Die Hexe

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Die Hexe

Von Margarete Siebenthal


Schwere Ketten, sie halten. Sie rasseln, wenn sie sich bewegt, wenn sie drängt, drängt. Wonach streben? Wonach suchen? Wohin gehen? Sie muss nicht hier heraus, sie braucht nur Veränderung. Aber die gibt es nicht. Es ist doch einfacher, sich an diesen gottverdammten Ketten anzuhalten. Sie lesen aus dem Buch, als wäre es heilig. Es wird beschützt, kontrolliert, gefangen, von denselben Ketten. Sie rasseln. Hierher und nicht weiter! Es ist ja nicht das erste Mal, das so etwas gemacht wird, sie wissen ihre Sache anzupacken. Der Raum, in dem sie sich gefangen glaubt, zusammen mit all den anderen, ist nicht einmal hoch genug, um aufrecht zu stehen. Aufrecht gehen? Aufrecht! Sind es die Ketten die sie zurückhalten? Sie rüttelt daran, sie sind fest, sie fragte sich erst gar nicht, ob sie so fest waren, weil sie das so wollte. Andere Länder hatten es längst aufgegeben, Gesetzen wie diesen zu folgen, sie waren überall sehr ähnlich gewesen, denn sie schützten die Gesellschaft. Hätte sie doch bloß die Kräfte, in denen die anderen die Gefahr sahen! Sie war nicht sicher, ob es überhaupt irgendwo möglich war, im Schutz dieser Kräfte zu leben.
Düster sah es aus, und staubig, als hätte sich in diesem winzigen Gefängnis, trotz der unüberblickbaren Menge an Verurteilten noch nie etwas bewegt.
Kontrast! Sie wurde nach draußen gebracht, der Mann, der sie in das Licht zerrte, das so grell und unangenehm war, dass es einem die Sicht raubte, dass man nur trübe Konturen wahrnehmen konnte von der Welt da draußen packte sie grob an. Sie blinzelte, und sah wieder etwas klarer. Es standen viele Leute um den Platz, zu dem sie gebracht wurde. Der Mann packte sie grob an, und drückte ihren gebeugten Oberkörper noch weiter hinab. Er keuchte, er strengte sich an, gab sich Mühe. Er war ein gläubiger Mann, daran bestand für sie kein Zweifel, er fürchtete sich sogar. Die Menschen, die um den Platz standen, waren ganz unterschiedlich, große und kleine, dünne und dicke, fremdartig gekleidete Adelige und einfache Bauern, Leute aus dem Osten, Leute aus dem Westen. Manche sahen sie mit glänzenden Augen, triefend vor gottesfürchterlicher Freude an, andere sahen gelangweilt zu. Manche standen mit dem Rücken zu dem Spektakel, sie sahen zwei Männern in Uniformen bei einer Prügelei zu, und schlossen Wetten ab.
Dabei zurrten sie die Männer fest an den Pfosten, der wie ein unverrückbarer, ewiger und uralter Baum aus dem Boden ragte. Unter ihr knirschten die Zweige, sie hatte das Gefühl, als ob das alles auf dünnem Eis gebaut wäre, aber sie wusste, sie stand auf festem Grund. Die Fackel senkte sich, und das Feuer knisterte, und ihr war, als ob es Gott persönlich wäre, den sie leise, kaum hörbar, flüstern hörte.
Burn the witch.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Margarete,

erst mal ein "Herzliches Willkommen" auf der LeLu.

Zu Deinem Text:
Ich lese ihn zwiegespalten - er bringt (für mich) keine Aussage rüber. Außerdem springt es zwischen Präsens und Präteritum.
Wäre es nicht besser, alles direkt aus der Sicht der Protagonistin zu schreiben? Es direkt in der Gegenwart der "Hexe" zu schreiben, mit Sicht aus ihren Augen. Hätte IMHO den Vorteil, dass man Ängste oder Gedanken wesentlich direkter rüberbringt.

Beispiel:

Schwere Ketten, sie halten. Sie rasseln, wenn sie sich bewegt, wenn sie drängt, drängt.
Vorschlag:

Die schweren Ketteln rasseln bei jeder Bewegung ... (und so weiter)


LG vorerst, KaGeb
 

raggedy

Mitglied
Alle Achtung! Das ist ein tolles Stueck. Schoen geschrieben, Spannung bis zum Ende und eindringliche Beschreibungen, die sich allerdings erst erklaeren lassen, als man endlich weiss, worum es tatsaechlich geht.

So ganz ohne Gemecker geht's natuerlich nicht: manche Saetze koennten m.E. etwas kuerzer gehalten werden. Vielleicht dadurch, dass man mehrere einzelne daraus macht. (Ist aber nicht uebermaessig stoerend.)
Sie wurde nach draußen gebracht[blue].[/blue] [Der] Mann, der sie in das Licht zerrte, [blue]packte sie grob an[/blue]. [blue]Es war so grell draussen [/blue][strike]und unangenehm war[/strike], dass es [blue]ihr[/blue] die Sicht raubte. [blue]Von der Welt da draussen nahm sie nur [/blue] trübe Konturen wahr. [strike]packte sie grob an[/strike].
"Packte sie grob an .." koennte etwas genauer beschrieben werden: stiess sie, zerrte sie am Arm ... so was in der Richtung vielleicht?
Ich wuerde auch nicht von der ich auf "man" oder "einen/m" wechseln.
Das Stueck hat mir sehr gut gefallen.
 
S

suzah

Gast
hallo margarete,
der text gefällt mir gut.

unklar ist: "sich an diesen gottverdammten Ketten anzuhalten."
"anzuhalten" - meinst du halten, festhalten oder dass die ketten sie anhalten, aufhalten (also nicht reflexiv).

warum am schluß englisch "burn the witch", hinweis auf england?

liebe grüße suzah
 

raggedy

Mitglied
suzah,

interessant. Ich bin auch ein bisschen an dem "anzuhalten" kleben geblieben, habe aber darin eine Anspielung auf "in der Entwicklung/Evolution/Geschichte" stehenbleiben, sich nicht weiterentwickeln gesehen, weil man sozusagen an Vergangenheit und Traditionen angekettet ist ... sich an unsinnige Rituale klammert.
"Burn the witch" habe ich spontan mit rap music verbunden, die ja trotz ihrer Zuordnung zur Neuzeit ein veraltetes Verhaeltnis zur Frau widerspiegelt. (witch, bitch, ho usw.)
 
liebe/-r raggedy,

Deine Reflexion bez. dem englischsprachigen Schluss - ich könnte es nicht besser ausdrücken, es soll auf das Verhältnis der modernen Gesellschaft zur Frau per se hinweisen, das durch die verrohte Industrie- und Informationsgeselleschaft heutzutage nur scheinbar unter ein objektives Augenmerk genommen wird.

Mit dem "anklammern" meinte ich speziell, dass es schwierig ist, selbst loszulassen. Es sind nicht immer fremde Kräfte, die einen niederdrücken, sondern auch die eigenen Zweifel und Ängste, die einen an das klammern lassen, was vertraut ist und als unveränderlich gilt. Selbst wenn man damit sein eigenes Schicksal besiegelt.

Danke für eure Rezeption, ich werde den Text entsprechend eurer Anmerkungen überarbeiten und mir eure inputs durch den Kopf gehen lassen.

Liebe Grüße,
Margarete
 



 
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