Die Frau ohne Rhythmus

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Raniero

Textablader
Die Frau ohne Rhythmus


Gemeinsam nahmen sie Unterricht, seit einiger Zeit schon, und besuchten den gleichen Kurs an einer Musikschule, die beiden Damen im reiferen Alter, Hausnachbarinnen und Freundinnen zugleich.
Das Instrument, das es zu erlernen galt, war ein sogenanntes Keyboard, von der Anlage her ein Tasteninstrument nicht unähnlich demjenigen, welches zu Mozarts Zeiten unter dem Namen Spinett fungierte und später dann vom Klavier, auch Pianoforte genannt, bis in die heutige Zeit abgelöst wurde.
Ein wesentlicher Unterschied, der im ständigen Fortschritt der technischen Revolutionen zu sehen ist, besteht jedoch besteht zwischen Spinett und Klavier auf der einen und einem Keyboard auf der anderen Seite. Während die beiden Vorläufer die Musik noch von Hand gemacht hergaben, kommt ein Keyboard ohne die Zufuhr von elektronischer Energieunterstützung nicht mehr aus.
Dafür produziert das letztere Töne, die in der Lautstärke beliebig zu variieren sind und die moderneren dieser Instrumente verfügen darüber hinaus noch über einen besonderen Zusatzeffekt; einen Rhythmusgeber, der dem Ausübenden Takt und Rhythmus des beabsichtigten Musikstück vorgibt, einen Vorteil, den nicht wenige Tastenfreunde zu schätzen wissen.
Wohlgemerkt, die moderneren und fortschrittlicheren dieser Instrumente verfügen über diesen Luxus, es gab auch in der Frühentwicklung noch Instrumente, die noch nicht damit ausgerüstet waren.
Die beiden Damen zeigten sich fleißig und lernwillig, im Unterricht, an den schuleigenen Instrumenten wie auch daheim, nur mit dem Unterschied, dass die Jüngere der beiden das Erlernte mangels eigenem Keyboard am Klavier, die Ältere hingegen auf ihrem elektronischem Instrument umsetzte, welches jedoch als älteres Modell nicht mit einer Rhythmusunterstützung ausgerüstet war.
Auf diese Weise waren beide Musikschülerinnen eingeschränkt, die eine mehr, die andere weniger; die eine hatte Strom, aber keinen Takt, die andere verfügte weder über Strom noch Takt.
Nichtsdestotrotz übten die Damen mit Eifer, in ihren Wohnungen, und da das Gebäude nicht den besten Schallschutz aufwies, hatten ihre Ehegatten wie auch die anderen Hausbewohner von Zeit zu Zeit das Vergnügen, dasselbe Musikstück zeitgleich gespielt auf dem Klavier sowie auf einem elektronisch verstärkten Instrument zu genießen.


