Die Frau fürs Leben

3,90 Stern(e) 12 Bewertungen
R

rmdp

Gast
Die Geschichte ist den Frauen dieser Welt gewidmet. Denn jede einzelne ist eine Frau fürs Leben.

Ralf


Eine Frau fürs Leben.


Niemand würde mir glauben, wie lange ich auf der Suche nach der Frau fürs Leben war. Ich selbst kann es, rückblickend, nicht im Geringsten auch nur annähernd sagen. Waren es Äonen – ein, zwei, drei oder mehr Erdenzeiten? Oder lediglich eine Sekunde - die Sekunde des Ledigen?

Was ich trotz allem mit Genauigkeit weiß ist, dass ich sie vor einem Dreivierteljahr endlich gefunden hatte. Der einzige exakte Zahlenbegriff den ich an dieser Stelle einsetzen kann. Auf die mir, dem Ungeduldigen endlos erschienene Dauer der Suche umgerechnet, eine kurze Zeitspanne. Wenn ich jetzt - in diesem Moment - zurückblicke, war es paradoxer Weise kein langwieriges Unterfangen. So denke ich jetzt – aus heutiger Sicht.

Ich fand sie also - oder sie mich, wie man will, unser beider Schicksal glich sich aus. Ich hatte sie und sie hatte mich. Es war freilich ich, der unvergleichlich helles Glück hatte. Statistisch betrachtet war ich einer unter Millionen Konkurrenten, oder potentiellen Brautwerbern - wie man es nennen will. Gemessen an der Zahl der männlichen Bevölkerung unserer Stadt, unseres Reiches, des Erdenreiches. Der Leser wird an dieser Stelle erkennen, dass ich ein klein wenig übertreibe. Ich bin bekannt dafür – wenn es für mich opportun ist - ein wenig zu übertreiben. In dieser letzten, eingangs erwähnten Sekunde war alsdann ich der Auserwählte. Der Stärkste, einfach ihr Alpha-Mann.

Unbeschreiblich, wie wunderbar die Zeit mit ihr von dieser ersten Sekunde an war. Anfangs war ich total zerstreut, noch ein richtiger Tollpatsch, und unsicher, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Mein Ichmitihr wusste in diesen ersten Momenten gar nicht in welche Richtung es gehen sollte – oder würde. Man muss auch bedenken, dass ich komplett „aus dem Häuschen“…oder vielleicht besser noch „im Häuschen“ war. Es ist so schwer dieses Ereignis für den Außenstehenden verständlich zu beschreiben. Zeitweise, vor allem in den ersten paar Wochen wusste ich regelrecht nicht einmal: bin ich Männchen oder Weibchen – bildlich gesprochen. Sie hatte mein Köpfchen – wenn ich so sagen darf - derart verdreht…dass ich buchstäblich blind war. Dieser Zustand war fast beängstigend – weil so neu und bisdavor unerlebt. Bei ihrem wunderbaren Charakter war mein Blindsein Gott sei Dank kein Risiko. Ich meine damit, dass sie mein „Halsüberkopf in ihr Aufgehen“ nie missbrauchte. Sie gab mir von der ersten Sekunde unseres mit- und ineinander an eine bemerkenswerte und schenkende Stabilität. Ich wurde dadurch buchstäblich von Tag zu Tag stärker und sicherer. Durch sie und mit ihr. Meine Kräfte schwollen an, explodierten förmlich. Mit ihr ich spürte es, könnte ich irgendwann einmal – wenn sie und ich es wollten - die Welt erobern.

Unsere Beziehung wurde inniger und fester – gedieh in eine Unermesslichkeit von Liebe und Zweiheit. Wie ich eingangs sagte, sie war schon nach wenigen Wochen für mich unersetzlich geworden – absolut unersetzlich. Ich kann nicht begründen warum, aber ich spürte, dass sie verlässlich ….bis in den Tod…sein würde. Darob war ich völlig sicher.

Sie werden jetzt vielleicht fragen, wie ich das nach so kurzer Zeit wissen konnte? Seien Sie an dieser Stelle versichert - man spürt es, wenn man sie gefunden hat. So etwas….na ja…es muss einem nicht ausdrücklich von ihr beteuert werden. Ich meine – es gibt eben nur diese eine Frau fürs Leben und die gewährt einem Mann wortlose Sicherheit. Ohne Zögern, Zaudern, Gesten oder gar Worten die einen Mann hierbei unsicher machen könnten. Ich fühlte mich einfach jede Sekunde unvergleichlich wohl in ihrer Nähe. Und Sie dürfen mir glauben - wir standen einander unsagbar nahe – mehr als hautnah mehr als sinnesnah.

Es gab nie Streit zwischen uns – das war mir manchmal fast schon verdächtig. Wenn ich unruhig oder ungeduldig war – war sie es die mich mit zärtlichen Worten beruhigte. Es gab da mal einen Tag – etwa nach einem Dreivierteljahr unserer Beziehung. Wir waren ja jede Sekunde zusammen gewesen in diesen Monaten und dann hatten wir erstmals ein wirkliches Problem miteinander. Es war an einem Morgen. An diesem Morgen tat ich ihr weh…schrecklich weh. Wir trennten uns auch an diesem Morgen…aber nur für einige Sekunden…wenige Momente. Und sie verzieh mir im selben Augenblick, nahm mich rasch wieder in ihre Arme. So war sie, die Frau meines Lebens.

Ich erinnere mich nicht an diesen Tag - nicht im Geringsten. Ich hatte ihn vollkommen und perfekt verdrängt. Später in den Jahren danach, hatte sie einige Male mit mir darüber geredet - eher mehr geschwatzt. Ich hätte nicht die geringste Schuld an der Sache gehabt…damals, versicherte sie mir bei diesen Gelegenheiten. Damit war die Schuldfrage geklärt. Ihr Großmut war grenzenlos. Somit musste ich kein schlechtes Gewissen haben.

Ein neues Heute.

Weitere 42 Jahre sind vergangen, während welchen wir uns kaum von einander trennten. Natürlich konnten wir nicht mehr so wie in den ersten Jahren jede Sekunde miteinander verbringen.
Das bracht vor allem mein Beruf mit sich. Ich war nun Wissenschaftler und da ging Einiges an Zeit und auch Freizeit drauf. Vor allem wenn ein Beruf so spannend ist, wie meiner. Das Kleinste und das noch viel Kleinere…um die Beiden drehte sich mein Berufsleben. Sie hatte für alles das Verständnis, es gab niemals auch nur ein Wort der Beschwerde, des Unmutes. Ich war mit ihr so oft als meine spärliche Restzeit das eben erlaubte. Sie war immer zufrieden. Niemals hatte ich in all diesen Jahren ein Zeichen der Unzufriedenheit an ihr entdecken können, an meiner Frau fürs Leben.


Seit ich nun meinen Beruf vor genau neun Monaten an den Nagel hängen musste, ist sie wieder jeden Tag bei mir. Hält meine Hand, jeden Tag von früh bis spät. Wir sind wieder unzertrennlich wie in unserem ersten Dreivierteljahr. Ihre Treue ist unveränderlich, ihr und mein Leben lang.

