Die Komische

4,40 Stern(e) 5 Bewertungen

EnyaSK

Mitglied
Sonja stand allein in der Ecke des Schulhofes unter einem alten Nussbaum und schaute den Kindern zu, die zusammen spielten und Spaß hatten. Sie fühlte sich so furchtbar allein. Drei Wochen war sie nun schon an der neuen Schule und noch immer hatte sie keine Freunde gefunden. Niemand wollte mit ihr spielen. Die Kinder hatten sie vom ersten Tag an spöttisch betrachtet. Sie trug keine schicken Sachen, hatte kein Handy und auch sonst nichts, was sie vorweisen konnte. Sonja war zehn Jahre alt. Ihre braunen Haare waren zu Zöpfen geflochten, auf der Nase trug sie eine rote Brille und ihre Vorderzähne waren etwas schief. Sie wohnte in einer ärmlichen Gegend, wo sonst überwiegend Ausländer wohnten. Für die war sie auch nicht recht, denn sie war ja die Deutsche, für ihre Klassenkameraden war sie die Komische. Sonja lebte mit ihrer Mutter allein. Ihren Vater hatte sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen und ihre Mutter versuchte, sie mit ihren Putzjobs über die Runden zu bringen. Das gelang ihr mehr schlecht, als recht. Deshalb konnte sie Sonja eben keine schönen Sachen kaufen. Als es wieder zum Unterricht klingelte, war Sonja regelrecht froh. Sie mochte den Unterricht. Niemand wagte es, sie während der Stunde zu ärgern.

Nach der Schule trödelte Sonja auf dem Heimweg etwas herum. Sie hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Ihre Mutter würde erst in gut zwei Stunden von der Arbeit kommen und Sonja hasste es, allein zu Hause zu sein. Lieber ging sie noch etwas am Fluss entlang. Sie mochte das Wasser. Manchmal träumte sie davon, eines der Hausboote, die dort lagen, würde ihr und ihrer Mutter gehören. Es musste toll sein, auf so einem Hausboot zu wohnen. Besser, als die eineinhalb Zimmer Wohnung mit dem Schimmel an den Wänden und dem abgewetzten Parkettboden, an dem sie sich regelmäßig Splitter holte.
Vor sich sah sie ein paar Kinder aus ihrer Klasse. Sie spielten am Ufer und Sonja blieb unschlüssig stehen. Sie wollte denen lieber nicht begegnen. Da es nur einen Weg am Wasser entlang gab, gab es für Sonja nur eine Möglichkeit. Sie musste umkehren. Seufzend wandte sie sich um und war gerade ein paar Schritte gegangen, als sie lautes Schreien vernahm.
„Hilfe! Hilfe!“
Wie angewurzelt blieb Sonja stehen und drehte sich mit klopfendem Herzen um. Eines der Kinder war ins Wasser gefallen und die anderen Kinder hüpften aufgeregt am Ufer herum und schrien. Sonja sah, wie das Kind im Wasser - sie konnte nicht erkennen, wer es war - immer wieder unter ging. Sie zögerte nicht länger und rannte auf die Unglücksstelle zu. Im Laufen zog sie ihre Jacke aus, warf sie achtlos beiseite. Am Ufer angelangt, zog sie sich hastig ihre Schuhe aus, ohne sich mit den Schnürsenkeln aufzuhalten. Mit einem Sprung war sie im Wasser. Es war kalt und ihr blieb einen Moment die Luft weg. Sie schaute nach dem Kind, doch es war nirgendwo zu sehen. Sonja nahm einen tiefen Atemzug und tauchte ab. Die Sicht unter Wasser war nicht gut und sie konnte nichts entdecken. Prustend tauchte sie wieder auf. Etwas entfernt sah sie, wie sich das Wasser kräuselte. Dort musste es ein. Mit ein paar kräftigen Schwimmzügen war sie dort und tauchte erneut. Diesmal hatte sie Glück und sie stieß förmlich gegen den im Wasser treibenden Körper. Mit festem Griff beförderte sie den Körper an die Oberfläche. Es war eines der Mädchen aus ihrer Klasse. Sie hieß Anneke. Sonja schleppte das Mädchen ans Ufer, wie sie es von ihrem Onkel Eduard gelernt hatte, der Rettungsschwimmer bei der DLRG war. Am Ufer half eine Frau, ihr das bewusstlose Mädchen abzunehmen. Erschöpft zog Sonja sich ebenfalls aufs Trockene.
Mittlerweile waren mehrere Erwachsene dazu gekommen und jemand machte Maßnahmen zur Wiederbelebung. Bald schon begann Anneke zu husten und spuckte einen Schwall Wasser aus. Sonja bibberte vor Kälte. Es war zwar erst Oktober, doch war es empfindlich kalt und die nassen Klamotten klebten eisig an ihrer Haut. Eine Sirene ertönte und wenig später kam ein Rettungswagen den Weg entlang auf sie zu. Die Sanitäter übernahmen die Versorgung der Verunglückten und packten auch Sonja in eine Wärmedecke.
„Jemand muss die Eltern der Kinder informieren, dass sie im Krankenhaus sind“, sagte einer der Erwachsenen.
„Ich mach das“, sagte Susanne, eine Klassenkameradin von Sonja. „Ich kann Annekes Mutter anrufen und bei Sonjas Mama vorbei gehen. Ich weiß, wo sie arbeitet.“
Sonja und Anneke wurden mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren. Beide Kinder waren stark unterkühlt.

