Die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams

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Rainer Lieser

Mitglied
Die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams



Die Fähre legte mit bedächtigem Schaukeln am Ufer an. Dünne Nebelschwaden zogen silbern über das Wasser. In den sanften Wellen spiegelten sich die letzten Strahlen des Sonnenlichts.



So oft wie heute hatte der Fährmann schon lange nicht mehr an einem Tag übergeholt. Es war an der Zeit auszuruhen. Er betrat das Land. Fast hatte er vergessen, wie sich fester Boden unter den Füssen anfühlte. Viel zu selten kam er dazu auszuspannen. Viel zu selten nahm er sich Zeit die Ruhe bewusst wahrzunehmen. Erst Tage wie der zur Neige gehende, liessen ihn mit dieser Gewohnheit brechen, erinnerten ihn daran, an was für einem schönen Ort er sich doch befand.



Ein Entenpaar trieb schnatternd an dem Fährmann vorbei. Der Wellengang wiegte es auf und ab.



Der Fährmann atmete tief die warme Luft ein. Er sog den Frieden des Augenblicks in sich auf, auf das er bei Bedarf davon würde zehren können.



Die Enten verschwanden hinter einer Schilfwand. Noch eine Weile blickte der Fährmann auf die Stelle, so als könnte er die beiden weiter beobachten. Das strahlende Blau des Tages wich dem Dunkel der anbrechenden Nacht. Als der letzte Lichtstrahl am Horizont verging, verlor sich auch die Schilfwand im Nichts.



Nun musste er in der Dunkelheit das Fährboot am Land festmachen. Doch der kostbare Moment den er gerade hatte erleben dürfen, war Entschädigung genug für diese kleine Mühe.



Jetzt stand der Fährmann aufrecht an Land. Sah ins Dunkel. Blickte in die Richtung des gegenüberliegenden Ufers.



Ein kleiner Zweig knackte. Schritte kamen auf den Fährmann zu. Er hörte schweren Atem. Ein Mann kam geradewegs auf ihn zu. Es war keine Frage, was der wollte. Doch der Fährmann würde ihn heute nicht mehr in das Boot einsteigen lassen. Heute nicht mehr! Der Fährmann verhielt sich still, in der Hoffnung der Fremde möge an ihm vorbei gehen.



Da rempelte der Fremde den Fährmann auch schon an. „Oh, entschuldigen sie bitte.“
„Ist ja nichts passiert.“
„Es ist spät. Ich laufe schon den ganzen Tag umher auf der Suche nach einem Fährmann, der hier in der Gegend leben soll. Könnt ihr mir vielleicht weiter helfen?“ Sprach der Fremde mit flehender Stimme.

„Der Fährmann steht vor euch. Hier gibt es keinen anderen als mich.“

„Endlich. Ich muss auf dem schnellsten Weg an das andere Ufer.“

„Es ist finsterste Nacht und der Weg ist weit.“

„Ihr müsst mich übersetzen. Es ist eilig. Von höchster Dringlichkeit.“

„Ich bringe dort heute niemanden mehr hin.“ Antwortete der Fährmann entschlossen.

„Aber ich muss dorthin. Dort tobt ein Krieg. Die wichtigste Schlacht. Ohne mich ist das Heer verloren.“

„Soweit ich in der Dunkelheit erkennen kann, seid ihr nur ein einfacher junger Soldat. Was macht euch so wichtig für diesen Krieg?“

„Bei einem Kampf ist jeder Mann wichtig. Die Anwesenheit jedes einzelnen entscheidet über Sieg oder Niederlage.“

„Den ganzen Tag schon habe ich Soldaten auf die andere Seite gebracht. Glaubt mir, dort sind genug für eine Nacht.“

„Der Krieg unterscheidet nicht zwischen Nacht und Tag. Die Schlacht ist weiter in vollem Gang.“

„Woher glaubt ihr das zu wissen?“

„Ich bin Soldat. Es ist meine Aufgabe das zu wissen.“

„Wenn eure Anwesenheit so wichtig ist, weshalb erscheint ihr dann erst jetzt hier?“
Der Fremde hielt kurz inne. Wägte die Antwort ab. „Ich hatte mich verlaufen. Den Anschluss zum Heer verloren.“ Gab er schließlich zu.
„Das spricht nicht gerade für eure Tauglichkeit.“

„Eben darum muss ich auf schnellstem Weg zurück zu meinen Kameraden. Sie werden wohl ähnlich denken wie ihr. Ich will ihnen beweisen wie falsch sie damit liegen.“

„Euer reden nutzt nichts. Ich steige heute nicht mehr in das Boot.“

„Wollt ihr, dass die gerechte Sache verliert?“ Entgegnete der Soldat in gereiztem Ton.

