rezension. das hilft doch sehr, mal zu lesen, was ein anderer von einem eigenen text hält. ich versuche mal, einen text zu schreiben, der dem leser näher geht. aber ich habe auch kein problem damit ein gleichnis oder eine parabel geschrieben zu haben.

dein gedicht über die gewalt hat mir übrigens sehr gut gefallen. einer der besten dreizeiler seit langem. absolut bemerkenswert.

lg simgeo.
 
K

Kasper Grimm

Gast
Die Gedanken und Erkenntnisse, die in diesem Text ausgebreitet werden, sind sehr interessant: Stoff für wirkliche Geschichten, allerdings, für mein Dafürhalten, erst Rohstoff, der noch gestaltet werden müßte. Sehr treffend die "verlogene" Situation, in der eine erwachsene Autoritätsperson, der Lehrer, sich liberal gibt und den Schülern vorgaukeln will, mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zu verkehren - nur daß die Kinder halt nicht so blöd sind wie angenommen: natürlich können sie ihm keine Fragen stellen, die sie grundlegend angeht, und da liegt der Hase im Pfeffer.
 



 
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