Sonja lag im Dreibettzimmer des städtischen Krankenhauses und schaute fern. Sie hatte von einem Doktor erfahren, dass es Anneke gut ging. Doch sollten beide Kinder die Nacht über zur Beobachtung bleiben. Sonjas Mama war sofort ins Krankenhaus gekommen und hatte furchtbar geweint. Sie war vor zehn Minuten wieder gegangen, um für Sonja ein paar Sachen von zu Hause zu holen, als die Tür aufging.
Herein kamen so viele Kinder, dass Sonja unwillkürlich in ihrem Bett zurückwich. Mit offenem Mund starrte sie auf ihre Klassenkameraden, die fast vollzählig an ihrem Bett standen. Susanne hatte einen großen Blumenstrauß in der Hand und eine Karte steckte darin. Schüchtern nahm Sonja die Blumen entgegen.
„Dddanke“, stammelte sie überwältigt.
„Du bist eine richtige Heldin“, meinte Ingo, einer der angesagtesten Jungen in der Klasse. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Sonja errötete.
Auch die anderen Kinder stimmten zu. Sonja wurde wirklich wie eine Heldin gefeiert. Noch nie war ihr so viel positive Aufmerksamkeit zuteil geworden.
„Tut uns leid, dass wir so fies zu dir waren“, entschuldigte sich Susanne. „Wir fühlen uns ganz mies deswegen.“
„Ist schon ... schon gut.“
„Du kannst ein paar Sachen von mir haben“, meinte Susanne strahlend. „Ich habe so viel, was mir nicht mehr passt und du bist ja etwas kleiner als ich. Bestimmt passt es für dich. Ich bringe es dir morgen.“
„Und meine Eltern haben ein Sportgeschäft und könnten eine Hilfe brauchen. Ist bestimmt besser bezahlt, als der Putzjob in dem Kaufhaus, wo deine Mutter jetzt arbeitet. Zu dem Geschäft gehört auch eine kleine Wohnung, die könntet ihr günstig mieten“, meldete sich ein anderes Mädchen, deren Name Maja war, zu Wort.
„Ich ...“, begann Sonja. Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte und brach statt dessen in Tränen aus. Sofort wurde sie getröstet und sie zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Sonja sich akzeptiert.
 

EnyaSK

Mitglied
@revilo, Tante Oma
vielen Dank für Euer Feedback.
Freut mich, wenn mein Text Euch gefallen hat.
Aber auch konstruktive Kritik ist willkommen ;-)
LG
Enya
 
K

KaGeb

Gast
Ich schreibe mit Sicherheit zum ersten Mal hier, in der Rubrik "Kindergeschichten". Nicht, weil ich ein Fan dieser wäre, obwohl ich gewiss noch immer ein "großes Kind" bin =), nein, weil sie meiner Tochter gefallen hat. Und eben deshalb hätte ich eine Menge Vorschläge, die ich natürlich erst niederschreiben muss. Also, die Tage nehme ich deinen Plot mal so richtig zur Brust =)))

LG und - gern gelesen - KaGeb
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe die Geschichte mit Interesse gelesen. Nicht schlecht! Aber man könnte viel mehr daraus machen. So ist sie mir zu sehr von Klischees geprägt und auch zu emotionslos erzählt.
 
D

Donkys Freund

Gast
Hallo,

gut, eine Kindergeschichte braucht vielleicht einen einfachen, positiven Plot, um gelesen und verstanden zu werden. Aber einfach nur mal kurz Held sein und dann ist alles gut?

Falls die Geschichte eine Botschaft transportieren soll, bezweifle ich, dass die Geschichte fruchtet. Nichthelden werden weiter von den "priviligierten" Lesern gemobbt und Kinderleser in Sonjas Situation werden weiter (frustriert) den Heldentraum träumen müssen oder schlimmstenfalls versuchen, ihn zu erzwingen.

Wenn sie "nur" unterhalten soll (meiner Ansicht nach auch bei Kindern legitim), ist sie mir zu schematisch und unspannend. Mich persönlich hat die Geschichte nicht so recht überzeugt.

Liebe Grüße
Donkys Freund
 

Josi

Mitglied
Hallo Enya,

ich habe Deine Geschichte sehr gern gelesen.
Ich habe mich zum Teil in Deine Sonja wieder erkennen müssen. Auch ich trug immer lange Zöpfe in der Schule, meine schiefen Zähne wurden von einer Klammer gehalten und dann war ich auch noch mopsig.
Daher finde ich es sehr schön, dass Sonja aus dem Schattenleben heraus treten konnte und dazu noch ein Kind retten konnte.
Die Geschichte zeigt, dass der Mensch wichtig ist und nicht die Äußerlichkeiten.
Sehr schön!

Liebe Grüße
von Josi
 



 
Oben Unten