Die Höllenfahrt des Michael P.

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Rebecca

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Anmerkung:
Die Geschichte entstand nach zwei Bildern, zu denen mir dieses einfiel.

Die Ausstellung war gut besucht. Die Gäste traten sich fast auf die Füße, als sie von einem Bild zum anderen gingen. Michael stand etwas abseits. Er betrachtete das Ganze aus sicherer Entfernung. Er war zufrieden damit, wie sich die Dinge entwickelt hatten. Alles verlief nach seinem Geschmack. Sein neuer Agent hatte das Ereignis gut vorbereitet und alle wichtigen Kritiker waren anwesend. Immer wenn jemand den Künstler im Gewirr entdeckte, fragte man Michael, was seine Inspiration war. Dann lächelte er nur und meinte, das sei sein Geheimnis.
Er hätte den Menschen kaum erzählen können, dass der Teufel persönlich ihm dabei geholfen hatte. Claudia kam zu ihm. Sie hielt zwei Gläser mit Champagner in den Händen. Ihre Augen funkelten voll Liebe und Stolz. Sie trug dieses umwerfende Kleid, das sie zusammen in Rom gekauft hatten, als er den ersten Scheck bekam. Sie sah fantastisch darin aus. Ob ihr auffiel, dass ihr Busen besonders schön zur Geltung kam, fragte er sich. Als sie ihn erreicht hatte fragte sie: „Gefällt es dir, Schatz?“
„Wie könnte es mir nicht gefallen. Endlich habe ich den Durchbruch geschafft. Sie lieben meine Kunst. Das ist doch großartig.“
„Ja, das ist es. Für welche Galerie hast du dich entschieden?“
„Für noch keine. Ich warte den Abend erst einmal ab. Dann werden wir weitersehen.“
Große Pläne hatte er nicht. Sein Agent sprach davon, dass er im Gespräch bleiben müsse. Deswegen waren die Reporter dort. Sie sollten über den neuen Stern am Künstlerhimmel berichten. Die meisten davon waren von der ungeliebten Klatschpresse. Aber das störte Michael nicht. Er hatte ein gutes Gefühl dabei.
Vor ein paar Monaten war er noch der brotlose Künstler, der seinen Kühlschrank nicht füllen konnte. Jetzt trank er Champagner. Wie gut dieses Gefühl war. Er sonnte sich in seinem Erfolg und war sehr zufrieden mit den Dingen. Die Gäste bewunderten ihn und aßen dabei ihre Häppchen. Es war wunderbar. Besser als er es sich je erträumt hatte. Plötzlich sah er ihn in der Menge. Was wollte der hier? Er hatte dort nichts zu suchen. Michael wurde nervös. Er hatte den Mann im schwarzen Anzug lange nicht mehr gesehen. Er wollte ihn auch nicht mehr sehen. Die Zusammenarbeit war beendet. Michael ging auf den Mann mit der roten Nelke im Knopfloch zu. Der stand vor einem Bild und lächelte. Dann drehte er sich zu Michael um und meinte:
„Wie gut du es getroffen hast. Die Farben gefallen mir am besten. Es wirkt so lebendig.“
„Was wollen Sie hier?“ fragte Michael verärgert.
„Sehen, wie unsere Bilder beim Publikum ankommen. Schließlich war ich nicht ganz unbeteiligt.“
„Gut. Dann können Sie ja gleich wieder verschwinden!“
„Warum so verärgert? Ich bin nur ein Gast wie jeder andere auch. Ich werde unser Geheimnis schon nicht verraten. Das erlaubt mir meine Berufsehre gar nicht. Also genieß deinen Erfolg!“
Der Mann im schwarzen Anzug drehte sich um und ging. Michael beruhigte sich langsam wieder. Das war erledigt. Er war keine Gefahr, sie hatten schließlich einen Vertrag.
Als die Party zu Ende war, fuhren Michael und Claudia im neuen Sportwagen nach Hause zurück. Claudia musste ihren Verlobten ins Bett bringen, weil Michael völlig betrunken war. Als er so schlafend vor ihr lag, kamen ihr Zweifel. Diesen Mann sollte sie nun in ein paar Tagen heiraten? Früher war Michael liebevoll und respektierte sie. Jetzt war er egoistisch und rücksichtslos geworden. Er hatte sie aus seinen Leben ausgeschlossen. Mittlerweile war sie für ihn nur noch Mittel zum Zweck. Claudia wusste nicht, ob sie mit dieser Veränderung leben wollte. Aber sie liebten ihn zu sehr, um noch einen Rückzieher zu machen. Außerdem hatte sie immer noch Hoffnung, er würde wieder wie früher werden.
Michael hatte am nächsten Morgen Kopfschmerzen und raffte sich erst spät auf. Claudia war einkaufen. Er setzte sich an den Esstisch und las die Zeitung. Er überflog die Nachrichten und gelangte schnell zum wichtigen Teil, die Kritiken. Und diese waren ausgesprochen gut. Jeder lobte ihn. Er wurde als eine Art neuer Picasso gefeiert. Michael hätte vor Freude hochspringen können, wären nicht diese höllischen Kopfschmerzen gewesen.
Nun konnte er der Presse auch von der bevorstehenden Hochzeit erzählen. Das gäbe eine hervorragende Schlagzeile, die er gut gebrauchen konnte, wenn er im Gespräch bleiben wollte. Natürlich würde Claudia das nicht gut finden, aber das störte ihn nicht. Schließlich profitierte auch sie von dem Erfolg.
Zufrieden setzte er sich in seinen Sessel und rauchte eine Zigarre. So etwas hatte er früher nie getan. Aber da hatte er auch noch nicht das Geld für eine gute Zigarre. Jetzt konnte er sich fast alles leisten. Unwillkürlich musste er sich an den Tag erinnern, als alles anfing. Das war drei Monate her.

