Die Information

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Amadis

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Srert war ein Anorganischer – und er war ein Flüchtling. Der große Feind verfolgte ihn schon sein halbes Leben lang. Genauer gesagt, seit er in den Besitz der Information gekommen war – der Information, die den schon seit Ewigkeiten andauernden Krieg der Anorganischen gegen den großen Feind entscheiden konnte.

Srert hatte alle Tricks angewandt, die er kannte. Er sprang von Sterneninsel zu Sterneninsel, versteckte sich in den Abgründen, die sich zwischen den Sternenballungen auftaten, einmal sogar hinter dem Ereignishorizont eines Materiestrudels, was ihn fast vernichtet hatte. Allein, es war ihm nicht gelungen, die Jäger abzuschütteln.

Die Anorganischen existierten schon seit einigen Dutzend Generationen, seit dem großen Ereignis, das der Ursprung für Raum und Materie gewesen war. Bereits kurze Zeit später – gemessen an der Lebensspanne der Anorganischen – hatte der Ewige Krieg gegen den großen Feind begonnen. Der Grund war nicht mehr bekannt. In der Zeit seit dem Ereignis hatten sich die Sterneninseln gebildet und in ihnen Materiezusammenballungen, die eine Vielfalt von Formen angenommen hatten: da gab es glühende Gaskugeln, von kleineren Körpern unterschiedlicher Konsistenz umkreist, nebelartige Ballungen geringerer Dichte und vieles andere. Riesige Materiestrudel hatten begonnen, jede Art von Materie anzusaugen und auf diese Art Sterneninseln gebildet, die langsam in den Strudeln verschwanden.

Und zwischen all diesen Ereignissen flüchtete Srert vor seinen Häschern, um die Information vor ihnen zu schützen. So nahe wie jetzt waren sie ihm nie gewesen. Srert war müde, sehr müde sogar – und alt. Er war sich darüber im Klaren, dass seine Flucht bald beendet sein würde. Er musste eine Möglichkeit finden, die Information zu verstecken und gleichzeitig seinem Volk mitzuteilen, wo sie zu finden war.

Wieder einmal durchstreifte Srert den Leerraum zwischen zwei Sterneninseln. Er schaute voraus auf die leuchtende Insel, auf die er sich zu bewegte. Es war keine besondere Insel, weder besonders groß, noch besonders hell oder besonders massereich. Aber es war seine letzte Zuflucht, der Ort, wo er die Information verstecken würde, verstecken musste!

Dort! Einer dieser glühenden Gasbälle, der mit der Zeit eine Reihe anderer Materieballungen um sich versammelt hatte, die jetzt um ihn kreisten. Srert untersuchte mit seinen ausgeprägten Sinnen die erkalteten Kugeln und überlegte sich gleichzeitig, wie er die Information am besten verstecken konnte. Neun kugelförmige Materieballungen umkreisten den Gasball in unterschiedlichen Entfernungen. Die Gedanken des Anorganischen rasten.

Plötzlich erinnerte er sich an ein Experiment, das ein Wissenschaftler seines Volkes vor einiger Zeit durchgeführt hatte. Kein sehr wichtiges Experiment, aber es hatte Srerts Interesse geweckt. Er überlegte eine Weile. Das war die Lösung! Srert machte sich sofort an die Arbeit.