„In einem Krieg gibt es immer wenigstens zwei Seiten. Wer sagt mir, das eure Seite die Gerechte ist und nicht die Andere?“

Langsam wurde der junge Mann wütend über die Sturheit des Fährmann. „Ich sage das. Glaubt ihr mir etwa nicht?“
„Den ganzen Tag habe ich Soldaten von beiden Lagern dort rüber gebracht. Immer abwechselnd. Immer nur einen Mann neben mir im Boot. Die Soldaten beider Lager sprachen wie ihr. Ich vermag nicht zu entscheiden, welche Sache die Gerechtere ist. Zumal mir niemand die Hintergründe des Kriegs zu erklären vermochte.“

„Welche Hintergründe? Es ist Krieg. Ich gehöre zu den Guten, meine Feinde zu den Bösen. Was noch gibt es da zu wissen?“ Fauchte der Soldat und griff zu einem Gegenstand an seinem Gürtel.
„Wieder erweist ihr euch in meinen Augen als nicht tauglich. Ihr solltet froh darüber sein hier verbleiben und eure Haltung überdenken zu dürfen.“

„Ein feiger Schwätzer seid ihr. Ich habe genug von euren Worten. Hier fühlt meinen Dolch an eurer ... Ich spüre weder Haut noch Fleisch an eurer Kehle. Welch Spuk ist das?“

„Ihr könnt den nicht töten, der nicht lebt.“

„Was soll das heißen?“

„Habt ihr immer noch nicht verstanden? Ich bin der Fährmann, der die toten Seelen ins Jenseits überfährt.“


Der Soldat liess das Messer zu Boden fallen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Bin ich tot?“

„Nicht solange ihr noch auf dieser Uferseite steht.“ Antwortete der Fährmann ruhig.

„Und ich bin noch hier, weil ihr mich nicht übersetzen wollt. Demnach verdanke ich euch, dass ich noch lebe?“

„Überrascht?“

„Kann man so sagen. Bei Tagesanbruch bringt ihr mich dann aber auf die andere Seite?“

„Ja.“

Eine Pause entstand.


„Wie viele Stunden bleiben mir noch?“

„Nach menschlicher Zeitrechnung in etwa sechs. Lasst uns hinsetzen und die Füße im Wasser baumeln. Das entspannt. Oder möchtet ihr ein wenig schlafen?“
Mit einer Leichtigkeit die ihn selbst ein wenig verblüffte, reagierte der Soldat auf den Vorschlag. „In meiner letzten Nacht möchte ich nun wirklich nicht schlafen. Die Füße im Wasser baumeln zu lassen ist da schon besser. Mehr lässt sich in der verbleibenden Zeit wohl eh kaum noch unternehmen.“

„Die Zeit ist relativ.“

„Einstein – ich weiß.“

„Sonst könnte ich meine Arbeit an Tagen wie diesen gar nicht verrichten.“

„Ihr hattet durch den Krieg bestimmt viel zu tun?“

„Jawohl. Hunderttausende habe ich übergesetzt. Könnte ich mir die Zeit nicht einteilen wie es die jeweiligen Umstände verlangen, wäre das nicht machbar.“

„Ihr könnt die Zeit nach euren Bedürfnissen dehnen?“

„Ja – aber fragt mich nun nicht, ob ich eure verbleibende Zeit ebenso ausdehnen kann.“

„Das möchte ich gar nicht.“

„Nein?“ Der Fährmann horchte erstaunt auf.
„Nein. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Nichts habe ich bisher in meinem Leben zuwege gebracht. Unwahrscheinlich, dass mir da etwas in ein paar zusätzlichen Stunden oder Tagen gelingen würde.“

„Dieser Standpunkt scheint mir ungewöhnlich für einen jungen Menschen wie euch. Erzählt mir mehr. Ich würde gerne wissen, was euch zu dieser Sicht gebracht hat.“

„Wie euch vorhin bereits auffiel, tauge ich eben einfach für nichts.“

„Unsinn. Jeder taugt für etwas. Träume und Wünsche weisen den Weg dazu. Es gilt diese aufmerksam zu erforschen.“

„Ich war in Amy Adams verliebt.“

„Eine Freundin?“

„Eine US-amerikanische Schauspielerin.“

„Lebt sie noch?“

„Gestern habe ich sie noch in einem Interview zu ihrem neuen Film gesehen.“

„Ihr kanntet sie?“

„Ich mochte ihr Gesicht. Es strahlte soviel Freude und Zuversicht aus. So als ob es keine Schwierigkeiten gibt, die nicht bewältigt werden könnten. Kennengelernt habe ich sie natürlich nie.“

