Die Membran

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mugwump

Mitglied
[ 3]Im Laufe der Jahre wurde er zusehends einsilbiger, er beschränkte sich immer mehr darauf nur das absolut Notwendige zu reden, um nicht den Eindruck einer sonderbar vereinzelten und grüblerischen Person zu erwecken. Er wollte kein Aufhebens um sich gemacht wissen.

[ 3]Er fand, es gäbe wenig über ihn zu berichten, was die Mühe des Erzählens wert gewesen wäre. Seine Rätsel, die ihn in seiner Jugend noch bestimmt hatten, waren nicht gelöst, er hatte nur das Interesse an ihrer Lösung verloren. Die Frage, ob er aus Liebe zu einer Gewalttat in der Lage gewesen wäre, war verschwunden, zusammen mit der Liebe, ebenso wie die Frage, ob er zu Höherem bestimmt zusammen mit seinem Respekt vor jedem Höherem verschwunden war.

[ 3]Traf er Bekannte, so ließ er sie in dem Glauben, es gäbe noch eine dritte, nicht anwesende Person, mit der er engeren Kontakt pflegte und die Reserviertheit, mit der er diesen Bekannten begegnete, wäre ein Makel ihrer Beziehung und nicht ein grundlegender Zug seines Charakters, der ihn von seinen Mitmenschen immer weiter isolierte.

[ 3]Mit der Zeit eignete er sich ein gewisse Zufriedenheit darüber an, nur lose in die Welt eingebunden zu sein und er fand Geschmack an der Befriedung seiner Sehnsüchte, die sich wie eine milde Betäubung in ihm verbreitet hatte. Bald kam es ihm so vor, als sei seine Haut nur noch eine dünne Membran, die zwei Leeren voneinander trennte.
 
Von wegen "Hobbydichter".
Dieser Text ist zwar nur ein Fragment (ich hätte ihn mir eigentlich ausgeführter gewünscht) - aber er ist ein psychologisches Meisterwerk!
Genau übrigens wie das Fragment in Deinem blog "Der Club der Selbstmörder".
Weiter so, und ich würde gerne mehr von Dir lesen ...
 

petrasmiles

Mitglied
Ich möchte Waldemars Ansatz unterstreichen, und mich ein bisschen beschweren ;): man taucht so schön in Deine gehaltvollen, langen Sätze ein, und dann 'frierts' einen, weil der Text so schnell zu Ende ist ...

Liebe Grüße
Petra
 
N

no-name

Gast
Ja, nüchtern (fast emotionslos) und sachlich geschrieben - und trotzdem, oder villeicht gerade deswegen ein Text mit Sogwirkung! Wirklich gelungen, mugwump!

Grüße von no-name.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Autobiographisch?

Schade. Dünnhäutige Menschen sind ja oft für Kleinigkeiten anfällig, hier ein kleiner Kommentar und schon wollen sie die ganze Welt schlachten. Dein Protagonist beschreibt seine Haut als dünne Membran, die zwei Zustände der Leere nur hauchzart voneinander trennt, obwohl diese zwei leeren Räume aufgrund gemeinsamer Merkmale keiner Trennung bedürften, wie mir scheint. Es geht um die Frage danach, auf welcher dieser Seiten der Leere man nun stehen muss, um es angenehm zu haben oder um es geschafft zu haben oder um so auszusehen, als wüsste man etwas vom Leben. Tatsächlich schwingt aber hier der Unterton, dass es egal ist. Es gibt kein Ziel, der Protagonist hat die Ziel-Suche aufgeben müssen, weil die Leere nicht nur auf seiner sondern auf allen Seiten bestimmend ist. Einst idealisierte Ziele und angeblich aus der Ferne unheimlich erstrebenswert erscheinende Räume waren bei Licht betrachtet auch nur leer. Was soll der Mensch in einer solchen Welt?
 

mugwump

Mitglied
> Autobiographisch?
Und wenn? Spricht das gegen den Text? Oder dafür? Ich glaube, ich verstehe die Frage nicht.

>Schade. Dünnhäutige Menschen sind ja oft für Kleinigkeiten
>anfällig, hier ein kleiner Kommentar und schon wollen sie die
>ganze Welt schlachten.