„Bringst du nachher den Müll hinaus?“ rief sie durch die Wohnung. Sie musste zur Arbeit. Michael war zu Hause. Er hatte seinen Aushilfsjob in der Papierfabrik verloren. Wieder mehr Zeit zum Malen, dachte er.
„Klar, das mache ich“, brüllte er zurück. Claudia verabschiedete sich und war verschwunden.
Er hatte nur noch das Knallen der Haustür wahrgenommen. Sie hatte es mal wieder sehr eilig.
Der Fernseher war sein treuer Begleiter in dieser Zeit. Er war immer für ihn da. Und wenn er an war, fühlte sich Michael nicht so allein in der Wohnung. Gegen Mittag brachte er den Müll nach unten in den Hof, wo die Mülltonnen standen. Es stank im ganzen Hof nach Abfall.
Die Wohnung lag in einem nicht gerade feinen Viertel der Stadt. Hier war die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Ein Betrunkener rempelte Michael auf dem Weg zu den Tonnen an.
„Verflucht sei dieser beschissene Kapitalismus“, murmelte der nur.
Michael öffnete den Abfallbehälter und warf seine Tüte hinein. Der Betrunkene war auf dem Rasen zusammengebrochen.
„Hey, geht es Ihnen gut?“ fragte Michael besorgt.
„Lass mich, mir könnte es nicht besser gehen.“
Michael ging. Wenn der Mann keine Hilfe wollte, dann drängte Michael ihm auch keine auf.
Er überquerte den trostlosen Hof und begab sich zurück in seine Wohnung. Dort stellte er seine Staffelei auf und begann zu Malen. Ihm fiel auch ein gutes Motiv ein, aber die Inspiration kam trotzdem nicht richtig. Dann hörte er eine Sirene. Es war ein Krankenwagen, der in den Hof fuhr. Michael schaute neugierig aus dem Fenster.
Er sah zwei Sanitäter und den Notarzt, die sich über den Betrunkenen beugten, der Michaels Hilfe abgewiesen hatte. Sie spritzen ihn etwas und versuchten es mit Wiederbelebung, doch es war bereits zu spät. Der Mann war tot. Bald darauf kam der Leichenwagen und die Bestatter hoben den toten Körper in einen Zinksarg.
„Er wollte ja keine Hilfe“, sagte Michael etwas lauter zu sich selbst.
Er ging die Treppen hinunter, um zu sehen, wie der Tote weggefahren wurde. Unten im Hof war es still geworden. Die Sanitäter räumten ihre Sachen zusammen und verließen den Hinterhof schweigend. Der Leichenwagen setzte sich in Bewegung und verschwand.
Dann kam ein Mann im schwarzen Anzug auf ihn zu. Michael dachte, er sei einer der Bestatter. Der Mann stellte sich zu Michael und zündete eine Zigarre an.
„Jeder hat sein eignes Schicksal zu erfüllen. Sein Weg ist schon lange vorherbestimmt gewesen“, sagte der Mann und zog an der Zigarre.
„Dann hatte er aber ein sehr trauriges Schicksal.“
„Ja, nicht jeder ist zum König geboren, mein Freund.“
Michael sah ihn an. Der Mann lächelte nur. Sein Lächeln war kalt. Der Mann kam ihm seltsam vor. Was machte er überhaupt dort? Er gehörte da gar nicht hin mit seinem feinen Anzug und der teuren Zigarre. Was wollte der?
„Ich will sehen, ob man aus einem Bettler nicht doch einen König machen kann“, meinte der Mann, als hätte er Michaels Gedanken gelesen. Michael erschrak.
„Was.....ich verstehe nicht“
„Nein, das könnt ihr Menschen auch nicht. Nun ich schlage dir ein Geschäft vor. Ich verkaufe dir ein neues Leben.“
„Ah, ein Handelsvertreter. Nein, wir brauchen wirklich keinen neuen Staubsauger oder so. Wir sind gut ausgestattet.“