Vor neun Monaten wurde bei mir überraschend eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert. Die Krankheit hatte sich hinterhältig und leise an mich herangeschlichen, kostümierte sich anfangs als eine kleine Grippe die mich nicht mehr verlassen wollte. Die Diagnose absolut unheilvoll. Eine der bösartigsten Sachen, die einem die ehrenwerte Genetik als Schicksal vor die Seele werfen kann. Der Krebs frisst erst das Knochenmark und dann das Blut auf – so etwa in der Reihenfolge oder umgekehrt! Es ist im Prinzip egal.

Anfangs wollten es weder ich noch - schon gar nicht - sie glauben. Man konsultierte schnell einen besseren Hämatologen nach dem vorherigen…bis man unglücklich davon überzeugt wird. Der Letzte bestätigte dann beinahe phlegmatisch seinen vorherigen und alle anderen Vorgänger. Punktum. Ein Punkt im Nichts.

Obwohl man mir etwas von einer 50-prozentigen Chance für eine langfristige Remission vorkalkulierte, kam es dann doch anders. Tatsächlich waren die Chancen unendlich gering, so gering, dass man nach den Überlebenden dieser Krankheit mit einer großen Lupe suchen müsste. Statistiken logen uns beide in elegantem, nüchternem Schwarz auf Weiß an.

In den bunt schillernden Infusionsflaschen der chemotherapeutischen Präparate spiegelten sich meine hoffenden Gesichtszüge 6 Monate lang wie Zerrbilder meines zukünftigen Ichs. So als ob Till Eulenspiegel sich nicht mit dem, was aus mir geworden war, abfinden wollte. Natürlich kam die erwartete Remission. Sie machte der Krankheit aber so schnell und großzügig Platz wie ein junger höflicher Mensch einem Alten in der Straßenbahn. Mein Kopf dröhnte von den unbetonten, leisen Worten, die meine Ärzte einander zuraunten. Langsam, fast zaghaft erklärte Begriffe sausten an mir vorbei, ohne sich an mir festhalten zu wollen. Man filterte autologene Stammzellen aus meinem Blut, fror sie ein wie Bratensaft und transplantierte diese sodann wieder hochwohldosiert zurück in meinen Kreislauf aus farblosem, lustlosem Blut. Alles um mich lief im Kreis und ich wurde für geraume Zeit zum kreiselnden Spielzeug im Mittelpunkt modernster Onkologie. Ein verlöschender Stern im Zentrum der Galaxie „Medizin“, wenn Sie so wollen.

Seit zwei Tagen bin ich nun schon in diesem gläsernen Sarg. Wie „Snow White“ im Märchen. Mit schneeweißer Haut. Mein chemisch gereinigtes Blut ausgebleicht wie die strahlend weiße Wäsche, die der „Weiße Riese“ schon seitdem ich denken kann vertrauensvollen Wäscherinnen garantiert. Und derart toxisch, es hätte jede Malariamücke unverzüglich zur Hölle geschickt.

Schluss mit der Melodramatik. Ich brauche sie hier nicht mehr. Ist für Sie, den Leser, damit Sie wissen, was auch Ihnen einmal erblühen könnte. Hoffentlich nicht!

Im Diesseits – bei Ihnen drüben - würde man meinen Zustand Koma nennen, wenn man ihn erkannt hätte. Hat man nicht, wie denn auch? Ich konnte keine Erklärung dazu abgeben, niemanden darüber informieren. Bin von einem zum anderen Moment erzwungener Maßen wortkarg geworden, in der klaren Kargheit meines gläsernen Sarges.

Das interessante an diesem Zustand ist, dass er nicht unerträglich oder gar unbequem ist. Die banalsten Notwendigkeiten sind unnotwendig geworden. Kein Rasieren , Zähneputzen, Waschen, Urinieren - nichts dergleichen. Das mag vielleicht sarkastisch klingen, aber diese erzwungene Faulheit ist nicht unangenehm. Im Gegenteil, viel angenehmer als das Vorher. Keine wie in letzter Zeit schon maßlos anstrengenden Dinge wie etwa das Aufstehen und einmal ums Bett herumschlurfen.
Wobei jede noch so geringe Bewegung mühsam war, mir bleiern schwer fiel und jede Berührung – wenn auch noch so sanft - Schmerzen verursachte.

Himmel…wo war ich denn…eigentlich…? Ja…

Die Frau meines Lebens sitzt hier tagtäglich an meinem Bett und schläft auch seit meinem leisen unerkannten Abschied ins Koma vor einigen Tagen bei mir. Wie sie diesen Zeitpunkt so genau erwischte, ist mir unerklärlich. Aber was ist schon erklärlich wenn man überlegt, dass der wohl klügste Mann in der Geschichte der Menschheit schon vor rund 2350 Jahren feststellen musste, dass er „wusste, dass er nichts wusste“.

Man erlaubt ihr das hier im Haus: rund um die Uhr bei mir zu sein, Gnaden halber. Alles in Allem kein übler, aber auch kein wunderbarer Platz zum Sterben, dieses Spital. Sie spricht immer wieder mit mir, berührt meine Hand, mein Gesicht - ich kann sie hören und fühlen. Kann den Duft ihres altmodischen Lavendel-Cologne riechen wie ein Tier eine Witterung. Meine Augenlider sind schwer wie zwei Visiere aus Eisen, ich werde sie nie mehr öffnen. Ich weiß es und auch meine (warum eigentlich meine?) Ärzte scheinen das zu wissen. Oder reimen es sich wissenschaftlich zusammen.
Sie scheint nicht daran zu glauben, entnehme ich den Worten die sie mir zuflüstert. Sie glaubt nicht daran, sondern glaubt an mich.

Die Sache ist nämlich die: Eine Frau fürs Leben kann nicht an die Vergänglichkeit jenes Lebens glauben, das sie über alle Massen liebt.

Meine Möglichkeiten mit ihr zu kommunizieren sind auf ein maximales Minimum beschränkt. Ich würde vermuten, auf ein unmerkliches Vibrieren meiner Finger. Sie scheint das zu spüren, während sie verzweifelt auf der Suche nach ein bisschen Leben in mir ist. Man verabreichte…nein… reduzierte meine Schmerzen während der letzten 2 Wochen mit dem Gnadenspender Fentanyl. Na, das ist ein gutes Tröpferl…huiii! Ein Fluglehrer „par excellence“. Niemand von denen da drüben außerhalb weiß oder ahnt, dass ich den Likör jetzt eigentlich nicht mehr brauche. Sie wissen so wenig da drübendraussen. Es gibt keinen Schmerz im gläsernen Sarg. Interessanterweise hat dieses schwere Morphin nicht den geringsten Einfluss auf mein Bewusstsein.

