Die Hexe von Gegenüber

Muffin

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Die Hexe von Gegenüber

Irgend etwas musste schiefgelaufen sein, denn als Herr Schulze an diesem Abend nach Hause kam, redete seine Weinflasche mit ihm.
Eigendlich war er nur kurz drüben im Pub gewesen, aber als er zu Hause in den Kühlschrank sah, hatte sie ihn so angelacht, dass er sie rausnahm.
"Hallo, Herr Schulze," sagte sie mit seltsam wiederhallender Stimme.
Sie musste verhext sein.
"Trink mich, trink mich! Ich will leer sein."
Herr Schulze starrte die Flasche ungläubig an. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und stellte fest, dass die Flasche immernoch da war. Ein weinig später stellte er fest, dass er ja niemals an ihrer Existenz gezweifelt hatte, sondern nur an ihrer Fähigkeit zu sprechen.
Nicht ohne Mühe zog er ihr den Korken aus dem Hals und nahm einen Schluck.
"Ah, schon besser," sagte die Flasche.
Herr Schulze schloss erneut die Augen. Billiger Fusel.
Er schlurfte ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Er stieß auf.
"Du bist betrunken!" warf ihm die Flasche vor.
"Nein," bekam Herr Schulze gerade noch empört hervor.
Diese Flasche machte ihn langsam unruhig. Sie war bestimmt verhext. Von der Hexe von gegenüber. Eigendlich glaubte Herr Schulze gar nicht an solchen Unfug, aber diese Frau konnte nur eine Hexe sein. Sie wies alle erforderlichen Kriterien auf.
Sie hatte erstens eine krumme Nase und viele Kinder, manchmal nur vier, aber zu den Stosszeiten deutlich mehr, das schien Herrn Schulze ein deutliches Zeichen zu sein: Hexen umgaben sich immer mit vielen Kindern, das war sozusagen eine gefüllte Vorratskammer, wo doch alle wussten, dass Hexen Kinder fressen.
Zweitens kochte sie viel und es roch immer so komisch da, nach Schwefel. (In diesem Zusammenhang mag erwähnt werden, dass Herr Schulze nicht mal wusste, wie man Schwefen schreibt, aber jedermann wusste ja, dass Hexen mit Schwefel kochen). Außerden kochte sie über dem offenen Feuer (gut, es war ein Gaskocher, aber das klingt nicht so dramatisch).
Der Dritte Punkt war der beste Grund, warum sie eine Hexe war:
sie hatte seine Weinflasche verhext.
Die plauderte nämlich gerade lustig los. Was er denn so alles getrunken hätte, wollte sie wissen.
Herr Schulze brauchte einen Moment um die Worte in seinem Kopf zu sortieren, dann sagte er mit einer Überzeugung als würde er für diese Antwort den Nobelpreis gewinnen:
"Wein."
Er setzte die Fasche an seinen Hals und nahm einen kräftigen Schluck.
"Und?" stichelte die Flasche weiter.
Wieder dauerte es einen Moment, dann antwortete Herr Schulze:
"Bier." Er war sehr zufrieden mit sich selbst, denn "Bier" ist ein verdammt schweres Wort.
Aber kurz, man konnte es so richtig schön ausrülpsen. Herr Schulze lehnte sich zurück, bestrebt, das Wohnzimmer daran zu hintern ständig um ihn herum zu fahren. dabei konnte sich ja kein Mensch auf eine sprechende Weinflasche konzentrieren.
"Nun rücks schon raus, Du hast noch etwas getrunken," sagte die Weinflasche in kumpelhaften Ton.
Herr Schulze setzte an etwas zu sagen, aber noch vor dem Luftholen brach er ab. Er atmete ein paarmal tief durch, holte tief Luft und japste:
"Labsi..." Er schloss die Augen, nein, das wollte er nicht sagen. Die Zunge gehorchte nicht mehr seinen Befehlen, war wahrscheinlich auch verhext.
Verflucht!
Er holte noch mal Luft.
"Absi..."
Die Weinflasche wartete geduldig auf Herrn Schulzes nächsten Versuch. Herrn Schulze fiel auf, dass sie sich über ihn lusitig machte.
Das machte ihn wütend.
"Absiiiinnnnn ...T" lallte er und bei dem "T" stand er auf, wankte kurz und setzte sich wieder. Vorsicht ist die Mutter der Porzelankiste und die kennt Herr Schulze persönlich.
"Ach so," seufzte die Weinflasche. "Ich hab mich schon gewundert, warum ich so plötzlich sprechen kann. Aber bei dem Zeug wundert´s mich, dass ich kein kleiner, rosa Elefant bin."
Jetzt, wo sie das sagte, erschien es Herrn Schulze tatsächlich, als wäre sie ein wenig rosa und einen Rüsselansatz hatte sie auch.
"Ich würde vorschlagen, du gehst ins Bett und schläfst deinen Rausch aus! Morgen reden wir weiter, oder nicht," überlegte die Flasche laut. "Außerdem bin ich schon fast leer." Sie drehte das Gesicht nach innen und guckte in sich rein.
"Ein Schluck noch," stellte sie fest. Herr Schulze hob die Flasche auf und trank den letzten Schluck noch, dann erhob er sich um tatsächlich ins Bett zu gehen. Aber das stellte sich als gar nicht so einfach heraus. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen. Er taumelte ein paar Schritte und wollte sich dann am Türrahmen festhalten, Doch der sprang ihm einfach aus dem Weg, sodass Herr Schulze fast böse gestürzt wäre, wenn die kleine Kommode mit den Telefon nicht einen Schritt nach links gemacht hätte um ihn zu retten. Diese Hexe hatte wohl die ganze Wohnung verhext.
Ihm wurde schlecht.
Verdammter Wein.
 



 
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