Die Kraft eines Traumes

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McFox

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Von je her erinnern sich menschliche Wesen, an vergangene Zeitalter, zurückliegende Epochen oder vergessen geglaubte Momente und die somit verbundenen Umstände, die höchstwahrscheinlich durch die Menschen jener Zeit, im größt anzunehmenden Maße hervorgebracht und beeinflusst wurden. Manche von ihnen durchleben Phasen, in denen sie sich nach diesen Umständen sehnen, wobei das Bild das ihnen vorschwebt oft eine Tätigkeit oder einen Ort beschreibt und im übertriebenem Maße, ganz nach dem Geschmack des Einzelnen, dargestellt wird. Das dieser Gedanke rein aus der Verbitterung und dem Zweifel an der Situation des Individuums entsteht, ist anzunehmen, denn warum sonst sollte man sich in eine fremde Zeit begeben wollen, wenn nicht um ihre angeblichen Vorteile durchleben zu können.
Ob dieser Gedanke von allen vertreten wird, das ist wohl zu bezweifeln, denn auch wenn er Zeit für Zeit auftauchen mag, ist er nicht von beständiger Natur, sondern entfällt meist der impulsiven Schwärmerei.


Asche

Ja so könnte man es sich doch vorstellen, eine Reise in die vergangene Zeit, wobei sich dies bloß auf theoretische Gedankengänge und Vorstellungen, anhand historischer Fakten bezieht.
Der selbe Raum in dem man gerade sitzt, mag er nun modern, prunkvoll, ärmlich oder dreckig sein, diesen muss man sich vorstellen.
Grauer Staub und Asche bedecken Boden, modrige Möbel und zerfallende Stoffe. Putz und Tapete blättert von den Wänden, eine stickige leere Luft, die nach kaltem Zigarrenrauch stinkt wabert durch den Raum und scheint sich an den ganzen Körper zu haften so dass man sich, wie bei Nässe fremd und nackt in seinen eigenen Kleidern fühlt. Brandflecken überall, die sich durch ihre tiefe Schwärze und Leere auszeichnen, scheinen das fahle Licht zu fressen welches durch die vergilbten Fenster scheint. Denn wäre man wirklich in jener Zeit, würde auch alles so aussehen wie es das getan hat, aber das Feuer das die Menschen entfachen, mit welchem sie sich selbst schaffen, das Materielles genauso mit einbezieht wie Persönliches, ja sogar der ganze Raum in dem man sich befindet wird irgendwann erlischen und nur Asche, verbrannte Stellen und stickige Luft bleiben. Nun ja wer stellt sich das denn aber bitte auch genau so vor, keiner richtig !
Trotz alledem ist das was sie ihre Vorstellung nennen in etwa mit einem Akt der Leichenschändung vergleichbar (lassen wir dabei den moralischen Aspekt mal bei Seite) sie versuchen etwas Totem schicke Sachen anzuziehen oder im Falle des eben genannten Raumes mit einem Eimer Farbe und einem grobschlächtigen Pinsel den Staub und die Asche und alles mögliche mit Farbe zu bedecken sodass sie verzweifelt eine Art Scheinrealität aufbauen, um sich selber darin zu sehen, wie sie in einem von Motten zerfressenem Bett liegen, graugelbe Luft atmend, sich pudelwohl in dem ganzen Staub und der Eiseskälte fühlen.



Aber um mit der eigentlichen Geschichte nun einmal zu beginnen....



Es war Neujahrsnacht und alle feierten ihren Start in die hoffentlich bessere Zeit und um diesen Gedanken nicht selbst vor lauter Zweifel wieder zu verwerfen, sondern an ihn zu glauben, wenigstens für den Moment wurde ziemlich viel getrunken. Traurig doch, wenn man bedenkt das so gut wie jeder in unserer modernen Gesellschaft sein Leben selber regeln kann und im größten Maße selber entscheidet wie gut es ihm geht. So liegt die Annahme nicht fern das diese „bessere Zeit“, durch eigene Taten hervorgerufen wird, somit also das Betrinken um der Sache Glaubwürdigkeit zu verschaffen etwas armselig erscheint. Nun in jener Nacht begab es sich das drei Menschen sich in einem Zimmer befanden als die Uhr Zwölf schlug. Ein Mann und eine Frau.

In den Armen des Mannes lag ein Junge, der vielleicht einem Alter von einem Jahr entsprach und schlafend am kleinen Finger seines Vaters nuckelte, der ihn ruhig wiegte. Die Mutter lag im Bett.
Gefesselt von Krallen und Rüsseln die hier und dort ihren Körper verließen, umgeben von grünen und roten Augen die in regelmäßigen Zeitabständen hinter ihr aufblitzten und wieder verschwanden, während sich schmatzende Geräusche und leises Knurren unter das schier unmenschliche Röcheln mischten, das von der Frau ausging.
In der Dunkelheit des Raumes erschienen die hellen und bunten Lichtblitze, die weit fernab dieses Zimmers ihrer Kraft und Imposanz her bewundert wurden, nur müde und kurz durch die dicken, hohen Fenster und schienen auch dem Ort nicht recht zugehörig. Was für einen Unterschied ein Raum doch machen konnte, wenn nur jemand oder etwas darin war dessen man großer Bedeutung zukommen ließ und wie schnell alles abseits der umgebenden Wände an Bedeutung und Farbe verlor.
Fast wie eine andere Welt oder eine andere Zeit.