Ich kann meiner Geliebten nur nichts mehr mitteilen. Mich, wie gesagt, nicht mehr bemerkbar machen. Keine Signale, nicht einmal die winzigste Zeichensprache. Kaumstens, wenn ich mir in meinem Zustand diese Steigerung gestatten darf. Als Passagier im gläsernen Sarg, jenem kleinen Vorraum zu einem anderen wahrscheinlich viel größeren Raum, ist Sprache überflüssig. In diesem einen Raum, den niemand kennt. Schon gar nicht die Erfinder des lieben Gottes. Das ärgert die schon seit ein paar tausend Jahren. Faseln uns philosophisch, metaphysisch seicht dämmernden Quatsch ins Psycho. Um uns lebzeitensweise einzulullen, in eine trügerische Sicherheit für ein fiktives, belohnendes Danach. Was für eine abgrundtiefe Scheiße, die der Mensch sich in seiner Gutgläubigkeit schon Jahrtausende lang vorsetzen lässt.

Ja - aber wenn du erst mal auf dem Weg dorthin bist…ist es aufheiternd einfach. Wie ich eingangs schon sagte – es tut einem dank formidabler Chemie zuallerallererst einmal nichts mehr weh. Man kann nur nicht mehr…“ich liebe dich“ und „leb wohl“ sagen. Dafür ist es leider zu spät. Und das wird einem heutzutage nicht rechtzeitig gesagt…klar doch, man muss das verstehen. Niemand soll Angst haben. Früher durfte man mit und in Würde sterben im Kreise seiner Familie.

Meine Frau fürs Leben hatte immer zum lieben Gott gebetet, dass ich ein gesunder junger Mann bleibe. In der Folge dann ein ebensolcher gesunder reifer Mann. Und dann, wenn sie – Gott behüte - vielleicht einmal nicht mehr da wäre, ein ebensolcher gesunder alter Mann.

Es ist alles anders gekommen…Wir sind eben nicht die Dompteure unserer Gene. Noch nicht jedenfalls. Bis dato sind sie unsere Dompteure. Aber das wird sich ändern. Man hastet forschend, experimentierend auf dem Weg dorthin, für mich rückspiegelnd betrachtet leider zu langsam.

Aber dort wo ich jetzt dämmere spielen diese Fragen, Hoffnungen und Sehnsüchte nach Unsterblichkeit keine Rolle mehr. Sie haben nur mehr für die auf der anderen Seite Bedeutung.
Das ganze Leben ist von Anfang an mit geradezu unmenschlicher Angst gepaart, und erst diese Angst, die nebenbei gesagt das beste Geschäft ist, macht alles erst wirklich sinn – und bedeutungsvoll.

Nicht mehr so im gläsernen Sarg…in Ermangelung einer anderen buchstäblichen Beschreibung.
Weil ich noch nicht dort bin, wo alle Worte zu einem Wort verschmelzen. Ich kann keine bessere Metapher dafür finden.

Obwohl ich für die Frau meines Lebens in ihrem Drüben unhörbar bin, spreche ich trotzdem mit ihr. Ich sage lautlose Worte…in der völlig lautlosen Hoffnung, sie würde doch dieses oder jenes vielleicht mit ihrer Seele hören können. Weil mein verblassendes Leben…also das Kleinwenig, dass davon im Moment noch übrig ist, schon nicht mehr meines ist. Kommuniziert nur noch vorübergehend mit den grün, gelb und blau oszillierenden Apparaten mit den vielen Ziffern, um mich, sozusagen um meine Wenigstkeit herum. Aber auch dieses „Kommunizieren“ ist im Grunde genommen nur mehr scheinbar. In dieser letzten Phase werde ich schlicht und einfach nur mehr von bunt auf und ab blinkenden ablesbaren Werten repräsentiert, Signalen, die mein immer schwächer werdender Biomotor kläglich pulsierenden aussendet. Wie ein sich in den interstellaren Raum entfernender Forschungs-Satellit, dessen Signale zaghafter werden und immer mehr Zeit zurück benötigen. Nun gut, für mich nicht mehr lange.

Ich bin innerlich freier denn je und auch physisch federleicht. Auch für die Schwestern die mich jeden Tag waschen und dabei auch heben müssen. Ich spüre sie noch feinfaserig - ihre jetzt schmerzlosen gewordenen Berührungen - jeden Tag noch ein wenig flüchtiger. Mein „Nochlebendgewicht“ hatte sich in den letzten Wochen dramatisch reduziert. Ein Fliegengewicht…heute nur mehr ein Eintagsfliegengewicht.

Ich spüre – nein, sehen kann ich ihn nicht mehr - deinen liebvollen Blick du Frau meines Lebens.
Ein paar Tränen wie vereinzelte Tropfen eines lauwarmen Regens auf meinem Gesicht, wenn du dich über mich beugst und mich mit deinen trockenen weichen Lippen sachte küsst, mich streichelst.
Ich würde mit Leichtigkeit mein Leben dafür geben, könnte ich dich jetzt noch einmal in meine Arme nehmen. Kein hoher Preis mehr, ich muss es ohnehin geben. Leider für Nichts! Es gibt jetzt eine Kraft, die zwar nicht größer, aber stärker ist als meine Liebe zu dir…Die unbezwingbare Kraft des Abschieds von dieser Welt. Die stärkste unter den bekannten Kräften im Kosmos.

Wir suchten seit Jahren nach der so genannten „Grand Unified Theorie“, der alles vereinenden Kraft des Kosmos, Mikro und Makro. Ich war so gerne mit und in Demut einer von und mit ihnen.
Habe erfolglos und auch -reich mitgedacht, gerechnet und hypothetisiert. Kratzende Kreiden formten endlos aneinander gereihte Formeln auf grünen Schiefertafeln. In unserem Forschungszentrum drehte sich seit Jahren alles nur mehr um noch kleinere Teilchen und zuletzt Schlingen und Superschlingen. Um abstrakt virtuelle symmetrische Schönheiten, in zahlreichen fast unmessbar, unendlich kleinen, wie auch unerreichbaren Dimensionen. Als ob Schlingen nicht genug wären.

Ich fließe jetzt schon dahin auf den leichten Schwingen nach Nirgendwo. Den gordischen Schlingen des Lebens fast entwoben. Zugleich mit dir und ohne dich, du Frau meines Lebens. Du hast mich von der ersten Sekunde unseres Zusammenseins an behütet. Und behütest mich auch jetzt in der letzen Sekunde.

Es ist nicht dunkel in diesem eigenartigen Korridor, in dem ich jetzt bin, habe den gläsernen Sarg verlassen, bin schon in der nächsten Raumheit. Es ist diffuse hier und mild. Schwer, aus dieser unfühlbaren Dimension Fühlbares zu beschreiben.

Ich erahne, wie mir ein Verschmelzen von Sein und Nichtsein geschieht. Das Ende einer 42 Jahre und neun Monate dauernden Sekunde. Ich bin glücklich, weil du bei mir bist. Du weißt das doch? Traurig nur, dass wieder einmal ich derjenige bin, der dich nicht belohnt, der dir wehtut. Obzwar du früher beharrlich das Gegenteil behauptet und mir dies auch immer wieder versichert hattest.

Du verzeihst mir sogar meinen zu frühen Tod.