Hey, sachte, von Schlachtfest war ja hier noch gar nicht die Rede, das ist ja noch einer der harmloseren Texte. Aber mit ein bisschen Blut muss man schon umgehen können, wenn man schreiben will, oder?!

> Dein Protagonist beschreibt seine Haut als dünne Membran,
> die zwei Zustände der Leere nur hauchzart voneinander
> trennt, obwohl diese zwei leeren Räume aufgrund gemeinsamer
> Merkmale keiner Trennung bedürften, wie mir scheint. Es geht
> um die Frage danach, auf welcher dieser Seiten der Leere man
> nun stehen muss, um es angenehm zu haben oder um es
> geschafft zu haben oder um so auszusehen, als wüsste man
> etwas vom Leben.

nee. Das iss irgendwie nich der Punkt. Es geht auch gar nicht um zwei verschiedene Einstellungen zum Leben, zwischen denen man die Wahl hätte. Es geht schon sehr banal um das Innen und das Außen des Protagonisten. Und vor allem, um seine Auflösungserscheinungen: Der Titel hat schon seine Bedeutung - eine Membran ist eine durchlässige Schicht, die zwei Umgebungen voneinander trennt und den Austausch zwischen Ihnen ermöglicht. Der Protagonist bemerkt gerade, dass er sich in diesem Austauschprozess an seine Umwelt angepasst hat, er verströmt sich: Es fällt ihm immer schwerer, sich in der Welt als eigenständig zu behaupten. Es ist ein durchaus ozeanisches Gefühl, aber nichts für oder gegen das man sich entscheiden könnte. Nix moralisches, nix angenehmes oder unangenehmes, nur etwas, das man zur Kenntnis nehmen kann oder eben nicht.


> Tatsächlich schwingt aber hier der Unterton, dass es egal
> ist. Es gibt kein Ziel, der Protagonist hat die Ziel-Suche
> aufgeben müssen, weil die Leere nicht nur auf seiner sondern
> auf allen Seiten bestimmend ist. Einst idealisierte Ziele
> und angeblich aus der Ferne unheimlich erstrebenswert
> erscheinende Räume waren bei Licht betrachtet auch nur leer.
> Was soll der Mensch in einer solchen Welt?

Das ist mir ein bisschen zu moralisch. Ich habe da natürlich keine Antwort darauf. Bleiben wir bei dem Bild des Verströmens, dann ist es eher ein Prozess der Erkaltung, als das der Text irgendwelche Wertungen darüber abgeben wollte, ob Ziele erstrebenswert sind oder nicht. Das Entscheidende ist nicht, das er die Fragen (hat das Leben einen Sinn? Gibt es eine unendliche Liebe? usw.) mit Nein beantwortet hätte, er hat nur keine Antwort darauf gefunden und jetzt aufgehört, danach zu fragen. Wenn das nicht raus gekommen ist, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob man etwas aufgibt, weil man eingesehen hat, das es verfehlt ist, oder ob man einfach aufhört danach zu streben und alle Fragen ungelöst bleiben (und nicht etwas einfach nur mit Nein beantwortet werden), dann ist das Stück allerdings fehlgeschlagen, denn genau darum ging es.