Er kodierte die Information in einen organischen Baustein, dem er durch die Zufügung von verschiedenen Grundstoffen die Fähigkeit verlieh, sich fortzupflanzen. Der Wissenschaftler – Srert erinnerte sich nicht an seinen Namen – hatte diese Experimente als „Organische“ bezeichnet. Sie waren zwar kein echtes Leben, wie die Anorganischen, konnten aber trotz ihrer extrem kurzen Lebensdauer durch die Fähigkeit, sich zu vermehren und immer wieder neue Generationen und andere Formen hervor zu bringen, Informationen über eine lange Zeit bewahren und transportieren. Srert musste nur noch dafür sorgen, dass jede neue Generation und jeder durch Einflüsse der Umgebung entstehende Mutant die Information enthielt. Srert war nicht wenig stolz, dass ihm diese geniale Idee gekommen war. Er wählte den dritten Kugelkörper, der den Gasball umkreiste, als Versteck für die Information aus. Die „Organischen“ wurden in der Flüssigkeit, die einen Großteil der Kugeloberfläche bedeckte, ausgesetzt. Ihre Anzahl war ausreichend, um ein Überdauern der Information zu gewährleisten, aber klein genug, dem Feind nicht aufzufallen.

Erleichtert verließ der Anorganische die Oberfläche der Kugel. Sie erwarteten ihn schon. Die Anzahl der Feinde war so groß, dass ein Entkommen dieses Mal nicht möglich war. Srert wollte auch nicht mehr entkommen, dafür war er zu müde, zu alt. Sie forderten ihn zur Herausgabe der Information auf, aber dazu war Srert nicht bereit. Er strahlte einen letzten Impuls aus, um seinen Aufenthaltsort mitzuteilen und steuerte auf den glühenden Gasball zu. Mit dem Gedanken, seinem Volk die Möglichkeit zum Sieg hinterlassen zu haben, verging er im ewigen Feuer.

*​

Frart suchte schon lange. Der Krieg gegen den großen Feind stand schlecht und die Information des Srert zu finden, war die letzte Hoffnung der Anorganischen. Der legendäre Srert hatte sich aus dieser Sterneninsel zuletzt gemeldet und die Anorganischen waren überzeugt, dass er irgendwo in dieser unbedeutenden Zusammenballung von Energie die Information versteckt hatte. Niemand wusste, ob die Information noch existierte. In die Hände des Feindes war sie wohl nicht gefallen, denn sonst wäre der Krieg bereits beendet gewesen.

Ganz am Rande der Sterneninsel war Frert gewesen, als er seinen letzten Impuls abstrahlte. Allerdings hatte er nicht mitgeteilt, wie und wo er die Information versteckt hatte, sondern lediglich seinen Standort übermittelt.

Frart sondierte einen weiteren Gasball, der insgesamt neun Trabanten hatte. Er maß die Strahlungswerte der leuchtenden Kugel an – und stutzte! Da waren Werte, die er in dieser Form noch nicht gesehen hatte. Der Anorganische erkannte Elemente, die in keinem der bisher untersuchten Gasbälle vorgekommen waren, Elemente, die im Körper eines Anorganischen vorkamen! Weitere Untersuchungen erhärteten seinen Verdacht: in diesem Gasball war ein Anorganischer vergangen! Aus der Restmenge von schweren Elementen konnte Frart errechnen, wie lange das Ende des Anorganischen zurück lag, zwar nicht genau, aber genau genug. Er war jetzt fast sicher: in diesem Gasball hatte der berühmte Srert sein Ende gefunden!

Er begann mit der Untersuchung der erkalteten Trabanten. Zu seiner Überraschung entdeckte er auf dem dritten Trabanten eine Population von Organischen! Er hatte noch nicht viel mit Organischen zu tun gehabt, denn sie waren eine Seltenheit. Frart befragte die Analyseeinheit nach Informationen über Organische. Die Bibliotheken enthielten nicht sehr viele Informationen. Es hatte einmal Experimente mit Organischen gegeben, aber der Krieg hatte dafür gesorgt, dass derartige Nebensächlichkeiten nicht weiter verfolgt wurden. Frart wusste, dass das Entstehen einer derart umfangreichen Population von Organischen auf natürlichem Wege unmöglich war. Es musste jemand nachgeholfen haben und dieser jemand war mit einiger Sicherheit derjenige Anorganische gewesen, der sein Ende im zentralen Gasball des kleinen Systems gefunden hatte: Srert, der Legendäre!