In diesem Moment empfinde ich Deine Nähe wie eine weit – sehr weit entfernte und doch nahe Wärmequelle - wie jemand einen warmen Windhauch deutlich spürt. Von einer Beschaffenheit die nicht so ungleich jener ist, die mich damals in deinem Körper umhüllte und mir Schutz gab. Die Vergleichbarkeit dieser Beiden ist jetzt in diesem allerletzten Moment Eins.

Mutter Du Mein Haus.


Epilog

Glaube mir, Mutter, das Verlassen des Deinerseits war leicht, weil ich es in deinem Schatten tun durfte. Den Schatten, den du für mich behütend auf dieses Deinerseits warfst. Es war ein schützender Schatten gegen das grelle Licht, von dem ich mich trennen musste.

Jetzt nimmst du meine Hand und drückst sie sanft und doch voll Stärke an deine Lippen.
Das hattest du unzählige Male gemacht, als ich noch ein winziges Menschlein war. Hast es mir später oft mit vor Glück strahlenden Augen erzählt, wie schön die Zeit mit mir war. Jetzt ist Niezeit. Nur mehr schön für mich.

Jetzt da ich dorthin bin, nehme ich deine letzte Berührung mit mir. Als vergessene Realität, oder nur als Traum von Deinerseits. Ich würde dir so gerne sagen, dass es da, wo immer ich jetzt entlanghinfließe, kein Berühren, kein Bewegen mehr gibt. Ich bin…zwischen keiner Tür ohne Angel, es ist alles Eins, alles jemals von Menschen Geträumte und Gedachte - Eins.

Nun plötzlich nehme ich dich noch einmal wahr - durch die, schon ewig nicht mehr meinen Augenlider, so als ob das Es mit einer alles erhellenden Lichtquelle mir letztmals leuchten würde. Auf dich geliebte Mutter, strahlt alles Licht aus meiner neuen Seinheit. Ich sehe dich deutlich, wie du damals warst und heute bist - dein irdisch feines Gesicht verschmilzt zu ewiger zeitloser Schönheit. Und ich fühle mich wieder an deiner Brust - die ersten Tropfen des Lebens aus deinem Körper trinkend. Den letzen Tropfen meines Lebens aus deiner Seele trinkend.

Mutter, Du Mein Gral.

Ich bin nur mehr Seele. Das Licht darf jetzt verlöschen oder auch nicht. Ich habe keine Angst mehr vor der Dunkelheit. Es gibt in meiner neuen Seinheit keine Angst, Traurigkeit oder gar Tränen. Alle Tränen bleiben bei dir zurück, geweint als deine letzten Geschenke an mich…ich sehe sie glitzernd auf deinen Wangen wie feinst geschliffene und doch fließende Diamanten. Weine sie an meiner Statt und für mich.

Mutter .
 
F

Fitzberry

Gast
Schönen Abend, Ralph/f,

ein Boshafter und Übelwollender könnte jetzt u. U. "schmalziges Seelengegreine" schreien.
Ein Neutraler? Ich bin mir nicht sicher.
Ich bin - nicht nur wegen dieses Textes - ein durchaus wohlwollender Leser:
Mich interessiert die Thematik, die du in deiner Phantasie vielschichtig behandelst. Insofern du deinen Text als Panegyrikon des gebärenden Weibes inszenierst, folge ich dir aus biographischen Gründen jedenfalls nur mit schweren Vorbehalten. Die Darstellung der Mutterliebe als primäre Lebensenergie akzeptiere ich, obwohl ich hier Alternativen reklamiere.
Als einer, der wie wir alle, das Todeslos gezogen hat - die schon von den Vorsokratikern gerügte Kehrseite der weiblichen Lebensspende - gefällt und behagt mir wie du - doch sehr versöhnt mit dem Schicksal - über das Überschreiten der letzten (?) Grenze meditierst.

Es gibt ein paar Inkonsistenzen: sprachliche und stilistische, teilweise auch sachliche.

Sie können aber dem Zauber dieses Textes nichts anhaben.
Ich greife hier nur zur Illustration zwei heraus, wohl wissend, dass du selbst zumindest ahnen musst, dass dein geliebter KK mit diesem Text anders umspringen würde. ;-)

akute my[blue]e[/blue]loische Leukämie

Wir suchten seit Jahren nach der so genannten „Unified Theorie“, der alles vereinenden Kraft des Kosmos, Mikro und Makro.

(Grand) Unified Theory;
Es geht natürlich um eine Formel, in der die 4 Kräfte (elektromagnetische, starke, schwache und Gravitatationskraft "vereinigt" werden sollen, in dem Sinne, dass sie mathematisch gleichsetzbar sind.


So weit dazu.
Übrigens hast du die Doppeldeutigkeit gut hingekriegt, Auch hier, ich gesteh's, half nur der Epilog.

Freundliche Grüße nach Wien
Robert
 
R

rmdp

Gast
gerade wieder mal leicht besoffen eingetrudelt…

danke fitzy...

klare wunderbare stellungnahme. darf punkt für punkt deine liebevollen - wie mich sehr freut - anmerkungen aufsaugen und stellung nehmen:

schmalziges Seelengegreine war mir nicht das anliegen, sondern die klare auseinandersetzung der mutter zum tod ihres kindes und des kindes dass die mutter verlässt, ich bin keine tränendrüsendrücker – und alles was du hier liest sind reproduzierte authentisationen...teils mittelbar erlebt und teils via andere schwere krankheiten "mitfühlgelebt..."

wie könnte ich ein panegyriker sein wo es mir um die mutter geht...und feierlichkeit aus meinen liebesschriften und erklärungen eher kaum abzuleiten wären...obwohl es – du hast nicht ganz unrecht – dem mich nicht kennenden so deuchten möge...bitte anworte mir noch ein wenig mehr darauf….

wunderbar dein satz mit dem todeslos…du bist ein feinst ebenbürtiger meister meiner schwebend sinnsuchenden intellektualität…schön - deine balsamischen worte mein freund.

ich bitte dich mir zu deinen hinweisen auf inkonsistenzen sprachlicher und stilistischer art unbedingt anregungen und kritik zu vermitteln, da es für diese und meine weitere arbeit von wesentlicher bedeutung wäre…danke

akute myoloische Leukämie ist die aktuelle bezeichnung…beide sind jedoch gültig…

Kosmos, Mikro und Makro…ist wie ich sehe für dich klar und ich erwarte dass andere leser dies entweder wissen oder „nachgoogeln“, weil es eben nicht möglich ist alles mit fussnoten zu erklären…

hoffe, dass wir zu “meine frau … „ noch ein wenig mehr besprechen und klären können..

gute nacht
dein ralfi
 
F

Fitzberry

Gast
panegyrische Passagen

finde ich hier:

Mutter Du Mein Haus.


(Epilog)

Glaube mir, Mutter, das Verlassen des Deinerseits war leicht, weil ich es in deinem Schatten tun durfte. Den Schatten, den du für mich behütend auf dieses Deinerseits warfst.
[...]