Es war das Jahr 2001 angebrochen und mit den letzten Lichtern am Himmel die die Hoffnung und die Freude der Menschen bezeugten, erlosch das Leben der namenlosen Frau, fernab ihrer Familie und Freunde, nur den stillen Schatten ihres Mannes über sich, ein schwarzer Ritter dem Tode nicht unähnlich, der über sie wachte als wolle er sich ihrem Ableben ganz sicher sein. Doch der Mann der ihn warf, war in dem Stuhl vor dem Bett in den Schlaf gesunken, das ruhende Kind in seinen Armen. Als er Stunden darauf wieder erwachte war es nicht das Kind oder die Morgensonne, die ihn durch das sonst leichte Kitzeln auf der Haut geweckt hatten. Sondern geschäftiges Treiben um ihn herum. Zu aller erst fiel ihm auf das kein Kind mehr in seinen Armen lag, während er stark blinzelnd, mit seinem Dreitagebart und den tief blau unterlaufenen Augen, einem Obdachlosen gleichend durch den Raum spähte, auf der Suche nach einer logischen und einfachen Erklärung die er nicht finden würde.
Das Bett seiner Frau leer, die Monster, per Knopfdruck eliminiert, frische Luft und eine zufallende Tür direkt vor seinen Augen. Wer auch immer das gewesen sein mag hatte ihn wohl nicht aufwachen sehen. Dann absolute Ruhe, kein Wind säuselte umher, niemand war auf den Gängen um sich zu unterhalten, nichts klapperte und summte,
kein Laut weit und breit nicht mal den Klang seines eigenen Atems vernahm er.
Als ob jemand versuchte seinem Gehirn Zeit zu geben die Situation zu realisieren, um ihn dann mit ohrenbetäubendem Schmerz niederzustrecken.

Tränen klatschten auf den Boden und jeder Aufprall glich einem entfernten Glockenschlag, der erst nach Sekunden im Nirgendwo verebbt.
Kalt und leer wie der Raum in dem er saß, mit seinen gelb tapezierten Wänden, dem grellen Licht der Lampen, den monströsen Gerätschaften und Kabeln die sich alle Einzug in den Körper seiner Frau verschafft hatten, wie Parasiten die sich in eine der Dornen beraubten Rose bohrten. Unterlegt mit dem typischen Geruch der Krankenhäuser und dem des Todes wäre selbst eine überaus glückliche und zufriedene Person in diesem Raum auf längere Zeit depressiv geworden ohne überhaupt mit irgendwelchen schlimmen Ereignissen konfrontiert gewesen zu sein. Aber das passiert wohl den meisten wenn sie merken das sie vollkommen alleine sind. Nach einer Ewigkeit verließ der Mann das Krankenhaus mit seinem Kind. Es war aber weniger er der es verließ als der Schatten seiner selbst. Gehüllt in tiefe Schwärze und Trauer ging er wie ein schwarzer Luftballon der an einigen Stellen faltig geworden war und nun nur noch auf dem Boden schleifend vom Winde fortgetragen wurde, die Straße entlang .



Ein Knall, dann absolute Stille.
Der Junge schreit, und jedes schrille Geräusch das er von sich gibt gleicht einem erschrecktem Tier das sich seiner Familie beraubt fühlt und nun völlig allein im Wald sitzend die Situation doch eigentlich gar nicht realisieren kann.





Das Heim



Verloren drein blickend, schaut ein Junge aus dem Fenster in die Dunkelheit der Nacht, das einzige was er durch das gelbe Licht der Laternen dort draußen erkennen konnte waren tausende kleine Kristalle die dem Ziel hinsinkend, wild durcheinandertanzten.
Das dünne Fensterglas klapperte und übertrug eine Kälte die den Wunsch vermittelte sich dort nach draußen, zu dem gelben Licht zu gesellen, welches so Wärmespendend wirkte.
Doch den Jungen störte es relativ wenig das er nur mit T-Shirt und Unterhose auf dem Fenstersims saß und sich ihm die Haare am ganzen Leibe aufstellten.
Es ist Heiligabend und in dem großen Saal unter ihm vernimmt man gedämpftes Gelächter und feierliche Musik, die sich begleitet vom Geruch süßer Kostbarkeiten und deftiger Speisen ihren Weg über den Flur, die Treppe hinauf, den Gang entlang bis zu dem Saal hin ihren Weg bahnen und Festtagsstimmung verbreiten.
In dem Zimmer in dem der Junge saß brannte kein einziges Licht und auch niemand leistete ihm Gesellschaft, scheinbar hatte man ihn völlig vergessen denn es kam auch niemand nachsehen ob er sich an dem Schmaus beteiligen möge.
Ist auch gut, dachte er sich ohne dabei verärgert zu sein.
Umso weniger ich mich an diese Menschen binde umso einfacher wird es mir fallen sie ohne mit der Wimper zu zucken endlich wieder zu verlassen. Dabei konnte er sich gar nicht daran erinnern wann und wie er überhaupt hierher gelangt war.
Bei dem Gedanken musste er lächen, verwarf ihn aber sofort wieder weil bis dahin wohl noch ein paar Jahre vergehen müssten bis er das erfahren würde. Denn unendlich erscheinende Stunden seines Lebens hatte er sich schon über diese Frage den Kopf zerbrochen und nichts als leere Worte und nett gemeinte Lügen bekommen auf die er sehr wohl verzichten konnte.
Der Raum in dem er sich befand war der Schlafsaal dieser Einrichtung, in ihm waren fein säuberlich dreizehn Betten an den gegenüberliegenden Wänden aufgereiht. Sein Bett die Nr. 13 war das siebte Bett der Wandreihe und befand sich am hinteren Ende des Saals.
Normalerweise konnte er hier nachts nicht aus dem Fenster schauen weil sein Bett auf der anderen Seite des Raumes lag und es ihm nicht gestattet war sich während der Schlafenszeit in den „Privatraum“ der anderen zu begeben.
Doch heute hatte er das Vergnügen und schaute abwesend nach draußen während sich in seinem Kopf allerlei Fantastereien über sein späteres Leben sponnen wie ein roter Faden aus dem er jedwede Form erschaffen konnte, jedes Detail kreieren und in seine Bestandteile zerlegen konnte und sobald seine Umrisse und seine Physik stimmten wich er einem der Realität nachempfundenen Objekt oder einer Person, ja wenn es sein musste der Kulisse einer ganzen Stadt. Fabelwesen und sonstiger Schabernack fanden hier keinen Platz. Hierbei ging es um Vorstellungen nahe der Realität, die doch endlos weit entfernt schienen.
Möge man sich diesen jungen Mann vorstellen wie er durchs dunkle Nichts wandert aus seinen Augen, seinem Mund, seinen Fußsohlen und seinen Fingerspitzen dicker roter Garn hervorschnellend. Wie er sich weiter vorwärts bewegt, während alles was er baut aber nicht vor ihm Gestalt annimmt, sondern hinter ihm und so läuft er weiter eine Schneise der Kreativität hinter sich herziehend.
Doch umso weiter er geht umso mehr persönliches von ihm selbst fließt mit ein, so wollte er erst eine objektive Kulisse schaffen die ihm gefiele so waren nun ihm bekannte Personen vertreten und immer mehr Orte die er kannte sprossen am Horizont hervor. Als er sich umdreht merkt er was er geschaffen hat, doch fällt ihm auf, das er nicht einen einzelnen Schritt setzen kann, er kann es bewundern, er kann es schätzen lernen, aber letzten Endes ist es die Vergangenheit die er sieht und obwohl er dies alles gerade eben geschaffen hat ist es vorbei und das einzige was er durchleben und erleben kann ist die dunkle Schwärze die vor ihm liegt.
Bei der Erkenntnis wurde er zornig, er hatte es sich selbst versaut, nein das Leben hatte es.
Er fragte sich ob wenn man diese Vorstellungen und die roten Fäden dokumentieren würde, also alles erfassen würde was er dort oben in Form einer Schneise aus Panoramen erschaffen hat und es dann im späten Alter in einer Reihe hin auszulegen gedächte um es mit ein paar Handgriffen wie eine Philharmonika zusammenzupressen, so dass es aussehen würde wie eine rote Tonfrequenz, Was für ein Lied würde wohl ertönen.