Frarts Gedanken rasten. Welchen Grund sollte Srert gehabt haben, gejagt von einer Unzahl von Feinden, in die Enge gedrängt und verzweifelt, eine Population von Organischen zu erschaffen?

Es kam nur eine Antwort in Frage: irgendwo auf dem dritten Kugelkörper war die Information versteckt!

Frart näherte sich dem Körper und untersuchte ihn eingehend. Die Organischen hatten sich, wie es ihre Art war, in der relativ kurzen Zeit von sechs Generationen unglaublich vermehrt und eine Artenvielfalt entwickelt, die sogar Srert erstaunte. Es hatte bisher kein derart ausgedehntes Experiment mit Organischen gegeben und so betrat der Anorganische Neuland.

Er entdeckte, dass sich sogar eine Art von Organischen entwickelte hatte, die über eine primitive Technologie verfügte! Er machte Aufzeichnungen, um sie später den Wissenschaftlern seines Volkes zu übergeben. Dass Organische dazu in der Lage waren, ein gewisses Maß an Intelligenz zu entwickeln, war vollkommen neu. Diese Organischen hatten sogar begonnen, den Gasmantel ihrer Kugel zu verlassen. Was sie sich davon versprachen, konnte sich Frart allerdings nicht erklären und es interessierte ihn eigentlich auch nicht. Sein Interesse galt der Information. Wie und wo hatte Srert sie versteckt?

Sie einfach auf dem Kugelkörper abzulegen wäre zu leicht, zu riskant gewesen. In diesem Fall hätte Srert auch die Organischen nicht erschaffen müssen. Der Schlüssel musste bei den Organischen zu finden sein. Es war also nötig, die Organischen zu untersuchen.

Er beschaffte sich eine Reihe unterschiedlicher Organischer und analysierte den Aufbau ihrer Körper und die Bausteine, aus denen sie bestanden. Zunächst fiel ihm nichts Besonderes auf, schließlich war er kein Wissenschaftler und kein Spezialist für Organische. Nachdem er allerdings die Körperbausteine der unterschiedlichen Arten verglichen hatte, fiel ihm eine Reihe von Übereinstimmungen auf. Er kam zu dem Schluss, dass all diese Arten aus einer gemeinsamen Grundform entstanden sein mussten. Die Organischen waren wirklich Meister der Anpassung, obwohl sie nicht einmal echtes Leben waren!

Die überall gleiche Grundstruktur war augenfällig. Frart beschloss, die Analyseeinheit mit der Auswertung dieser Bausteine zu betrauen. Ungeduldig wartete der Anorganische auf das Ende der Auswertung. Als das Ergebnis eintraf, übertraf es seine Erwartungen: seine Suche war beendet! Die Analyseeinheit hatte die Information gefunden und bereits in ihren Speicherbanken gesichert.

Ein nie gekanntes Glücksgefühl beseelte Frart. Er durfte jetzt keine Zeit verlieren. Er vernichtete die Proben und machte sich zur Abreise fertig. Bevor er diesen Bereich der Sterneninsel verließ, vernichtete er vorsorglich auch den glühenden Gasball und seine Trabanten. Die Organischen hatten ihren Zweck erfüllt und Frart wollte nicht riskieren, dass der große Feind in den Besitz der Information gelangte.
 
Keine Proben gerettet?

Hallo Amadis,

guter Spannungsaufbau, klare, Handlung, sorgfältig aufgebaute Charaktere. Hut ab!
Zwei kleine Punkte (ist aber mehr Geschmackssache):
Die einzelnen Generationen der Anorgangischen folgen sehr langsam aufeinander, wohl wegen der extrem hohen Lebenserwartung. Die Organischen (wir reden hier ja zweifelsohne von der Erde) haben jedoch im Vergleich zu den Anorganischen eine extrem schnelle Generationenfolge. Das solltest du besser hervorheben. Frart hat zwar von den lange zurückliegenden Expermenten gehört, müsste aber eigentlich über die schnelle Generationenfolge erstaunt sein.
Frart holt sich die "Information", zerstört das Sonnensystem und macht sich wieder auf den Weg. Warum nimmt er von den so außergewöhnlichen Organischen keine Proben mit nach Hause? Die Experimente haben seinerzeit (vor dem Krieg) eine große Rolle gespielt. Zudem waren sie wichtig im Zusammenhang mit der "Information". Sorgfältig und systematisch, wie Frart ansonsten arbeitet, hätte er doch Proben mit nach Hause genommen.