Auf dich geliebte Mutter, strahlt alles Licht aus meiner neuen Seinheit. Ich sehe dich deutlich, wie du damals warst und heute bist - dein irdisch feines Gesicht verschmilzt zu ewiger zeitloser Schönheit.

Mutter, Du Mein Gral.

Demnächt mehr und gute Nacht (gebe mich jetzt dem weniger ätherischen Boxkampfgucken hin)

Robert
 
R

rmdp

Gast
In diesem Moment empfinde ich Deine Nähe wie eine weit – sehr weit entfernte und doch nahe Wärmequelle - wie jemand einen warmen Windhauch deutlich spürt. Von einer Beschaffenheit die nicht so ungleich jener ist, die mich damals in deinem Körper umhüllte und mir Schutz gab. Die Vergleichbarkeit dieser Beiden ist jetzt in diesem allerletzten Moment Eins.

Mutter Du Mein Haus.

der prot empfindet die mutter als sein haus am anfang und sie kann seines - eben auch nur im tode sein...am anfang ein irdisches und am ende ein flüchtig vorbeigleitend, eternalisches haus...wie etwa hofstädter in bestimmten selbstbezüglichen Mustern (glaube er nennt das "eigenartige schleifen") zum - wenn du so willst verständnis der versteckten phänomene von sein, bewusstsein...etc...zu sehen glaubt...

have fun with the box events...
dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
Mutter, Du Mein Gral.

bezieht sich auf das trinken der ersten lebens- und finalen todesenergie...denn auch das sterben nimmt energie, wenn auch den allerletzten rest...den wir aus der seele e.g. der mutter konsumieren...der prot erlebt den ersten (eigentlich nicht bewusst empfunden - oder erlebten) nährenden tropfen nun im weiterwandern überdeutlich fusioniert - verschmelzend - mit dem letzten - diesmal (metaphorisch) trinkend aus der seelensubstanz der mutter. die gezehrten tropfen: anfang und ende...lebens und todesquell...

kaum nachschlagbar...weil ich es empfindend kreierte.

deswegen meint der prot...

Und ich fühle mich wieder an deiner Brust - die ersten Tropfen des Lebens aus deinem Körper trinkend. Den letzen Tropfen meines Lebens aus deiner Seele trinkend.

weil es ja keinen letzten tropfen gibt, den er trinken kann...sondern er diesen allerletzten eigenen tropfen ja verschüttet...und der tropfen aus der seele der beistehenden mutter den verlust durch liebe kompensiert und er diesen einen tropfen seelenenergie mithinübernimmt....wenn du so willst.

dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
zu deiner korrektur meines textes wie folgt


Wir suchten seit Jahren nach der so genannten „Unified Theorie“, der alles vereinenden Kraft des Kosmos, Mikro und Makro.


hast du absolut recht... es war natürlich die "grand unified theorie" gemeint und es ist lustig dass sogar ein enger freund - ein berliner kernphysiker und deutsch-professor das übersah...für uns als lesende der neuesten ausgaben von science etc. ist das völlig unter den tisch gefallen und ich werde es unverzüglich auf "GROßE VEREINHEITLICHTE THEORIE" abändern...danke fitzy...du bist ein brillanter aufspürer von fehlern...sowas liebe und verehre ich. vergiss aber nun nicht dass ich die kraft des "scheidens aus dem leben" in die 4 als 5te mit einbezog, was ein finden nur noch schwerer macht...hi...hi..

dein ralfi
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo rmdp,

Dein Text gefällt mir sehr gut.
Die außerordentlich eingeschränkte Weltsicht Deines Protagonisten macht Lust, die eigenen Sinne schnellstens zu benutzen, so lange man sie noch alle beisammen hat. Es gelingt Dir sehr schön, eine gewisse Dankbarkeit dem Leben gegenüber zu induzieren.
Was das Bild von der Frau/Mutter angeht, habe ich eher gemischte Gefühle. So engelhaft, wie Du sie beschreibst, wird wohl kein Mensch sein. Vielleicht allenfalls in der Rückschau, wenn es dann sowieso zu spät ist. Oft merkt man erst ganz zum Schluss, was man an einem Menschen hatte. Auch hier verstehe ich Deinen Text als Wink mit dem Zaunpfahl.

Gerade Mütter benehmen sich manchmal tatsächlich, als wären sie die einzige (Engel)Frau im Leben ihres Sohnes. Und mancher Mann neigt dazu, dies im tiefen kindlichen Vertrauen in die Allmächtigkeit seiner Mutter bedingungslos zu glauben. Dass er sich damit eindeutig der spannenden Möglichkeit beraubt, auch mal über den Tellerrand der eigenen Mutter/Familie hinweg zu steigen, steht auf einem anderen Blatt...

Es lohnt sich m.E. in jedem Fall, sich mit diesem Text näher zu beschäftigen. Im Prinzip hätte ich Dir auch 10 Punkte geben können - aber manchmal macht zuviel Lob im Leben übermütig und das würde - rein gefühlsmäßig - der Intention Deines Textes möglicherweise widersprechen.

Gruß, NDK
 
R

rmdp

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von NewDawnK

Es lohnt sich m.E. in jedem Fall, sich mit diesem Text näher zu beschäftigen. Im Prinzip hätte ich Dir auch 10 Punkte geben können - aber manchmal macht zuviel Lob im Leben übermütig und das würde - rein gefühlsmäßig - der Intention Deines Textes möglicherweise widersprechen.

abolut richtig lieber freund. danke für deinen beitrag. möchte an dieser stelle nochmal unserem freund fitzy für seine wesentlichen hinweise zu korrekturen danken. habe myoloisch auf myeloisch geändert, nachdem ich nochmals mit zwei ärzten aus meinem bekanntenkreis rücksprach.

vlg
dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
ps: vergessen zu sagen, dass du glasklar auch die anderen aspekte der story erkannt hast. was das "engelhaft gezeichnte mutterbild" angeht...ich skizziere die mutter des prot lediglich in seinen ersten und letzten unzertrennlichen 9 monaten als engel...also einen engel des lebens und einen engel "für" den weg in den tod...nicht zu verwechseln mit der metaphorischen figuration des "todesengel" (die mir ohnehin unverständlich ist) dazwischen ist sie die liebende, allesverzeihende "nur mehr mutter"...offenbar kam dieses "verengeln" nicht so zum kritischen leser wie ich es erhofft hatte.

nochmals vlg und schönen sonntag
dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von Fitzberry
dass du selbst zumindest ahnen musst, dass dein geliebter KK mit diesem Text anders umspringen würde. ;-)

lieber robert...

zu deinem letzten satz, wäre zu sagen, dass er mich mit großer wahrscheinlichkeit zum gelächter der stadt gemacht hätte. aber mit wem hat er das nicht gemacht?

dein
ralf
 
S

Sandra

Gast
An Ralf,

dein Text zeigt einige sehr gefühlvolle sowie atmosphärische Bilder auf. Was du hier schreibst ist keine Kurzprosa, aber ich meine, es sollte Kurzprosa daraus werden.
Kurzum - der Text ist zu lang. Du verschenkst einige sehr gefühlsbetonte Momente, in denen du zu Sachliches, zu Beschreibendes nachschiebst und so den Leser daran hinderst, vollends in die Geschichte einzutauchen. Das Thema ist viel zu ausladend und weit beschrieben. Nimm dich als Autor zurück. Du und dein Wissen sind nicht Mittelpunkt der Geschichte, das sind die Prot. und ihr Schicksal. Nicht schwelgen, nicht schweifen, nicht zu viel erklären. Der Leser hat einen Kopf, den er benutzen kann, liest er diesen Text. Das wird er auch tun, wird er dazu aufgefordert und bekommt nicht allzu viel vorgegeben.
Überarbeitet man einen Text in Hinblick darauf, ihn zu kürzen und sich auf das Wesentliche zu reduzieren (ausgenommen die Szenen, in denen man Atmosphäre schaffen will), gewinnt er fast immer.
Ganz wichtig hier und eigentlich immer: Streiche stets den letzten Satz.