Gestern war sein Geburtstag gewesen, aber bei den ganzen Vorbereitungen für das ach so heilige Fest ging er unter wie ein vergessener Kahn auf hoher See.
14 hatte auf dem Schiffbug gestanden und zum Beweis dessen Nichtigkeit verschluckte ihn eine Welle der unnachahmlichen Hysterie und Geschäftigkeit, gleich der seiner Mitbewohner und zog ihn auf den Boden der Tatsachen, den dunklen stillen Meeresgrund hinab.
Das er einsam war das wusste er, auch wenn er es nie zugegeben hätte, weil es ihm wie eine tiefsitzende Schwäche, einer unheilbaren Krankheit gleich vorkam mit deren Verleugnung sie wohl verschwinden würde.
Er begab sich in die Mitte des Raumes, während unter ihm die alten Holzdielen knarrten, die sich an vielen Stellen so abgetreten hatten das sie aussahen wie Inseln aus weißem Sand auf einer alten vergilbten Landkarte. Hier stand ein alter Holztische mit schwarzer Oberfläche und tausenden Hyroglyphen und Namen die über die Jahre hineingeritzt worden waren, die nun sein Antlitz zierten und wohl am besten das Klima und das Niveau dieser Räume wiederspiegelten.
Darauf stand eine kleine Schale mit trockenen Nüssen und zerbröselnden Keksen, wovon er sich eine Handvoll nahm und sich auf sein Bett schmiss, welches unter seinem Gewicht knarzte, als sei er einer dieser übergewichtigen Politiker aus dem Fernsehen.
Langsam den letzten Bissen kauend und mit schwerem Gemüt schlief er ein.






Draußen erhallte Gelächter, es schneite nur noch leicht und teilweise ließ die Sonne ihr Antlitz bestaunen wenn sie die Welt dort draußen zum Funkeln brachte. Denn dann hatte sogar dieser Ort etwas nahezu magisches.
Am Bettkasten war ein Schild angeklebt, das sein Name zierte.
Giona, ja so hieß er, dachte er, aber wer zum Teufel wagte es ihn in solchem Maße herauszubrüllen. Als er sich aus lauter Empörung gähnend im Bett aufrichtete blickten ihm fünf seiner Zimmerkameraden in die Augen, allesamt ein paar Jahre älter als er, kamen sie in voller Wintermontur ihm immer ein Stück näher. Das sich die Hände hinter den Rücken verbargen verhieß nichts gutes. Und da war es auch schon geschehen vier Eimer eiskaltes Wasser sprangen ihm entgegen und sahen in dem kurzen Moment in dem er die Augen noch offen hatte, aus wie wild gewordene Pferde die sich mit schäumendem Maul und gefletschten Zähnen auf ihn zu bewegten.
Die Augenlider schienen ihm wegzureißen, der Mund der sich schnappartig nach Luft umsah und der bebende Brustkorb, ausgelöst durch diesen Tritt ins Gesicht, ließen Giona mit der Beherrschung ringen.
Das der fünfte von ihnen sein Smartphone in der Hand hielt und die ganze Sache prustend vor Lachen filmte, war zu viel. Mit einem Satz stand er in seinem Bett, er zitterte nicht und auch an sich war er ganz still, nur die Tropfen die an seinen Haaren und seinem Körper entlang liefen waren noch in Bewegung und wäre es nach ihm gegangen hätten sie vor lauter Wut verdampfen können und ihn in eine schemenhafte Gestalt, eine Art drohendes Unheil verzerren können umwoben von Dampfschwaden, nur um seine Gefühlslage noch deutlicher werden zu lassen. Den Blick auf alle fünf gerichtet, sprang er gefedert vom Bett und landete direkt vor ihnen, während sie alle vor Überraschung zurückgewichen waren. Die erste Faust flog die zweite folgte und schon war er im Begriff das eben verlassene Bett wieder in Besitz zu nehmen, was er nach dem dritten Schlag, der in die Magengrube ging leider nicht mehr schaffte und dann kniend zu Boden ging.
Unter höhnischem Gelächter verließen die fünf den Raum und er kam sich so töricht vor, das ihn der Anblick den er bot nicht weiter störte. Zitternd und mit einem Faden dickflüssigen Speichels aus dem Mund rinnend lag er völlig, sich seiner eigenen Schwäche entblößt da, aber niemand kam. Warum auch dachte er sich und für den kurzen Hoffnungsschimmer den er gehegt hatte, hätte er sich am liebsten selbst noch den vierten Schlag versetzt.