„Habt ihr es wenigstens versucht.“

„Hollywood war weit weg von meinem Haus.“

„Sonst gab es nichts in eurem Leben?“

„Nein. Deshalb meldete ich mich freiwillig für den Krieg. Ich hoffte dort eine Lösung für meine Probleme zu finden – und das klappte ja auch. Ich bin hier. Wo ist übrigens mein Körper, denn ich vermute Mal diese Begegnung spielt sich in meinem Kopf ab?“

„In einem Lazarett. Details spare ich aus. Hattet ihr keine Familie?“

„Bin früh von zuhause ausgezogen.“

„Nach Freunden muss ich dann gar nicht erst fragen?“

Die Ausrüstung klapperte leise, als der Soldat im dunkeln mit dem Kopf nickte. Er fragte sich in welchem Lazarett sein Körper lag.

„Versteht ihr eigentlich, dass euer Leben bald vorbei ist – und es dann so sein wird, als ob ihr nie existiert hättet, weil sich niemand an euch erinnert? Kümmert euch das gar nicht?“

Eine Träne rann dem jungen Mann über die Wange. Mehr konnte er darauf nicht erwidern.



„Mh ... Vielleicht sollte ich unser Gespräch wieder in eine andere Richtung bringen, sonst wird es wohl sehr einseitig ..."

Stille

Wenn ihr drei Wünsche frei hättet – welche wären das?“ Fragte der Fährmann endlich.

„Herzschlag, Kopfschuss, Atemstillstand.“

„Amy Adams?“

„Rang vier.“

„Ich könnte eine Begegnung arrangieren.“

„Warum solltet ihr das tun?“

„Führt es auf meine romantische Ader zurück.“

„Wie würde es zu der Begegnung kommen?“

„Ihr könntet heute Nacht die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams spielen.“

„Ob ich dazu tauge?“

„Findet es heraus. Möchtet ihr euch darauf einlassen?“

„Einverstanden.“


Wenige Stunden später starb irgendwo in einer kleinen unscheinbaren Unterkunft ein junger Mann mit einem Lächeln im Gesicht.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ah! Da reift eine Perle! Im Gegensatz zur Perlenentstehung muss hier aber noch diese oder jene Schicht abgetragen werden, glaub ich. Und zwar in der Reihenfolge:

Als erstes: Die Drehbuch-Form mit den Namen ist unschön und überflüssig. Ich habe die namen dann sowieso nicht mehr gelesen. Wenn du am Anfang die Reihenfolge festlegst (und ab und zu durch nonverbale Kommunikation an die Reihenfolge erinnerst), gibt der stete Wechsel vor, wer was sagt. Einfach Prosa-Dialog schreiben, dann fließt das schon!

Als zweites: Der Dialog strebt zielsicher bis zur Erkenntnis, dass der Fährmann DER Fährmann ist – wunderbar! Aber dann hängst du noch viel dran, sowas ist immer schwer zu handhaben. Hier balancierst du zwar recht gut durch das "danach" (durch eine echte Prosa-Form wäre jedoch mehr Struktur und damit "Lebendigkeit" möglich), aber die Details, wozu "der Fremde" alles nicht taugt (bzw. nicht zu taugen glaubt), sind dann doch zuuuu langatmig. Durch die "nackte Rede" (also ohne Mimik, Tonfall etc.) erschließt sich mir auch nicht, warum der junge Mann diese drei Wünsche äußert (der ja eigentlich nur einer ist, nur – in diesem Dialog überraschend – bitter ausgeprochen.). Er klang für mich – bei aller "ich tauge zu nichts"-Stimmung – eher wie "Nur einmal X und dann sterben." Und dieses X könnte der Traum sein …

Als drittes eventuell: Der Vorspann ist in der Ausführlichkeit nicht wichtig (die Stimmung geht auch kürzer und die "Müdigkeit" des Fährmanns wird im Dialog nicht wieder verwendet). Wenn er stilistisch exakter sitzen würde (es gibt doch hier und da "Klangbrüche durch (scheinbare) Unbeholfenheit") könnte man ihn aber auch so lang lassen.
 

Rainer Lieser

Mitglied
Die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams

Die Fähre legte mit bedächtigem Schaukeln am Ufer an. Dünne Nebelschwaden zogen silbern über das Wasser. In den sanften Wellen spiegelten sich die letzten Strahlen des Sonnenlichts. 