Der Mann lachte. Sein Lachen klang unnatürlich. Michael war verunsichert. Was wollte dieser Mann bloß von ihm?
„Du musst mir schon etwas mehr vertrauen. Du bist doch Maler, oder?“
„Woher wissen Sie das?“
„Es ist mein Job, alles zu wissen. Deine Inspiration fehlt dir in letzter Zeit. Du bekommst es einfach nicht hin. Ich möchte dir helfen. Aber natürlich ist das nicht ganz umsonst, versteht sich.“
Michael traute dem nicht. Er meinte nur: „Ich habe nichts, was Sie interessieren könnte.“
„Oh doch, das hast du. Jeder Mensch hat etwas zu verkaufen. Und ich sammle Seelen. Gute, reine Seelen. So eine Seele ist viel mehr wert als alles anderen. Du hast eine solche für mich.“
Das kam Michael nun wirklich seltsam vor. Er wollte sich das nicht länger anhören und drehte sich um. Er ging zurück in seine Wohnung. Doch da stand der Mann plötzlich wieder vor ihm. Es war Michael ein Rätsel wie er so schnell in die Wohnung kommen konnte und wie er hineingekommen war. Der Mann lachte nur und meinte, er hätte nun einmal die Macht dazu. Michael hatte Angst bekommen. Schreckliche Angst. Er zitterte. Wer oder was war dieser Mann?
„Ich bin nichts weiter als ein Geschäftsmann. Du möchtest erfolgreich sein. Das möchte jeder. Ich kann es dir ermöglichen. Aber erst einmal müssen diese scheußlichen Versuche weg“, sagte der Mann und zeigte auf Michaels Bilder. Dann standen die Leinwände plötzlich in Flammen. Michael schrie auf. Es brannte. Mein Gott, wie konnte er das tun? Michael wollte die Feuerwehr rufen, doch das Feuer verbrannte lediglich die Bilder.
„Du brauchst neue Utensilien. Hier!“ sprach der Mann und dann lagen neue Pinsel, Farben und Leinwände vor Michael. Dieser war sehr durcheinander. Er begriff nicht, was dort passierte. Der Mann mit dem schwarzen Anzug lachte nur. Dann reichte er Michael den Pinsel und forderte ihn auf, etwas zu malen. Michael tat es. Ihm war, als würde ihn eine unbekannte Macht durchströmen. Vor seinem geistigen Auge erschienen sagenhafte Gebilde und Formen. Er malte wie besessen. Und das war er auch. Er malte das erste Bild mit einer nie erlebten Leidenschaft. Völlig erschöpft ließ er sich zu Boden fallen. Es war fertig.
Der geheimnisvolle Mann lächelte zufrieden. Dann half er Michael hoch und erklärte:
„Ich werde die nächsten drei Monate zu dir kommen und dir helfen. Danach wird eine Galerie hier anrufen und die Bilder sehen wollen. Du musst sie ihnen zeigen. Alles andere läuft von allein. Als Gegenleistung verlange ich das Kostbarste, das du besitzt.“
Michael war in einen Rausch verfallen. Wie ein Drogensüchtiger brauchte er dieses Gefühl, das er beim Malen verspürt hatte. Ohne weiter nachzudenken stimmte er zu. Der Mann holte aus dem Nichts einen Vertrag hervor und reichte ihn Michael.
„Unterschreibe das hier! Dann wirst du sehr erfolgreich werden“, meinte er zu Michael.
Michael unterschrieb. Und die nächsten drei Monate verliefen wie in Trance. Michael sperrte sich für Stunden in sein Malzimmer ein und malte mit Hilfe des Mannes im schwarzen Anzug wie im Rausch. Claudia hatte ihn in dieser Zeit kaum gesehen.
Später rief dann tatsächlich die Galerie an und wollte die Bilder sehen. Sie gefielen ihnen so gut, dass Michael gleich unter Vertrag genommen wurde. Er hatte es geschafft.