Es ging auf Weihnachten zu, und die jüngere Schülerin wünschte sich zum Fest nichts sehnlicher als ein Keyboard.
Unterstützung erhielt sie in bei diesem Wunsch von der Musiklehrerin, welche befand, dass auf Dauer das Üben auf dem Piano doch nicht der Weisheit letzter Schluss sei, wolle man nicht einen Lernverlust in Kauf nehmen.
Rückhalt in dieser Frage bot ihr auch der eigene Ehemann; ein Mann, der zwar von Musik nicht viel verstand und nicht einmal Notenlesen konnte, der es aber begrüßte, dass seine bessere Hälfte in die Tasten griff, damit diese später einmal eine vernünftige Beschäftigung habe, wie er glaubte, sobald sie beide das rentenfähige Alter erreicht hätten.
So wurde denn dem Wunsch Rechnung getragen und ein nagelneues Keyboard für das Weihnachtsfest geordert.
Als die Ältere der Beiden erfuhr, welches Geschenk ihrer musikalischen Schwester ins Haus stand, wurde sie unverzüglich bei ihrem Ehemann vorstellig.
„Mein lieber Arthur“, säuselte sie und umgarnte ihren Mann wie zu Zeiten, als dieser einst um sie freite, eine Fähigkeit, welche die meisten Ehefrauen bis ins hohe Alter beibehalten, wenn sie etwas durchsetzen wollen, „weißt du, was meine Freundin und Musikpartnerin zu Weihnachten geschenkt bekommt?“
Arthur wusste es nicht, aber er konnte es sich denken, nichtsdestotrotz stellte er sich unwissend.
„Und was soll das sein, Schätzchen?“ fragte er zurück, „eine Harfe vielleicht?“
„Du Blödmann, wir nehmen doch keinen Harfenunterricht!“
„Oder gar ein Alphorn?“ rätselte Arthur weiter, „das böte sich ja direkt an, da unsere Wohnungen nebeneinander liegen, ließe sich das Horn doch über beide Flure legen und ihr könntet es zusammen nutzen, indem ihr wechselweise da hinein blast“.
„Arthur, du spinnst wohl! Außerdem hat ein Alphorn ja nicht zwei Ausgänge sondern einen Ein- und einen Ausgang“.
„Dann könntet ihr das Horn ja von Zeit zu Zeit mal umdrehen“, flachste der Mann weiter.
„Arthur! Hör auf mit dem Quatsch! Sie kriegt ein Keyboard, ein ganz neues Instrument, mit allen Schikanen. Ich will auch so eines“.
„Aber Lilli, du hast doch ein Keyboard“, stellte ihr Mann nüchtern fest.
„Aber ohne Rhythmus! Meines hat keinen Rhythmus! Verstehst du das denn nicht?“
Arthur verstand nur zu gut.
Eine unerwartete, eine Sonderausgabe, drohte sich an, kurz vor dem Fest, in einer Zeit, in welcher der Euro noch weniger wert war als sonst, da er in der Vorweihnachtszeit sehr locker in der Tasche saß; zudem hatte er bereits eingeplant, seine Frau mit einem eigenen kleinen Zweitfernseher zu überraschen, damit sie ihm nicht andauernd in seine Sportsendungen hineinquatschte.
Dieses allerdings konnte er ihr schlechterdings nicht mitteilen, so versuchte er es auf dem diplomatischen Wege.
„Hör mal zu, Schatz“ war es nun an ihm, zu säuseln, „wie wäre es, wenn wir erst einmal abwarten, bis das neue Keyboard unserer Nachbarin eingetroffen ist, und du es dir in Ruhe einmal anschaust. Du darfst bestimmt auch einmal Probe spielen, das erlaubt sie sicher, deine Musikschwester. Danach können wir noch immer in Ruhe entscheiden, ob wir das gleiche Gerät oder ein anderes kaufen werden. Außerdem, Schätzchen“, fügte er hinzu, „sind die Instrumente nach Weihnachten garantiert wieder preiswerter“.
‚Damit liegt er gar nicht so falsch, mein Männe‘, dachte Lilli, ‚warum auch nicht? Die paar Tage kann ich ja noch warten, und nach dem Fest sind solche Anschaffungen wirklich meist preisgünstiger‘.
„Aber eines, das sage ich dir“ drohte sie ihm scherzhaft mit dem Finger , „wenn du mir dann immer noch kein Keyboard kaufst, dann verpflichte ich dich höchstpersönlich als meine Rhythmusmaschine, dann machst du mir den Rhythmus, wenn ich spiele“.
Arthur versprach seinem Weib, dieses in die Tat umzusetzen, wenn es denn nun gar nicht anders ginge; vorerst jedoch hatte er erst einmal seine Ruhe, dachte er bei sich, sollte das Weihnachtsfest vorüber sein, fände sich bestimmt noch eine andere Lösung.