Ich hoffe, du kannst mit meinen Kommentaren was anfangen.

Grüße
Marlene
 

Amadis

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hallo marlene,

danke für deine positive kritik! ich weiß, dass die geschichte noch nicht so ganz ausgereift ist. das liegt daran, dass sie wie die meisten meiner stories gestern abend aus dem bauch heraus entstanden ist. das heißt, ich hab die idee, setze mich hin und tippe die geschichte einfach in den rechner.
was die sehr unterschiedlichen lebensspannen der anorganischen auf der einen und der organischen auf der anderen seite angeht, dachte ich eigentlich, dass es ziemlich deutlich heraus gestellt wurde. ich wollte auch nicht übertreiben und andauernd darauf herum reiten. ich werde mir mal gedanken machen.
die bedeutung des experiments "organische" habe ich wohl etwas übertrieben. eigentlich war mein ansinnen, es als recht nebensächlich hinzustellen, vor allem in zeiten eines krieges, in dem es um das überleben geht. das ist auch der grund dafür, dass frart besseres zu tun hat, als proben der organischen mitzunehmen. in einem krieg - der noch dazu schlecht steht - hat man gemeinhin anderes zu tun. das werde ich noch überarbeiten.

gruß
amadis
 

dan

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hallo!

endlich tut sich hier im SF forum wieder was (und damit meine ich nicht die mittelmäßigen beiträge, die fast wöchentlich erscheinen).

leider lange nichts von dir gelesen - aber 'die information' entschädigt dafür umso mehr!

die story ist gut ausgearbeitet, der spannungsbogen optimal. wie immer eine freude zu lesen. stilistisch habe ich nichts zu meckern!
du hast mich SEHR neugierig gemacht aber leider auch etwas enttäuscht: du hast uns (lesern) die 'information' vorenthalten. das liegt natürlich im auge des betrachters, ob es sinnvoll ist, dieses rätsel zu lösen - mir hätte es jedenfalls gefallen.
aber das schmälert in keiner weise die wirklich gute geschichte, an der du uns teilhaben lässt.

bitte mehr davon!

mfg dan
 

Amadis

Mitglied
hallo an alle,

so, ich habe die story noch einmal überarbeitet. ich hoffe, sie ist jetzt schlüssiger und alle klarheiten sind endgültig beseitigt :).

nun zu dan: erstmal vielen dank für das lob! tut mir leid, wenn es dich enttäuscht hat, nichts über die information zu erfahren. meines erachtens hätte das zu weit geführt und den rahmen der geschichte gesprengt, da es in dieser geschichte ja nicht eigentlich um die information oder den krieg der anorganischen geht. es ist doch mehr eine "sinn des lebens"-story. wenn ich die information näher erläutert hätte, hätte ich auch auf den krieg, die art der kriegführung usw. eingehen müssen, was zum einen ausgeufert wäre und zum anderen nichts mehr mit meinem eigentlichen gedanken zu tun gehabt hätte. viel mehr sehe ich die information als vehikel an, meine eigentliche aussage rüberzubringen.

danke nochmal an alle und viele grüße

amadis
 
Kleine Änderungen, große Wirkung

Hallo Amadis,

ich habe mir gerade deine zweite Fassung angeguckt. Prima geworden, da würde ich nichts mehr dran ändern.

Grüße
Marlene
 



 
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