Mutter Du Mein Haus


Hier nimmst du dem Leser wieder sein Denken ab. Die letzten beiden Absätze, (wie unten aufgeführt) sagen alles. Halte dich selbst dabei zurück und lasse nicht den Autor Ralf, sondern seinen Text sprechen.


Unten habe ich aufgeführt, welche Absätze du m.E. ersatzlos streichen kannst. Ich weiß, das tut weh. Man hat lange an den Formulierungen gesessen, es steckt Herzblut in deinem Text (das liest man) und dennoch meine ich, wird es deiner Geschichte den Raum geben, den sie braucht, um wirklich eine gute Geschichte zu sein.



Waren es Äonen (fällt aus dem Sprachrhythmus heraus, man stolpert unnötig) – ein, zwei, drei oder mehr Erdenzeiten?

Sie hatte mein Köpfchen – wenn ich so sagen darf - (klingt sehr verniedlicht und gibt dem Text einen unpassenden Humor) derart verdreht… (Warum nicht: Sie hatten meinen Kopf derart verdreht ...)

Bei ihrem wunderbaren Charakter (unpassender Begriff u. schwammig ausgedrückt. Den Charakter musst du fühlbar machen, anstatt ihn nur zu benennen. Das machst du auch, von daher verzichte auf solche Umschreibungen) war mein Blindsein Gott sei Dank kein Risiko

Es gab da mal einen Tag – etwa nach einem Dreivierteljahr unserer Beziehung. (Es ist klar, du willst eine andere Fährte legen, aber Beziehung - auch wenn es eine ist – ist, so dargestellt, nicht die richtige Bezeichnung.)


[strike]Vor allem wenn ein Beruf so spannend ist, wie meiner. Das Kleinste und das noch viel Kleinere…um die Beiden drehte sich mein Berufsleben.[/strike]

(Hier schweifst du ab. Diese Info ist unwichtig für die Geschichte. Es klingt eher etwas eigenverliebt. Das solltest du unterlassen.)


[strike]Schluss mit der Melodramatik. Ich brauche sie hier nicht mehr. Ist für Sie, den Leser, damit Sie wissen, was auch Ihnen einmal erblühen könnte. Hoffentlich nicht![/strike]

(Ebenfalls unnötig. Du hältst nicht das, was du versprichst. Das heißt, die Melodramatik endet hier nicht und das ist auch gut so, denn es soll ja ein gefühlvoller Text bleiben u. sein. Den Leser hier anzusprechen ist unnötig. Du reißt ihn aus etwas heraus, wo er vielleicht gar nicht heraus will u. in der Folge deiner Geschichte auch nicht heraus kommt)



Sie machte der Krankheit aber so schnell und großzügig Platz wie ein junger höflicher Mensch einem Alten in der Straßenbahn.
(Dies ist ein Beispiel (von vielen), wo es dir vorzüglich gelingt, Bilder, Stimmung u. Atmosphäre in Einklang zu bringen. Sehr schön!)

Die Frau meines Lebens sitzt hier tagtäglich an meinem Bett und schläft auch seit meinem leisen unerkannten Abschied ins Koma vor einigen Tagen bei mir. Wie sie diesen Zeitpunkt so genau erwischte, ist mir unerklärlich.
[strike]Aber was ist schon erklärlich wenn man überlegt, dass der wohl klügste Mann in der Geschichte der Menschheit schon vor rund 2350 Jahren feststellen musste, dass er „wusste, dass er nichts wusste“.[/strike]


(Hier ein Beispiel dafür, wo du dich, mit dem, was du sagen möchtest, hin und her bewegst und bei aller Beschreibung dem Leser die Möglichkeit nimmst, das Unerklärliche mit sich u. seinen Erfahrungen zu füllen. Wir alle haben schon Schicksalsschläge erleiden müssen - der eine mehr, der andere weniger. Wieso nimmst du mir an dieser Stelle die Möglichkeit, meine eigenen Erfahrungen u. Gefühle nachzuempfinden, um sie mit belanglosen Informationen zu füllen? Der erste Absatz ist stark und gut geschrieben. Lass ihn so stehen und streiche den Rest. Lies es dir in Ruhe durch und überlege (1. ob du damit leben kannst) 2. was sich nun verändert hat und welche Wirkung der Text gekürzt auf dich hat.)


Folgende Textblöcke können m.E. ersatzlos gestrichen werden. Sie nehmen der Geschichte mehr, als dass sie ihr etwas geben.

[strike]Meine Möglichkeiten mit ihr zu kommunizieren sind auf ein maximales Minimum beschränkt. Ich würde vermuten, auf ein unmerkliches Vibrieren meiner Finger. Sie scheint das zu spüren, während sie verzweifelt auf der Suche nach ein bisschen Leben in mir ist. Man verabreichte…nein… reduzierte meine Schmerzen während der letzten 2 Wochen mit dem Gnadenspender Fentanyl. Na, das ist ein gutes Tröpferl…huiii! Ein Fluglehrer „par excellence“. Niemand von denen da drüben außerhalb weiß oder ahnt, dass ich den Likör jetzt eigentlich nicht mehr brauche. Sie wissen so wenig da drübendraussen. Es gibt keinen Schmerz im gläsernen Sarg. Interessanterweise hat dieses schwere Morphin nicht den geringsten Einfluss auf mein Bewusstsein.[/strike]

(All das fühle ich bisher, all das weiß ich!)


Ich kann meiner Geliebten nur nichts mehr mitteilen.

