Die Gruftentrenner

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Raniero

Textablader
Die Gruftentrenner

„Das kommt mir nicht in Frage!“, drohte Marion Rischka ihrem Ehemann, „du hast wohl ‚nen Knall.“
Beleidigt zog sich Georg Rischka zurück.
„Dann eben nicht!“
Grund für die Auseinandersetzung der Eheleute war der doch recht ungewöhnliche und sehr vorsichtig geäußerte Wunsch Georgs, sich, falls es einmal soweit sei, nicht auf traditionelle Weise beerdigen zu lassen.

Georg war bestimmt kein Mensch mit exzentrischen Ideen, sondern einer von der Sorte, wie sie unter der Bezeichnung Otto Normalverbraucher fungieren, mit geregeltem Berufs- wie auch Geschlechtsleben, und wie Unzählige seiner Zeitgenossen frönte er einem für die Region, in der er wohnte, absolut normal zu nennenden Hobby, dem Fußball.
Gegen dieses Hobby hatte seine Frau auch nichts einzuwenden, wenn man von der Tatsache absieht, dass sie es nicht immer billigte, dass er grundsätzlich nur mit Pyjamas in den Vereinsfarben seiner Mannschaft das eheliche Bett aufsuchte, doch das jedoch, was ihrem Georg seit kurzem im Kopf herum spukte, ging ihr, wie man landläufig sagt, regelrecht über die Hutschnur.
Georgs außergewöhnlicher Wunsch fußte auf einem eben solch außergewöhnlichen
Einfall, einer originellen, fast genialen Idee, wie viele fanden, die allerdings nicht bei allen auf ungeteilte Gegenliebe stieß.
Im Vorstand seines eigenen Fußballvereins war sie entstanden, diese Idee, und zuerst auf einer eilig einberufenen Geheimsitzung allen eingetragenen Mitgliedern, zu denen Georg seit Jahr und Tag zählte, vorgestellt worden.
Man erwäge, so dieser durchaus ernst gemeinte Vorschlag, in unmittelbarer Nähe zum heimischen Stadion einen Friedhof einzurichten, eine speziell den eigenen Fans vorbehaltene letzte Ruhestätte.
Auf diese Weise hätten die Fans auch nach ihrem Tod das Vergnügen, aus gebührender Entfernung am Spielgeschehen teilzunehmen, zumindest akustisch.
Ein Vergnügen, welches unter anderem bei einem Torschrei der eigenen Mannschaft über alle Maßen gesteigert würde, genau das richtige Mittel, zur Vorbereitung der Seele in den Fussballhimmel.

Als dieser Vorschlag nach der geheimen Sitzung publik wurde, über lokale wie auch überregionale Medien, gab es sehr unterschiedliche Reaktionen.
Während die Anhänger des Vereins im ganzen Lande dies sofort begeistert aufnahmen und sich spontan die ersten Grabstätten reservieren ließen, hatten die Gegner dieses kuriosen Einfalls nur Hohn und Spott dafür übrig.

Ein solcher Vorschlag könne nur verrückten Gehirnen entstammen, von psychisch kranken Personen, die nichts als Fußball und abermals Fußball im Kopf hätten und sich nicht scheuten, Familien sogar nach dem Tode auseinander zu reißen und Ehegruften zu trennen.
Reporter eines Boulevardblattes von nationaler Größe, immer und überall dabei, nahmen genau diese Kritik spontan zum Anlass, eine passende Schlagzeile, wie sie fanden, zu kreieren und sie bezeichneten die Befürworter des Fan-Friedhofs pauschal als Gruftentrenner vom FC … 04

Gruftentrenner, mit genau demselben Schimpfwort belegte auch Georgs Frau ihren Ehemann, hatte er ihr doch ernsthaft vorgeschlagen, die gemeinsam reservierte Gruft auf dem städtischen Hauptfriedhof dereinst allein aufzusuchen.
„Das fehlt noch“, fauchte sie aufgebracht, „es reicht mir, dass ich dich schon zu Lebzeiten mit deinem Fußball teilen muss, „und dann noch nach dem Tod! Du spinnst wohl. Außerdem haben wir die Gruft bereits schon weitgehend abbezahlt, und ich freue ich mich schon darauf, aber alleine ziehe ich da nicht ein. Entweder du gehst mit mir zusammen da rein, oder!“
„Oder?“ fragte Georg vorsichtig, die Hoffnung auf ein Einzelgrab in Stadionnähe noch nicht aufgebend.
„Dann nimm ich mir 'nen anderen mit ins Grab, damit du klar siehst.“
Das wiederum stieß Georg sauer auf.
Nicht unbedingt aus Eifersucht, da hatte er in dieser Hinsicht keine Befürchtungen mehr, sondern aus Prinzip. Es war schließlich ihre gemeinsame Gruft, und da hatte kein anderer was drin zu suchen, auch wenn er selbst sein Wohnrecht dort nicht wahrnahm; außerdem hatte er, wenn sie auch dazuverdiente, den Hauptanteil der Kosten getragen.
„Damit bin ich aber nicht einverstanden, Marion“, begehrte er auf.
Seine bessere Hälfte setzte noch einen drauf.
„Und deine Asche, die lass ich in alle vier Winde streuen, wenn du vor mir gehst.“
Georg, den Fußballfan, überlief es heiß und kalt.
'Das wäre ja furchtbar' dachte er, 'aus und vorbei mit dem Torschrei, mit dem seligen Gefühl, den Abend nach dem Lebensabend in unmittelbarer Nähe zu seinem Verein zu verbringen, und dazu noch 'nen Wildfremden in der Gruft, bei seiner Marion, um Gottes Willen! Vielleicht hat sie das schon testamentarisch hinterlegt, fähig wäre sie dazu.'
Georg und Marion Rischka hatten keine Kinder, daher war seine Sorge in dieser Hinsicht vielleicht nicht unbegründet.

Es kam anders, aber ob es sich für Georg vorteilhaft erwies, sei dahingestellt.
Seine Frau Marion segnete das Zeitliche vor ihm, und so hatte Georg nun volle Handlungsfreiheit.
Nachdem er seine bessere Hälfte in der gemeinsamen Gruft untergebracht hatte, machte Georg sich unverzüglich daran, ein sehr schönes Stück Erde auf dem Friedhof seines Fußballvereins zu reservieren, in Steinwurfweite von der Haupttribüne, und er freute sich auf die Zukunft wie ein Kind auf Weihnachten und Ostern zugleich.
Mit der Zeit aber wurde er etwas nachdenklicher.


„Ruhe in ewigem Frieden“, hörte Georg den Pfarrer sagen, bei seiner eigenen Beisetzung, und er dachte: 'Wenn der wüsste!'
Ruhe würde er bestimmt nicht finden, in absehbarer Zeit. Erstens, weil sein Verein sich seit Wochen auf absoluter Talfahrt befand; schon zu Lebzeiten hatte er in der letzten Zeit in der letzten Zeit deswegen kaum eine Nacht durch geschlafen, und zum Zweiten hatte er genug damit zu tun, aufzupassen, dass Marions Drohung nicht letzten Endes doch noch wahr gemacht wurde, indem ihr ein anderer nachträglich dazugelegt würde, in die gemeinsame Gruft.

Am liebsten wäre er gar nicht erst gestorben…
 



 
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