So oft wie heute hatte der Fährmann schon lange nicht mehr an einem Tag übergeholt. Es war an der Zeit auszuruhen. Er betrat das Land. Fast hatte er vergessen, wie sich fester Boden unter den Füssen anfühlte. Viel zu selten kam er dazu auszuspannen. Viel zu selten nahm er sich Zeit die Ruhe bewusst wahrzunehmen. Erst Tage wie der zur Neige gehende, liessen ihn mit dieser Gewohnheit brechen, erinnerten ihn daran, an was für einem schönen Ort er sich doch befand.

Ein Entenpaar trieb schnatternd an dem Fährmann vorbei. Der Wellengang wiegte es auf und ab. 

Der Fährmann atmete tief die warme Luft ein. Er sog den Frieden des Augenblicks in sich auf, auf das er bei Bedarf davon würde zehren können.

Die Enten verschwanden hinter einer Schilfwand. Noch eine Weile blickte der Fährmann auf die Stelle, so als könnte er die beiden weiter beobachten. Das strahlende Blau des Tages wich dem Dunkel der anbrechenden Nacht. Als der letzte Lichtstrahl am Horizont verging, verlor sich auch die Schilfwand im Nichts. 

Nun musste er in der Dunkelheit das Fährboot am Land festmachen. Doch der kostbare Moment den er gerade hatte erleben dürfen, war Entschädigung genug für diese kleine Mühe.

Jetzt stand der Fährmann aufrecht an Land. Sah ins Dunkel. Blickte in die Richtung des gegenüberliegenden Ufers.

Ein kleiner Zweig knackte. Schritte kamen auf den Fährmann zu. Er hörte schweren Atem. Ein Mann kam geradewegs auf ihn zu. Es war keine Frage, was der wollte. Doch der Fährmann würde ihn heute nicht mehr in das Boot einsteigen lassen. Heute nicht mehr! Der Fährmann verhielt sich still, in der Hoffnung der Fremde möge an ihm vorbei gehen. 

Da rempelte der Fremde den Fährmann auch schon an. „Oh, entschuldigen sie bitte.“
„Ist ja nichts passiert.“
„Es ist spät. Ich laufe schon den ganzen Tag umher auf der Suche nach einem Fährmann, der hier in der Gegend leben soll. Könnt ihr mir vielleicht weiter helfen?“ Sprach der Fremde mit flehender Stimme.
„Der Fährmann steht vor euch. Hier gibt es keinen anderen als mich.“
„Endlich. Ich muss auf dem schnellsten Weg an das andere Ufer.“
„Es ist finsterste Nacht und der Weg ist weit.“
„Ihr müsst mich übersetzen. Es ist eilig. Von höchster Dringlichkeit.“
„Ich bringe dort heute niemanden mehr hin.“ Antwortete der Fährmann entschlossen.
„Aber ich muss dorthin. Dort tobt ein Krieg. Die wichtigste Schlacht. Ohne mich ist das Heer verloren.“
„Soweit ich in der Dunkelheit erkennen kann, seid ihr nur ein einfacher junger Soldat. Was macht euch so wichtig für diesen Krieg?“
„Bei einem Kampf ist jeder Mann wichtig. Die Anwesenheit jedes einzelnen entscheidet über Sieg oder Niederlage.“
„Den ganzen Tag schon habe ich Soldaten auf die andere Seite gebracht. Glaubt mir, dort sind genug für eine Nacht.“
„Der Krieg unterscheidet nicht zwischen Nacht und Tag. Die Schlacht ist weiter in vollem Gang.“
„Woher glaubt ihr das zu wissen?“
„Ich bin Soldat. Es ist meine Aufgabe das zu wissen.“
„Wenn eure Anwesenheit so wichtig ist, weshalb erscheint ihr dann erst jetzt hier?“
Der Fremde hielt kurz inne. Wägte die Antwort ab. „Ich hatte mich verlaufen. Den Anschluss zum Heer verloren.“ Gab er schließlich zu.
„Das spricht nicht gerade für eure Tauglichkeit.“
„Eben darum muss ich auf schnellstem Weg zurück zu meinen Kameraden. Sie werden wohl ähnlich denken wie ihr. Ich will ihnen beweisen wie falsch sie damit liegen.“
„Euer reden nutzt nichts. Ich steige heute nicht mehr in das Boot.“ 
„Wollt ihr, dass die gerechte Sache verliert?“ Entgegnete der Soldat in gereiztem Ton.
„In einem Krieg gibt es immer wenigstens zwei Seiten. Wer sagt mir, das eure Seite die Gerechte ist und nicht die Andere?“
Langsam wurde der junge Mann wütend über die Sturheit des Fährmann. „Ich sage das. Glaubt ihr mir etwa nicht?“
„Den ganzen Tag habe ich Soldaten von beiden Lagern dort rüber gebracht. Immer abwechselnd. Immer nur einen Mann neben mir im Boot. Die Soldaten beider Lager sprachen wie ihr. Ich vermag nicht zu entscheiden, welche Sache die Gerechtere ist. Zumal mir niemand die Hintergründe des Kriegs zu erklären vermochte.“
„Welche Hintergründe? Es ist Krieg. Ich gehöre zu den Guten, meine Feinde zu den Bösen. Was noch gibt es da zu wissen?“ Fauchte der Soldat und griff zu einem Gegenstand an seinem Gürtel.
„Wieder erweist ihr euch in meinen Augen als nicht tauglich. Ihr solltet froh darüber sein hier verbleiben und eure Haltung überdenken zu dürfen.“
„Ein feiger Schwätzer seid ihr. Ich habe genug von euren Worten. Hier fühlt meinen Dolch an eurer ... Ich spüre weder Haut noch Fleisch an eurer Kehle. Welch Spuk ist das?“
„Ihr könnt den nicht töten, der nicht lebt.“
„Was soll das heißen?“
„Habt ihr immer noch nicht verstanden? Ich bin der Fährmann, der die toten Seelen ins Jenseits überfährt.“