[ 4]Und wenn ich nochmal zu der Frage nach dem autobiographischen des Textes zurück kommen darf: Das ist neben einer persönlichen Bewegung auch die Bewegung einer Generation und einer Gesellschaft: Konflikte werden nicht gelöst, sondern schwelen, werden vertagt, verschleppt, verenden, ohne jemals zu Ende gebracht worden zu sein - sie verschwinden nicht, sondern die Dringlichkeit der Frage lässt nach. Das Problem der Religion (gibt es einen Gott? Komme ich in den Himmel?) ist im Westen nicht gelöst, aber es hat seine Dringlichkeit verloren: Wir kommen nicht mehr an den Punkt zurück, an dem wir uns muslimische Terroristen vorstellen können, weil die Frage der Religion nicht mehr dieselbe Dringlichkeit hat, wie sie es zum Beispiel noch bei Meister Eckhart hatte. Es ist eine Frage der Temperatur, nicht des Wesens dieser Konflikte. Von daher: Ja, natürlich ist das Fragment autobiographisch, aber man ist immer auch Seismograph seiner Außenwelt und schließlich trennt eine Membran nicht nur das Innen vom Außen, sie verbindet sie auch miteinander.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Liebes mugwump, wenn du beschreibst, dass es gerade ein Generationenproblem sei, dass die Dringlichkeit der einst mit Hitze betriebenen Suche nachlässt, lass mich die These aufstellen, dass es ein Problem von "Altersmilde" ist, die einen zwar nicht resignieren lässt, aber einen milde macht, das Individuum sich auf eine Versöhnung mit der Ungewissheit einlässt, die ihn früher zu Tiraden der Abneigung nötigte. Vielleicht ist es ein Problem, dass die Generation unseres lyrischen Ichs hier schleichend älter und abgeklärter geworden ist, während sie sich noch in Jugendzeiten geschworen hatte, nichts kommentarlos hinzunehmen, alles anders zu machen als die "Alten", sich sowieso durch ein diskurslastige, sprachanstrengende Suche auszeichnen zu wollen. Nur blieb davon nichts übrig, die Ambitioniertheit war vorübergehend, so war sie immer schon gedacht, so war sie immer schon eine antroposophische Konstante in der Menschheitsentwicklung, und man glaubte gerade noch, dafür zu komplex zu sein, in der eigenen Persönlichkeit zu komplex um etwas zu dulden, um Energie anders zu verwenden als auf die Klärung und Suche nach Klärung der notwendigen Fragen des Existenzproblems.
Außerdem glaube ich, dass Generationen intern viel zu heterogen sind, als dass dieses Grundproblem zu verallgemeinern ist, und andererseits halte ich doch alle Generationen seit jeher untereinander für viel zu ähnlich, weshalb man Probleme solcher Natur nicht nur bei der deinen sondern bei allen Generationen finden kann.

Hab ich was falsch verstanden?
 

Milko

Mitglied
hallo

um meine sicht zu verdeutlichen will ich
eine "Weisheiten" ,
von mir leider nicht namentlich möglich zu benennender Autor"
voranstellen :
_____________________________________
wenn ein problem unlösbar scheint

ist es manchmal besser
Es zu akzeptieren
was nicht zu ändern ist

den Mut zu haben
was zu ändern ist
zu ändern
[ 4][ 4][ 4][ 4]und
die Weisheit besteht darin

den Unterschied zu erkennen
_____________________________________


zu carlos haltungsspiralen erlaube ich mir zu bemerken ,
herr carlos wieviele der gestellten Fragen haben Sie sich selbst schon beantwortet
und bitte
ich weiß das ihre blicke weit über des nachbarn gartenzaunes hinaus blicken können und wenn sie amerikanismus" als entschuldigung für ihr schrebergartenprofessoren weltanschauungsmaterial machen ,wünschte ich mir zu diesem zeitpunkt ,schon lange, einen neuen Kassenwart
regional schon eingebunden
bleibt man sich treu
good morning
( gut ist ja da ich weiß das carlos mit meinen kommentaren nichts anfangen kann das ich mir "keine sorgen um ihn machen muß )
again
good sunday morning
gm
 

Carlo Ihde

Mitglied
Nichts Neues an meiner Front, liebes Milko: mit deinem Kommentar kann ich nischt anfangen. Mein Blick geht über den Nachbarszaun hinaus? Richtig. Antiamerikanismus? Falsch. Herr Carlo[blue]s[/blue]? Nett. Zwar falsch, aber nett. Ich finde den Text von mugwump gar nicht verkehrt. Freie Textassoziation kann durchaus so aussehen, wie ich das versuche. Stößt dir das auf? Weil ich glaube, in deinen Kommentaren, die ich nicht verstehen kann, die Verschleierung einer latenten Ablehnung erkennen zu können. Falsch?
 

Milko

Mitglied
falsch

latente abneigung ,
bei solchen themen
kenne ich nicht
!!!herr carlos , nett , dann bleibt das so
gm

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