Es war viel Zeit seitdem vergangen. Michael stand nun kurz vor der Hochzeit mit Claudia. Seine Handflächen schwitzten, als er auf sie vor dem Altar wartete. Die Hochzeit war ein Medienereignis geworden. Die Sender drängten sich vor der Kirche.
Dann kam sie und sie war wunderschön. Sie trug ein langes weißes Brautkleid, in dem sie wie ein Engel aussah. Michael hatte nur Augen für seine schöne Braut. Er hörte dem Pfarrer gar nicht richtig zu und verpasste fast das Ja-Wort. Doch dann waren sie Mann und Frau. Das fühlte sich gut an. Michael war voller Glück. Claudia war von dem Rummel nicht sonderlich begeistert. Doch der Tag war zu schön, um sich über die Presse zu ärgern. Im Auto dann waren sie und Michael endlich allein. Sie saßen auf der Rückbank und hielten sich an den Händen.
„Bist du glücklich?“ fragte Claudia.
„Ja, unendlich“, antwortete Michael.
Dann geschah es. Der Fahrer hatte den Kleinbus nicht gesehen. Der Zusammenstoß war unvermeidbar gewesen. Das Blech krachte. Es ging alles sehr schnell. Der Kleinbus war in die Beifahrerseite gefahren. Michael hatte sich den Kopf an der Scheibe gestoßen. Der Fahrer kam wieder zu sich und stöhnte leise. Der Airbag hatte ihn vor schlimmeren Verletzungen bewahrt. Dann blickte Michael zu seiner Frau rüber.
„NEIN!!!!“ schrie er entsetzt.
Das weiße Brautkleid war über und über mit Blut verschmiert. Sie sah ihn an. Aber ihre Augen leuchtenden nicht mehr. Ihr Kopf hing seltsam verdreht zur Seite. Sie war tot. Der Schmerz durchdrang Michaels Körper.
Der Krankenwagen brachte ihn ins Krankenhaus. Körperlich ging es ihm gut, er wurde in der selben Nacht noch entlassen. Doch die Wohnung war leer. Ihr Lachen war verschwunden.
Nur ihre Sachen lagen noch überall herum, als würden sie auf ihre Rückkehr warten. Er nahm sich einen Pullover und roch daran. Es roch nach ihr. Dieser Geruch war das Einzige, was ihm jetzt noch geblieben war. Er wollte niemanden sprechen. Vergrub sich in seinem Schmerz.
Dann kam der Tag der Beerdigung. Es regnete. Michael stand vor dem offenen Grab und wünschte sich, dass er dort läge. Alle waren sehr traurig und versuchten Worte des Trostes zu finden, aber Michael war nicht zu trösten. Er hatte das Kostbarste verloren, was er besaß.
Alle anderen waren bereits gegangen. Michael stand immer noch vor dem Grab. Da kam ein Mann im schwarzen Anzug mit Zigarre auf ihn zu.
„SIE!“ schrie Michael wütend. Er wollte auf ihn einschlagen. Ihn töten. So wie er sie getötet hatte.
„So sind nun einmal die Spielregeln. Da kann ich nichts machen. Du wusstest, dass du dich mit dem Teufel eingelassen hattest“, antwortete der Mann ruhig. Es war das erste Mal, dass Michael hörte, wer dieser geheimnisvolle Mann wirklich war. Ja, er war der Teufel.
„Warum?“ wollte Michael wissen.
„Weil ihre Seele rein war. Es ist viel einfacher eine dunkle Seele zu rauben, als die eines reinen Menschen. Deine eigene Seele ist bereits verschmutzt. Aber dafür hast du mir ihre ausgeliefert. Ich habe einen gültigen Vertrag darüber.“
„Davon wusste ich nichts!“
„Ach ja? Du hast unterschrieben. Und ich sagte dir noch, dass ich dir das Kostbarste nehmen würde, was du besitzt. Es war nun einmal deine Liebe zu ihr. Ich konnte nicht widerstehen. Es war zu einfach.“
„Teufel! Scharlatan!“
„Endlich hast du es bemerkt! Man sagt, ich sei der Vater der Lügen. Aber ich habe dich nicht belogen. Ich gab dir nur, was du dir gewünscht hast. Natürlich ist das nie umsonst. Man muss immer einen Preis bezahlen. Das sollte dir klar sein.“
Dann drehte sich der Teufel um und wollte verschwinden. Doch Michael schrie hinter ihm her: „ Warte! Ich möchte mit ihr tauschen. Nimm mich!“
„Dafür ist es eigentlich etwas spät. Sie ist bereits bei mir. Aber vielleicht...ein Spiel. Ich bringe dich zu ihr. Wenn es dir gelingt, sie zum Ausgang zu bringen, dann kann einer von euch zurückkehren. Der andere bleibt bei mir!“
„Einverstanden“, rief Michael.
„Gut, dann folge mir!“
Kaum hatte der Mann dies gesagt, standen beide schon vor einem riesigen Tor aus schwarzen Stein. Alles um sie herum war schwarz und absolut leer. Michael war schrecklich kalt. Das Tor war mit Fratzen verziert. Hässlichen Fratzen. Die Griffe waren aus Knochen. Wahrscheinlich menschlichen Knochen. Michael hatte Angst. Er kam sich vor, als sei er in einem alten Horrorfilm gelandet. War das wirklich real?