Der Soldat liess das Messer zu Boden fallen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Bin ich tot?“ 
„Nicht solange ihr noch auf dieser Uferseite steht.“ Antwortete der Fährmann ruhig.
„Und ich bin noch hier, weil ihr mich nicht übersetzen wollt. Demnach verdanke ich euch, dass ich noch lebe?“
„Überrascht?“
„Kann man so sagen. Bei Tagesanbruch bringt ihr mich dann aber auf die andere Seite?“
„Ja.“

Eine Pause entstand.

„Wie viele Stunden bleiben mir noch?“
„Nach menschlicher Zeitrechnung in etwa sechs. Lasst uns hinsetzen und die Füße im Wasser baumeln. Das entspannt. Oder möchtet ihr ein wenig schlafen?“
Mit einer Leichtigkeit die ihn selbst ein wenig verblüffte, reagierte der Soldat auf den Vorschlag. „In meiner letzten Nacht möchte ich nun wirklich nicht schlafen. Die Füße im Wasser baumeln zu lassen ist da schon besser. Mehr lässt sich in der verbleibenden Zeit wohl eh kaum noch unternehmen.“ 
„Die Zeit ist relativ.“
„Einstein – ich weiß.“
„Sonst könnte ich meine Arbeit an Tagen wie diesen gar nicht verrichten.“
„Ihr hattet durch den Krieg bestimmt viel zu tun?“
„Jawohl. Hunderttausende habe ich übergesetzt. Könnte ich mir die Zeit nicht einteilen wie es die jeweiligen Umstände verlangen, wäre das nicht machbar.“ 
„Ihr könnt die Zeit nach euren Bedürfnissen dehnen?“
„Ja – aber fragt mich nun nicht, ob ich eure verbleibende Zeit ebenso ausdehnen kann.“ 
„Das möchte ich gar nicht.“
„Nein?“ Der Fährmann horchte erstaunt auf.
„Nein. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Nichts habe ich bisher in meinem Leben zuwege gebracht. Unwahrscheinlich, dass mir da etwas in ein paar zusätzlichen Stunden oder Tagen gelingen würde.“
„Dieser Standpunkt scheint mir ungewöhnlich für einen jungen Menschen wie euch. Erzählt mir mehr. Ich würde gerne wissen, was euch zu dieser Sicht gebracht hat.“ 
„Wie euch vorhin bereits auffiel, tauge ich eben einfach für nichts.“
„Unsinn. Jeder taugt für etwas. Träume und Wünsche weisen den Weg dazu. Es gilt diese aufmerksam zu erforschen.“
„Ich war in Amy Adams verliebt.“
„Eine Freundin?“
„Eine US-amerikanische Schauspielerin.“
„Lebt sie noch?“
„Gestern habe ich sie noch in einem Interview zu ihrem neuen Film gesehen.“
„Ihr kanntet sie?“
„Ich mochte ihr Gesicht. Es strahlte soviel Freude und Zuversicht aus. So als ob es keine Schwierigkeiten gibt, die nicht bewältigt werden könnten. Kennengelernt habe ich sie natürlich nie.“
„Habt ihr es wenigstens versucht.“
„Hollywood war weit weg von meinem Haus.“
„Sonst gab es nichts in eurem Leben?“
„Nein. Deshalb meldete ich mich freiwillig für den Krieg. Ich hoffte dort eine Lösung für meine Probleme zu finden – und das klappte ja auch. Ich bin hier. Wo ist übrigens mein Körper, denn ich vermute Mal diese Begegnung spielt sich in meinem Kopf ab?“
„In einem Lazarett. Details spare ich aus. Hattet ihr keine Familie?“ 
„Bin früh von zuhause ausgezogen.“
„Nach Freunden muss ich dann gar nicht erst fragen?“

Die Ausrüstung klapperte leise, als der Soldat im dunkeln mit dem Kopf nickte. Er fragte sich in welchem Lazarett sein Körper lag.