Nach einigen Momenten des tiefen Durchatmens, gelang es ihm sich endlich wieder aufzurichten.
Leicht gekrümmt humpelte er den Saal entlang während ihn die Kälte vollends einnahm und er nichts mehr spürte, nichts außerhalb seines Geistes und nichts darin. Sein Antlitz glich dem eines verletzten Straßenköters, dessen Fell vor kalter Nässe triefte. Einer der sich durch verfallene Gemäuer auf die Suche nach Trost und Heimat aufmacht, aber nur sich selbst findet.
Er erreichte den Flur, der sich durch unglaubliche Dunkelheit auszeichnete und nur leicht durch das Licht am Ende wo er in die Treppe mündete erhellt wurde. Zweites Zimmer rechts. Die Duschen.
Die sanitären Anlagen dieses Gebäudes hatten ihre besten Zeiten schon hinter sich. Kleinlich wirkende Fliesen säumten den vier Meter hohen Raum und an einigen Stellen waren diese gesprungen oder fehlten gar vollkommen. An der Decke wimmelte es von Spinnenfäden in denen sich der Staub fing, als versuche der Geist jener Spinne sich von diesem grauen Dreck zu ernähren während sie alles genau beobachtete.
Kühl kam das Wasser aus der verkalkten Leitung und die Rillen zu seinen Füßen waren gelb und braun durch die jahrelange Inanspruchnahme, doch langsam erhitzte sich das Wasser und der Funke der ihn durch den Tag bringen sollte wurde wieder entfacht. Er spülte sich den Frust und die schlechte Laune vom Körper wie das jeder mit solch umnützen Ballast tun sollte. Er kehrte in den Saal zurück und zog sich einen grauen Baumwollpullover und eine dunkelblaue Jogginghose über.
Kurz betrachtete Giona das klamme, aufgeweichte Bett, das er diese Nacht wohl nicht die Gesellschaft seiner Freunde in Anspruch nehmen konnte war ihm herzlich egal. Ohne recht zu wissen was er nun mit sich anfangen solle ging er hinunter und frühstückte.
Es gab Toast mit Belag. Das schlimmste hier fand er, war das Essen. Wenn man schon zusammengepfercht mit anderen verstoßenen Tieren in einem Käfig saß und einem keine Liebe zu Teil wurde, dann könnte man doch wenigstens den Aufenthalt angenehmer gestalten, denn hier sein, wollte keiner.
Tagträumend wie immer betrachtete er alles und doch nichts. Er brachte das Tablett wieder in die Küche und gab der Aufseherin bescheid wie es um sein Bett stand, warum und wie es dazu gekommen war wollte er sie nicht wissen lassen, was sie durch ihr Drängen am Ende so erbost werden ließ das er beim Abwasch helfen durfte. Wenigstens hatte er eine Beschäftigung, dachte er sich. Und als er damit fertig geworden war hatte er sich schleunigst aus dem Staub gemacht, zog sich seine Schuhe an und ging nach draußen.