Der Mann an seiner Seite war nicht Boris Karloff und auch sonst schien alles sehr wirklich zu sein. Als ihn die kalte Hand seines Begleiters anfasste, wusste Michael, dass es sehr real war. Es war kein Traum. Das Tor öffnete sich und sie gingen durch. Eine sehr bizarre Landschaft verbarg sich dahinter. Sie standen auf einer Klippe. Unter ihnen floss ein glühender Lavastrom. Es war heiß, unerträglich heiß. Ein schmaler Weg führte auf der Klippe entlang.
„Ab hier musst du allein weiter! Folge immer dem Weg, dann wirst du sie finden. Viel Glück!“ meinte der Teufel und verließ Michael. Das Tor wurde wieder geschlossen. Jetzt war Michael völlig allein in dieser unheimlichen Welt. Er zog sich seine Jacke aus und knöpfte das Hemd auf, denn ihm war heiß. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dem schmalen Weg an der Klippe vorbei zu folgen. Ein paar Mal wäre er fast hinabgestürzt, doch sein Wille war stark. Er hatte die Klippen überwunden. Der Schweiß rann Michaels Stirn runter. Jeder Schritt war eine Qual. Doch er musste weiter. Der Weg führte an steilen Felsabhängen vorbei immer weiter ins Reich der Toten. Er hörte immer wieder entsetzliche Schreie. Gequälte Seelen schrieen vor Schmerz. Michael versuchte, es zu ignorieren, und setzte seinen Weg fort.
Dann kam er zu einem Felsvorsprung und traute seinen Augen kaum. Vor ihm war ein Baum, der völlig aus Leibern bestand. Menschlichen Leibern, die ineinander verwachsen waren. Die Schreie kamen aus den Mündern. Schreie, die durch seinen Körper fuhren wie Nadelstiche. Er ging daran vorbei und eilte weiter. Doch der Weg teilte sich. Wohin sollte er gehen?
Er wählte den Weg durch den Tunnel auf der rechten Seite. Ein riesiger Drachenkopf blickte auf ihn herab. Seltsame Vögel kreisten über seinen Kopf. Er zitterte vor Angst. Und trotzdem trieb es ihn immer weiter. Viele Abzweigungen endeten im Nichts. Und wieder kam er an Brückenpfeilern aus menschlichen Körpern vorbei. Ja, sogar der Weg war manchmal mit ihnen gepflastert. Das ließ Michael fürchterlich erschrecken. Ihm war, als würde er bereits Stunden dort unten herumirren. Immer wieder hörte er diese Schreie. Die nicht verstummen konnten. Ein Kopf drehte sich zu ihm um und rief:“ Hilf uns!“
Nein, er konnte ihnen nicht helfen. Er musste Claudia finden. Nur das war wichtig. Michael ging weiter und erreichte einen Turm. Er betrat ihn und folgte den Stufen hinauf in die Spitze.
Dort saßen drei Frauen mit dem Rücken zu ihm. Alle glichen sich bis aufs Haar.
Plötzlich bewegte sich eine der Fratzen an der Wand.
„Ein Lebender!“, schrie sie schrill. „Was willst du hier?“
„Ich suche jemanden, meine Frau.“
„Du hast sie gefunden. Eine von ihnen ist die deine. Findest du die Richtige dürft ihr gehen. Erwischt du jedoch die Falsche, wirst du ein Plasterstein mehr sein“, antwortete die Fratze und lachte höhnisch.
Michael fasste der ersten an die Schulter. Sie drehte sich um. Die Frau glich Claudia bis ins kleinste Detail. Aber ihre Augen waren nicht die richtigen. Er drehte die zweite um. Auch sie hatte die falschen Augen. Die dritte Frau sah ihn verwirrt an. Ihre Augen strahlten und waren wie zwei Diamanten.
„Claudia, du bist es!“ rief Michael voll Freude. Doch sie erkannte ihn nicht. Sie starrte nur ins Leere. Dann half Michael ihr hoch und führte sie aus dem Turm. Plötzlich schrie Claudia verzweifelt und entsetzt:“ Es ist noch dort drinnen. Ich kann nicht ohne mein Kind gehen!“
Michael erschrak. Was hatte sie da gerade gesagt? Ihr Kind? Es schoss ihm wie eine Kugel durch den Kopf. Sie war schwanger gewesen. Er beruhigte sie und führte sie den ganzen Weg zurück zum Ausgang. Dort wartete der Mann im schwarzen Anzug auf ihn.
„Du hast sie tatsächlich gefunden. Gut gemacht! Aber nun kann nur einer von euch mit mir kommen“, sagte er.
„Nehmen Sie sie mit. Sie soll leben und unser Kind zur Welt bringen“, antwortete Michael.
„So soll es sein!“
Bevor der Mann verschwand, fragte Michael ihn noch:“ Ist das die Hölle?“
„Es ist das, was du für die Hölle hältst, nicht mehr und nicht weniger.“
Dann waren sie verschwunden. Das Tor schloss sich und Michael war allein.