„Versteht ihr eigentlich, dass euer Leben bald vorbei ist – und es dann so sein wird, als ob ihr nie existiert hättet, weil sich niemand an euch erinnert? Kümmert euch das gar nicht?“

Eine Träne rann dem jungen Mann über die Wange. Mehr konnte er darauf nicht erwidern. 

„Mh ... Vielleicht sollte ich unser Gespräch wieder in eine andere Richtung bringen, sonst wird es wohl sehr einseitig ..."

Stille

Wenn ihr drei Wünsche frei hättet – welche wären das?“ Fragte der Fährmann endlich.
„Herzschlag, Kopfschuss, Atemstillstand.“
„Amy Adams?“
„Rang vier.“
„Ich könnte eine Begegnung arrangieren.“ 
„Warum solltet ihr das tun?“
„Führt es auf meine romantische Ader zurück.“ 
„Wie würde es zu der Begegnung kommen?“
„Ihr könntet heute Nacht die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams spielen.“
„Ob ich dazu tauge?“
„Findet es heraus. Möchtet ihr euch darauf einlassen?“
„Einverstanden.“

Wenige Stunden später starb irgendwo in einer kleinen unscheinbaren Unterkunft ein junger Mann mit einem Lächeln im Gesicht.
 

Rainer Lieser

Mitglied
Die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams



Die Fähre legte mit bedächtigem Schaukeln am Ufer an. Dünne Nebelschwaden zogen silbern über das Wasser. In den sanften Wellen spiegelten sich die letzten Strahlen des Sonnenlichts. 



So oft wie heute hatte der Fährmann schon lange nicht mehr an einem Tag übergeholt. Es war an der Zeit auszuruhen. Er betrat das Land. Fast hatte er vergessen, wie sich fester Boden unter den Füssen anfühlte. Viel zu selten kam er dazu auszuspannen. Viel zu selten nahm er sich Zeit die Ruhe bewusst wahrzunehmen. Erst Tage wie der zur Neige gehende, ließen ihn mit dieser Gewohnheit brechen, erinnerten ihn daran, an was für einem schönen Ort er sich doch befand.



Ein Entenpaar trieb schnatternd an dem Fährmann vorbei. Der Wellengang wiegte es auf und ab. 



Der Fährmann atmete tief die warme Luft ein. Er sog den Frieden des Augenblicks in sich auf, auf das er bei Bedarf davon würde zehren können.



Die Enten verschwanden hinter einer Schilfwand. Noch eine Weile blickte der Fährmann auf die Stelle, so als könnte er die beiden weiter beobachten. Das strahlende Blau des Tages wich dem Dunkel der anbrechenden Nacht. Als der letzte Lichtstrahl am Horizont verging, verlor sich auch die Schilfwand im Nichts.

Nun musste er in der Dunkelheit das Fährboot am Land festmachen. Doch der kostbare Moment den er gerade hatte erleben dürfen, war Entschädigung genug für diese kleine Mühe.



Jetzt stand der Fährmann aufrecht an Land. Sah ins Dunkel. Blickte in die Richtung des gegenüberliegenden Ufers.



Ein kleiner Zweig knackte. Schritte kamen auf den Fährmann zu. Er hörte schweren Atem. Ein Mann kam geradewegs auf ihn zu. Es war keine Frage, was der wollte. Doch der Fährmann würde ihn heute nicht mehr in das Boot einsteigen lassen. Heute nicht mehr! Der Fährmann verhielt sich still, in der Hoffnung der Fremde möge an ihm vorbei gehen. 



Da rempelte der Fremde den Fährmann auch schon an. „Oh, entschuldigen sie bitte.“
„Ist ja nichts passiert.“
„Es ist spät. Ich laufe schon den ganzen Tag umher auf der Suche nach einem Fährmann, der hier in der Gegend leben soll. Könnt ihr mir vielleicht weiter helfen?“ Sprach der Fremde mit flehender Stimme.

„Der Fährmann steht vor euch. Hier gibt es keinen anderen als mich.“

„Endlich. Ich muss auf dem schnellsten Weg an das andere Ufer.“

„Es ist finsterste Nacht und der Weg ist weit.“

„Ihr müsst mich übersetzen. Es ist eilig. Von höchster Dringlichkeit.“

„Ich bringe dort heute niemanden mehr hin.“ Antwortete der Fährmann entschlossen.