Die Luft war klar, Schneeflocken fielen, doch es war ein sanfter Vorgang und kein Gestöber wie am Vorabend, die Kinder lachten und die wenigen auf den hängenden Ästen sitzenden Vögel zwitscherten. Ein schöner Tag, blieb nur die Frage offen was er tun sollte. Zuallererst zündete er sich eine Zigarette an und erfreute sich an der Menge an Rauch die durch die tiefen Temperaturen hervorgerufen wurden. Wie simple Dinge einen das Gemüt erleichtern lassen, schon erstaunlich. Auf knirschendem, mit Schnee vermischtem Kies ging er Richtung Ausgang und fühlte sich komischerweise pudelwohl.
Er hatte noch 20 Euro irgendwo in seinen Taschen verteilt, nur blieb die Frage was davon, für was wovon.
Giona war ein schwarzhaariger Junge den man wohl als Eurasier bezeichnen könnte wenn einem sonst nichts anderes als simple ethnische Vergleichbarkeiten einfielen, offenere Augen als andere Asiaten also, europäischerer Gesichtszug als andere und natürlich die hellblauen Augen welche ihm eine gewisse Fremdartigkeit zukommen ließen. Alles in allem hätte man ihn durchaus als schön bezeichnen können nur das ihm das selber vollkommen egal gewesen wäre. Er hielt nicht viel vom bloßen Aussehen seiner Mitmenschen oder seinem eigenen und den Bemühungen der Gesellschaft sich selbst zu verfälschen und es als eine Art Anpassung, Lebensstil oder Mode zu bezeichnen schon gar nicht.
Ihm gefiel es überhaupt nicht als er im Ethik Unterricht erfahren musste das aller Individualismus letzten Endes durch anderen entsteht und entstanden ist. Das alles das, was er war, nur ein Produkt seiner Umgebung ist, denn Eltern und Vorbilder hatte er ja keine.
Giona fühlte sich missbraucht als hätte man in ein unförmiges Kästchen aus wertvollem Smaragd, lauter Zigarettenstummel hineingetan, draufgepisst, zugemacht und gut geschüttelt.
Das sollte er wohl sein, ein missbrauchter Kokon oder eben dieses Kästchen das von innen so verdreckt war das man es von außen wahrscheinlich für einen normalen Aschenbecher halten könnte. Und das nun bezeichneten alle als seinen Charakter, sein Wesen, sein Innerstes.
Aber doch nur weil ihr es dazu gemacht habt dachte er sich, während er auf seiner Unterlippe kaute bis sie anfing zu bluten und er es sein ließ. Wie viel Entscheidungskraft und wie viel an freiem Gedankengut hatte er in dieser Gesellschaft wirklich, wenn er dauernd durch Werbungen, fremde Erziehung und aufgetischte Behauptungen denen er gefälligst Glauben zu schenken hätte, beeinflusst und manipuliert wurde. Ihm war als hätte er keine.
Zisch die nächste brannte und verlor ihr Leben.
Wie es aussah war den ganzen 18 Zigaretten in dieser Schachtel wohl heute die fristlose Kündigung überreicht worden. Wenigstens dieser Gedanke war einigermaßen fröhlich dachte er sich !
Giona wollte nicht den ganzen Tag vollgesogen von diesen Gedanken sein, wie ein alter ranziger Schwamm und er wollte auch nicht das jene über seine Verfassung entschieden und damit sein Leben maßgeblich beeinflussten, er konnte sich ja nicht mal selbst steuern. Er schüttelte voller Frust den Kopf. Hilflosigkeit, Einsamkeit und jedwede Form von Gewalteinwirkung die in großzügigem Maße vorhanden und vermischt wurden ersticken die zarte Blüte der Hoffnung die ein jeder in sich trägt. So war es nun mal.
Irgendwann könne er selber entscheiden was er in sich aufnahm und was er für Einstellungen von der Gesellschaft vorgeschrieben bekommen sollte und welche er davon für sich behalten wolle, also im Groben wo er später wohnen und leben würde. Dann gäbe es keinen Fluss seiner Gefühlswelt, der über die Ufer treten würde um ihn mit unproduktivem Gedankengut zu quälen, so dass er sich immer auf seinen einsamen Gipfel verkriechen müsse und mit Blick gen Himmel einer anderen Zeit, einer anderen Welt entgegenfiebert die er nur mit bloßer Vorstellungskraft erreichen konnte.
Das Dorf in dem sich seine Heimat, das Orphan´s Rescue befand war von unglaublicher Winzigkeit und geprägt von einem überall währendem Schwall immenser Langeweile.
Die einzigen Läden die es hier gab waren ein Discounter und ein heruntergekommener Friseursalon der vor 20 Jahren sein Aufleben gar nicht recht fassen konnte und dem heute das große „F“ vom Ladenschild fehlt, aber wen interessierte es in einem Ort in dem alle Jugend schon seit etlichen Jahren abgewandert war und die Alten zu alt waren um sich darüber zu wundern oder etwas daran zu ändern. Da der Ort so wenig zu bieten hatte, siedelten sich auch keine jungen Familien aus den Großstädten hier an und so verkam Gebäude für Gebäude und bot Unterschlupf für allerlei Arten von Gewusel.
Oft reihten sich diese tristen Ruinen über etliche hundert Meter aneinander und boten eine Allee des Verkommenem und des Vergessenem.
Nach einer erfolglosen Suche wobei er sich irgendetwas erhofft hatte zu finden das ihn zufriedener machen würde, fiel ihm auf das Geschäfte an Weihnachten ja gar nicht geöffnet hatten und zog enttäuscht davon. Hätte er was bekommen, würde er sich vielleicht ein klein wenig besser fühlen und somit nicht von der ganzen Herzlichkeit des Festes und dem ganzen drum herum so erdrückt werden.
Giona blickt beim Vorbeigehen in die Fenster der letzten verbliebenen Häuser, was man sehen kann, sind alte Ehepaare die sich schweigend gegenüber sitzen und sich von dem ganzem Kram der zur Zeit im Fernsehen läuft einlullen lassen und ihre Brillen und Hörgeräte tragen als wären es maschinelle Übersetzer die ihnen die Welt so zeigen wie sie einst ward, weil sie die neue Welt mit ihren neuen Regeln und ihrem entfremdeten Gesicht nicht mehr verstehen und erkennen können.
Aber größtenteils sah er nur eingeschmissene Fensterscheiben und Fassaden die aussahen als krümmten sie sich ihm entgegen, ein tonloser Hoffnungsschrei, Wert für sie zu empfinden den sie nicht besaßen.
Als er wieder zurück kam dämmerte es bereits und er fand die Haustür, eher an eine kolossale Holzwand erinnernd als an eine Tür, offen vor. Auch gut dachte er sich, irgendjemand wird dafür mächtig Ärger bekommen und ich werde es nicht sein. Schön !