„Bist du glücklich?“ fragte Claudia, als sie hinten im Wagen saßen.
„Ja, unendlich.“
Dann geschah es. Der Fahrer hatte den Kleinbus nicht gesehen. Der Zusammenstoß war unvermeidbar gewesen. Das Blech krachte. Der Kleinbus hatte den Mercedes von links gerammt. Der Fahrer war eingeklemmt und blutete. Claudia blieb unverletzt bis auf ein paar Prellungen im Gesicht. Dann sah sie zu Michael hinüber. Er blickte sie an, doch sein Blick war leer. Sein Kopf hing verdreht zur Seite. Er hatte sich das Genick gebrochen und war sofort tot. Doch in seinem Gesicht konnte man den Ausdruck von Zufriedenheit erkennen. Seine Lippen bildeten ein leichtes Lächeln. Er hatten den Lauf der Dinge geändert.

Regelmäßig besuchte seine Frau sein Grab zusammen mit ihrer Tochter. Sie legten Blumen nieder. Und manchmal glaubte Claudia, sie könne seine Stimme im Wind hören.
 
Hallo Rebecca,
schön jemanden zu lesen, der Geschichten erzählen will.
Man merkt ziemlich gut, daß du versucht hast, der Geschichte entgegen zu gehen.
Bei deinem Schreibstil hab ich glaub ich nicht viel zu sagen. Er scheint mir einfach, klar und geeignet um eine gute Geschichte zu erzählen.