(Das reicht! Was für ein schrecklicher und doch schöner Satz. Lies ihn dir doch einmal durch – so nackt, wie er ist. Ich nehme dich als Leser ernst, auch wenn du weniger (und dadurch mehr sagst) Was du danach sagst ist nichts anderes, als das, was man in diesem einen Satz ausgedrückt hat. Wörter u. Zeilen wirken nicht stärker, weil man sie wiederholt oder näher beschreibt. Es verursacht eigentlich eher das Gegenteil)

[strike]Mich, wie gesagt, nicht mehr bemerkbar machen. Keine Signale, nicht einmal die winzigste Zeichensprache. Kaumstens, wenn ich mir in meinem Zustand diese Steigerung gestatten darf. Als Passagier im gläsernen Sarg, jenem kleinen Vorraum zu einem anderen wahrscheinlich viel größeren Raum, ist Sprache überflüssig. In diesem einen Raum, den niemand kennt. Schon gar nicht die Erfinder des lieben Gottes. Das ärgert die schon seit ein paar tausend Jahren. Faseln uns philosophisch, metaphysisch seicht dämmernden Quatsch ins Psycho. Um uns lebzeitensweise einzulullen, in eine trügerische Sicherheit für ein fiktives, belohnendes Danach. Was für eine abgrundtiefe Scheiße, die der Mensch sich in seiner Gutgläubigkeit schon Jahrtausende lang vorsetzen lässt.[/strike]



Obwohl ich für die Frau meines Lebens in ihrem Drüben unhörbar bin, spreche ich trotzdem mit ihr. Ich sage lautlose Worte…in der völlig lautlosen Hoffnung, sie würde doch dieses oder jenes vielleicht mit ihrer Seele hören können.

(Sehr schön, doch du belässt es widerrum nicht dabei. Setze einen Punkt und gib diesen Zeilen Raum. Sie haben es verdient. Was folgt ist Rhetorik - nicht mehr.)



[strike]Weil mein verblassendes Leben…also das Kleinwenig, dass davon im Moment noch übrig ist, schon nicht mehr meines ist. Kommuniziert nur noch vorübergehend mit den grün, gelb und blau oszillierenden Apparaten mit den vielen Ziffern, um mich, sozusagen um meine Wenigstkeit herum. Aber auch dieses „Kommunizieren“ ist im Grunde genommen nur mehr scheinbar. In dieser letzten Phase werde ich schlicht und einfach nur mehr von bunt auf und ab blinkenden ablesbaren Werten repräsentiert, Signalen, die mein immer schwächer werdender Biomotor kläglich pulsierenden aussendet. Wie ein sich in den interstellaren Raum entfernender Forschungs-Satellit, dessen Signale zaghafter werden und immer mehr Zeit zurück benötigen. Nun gut, für mich nicht mehr lange.[/strike]

[strike]Ich bin innerlich freier denn je und auch physisch federleicht. Auch für die Schwestern die mich jeden Tag waschen und dabei auch heben müssen. Ich spüre sie noch feinfaserig - ihre jetzt schmerzlosen gewordenen Berührungen - jeden Tag noch ein wenig flüchtiger. Mein „Nochlebendgewicht“ hatte sich in den letzten Wochen dramatisch reduziert. Ein Fliegengewicht…heute nur mehr ein Eintagsfliegengewicht.[/strike]



Ich spüre – nein, sehen kann ich ihn nicht mehr - deinen liebvollen Blick du Frau meines Lebens.
Ein paar Tränen wie vereinzelte Tropfen eines lauwarmen Regens auf meinem Gesicht, wenn du dich über mich beugst und mich mit deinen trockenen weichen Lippen sachte küsst, mich streichelst.
Ich würde mit Leichtigkeit mein Leben dafür geben, könnte ich dich jetzt noch einmal in meine Arme nehmen. Kein hoher Preis mehr, ich muss es ohnehin geben. Leider für Nichts! Es gibt jetzt eine Kraft, die zwar nicht größer, aber stärker ist als meine Liebe zu dir…Die unbezwingbare Kraft des Abschieds von dieser Welt. Die stärkste unter den bekannten Kräften im Kosmos.

(Ein sehr schöner Textblock, der mich sehr bewegt.)

[strike]Wir suchten seit Jahren nach der so genannten „Grand Unified Theorie“, der alles vereinenden Kraft des Kosmos, Mikro und Makro. Ich war so gerne mit und in Demut einer von und mit ihnen.
Habe erfolglos und auch -reich mitgedacht, gerechnet und hypothetisiert. Kratzende Kreiden formten endlos aneinander gereihte Formeln auf grünen Schiefertafeln. In unserem Forschungszentrum drehte sich seit Jahren alles nur mehr um noch kleinere Teilchen und zuletzt Schlingen und Superschlingen. Um abstrakt virtuelle symmetrische Schönheiten, in zahlreichen fast unmessbar, unendlich kleinen, wie auch unerreichbaren Dimensionen. Als ob Schlingen nicht genug wären.[/strike]

[strike]Mutter Du Mein Haus.[/strike]

Bitte, bitte streichen - ganz wichtig!

In diesem Moment empfinde ich Deine Nähe wie eine weit – sehr weit entfernte und doch nahe Wärmequelle - wie jemand einen warmen Windhauch deutlich spürt. Von einer Beschaffenheit die nicht so ungleich jener ist, die mich damals in deinem Körper umhüllte und mir Schutz gab. Die Vergleichbarkeit dieser Beiden ist jetzt in diesem allerletzten Moment Eins.


Glaube mir, Mutter, das Verlassen des Deinerseits war leicht, weil ich es in deinem Schatten tun durfte. Den Schatten, den du für mich behütend auf dieses Deinerseits warfst. Es war ein schützender Schatten gegen das grelle Licht, von dem ich mich trennen musste.


(Glaubst du nicht, dass nach diesen beiden Absätzen im Ende alles gesagt ist. Alles weitere (Epilog) würde ich streichen. Der Leser findet nach den letzten beiden Absätzen (spätestens) die Lösung allein. Somit kommt die Pointe nicht schulmeisterhaft oder mit erhobenem Zeigefinger daher. Das ist wichtig, wenn man berühren möchte.


Du lässt sehr viel Gefühl, bestimmt auch eigene Erfahrungen, in deine Tastatur fließen. Das liest man. Deine Bilder sprechen mich an. Trotz der eingreifenden Korrekturvorschläge ein Text, den ich sehr gern gelesen habe.

LG
Sandra
 
R

rmdp

Gast
danke sandra - sehr klar eindrückend...


hatte den richtigen instinkt gerade dich um deine kritik zu bitten. da es erst meine dritte geschichte ist, bin ich tolpatschig wie mein prot (mit seinem "köpfchen") im mutterleib...denn das ist die LL...für mich. meine überschwenglichkeit muss dem zweck der geschichte untergeordnet werden. einer überschwenglichkeit die mir die malerei gestattet...jedoch nicht die literatur. danke, jetzt führe ich mir das ganze nochmals so wie du mir dazu rätst vor augen.

dein ralfi
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo rmdp,

man muss die Möglichkeit, sich verbal auszudrücken zu dürfen zu schätzen wissen - gerade das war eine Hauptbotschaft Deines Textes. Auch der Umgang mit diesem Text bringt noch einmal sehr schön auf den Punkt, dass dieses verbale Grundrecht nicht jedem Menschen/Autor gleichermaßen großzügig zugestanden wird.
Danke für diese späte Einsicht.
In meinen Augen ist Dein Text in seiner ursprünglichen Form sehr ausdrucksstark. Ich würde keine Änderungen vornehmen, es sei denn Deine Zielgruppe sind vornehmlich die selbsternannten Sterbehelfer.