„Aber ich muss dorthin. Dort tobt ein Krieg. Die wichtigste Schlacht. Ohne mich ist das Heer verloren.“

„Soweit ich in der Dunkelheit erkennen kann, seid ihr nur ein einfacher junger Soldat. Was macht euch so wichtig für diesen Krieg?“

„Bei einem Kampf ist jeder Mann wichtig. Die Anwesenheit jedes einzelnen entscheidet über Sieg oder Niederlage.“

„Den ganzen Tag schon habe ich Soldaten auf die andere Seite gebracht. Glaubt mir, dort sind genug für eine Nacht.“

„Der Krieg unterscheidet nicht zwischen Nacht und Tag. Die Schlacht ist weiter in vollem Gang.“

„Woher glaubt ihr das zu wissen?“

„Ich bin Soldat. Es ist meine Aufgabe das zu wissen.“

„Wenn eure Anwesenheit so wichtig ist, weshalb erscheint ihr dann erst jetzt hier?“
Der Fremde hielt kurz inne. Wog die Antwort ab. „Ich hatte mich verlaufen. Den Anschluss zum Heer verloren.“ Gab er schließlich zu.

„Das spricht nicht gerade für eure Tauglichkeit.“

„Eben darum muss ich auf schnellstem Weg zurück zu meinen Kameraden. Sie werden wohl ähnlich denken wie ihr. Ich will ihnen beweisen wie falsch sie damit liegen.“

„Euer reden nutzt nichts. Ich steige heute nicht mehr in das Boot.“ 

„Wollt ihr, dass die gerechte Sache verliert?“ Entgegnete der Soldat in gereiztem Ton.

„In einem Krieg gibt es immer wenigstens zwei Seiten. Wer sagt mir, das eure Seite die Gerechte ist und nicht die Andere?“

Langsam wurde der junge Mann wütend über die Sturheit des Fährmann. „Ich sage das. Glaubt ihr mir etwa nicht?“
„Den ganzen Tag habe ich Soldaten von beiden Lagern dort rüber gebracht. Immer abwechselnd. Immer nur einen Mann neben mir im Boot. Die Soldaten beider Lager sprachen wie ihr. Ich vermag nicht zu entscheiden, welche Sache die Gerechtere ist. Zumal mir niemand die Hintergründe des Kriegs zu erklären vermochte.“

„Welche Hintergründe? Es ist Krieg. Ich gehöre zu den Guten, meine Feinde zu den Bösen. Was noch gibt es da zu wissen?“ Fauchte der Soldat und griff an seinen Gürtel.
„Wieder erweist ihr euch in meinen Augen als nicht tauglich. Ihr solltet froh darüber sein hier verbleiben und eure Haltung überdenken zu dürfen.“

„Ein feiger Schwätzer seid ihr. Ich habe genug von euren Worten. Hier fühlt meinen Dolch an eurer ... Ich spüre weder Haut noch Fleisch an eurer Kehle. Welch Spuk ist das?“

„Ihr könnt den nicht töten, der nicht lebt.“

„Was soll das heißen?“

„Habt ihr immer noch nicht verstanden? Ich bin der Fährmann, der die toten Seelen ins Jenseits überfährt.“

Der Soldat ließ das Messer zu Boden fallen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Bin ich tot?“ 

„Nicht solange ihr noch auf dieser Uferseite steht.“ Antwortete der Fährmann ruhig.

„Und ich bin noch hier, weil ihr mich nicht übersetzen wollt. Demnach verdanke ich euch, dass ich noch lebe?“

„Überrascht?“

„Kann man so sagen. Bei Tagesanbruch bringt ihr mich dann aber auf die andere Seite?“

„Ja.“

Eine Pause entstand.

„Wie viele Stunden bleiben mir noch?“

„Nach menschlicher Zeitrechnung in etwa sechs. Lasst uns hinsetzen und die Füße im Wasser baumeln. Das entspannt. Oder möchtet ihr ein wenig schlafen?“
Mit einer Leichtigkeit die ihn selbst ein wenig verblüffte, reagierte der Soldat auf den Vorschlag. „In meiner letzten Nacht möchte ich nun wirklich nicht schlafen. Die Füße im Wasser baumeln zu lassen ist da schon besser. Mehr lässt sich in der verbleibenden Zeit wohl eh kaum noch unternehmen.“
„Die Zeit ist relativ.“