Bevor ich noch was sage, hattest du schon mal das Gefühl bei einer Idee für eine Geschichte, daß du es unmöglich in einer Kurzgeschichte erzählen kannst? Also ich habe dieses Gefühl oft und bei deiner Geschichte habe ich es ebenfalls.
Der erste Teil, das ist eine Kurzgeschichte. Daß es einen Maler gibt, der einen Vertrag mit dem Teufel abschließt, der Teufel ihn betrügt und er als Verlierer zurückbleibt. Ich weiß nicht, ob dir aufgefallen ist, daß diese Ausarbeitung nichts Weltbewegendes war. Die Idee war noch zu einfach gestrickt. Dann setzt du den zweiten Teil hinzu, als wolltest du dieses Manko ausgleichen. Allerdings ist dieser zweite Teil viel zu monumental, um ihn in eine Kurzgeschichte zu zwängen. Du behältst zwar deinen Erzählstil bei, der bei der ersten Geschichte noch funktionierte, aber im Angsicht einer fast sagenhaften Geschichte, die ihre Ursprünge in der griechischen Sagenwelt, wenn nicht noch früher findet, wird er dem zweiten Teil völlig ungerecht.

Ich würde sagen, du solltest den ersten Teil für sich stehen lassen und ihm die oberflächliche Vertragsgeschichte entziehen. Oder du intesivierst die Charakterbeschreibungen und läßt dem Leser mehr Zeit, den Maler und seine Gefühle kennen zu lernen, damit sein Verlust am Ende verständlicher wird.

Beim zweiten Teil würd ich sagen bedarf es wesentlich mehr. Die Charaktere müssten wesentlich tiefer gehen - der Teufel, die Hölle, das sind fast schon philosophische Bilder, die ihrer ursprünglichen "Größe"(auch religiös) gerecht werden müssen. Sonst verkommen sie zu einer MickeyMousePausenVorstellung von Walt Disney.

Kurzes Fazit: Ich würde die Schwangerschaft in den ersten Teil nehmen und anhand "dieser" Monumentalität die Gefühle zwischen dem Maler und seiner Freundin mehr herausarbeiten. Geburt, Sex und Gefühle tragen ein größeres Potential, wenn ich mal an Rosmaries Baby etc. denken darf.
Hier liegt eigentlich das Interessante an der Geschichte: Was hat der Vertrag für einen EInfluss auf die beiden Liebenden? Schließlich soll zum Schluss klar werden, daß es darum ging, dem Maler das zu nehmen, was er liebte.
Sein Verlust wird am Ende viel grauenvoller empfunden, wenn du es schaffst, seine Liebe und seine immer kälter werdende Seele darzustellen.

Lange Kritik, aber ich glaube, deine Geschichte "will" auch länger sein.

Gruss Marcus
 

think twice

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Hallo Rebecca,

Irgendwie transportiert deine Geschichte für mich zu wenig an Gefühl. Die vielen kurzen (teils abgehackten) Sätze verhindern einfach, dass ich mit dieser Person "Michael" mitfühen kann. Vieles in deiner Geschichte klingt einfach viel zu sehr nach einer neutralen Beschreibung - was zwar grundsätzlich nicht schlecht ist, aber meiner Meinung nach nicht zu dieser Geschichte passt.

Obwohl es diese Geschichte schon in den verschiedensten Variationen gegeben hat, könnte sie wirklich gut sein, aber dafür müsste ich mit der Hauptfigur mitfühlen und mitleiden können und das ist hier (für mich jedenfalls) einfach nicht der Fall.

Liebe Grüße
think twice

PS: Absolut unpassend finde ich folgenden Satz. "Er hörte dem Pfarrer gar nicht richtig zu und verpasste fast das Ja-Wort." - Klingt zwar witzig, passt aber nicht, da der Rest der Geschichte keine solche aufheiternden Passagen enthält.
 



 
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