Er zog sich seine vollkommen durchnässten Sneakers aus und war heilfroh sich gleich nach oben verkriechen zu können und in Ruhe gelassen zu werden, er lief am Spiegel vorbei und tat einen flüchtigen Blick hinein. Er verharrte. Er mochte es wenn seine Sachen vom Frost weiß wurden, genau wie seine Wimpern, Augenbrauen und die Spitzen seines Ponys, es verlieh ihm etwas so empfand er, einer Einzigartigkeit gleich und drückte die Kühle die er empfand und die, die seine Mitmenschen von ihm erwarten konnten besser aus als Worte es je könnten. Moment genau das empfanden doch diese ganzen seelisch heruntergekommenen Schaufensterpuppen wenn sie in ihren Spiegeln posierten und Grimassen schnitten nur um zu verdeutlichen das sie Darwins Theorie zustimmten. Nämlich das der Mensch vom Primaten abstammte. Plötzlich riss ihn ein Schluchzen aus seiner Vorstellung und brachte ihn zur Verwirrung denn er hatte beim Hineingehen keine Menschenseele wahrgenommen und ein Anflug von Ärger überkam ihn, das würde er nie leiden können, man geht in einen bestimmten Raum und erst nach einer Weile merkt man das man nicht alleine ist, ein schrecklich dummes Gefühl. Völlig perplex wandte er sich um und erblickte ein vielleicht elf oder zehnjähriges Mädchen das weinend, das Gesicht in ihren Schoß gegraben hatte. Irgendwie komisch im ganzen großen Flur der auf den ersten Dielen nun schon vom Schnee und Frost bedeckt war ließ sich kein Einziger blicken, wo die wohl alle waren. Hmmm kann mir ja eigentlich egal sein, doch trotzdem diese absolute Stille nur durchbrochen durch das Wehklagen des Mädchens erschien ihm unheimlich. In diesem Moment hob das Mädchen den Kopf und betrachtete ihn mit Schmerz verzerrtem Gesicht. Bei ihrem Anblick verfinsterten sich seine Gesichtszüge und nun glich sein Antlitz eher dem eines Tiers als dem eines Jugendlichen, übersprühend vor Erbarmungslosigkeit und ohne jegliche Anteilnahme. Das Mädchen hatte große Tränenunterlaufene Augen und war mit ihren roten Locken von recht schöner Gestalt doch etwas in ihren Augen gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. Es schien als würde sich das Zittern an ihrem Körper auf jene großen grünen Pupillen übertragen und er sah vieles darin, doch vor allem erkannte er Angst die durch eine lähmende Hoffnungslosigkeit umgeben war wie eine Aura aus fesselnden Rauchschwaden die ihren Körper beheimateten wie ein dunkler Fluch. Gleich Würmern und Maden die ihm ein Geheimnis zuflüsterten welches er zu lüften sich nicht traute.

Entgegen seinem normalerweise bedingungslosen Moralkodex und seiner sonstigen Abscheu gegenüber solcher fantastischen Erzeugnisse die in seinem Kopf entstanden, gab er ihnen nach und starrte das Mädchen an in dem Glauben das sie aus reiner Nervosität anfangen würde zu reden und er mehr erfahren könne. Doch weder fing sie an zu sprechen, noch erwiderte sie seinen Blick ein weiteres Mal. Grübelnd und mit verbitterter Miene machte er sich auf den Weg, seine Sachen zu wechseln und ließ sie in dem bitterkalten Korridor der, da kein Licht brannte einer Ruine so glich, wie es der Rest dieses Ortes tat. Das einzige was diesen Eingang durchschritt war das dunkle, kühle Licht welches von draußen hinein schien und die paar einzelnen Schneeflocken die vom stärker werdenden Wind in den Korridor getrieben wurden, während im Hintergrund dunkle Gewitterwolken in unsäglichem Tempo über die trostlose graue Landschaft zogen.


Während er sich seiner Jacke entledigt hatte und sich eine türkise Wollmütze mit Bommel auf den Kopf gesetzt hatte, hafteten seine Gedanken immer noch an dem Bild das sich ihm da gerade geboten hatte.
Er hatte sie dort in der Kälte sitzen lassen, auf sich allein gestellt das man denken könne, es wäre bloße Einbildung gewesen, so das was er gesehen hatte bloß ein Streich seiner Fantasie gewesen war. Und wenn nicht dachte er, was wenn ich nun zurückgehe und nur noch eine steinerne Statue vorfinde, aller Farbe, aller Wärme und allen Lebens beraubt. Woher kamen diese dämlichen Vorstellungen, er wusste einfach nicht was in letzter Zeit mit ihm los war.
Warum hatte er ihr nicht einfach geholfen.
Er hatte viele Menschen zwischen diesen Wänden weinen sehen doch waren diese ihm immer gleichgültig geblieben und er hatte bei ihnen nicht solch trauriges Entsetzen verspürt. Denn das was dieses Mädchen im Begriff zu zerstören war, waren keine Einsamkeit oder einfache Probleme des alltäglichen Lebens, es war etwas widerwärtiges, abscheuliches, dessen war er sich sicher.
Und da Giona nur zu gut wusste das fast alles Verhalten bloß das verzerrte Spiegelbild menschlichen Einflusses war, musste irgendjemand ihr etwas angetan haben, das sie sich von innen zerfressen ließ. Ein Keim der ihre Gedanken befiel und sie zu verbrauchen drohte.