Das Fest war vorüber, und die Jüngere der beiden Freundinnen übte fleißig auf ihrem weihnachtlichen Geschenk, einem elektronischen Tasteninstrument, das mit einem phantastischem Rhythmusgeber ausgestattet war.
Ob Rumba, Samba oder Bossanova, sämtliche Rhythmen, die auf diesem Planeten existierten, gab das neue Instrument her, und es war für alle Bewohner des hellhörigen Gebäudes eine reine Freude, sich von diesen schönen Musikstücken, die mit flinken Fingern auf die Tasten gezaubert wurden, verwöhnen zu lassen.
So vernahmen auch Lilli und ihr Gatte diese von wunderschönen Rhythmen begleitete Töne, und eines schönen Abends drangen nicht nur diese sondern auch die klagende Stimme seines Weibes an Arthurs Ohren.
„Du hast es mir versprochen“ jammerte sie, „ich frage dich, wo bleibt mein neues Keyboard?“
„Aber Lillismaus, du hast doch deinen neuen Fernseher“.
„Was nutzt mir der neue Fernseher, der ersetzt mir noch lange keinen Rhythmus“.
„Schatz, was soll ich machen“, unser Budget ist erschöpft, zumindest vorerst“.
Wohl oder übel musste sich Lilli diesem Argument beugen, denn Schulden machen für ein Musikinstrument, das wollte sie auch nicht.
Mit listigen Augen jedoch blickte sie ihren Gemahl an.
„Nun gut, Arthur, was nicht geht, geht nicht. Dafür hast du mir aber etwas anderes versprochen“.
„Was denn, mein Schatz?“ dachte Arthur spontan an eine Erhöhung des Kontingents der ehelichen Pflichten, „sollen wir sofort?“
„Nicht, was du denkst, Arthur“ brachte sie ihn wieder auf den Boden der Realität zurück, „nein, sag mal, hast du mir nicht was anderes versprochen? Du wolltest mein Rhythmusgeber sein, meine Rhythmusmaschine, erinnerst du dich?“
„Aber Lillischatz, das war doch ein Scherz! “

Lillischatz aber verstand diesen Scherz nicht so, wie Arthur es erwartet hätte, und ab sofort wurde er von seiner Frau in die Pflicht genommen, da kannte sie keinen Spaß
Eine solche Pflicht hatte er sich in der Tat nicht träumen lassen; von diesem Zeitpunkt an trommelte er, was das Zeug hielt, um seiner Frau mit dem richtigen Rhythmus beizustehen, zuerst auf einer kleinen eigens dafür notdürftig umfunktionierten Konservendose, später, als die Schwielen an den Händen überhand zu nehmen drohten, erlaubte ihm Lilli die Anschaffung einer kleinen kunststoffbezogenen Rundtrommel.
Nach einer weiteren Zeitspanne willigte sie ein, Keyboard und Trommel im Schlafgemach zu deponieren, damit sich ihr Arthur nach allzu anstrengenden Rhythmen ein wenig auf dem ehelichen Lager niederlegen konnte, aber nur zum Ausruhen, wie sie betonte.
Nach übereinstimmender Aussage der Hausbewohner hat sich Lilli mittlerweile so sehr an ihren nichtelektronischen Rhythmusgeber gewöhnt, dass sie ihn gar nicht mehr missen möchte, und daher hat sie kundgetan, im gesamten Hause, dass sie auf den Kauf eines neuen Keyboards gänzlich verzichtet, das alte tut es doch noch, und der Alte auch.

Man munkelt bereits, dass sie demnächst auf Tournee gehen wollen, Lilli und ihr Arthur, in dieser Formation.
 

Inu

Mitglied
Hallo Raniero


eine zu 'kleine' Geschichte viel zu ausgiebig erzählt. Handwerklich ok. Ich würde kürzen, kürzen ...

ein schönes Wochenende wünscht Dir
Inu
 
M

Minotaurus

Gast
Dem knappen, aber aussagekräftigen Kommentar von Inu kann ich nichts hinzufügen.
Grüße vom Minotaurus.
 

Raniero

Textablader
Hallo Inu,
hallo Minotaurus,

danke für die Anregungen; ich muss Euch Recht geben und werde die Story, vor allem die Einleitung, entschlacken.:cool:

Gruß Raniero
 



 
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