„Einstein – ich weiß.“

„Sonst könnte ich meine Arbeit an Tagen wie diesen gar nicht verrichten.“

„Ihr hattet durch den Krieg bestimmt viel zu tun?“

„Jawohl. Hunderttausende habe ich übergesetzt. Könnte ich mir die Zeit nicht einteilen wie es die jeweiligen Umstände verlangen, wäre das nicht machbar.“
„Ihr könnt die Zeit nach euren Bedürfnissen dehnen?“

„Ja – aber fragt mich nun nicht, ob ich eure verbleibende Zeit ebenso ausdehnen kann.“ 

„Das möchte ich gar nicht.“

„Nein?“ Der Fährmann horchte erstaunt auf.
„Nein. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Nichts habe ich bisher in meinem Leben zuwege gebracht. Unwahrscheinlich, dass mir da etwas in ein paar zusätzlichen Stunden oder Tagen gelingen würde.“

„Dieser Standpunkt scheint mir ungewöhnlich für einen jungen Menschen wie euch. Erzählt mir mehr. Ich würde gerne wissen, was euch zu dieser Sicht gebracht hat.“ 

„Wie euch vorhin bereits auffiel, tauge ich eben einfach für nichts.“

„Unsinn. Jeder taugt für etwas. Träume und Wünsche weisen den Weg dazu. Es gilt diese aufmerksam zu erforschen.“

„Ich war in Amy Adams verliebt.“

„Eine Freundin?“

„Eine US-amerikanische Schauspielerin.“

„Lebt sie noch?“

„Gestern habe ich sie noch in einem Interview zu ihrem neuen Film gesehen.“

„Ihr kanntet sie?“

„Ich mochte ihr Gesicht. Es strahlte soviel Freude und Zuversicht aus. So als ob es keine Schwierigkeiten gibt, die nicht bewältigt werden könnten. Kennengelernt habe ich sie natürlich nie.“

„Habt ihr es wenigstens versucht.“

„Hollywood war weit weg von meinem Haus.“

„Sonst gab es nichts in eurem Leben?“

„Nein. Deshalb meldete ich mich freiwillig für den Krieg. Ich hoffte dort eine Lösung für meine Probleme zu finden – und das klappte ja auch. Ich bin hier. Wo ist übrigens mein Körper, denn ich vermute Mal diese Begegnung spielt sich in meinem Kopf ab?“

„In einem Lazarett. Details spare ich aus. Hattet ihr keine Familie?“ 

„Bin früh von zuhause ausgezogen.“

„Nach Freunden muss ich dann gar nicht erst fragen?“

Die Ausrüstung klapperte leise, als der Soldat im Dunkeln mit dem Kopf nickte. Er fragte sich in welchem Lazarett sein Körper lag.

„Versteht ihr eigentlich, dass euer Leben bald vorbei ist – und es dann so sein wird, als ob ihr nie existiert hättet, weil sich niemand an euch erinnert? Kümmert euch das gar nicht?“

Eine Träne rann dem jungen Mann über die Wange. Mehr konnte er darauf nicht erwidern. 



„Mh ... Vielleicht sollte ich unser Gespräch wieder in eine andere Richtung bringen, sonst wird es wohl sehr einseitig ..."

Stille

Wenn ihr drei Wünsche frei hättet – welche wären das?“ Fragte der Fährmann endlich.

„Herzschlag, Kopfschuss, Atemstillstand.“

„Amy Adams?“

„Rang vier.“

„Ich könnte eine Begegnung arrangieren.“ 

„Warum solltet ihr das tun?“

„Führt es auf meine romantische Ader zurück.“ 

„Wie würde es zu der Begegnung kommen?“

„Ihr könntet heute Nacht die Hauptrolle in einem Traum von Amy Adams spielen.“

„Ob ich dazu tauge?“

„Findet es heraus. Möchtet ihr euch darauf einlassen?“

„Einverstanden.“


Wenige Stunden später starb irgendwo in einer kleinen unscheinbaren Unterkunft ein junger Mann mit einem Lächeln im Gesicht.
 

Rainer Lieser

Mitglied
Hallo Jon,
Danke für Deine Anmerkungen. Habe die Geschichte auf deren Grundlage überarbeitet. Vor allem Dein Vorschlag zum umgehen der Drehbuch-Form hat mir sehr geholfen. Hoffe der Text hat auch in Deinen Augen gewonnen ...
Gruß,
Rainer
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ja, hat sie: Die Emotionen des Soldaten, die jetzt erkennbar sind, beleben den Text sehr.
 
H

hobbit

Gast
zu dieser geschichte äußere ich mich emotional,spontan und sicher sehr unfachmännisch,aber sie hat mich sehr fasziniert und ich bekam beim lesen eine gänsehaut!

hobbit
 



 
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