Wäre er mit diesen Ansätzen, zu irgendeinem Freund oder vertrauten Betreuer gegangen , den er nicht besaß, hätte man ihn lachend weggeschickt, hinter seinem Rücken den Kopf geschüttelt und sich bei der Wiederkehr solcher Behauptungen, langsam von ihm entfernt. Denn Probleme hatte es in dieser Einrichtung nicht zu geben, nicht das noch das ach so hohe Ansehen so in Verruf gerate, das die verbliebenen Alten des Dorfes einen Herzinfarkt vor
lauter Empörung bekämen. Absolut unsinnig.
Es war nun 19 Uhr und er bekam allmählich Hunger. dDas er wenn er zum Essenssaal wollte durch den Eingangskorridor musste ließ ihn eines bedächtigeren Schrittes gehen.
Nicht das er sich vor einer erneuten Begegnung gefürchtet hätte, aber irgendwie hatte sich das Bild dieses versteinerten kleinen Mädchens in seinen Kopf gebrannt und er wollte es, auch wenn er wusste das es nicht wahr sein könne, nicht auf die Probe stellen.
Die Lichter im Gebäude waren nun endlich alle angegangen und schufen untermauert durch die dunkelbraunen Wänden gehüllt in das dämmrige Gelb der Lampen, eine geheimnisvolle Kulisse und wären nicht einige Kinder auf dem Flur gewesen wäre diese Atmosphäre vollkommen gewesen.
Angespannt lief er durch den Korridor der ihn vorhin so entgeistert hatte doch das Mädchen saß nicht mehr da. Ein tiefes Ausatmen bezeugte seine Erleichterung und doch blieb er neugierig ob er sie an diesem Abend wohl noch einmal zu Gesicht bekommen würde.


Stulle und Brot

Naja besser als nichts. Als er an einem der länglichen weißen Tische saß und sein Abendbrot mehr hinunterzwang als es zu vernehmen, wie es doch dem Werte des Essens entsprochen hätte, ließ er seinen Blick durch den Saal schweifen, fand aber kein Indiz welches zur Annahme hätte führen können, das dass Mädchen den Saal ihrer Anwesenheit her bereicherte.
Zwei Tische zu seiner Rechten saßen die fünf Jungs die ihm in den frühen Morgenstunden so zugesetzt hatten und das ohne nachvollziehbare Beweggründe. Doch war es ihm eigentlich vollkommen egal, irgendwie machte ihm seine eigene Neugierde was das Mädchen betraf, Angst. Ob es daran lag das er sich noch nie für einen Menschen eingesetzt hatte, es könnte sein. Was sollte man als Waisenkind auch anderes im Kopf haben als sich selbst, wenn man niemanden hat der einem zeigt, das sich für andere Menschen einzusetzen und für sie ein Teil seines Selbst zu geben, auch wenn es nur das Bestreben ist zu helfen, das Leben lebenswerter macht.
Denn wenn auch, er glaubt in Einsamkeit zu leben wäre reifer und auf eine Art männlicher, als all die Gefühlsduselei, die er sonst so verabscheuend fand weil er voll von pubertärem Neid sich die Sehnsucht danach, nicht eingestehen mochte, so ist es doch das schwierigste und härteste im Leben die Menschen um sich herum zufrieden und glücklich zu machen und sich dabei selbst komplett aufzugeben, denn wenn man das schafft wäre der Gefühlszustand Glück für ein soziales Wesen, sicherlich neu zu definieren. Nur das er das jetzt gar nicht im Begriff war zu verstehen.
Er aß zu Ende und ging ein bisschen umher ohne an diesem Abend noch einmal dem Mädchen zu begegnen.


Urplötzlich

Als wäre die Schwärze durch die er bisher sein ganzes Leben lang gewandert ward, einem fernen Licht gewichen. Auf dass er sich wie durch einen starken Schlag in den Hinterleib, wirbelnd dem Unbekannten entgegen, fliegend näherte. Und wie der Aufprall eines hoch geflogenen Körpers, auf dünnes Eis oder ein Ball angetrieben von unglaublicher Wucht, der durch eine Scheibe schlägt, splittert die Schwärze in tausende sich spiegelnde Scherben. Die Dunkelheit hinter ihm reflektierend. Er fällt weiter und ihm war als würde die Kälte und Ungewissheit die sich stets an ihn geklammert hatte weggerissen und entglitten wie ein Blitz dem Blick, hinein ins endlose Gewitter, Fallend dreht er seinen Kopf und sieht die Schwärze hinter sich wie eine sternenlose Nacht. Rasend, wie ein brennender Stern in unbekannte Gestade hinein.
Der Aufprall ist markerschütternd.
Während er das Gefühl hat seine Haut würde ihm entgleiten sowie der komplette Rest seines Körpers, fielen leise klirrend die Scherben neben ihm nieder. Das ganze Schauspiel, trug sich bis hinein in den Horizont. So entstand eine Symphonie der höchsten Klänge die er je vernommen hatte. Deren Versuch zu beschreiben, ein Wahnwitz gewesen wäre. Giona wusste das Ganze gar nicht zu fassen. Seine Augen keinem bestimmten Ziel hinterherhuschend glänzten von unbekanntem Licht.
In weiter Ferne türmten sich Kristalle die aus dem endlosen Nichts des Himmels zu fallen schienen, zu zwei großen Türmen.
Langsam die Gestalt zweier Menschen annehmend. Seine Lippen bebten und Tränen rannen sein Gesicht entlang, als wären sie gehetzte Tiere die sich aller Kraft darauf bedachten dem bebenden Untergrund zu entkommen. Im Spiegelbild der dahinsinkenden Tropfen waren zwei Statuen entstanden dessen Höhe man nicht in Worte hätte fassen können.
Dumpfe Schläge ließen Grund und Boden erzittern und die Scherben und der Staub um ihn herum sprangen auf. Er sah wie sich kleine Stücke aus dem kantigen Mosaik der Figuren zu lösen begannen. Rein von der Wucht des Aufpralls und der unglaublich niedrigen Geschwindigkeit die diese Objekte im Fall entwickelten, mussten jene solche Ausmaße haben, die sich mit Wolkenkratzern hätten vergleichen lassen. Wie groß das Gesamtbild also war ließ sich nur unschwer erahnen. Irgendwie kamen sie ihm wie weit entfernte Planeten vor die es zu erreichen galt.