Gruß, NDK
 
S

Sandra

Gast
Hallo Ralf.

Ich denke, man muss sich selbst irgendwann die Frage stellen - warum schreibe ich? Dient das Schreiben einer Art Selbsttherapie? Oder begreife ich das Schreiben als ein Handwerk, zu dem vielleicht ein gewisses Talent gehört, um es auszuüben, was aber letztendlich durch viele Stil- u. Handgriffe erlernt werden kann. Schreiben ist für mich Passion, aber auch Arbeit. (Jede enge zwischenmenschliche Beziehung setzt m.E. Ähnliches voraus.) Und ich schreibe nicht nur für mich, sondern möchte Leser mit meiner Geschichte erreichen. Somit sind andere Kriterien zu erfüllen, als wenn meine Zeilen nur meinem persönlichen Vergnügen dienen müssen.
Ich musste mir während der Zeit, die ich schreibe, von vielen Menschen sagen lassen, wie es den besser zu bewerkstelligen ist. Auf manche höre ich, an anderen Sachen halte ich widerrum fest. Und das ist doch das Schöne hier in der LL. Ich habe mich sehr gerne mit deinem Text beschäftigt, aber die letzte Entscheidung, wie und ob du etwas änderst, liegt immer beim Autor. Es ist deine Geschichte, nicht meine.
Ich habe mich früher gerne beim Schreiben in großen Gefühlen verloren oder in meiner Freude am Erzählen. Letztere erlese ich auch bei dir. Du schreibst gerne, hast darüber hinaus viel zu erzählen und deshalb sprudeln die Zeilen nur so aus dir heraus. Wenn mir das passiert, habe ich Menschen, die mir wieder meinen roten Faden in die Hand geben und meinen Focus auf das richten, was in aller Einfachheit sehr erzählenswert sein kann. (Diese Menschen sind unangenehm ehrlich, aber ich bin froh, dass ich sie habe)
Du hast Hand und Herz für eine gute Geschichte. Mach damit, was immer du für richtig hältst.
LG
Sandra
 
R

rmdp

Gast
auschnittsweise sandra zitiert und kommentiert

Ich denke, man muss sich selbst irgendwann die Frage stellen - warum schreibe ich? Dient das Schreiben einer Art Selbsttherapie? Oder begreife ich das Schreiben als ein Handwerk, zu dem vielleicht ein gewisses Talent gehört, um es auszuüben, was aber letztendlich durch viele Stil- u. Handgriffe erlernt werden kann. Schreiben ist für mich Passion, aber auch Arbeit. (Jede enge zwischenmenschliche Beziehung setzt m.E. Ähnliches voraus.)

da kann ich nur zustimmen…ich bin als maler daran gewöhnt an und mit kunst geld zu verdienen, also hängt meine existenz – größtenteils - davon ab. von der frage ob selbststherapie oder nicht habe ich mich entfernt, weil sich das verwischt wie etwa die dualität teilchen/welle. der künstler wurde ja in der modernen zeit mehr und mehr zum narren designiert und hatte über weite strecken diese rolle auch dankbar angenommen…dali, warhol, beuys… um nur einige zu nennen. andere sind einen ernsteren weg gegangen…wie etwa mein kollege aus der grafischen LV wien g. helnwein.


Und ich schreibe nicht nur für mich, sondern möchte Leser mit meiner Geschichte erreichen. Somit sind andere Kriterien zu erfüllen, als wenn meine Zeilen nur meinem persönlichen Vergnügen dienen müssen.
Ich musste mir während der Zeit, die ich schreibe, von vielen Menschen sagen lassen, wie es den besser zu bewerkstelligen ist. Auf manche höre ich, an anderen Sachen halte ich widerrum fest. Und das ist doch das Schöne hier in der LL. Ich habe mich sehr gerne mit deinem Text beschäftigt, aber die letzte Entscheidung, wie und ob du etwas änderst, liegt immer beim Autor. Es ist deine Geschichte, nicht meine.

ich stehe erst am anfang und dies ist meine dritte geschichte…ich arbeite hart und brauche noch härtere kritik. ich beschäftige mich mit meinen texten immer wieder und überdenke sie in der folge nach und nach mit gefühlserkalteter distanz – womit auch zu deinem u.s. kommentar zu grossen gefühlen etwas gesagt sei

Ich habe mich früher gerne beim Schreiben in großen Gefühlen verloren oder in meiner Freude am Erzählen. Letztere erlese ich auch bei dir. Du schreibst gerne, hast darüber hinaus viel zu erzählen und deshalb sprudeln die Zeilen nur so aus dir heraus. Wenn mir das passiert, habe ich Menschen, die mir wieder meinen roten Faden in die Hand geben und meinen Focus auf das richten, was in aller Einfachheit sehr erzählenswert sein kann. (Diese Menschen sind unangenehm ehrlich, aber ich bin froh, dass ich sie habe) Du hast Hand und Herz für eine gute Geschichte. Mach damit, was immer du für richtig hältst.

diese menschen fehlen obwohl ich mich in einem kreis hoch gebildeter und kulturell anspruchsvoller menschen bewege…da kommt leider kaum kritik…die einzige die hart mit mir ins gebet geht ist meine frau.

danke nochmals sandra für deine zeit, die du hier für mich mit höchst konstruktiven beiträgen geopfert hast.

dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von NewDawnK
Hallo rmdp,

man muss die Möglichkeit, sich verbal auszudrücken zu dürfen zu schätzen wissen - gerade das war eine Hauptbotschaft Deines Textes. Auch der Umgang mit diesem Text bringt noch einmal sehr schön auf den Punkt, dass dieses verbale Grundrecht nicht jedem Menschen/Autor gleichermaßen großzügig zugestanden wird.
was du sagst ist ebenso (in sich) richtig, wie das was sandra kritsch anmerkte und in der folge meint...meine 85 jährige (nicht gebrechliche) mutter hat die geschichte im hotel wo sie sich zur zeit auf kur befindet unter mehr als einem dutzend gästen zirkuliert und hate in der folge fast nur mehr "geheul" um sich...klar wenn mütter den text lesen.

natürlich ist meine ungeübtheit noch ein problem, welches technisch überwindbar sein sollte...glaubt und hofft

dein ralfi
 
R

rmdp

Gast
interessant ist die letzte bewertung von anonym (feig und aus dem hinterhalt) mit einer "eins""...wer kann das wohl gewesen sein????... um die bewertung nach unten zu bugsieren. weiss vielleicht nur die admin...oder auch nicht? ich finds lustig weil es ja zeigt was böse leute hier machen. hoffentlich kommen noch einige die die geschichte lesen und sie so bewerten wie es ihrem herzen entspricht...

meint ralf
 
R

rmdp

Gast
ein punkt der wesentlich für geschichten mit einem twist am ende ist, scheint der zu sein, dass die spannung durch die kritiken und analysen doch verloren geht...hier sollte ein neues system geschaffen werden...

meint ralf
 



 
Oben Unten