Starren Gesichts und mit weit aufgerissenen Augen, kam er wieder zu Sinnen und fand sich vollkommen verwirrt in dem Speisesaal wieder der ihm währenddessen nicht im Geringsten existent gewesen schien. Das Vorige hatte er zwischen den ganzen Bildern vollkommen vergessen. Den Blick auf den Tisch gerichtet dachte Giona er würde in einen Spiegel schauen dabei war es nur ein durch seine eigene Trauer entstandene Pfütze. Er schürzte seine Lippen und sie schmeckten als hätte man an einem mit Salz bestreutem Laubblatt geleckt. Er zitterte und es war nicht dieses Zittern das von der Kälte her rührte, es war und das wusste Giona, das Gleiche welches, das Mädchen vor einigen Stunden die ihm vorkamen wie Tage, durchschossen hatte.
Seine Lippen, sein Brustkorb, seine Knochen, sein Geist zitterten. Es war vollkommene Erschütterung. Ihn hätte es nicht gewundert das wenn man ihm in die Augen schaute dieses Beben auch Seine Pupillen erfasst hätte.
Keiner lachte, alle Tätigkeit und Ausdruck waren einem Gesicht der Ernsthaftigkeit gewichen, wie man es von Soldaten aus diversen Kriegsgebieten erwartet hätte, aber doch nicht von Kindern. Wieder einmal der Unterschied zwischen denen dort draußen und denen hier drin.
Wenn man nun sagen würde das die Kinder in einem Waisenhaus doch gar nicht so schlecht dran sein, also diese Ernsthaftigkeit die nur Erwachsenen bestimmt sein sollte, gar nicht begründet wäre und man so das Ganze eines Fake´s bezichtigen würde. Denn die Kinder könnten ja schließlich auch tot oder behindert sein, in einem Gebiet der Erde leben in welchem Korruption, den Hunger hervorbringt und bewohnte Gebäude zerschossen wurden nur um die eigene Macht zu demonstrieren. So würde ich schreien dachte Giona. Nein, die Belastung auf die Psyche ist hier in unseren Umgebungen doch viel höher als ihr denkt, wenn nicht sogar genauso hoch. Denn werden die Menschen in solchen Ländern nicht schon seit langer Zeit, in die Umstände hineingeboren und außerdem von vielerlei Propaganda verschont, derer wir jeden Tag ausgesetzt sind, die uns Sterne und Träume näher bringt. Die zeigt wie schön das Leben aller anderer ist. Wo tausende billige TV-Shows funkeln wie Sterne, obwohl sie billige Lampen aus einer Massenfertigung sind. Die einem glückliche Familien und witzige Satiren verarmter Leute zeigen. Wo einem unter die Nase gerieben wird, das man alles sein kann, aber einem kein Weg offenbart wird. Die Individualismus und Informationen so groß schreiben, das man denken könnte das man es vor lauter Enthusiasmus am besten herauskotzen sollten und sich in der Verfassung sah jedem nahe stehendem die Nase reinzudrücken. Er fing an zu lachen, ja laut zu lachen, so wenig es auch der Situation entsprach.
Und die Gesichter wandelten sich zu verdutzten und verstörten. Eines war er sich sicher, wir dachte er, haben es weit schwerer als ihr alle denkt und so mutig es auch ist Leid mit anderem Leid zu vergleichen, gleich den Unterschied zweier Tränen suchend kann man sagen das unseres mit dem der Kinder in Entwicklungsländern gleichzusetzen ist.
Ein Gefühl des Stolzes kam in ihm auf, denn viele die hier um ihn herum saßen, waren wir er, dachten wie er und litten wie er. Komisch das er das erst jetzt erkannte.
Eine Gruppe wispernder Schatten, ein Zwinger voller Tiere die irgendwann heraus gelassen wurden, um auf halber Strecke bei ihrer Suche nach dem rechten Weg wieder weggesperrt zu werden, oder letzten Endes verkamen wie verstaubte Gemälde die man ohne eines Blickes zu würdigen auf den Müll warf.

Entgegen der Erwartung der anderen, er würde sich schämen lief er breit grinsend nach draußen und ging nach oben, ohne das Bestreben danach gehabt zu haben. Es war eher das Verlangen sich zu bewegen. Denn er ritt auf den unvergleichlichen Wogen der Euphorie, welche einen verkrampft bewegen ließen und einen dazu brachten, die Hände in die Oberschenkel zu graben.
Weil man vor lauter Tatendrang, nicht weiß wohin mit der Energie. Sein Umfeld wenig beachtend sah er sich selbst an dem Anstaltsleiter vorbeigehen der ihn seinerseits nicht ein Mal wahrnahm. Giona ging beflügelten Schrittes weiter, als neben ihm die Tür leise knarrte und das namenlose Mädchen in den Flur trat. Die Augen starr und leblos. Er sah an ihr herunter und bemerkte wie sich rote Flüsse verzweigten, wie das nackte Wurzelwerk eines Baumes.



Quell

Müde erwachend rieb Giona sich die Augen, denn alles war nur ein Traum gewesen.
Wieder einmal, hatte er diese Geschichte nicht zu Ende träumen können.
 

Ralph Ronneberger

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Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

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