Die Moderne

carola

Mitglied
Anfang der 60er Jahre zog in meine Familie unwiderruflich der Fortschritt ein. Ich war sieben Jahre alt und hatte noch drei Jahre vor mir, in denen ich Zeugin dieser Umgestaltung wurde.

Vor dem Fortschritt lebten wir in einem alten Bauernhaus. Das Reetdach war mit Moos überzogen, im Frühjahr beerdigten wir junge Spatzen, die aus ihren Nestern gefallen waren. Das Haus hatte viele dunkle Zimmer, einen langen kalten Flur, Öfen, Treppen, Winkel und eine jahrhundertalte Geschichte, die einen begleitete, den Weg zeigte und Halt gab. Im Garten wuchsen uralte Bäume, Wege und Beete, von Generationen ausgetreten und gepflegt. Scheunen und Ställe waren eingearbeitet, die Mauern gerundet von der täglichen Benutzung ihrer Bewohner.

Doch unser Haus lag zu dicht an den großen Städten und meine Eltern waren zu jung, um den Wert der Dinge zu erkennen.

Der Wahn der Moderne griff um sich. An Nord- und Ostseeküste entstanden Betonkolosse für Urlauber, in den Dörfern Wellblechhütten für Bauern. Krieg und Verwüstung hielten Einzug. Wir spielten in den Ruinen. Zwischen alten Dachbalken, eingerissenem Reetdach, eingeschlagenen Erkern, Steinen und Sandwüsten im Garten. Geköpfte Bäume, niedergetrampelte Beete, ausgerissene Türen und Fenster.

Unser Haus ist damals gestorben, ich habe seinen Geist nie mehr gespürt, nur in den Ställen sind Reste geblieben, alte Steine und Fenster, die Schwalben, mit ihren unermüdlichen Ein- und Ausflügen.

Nach drei Jahren Umbau standen wir dann vor dem neuen Haus, einem hässlichen, sterilen Klinkerbau, von einer mickrigen, neu gepflanzten Rasenfläche umgeben. Nichts deutete mehr auf die alten Zeiten hin, alles war bereinigt und gerade. Wir Mädchen steckten in zu kurzen Minikleidern aus Nylon, an Hals und Ärmeln zu eng, in einer Zwangsjacke der Begradigung, die unseren Formen und unserer Lebensfreude nicht entsprach. Wir saßen im neuen, riesigen Wohnzimmer mit PVC-Boden und großen Fenstern, voll gestellt mit Azaleen, die es von den Nachbarn zum Einzug gab. Der Fernseher stand in der Ecke, es gab Chips und Cola, die wir massenweise zu uns nahmen, ohne jemals Befriedigung zu erfahren. Verlorene, heimatlose Kinder auf dem Weg in die Moderne, von der sich unsere Eltern die Erfüllung ihrer Träume und Wünsche erhofften.
 
W

willow

Gast
Hallo,

sie fängt spannend an, ist locker erzählt und liest sich gut, doch ist sie ohne Handlungsbogen mehr eine Schilderung, denn eine Geschichte. Es gefällt mir sehr gut, drum auch mein Rat: mach eine echte Geschichte daraus.
Verknüpft mit einer Begebenheit aus der Jugend würde das Geschriebene meiner Meinung nach einen hervorragenden Rahmen abgeben. Vielleicht lässt du die Protagonistin ein wenig älter sein (10) und stellst diese Modernisierung gleichzeitig als Übergang von der Kindheit in die Pubertät dar. Ich denke, das gäbe eine prima Geschichte.

Lieber Gruß,

willow

P.S.: "...hatte noch drei Jahre..." hört sich für mich so an, als sei die Protagonistin danach weggegangen... wenn ja, dann solltest du darauf noch einmal zurückgreifen.
 
G

Guest

Gast
Da schließe ich mich an,

das Ganze eignet sich wirklich gut für einen Handlungsaufriss, aus dem sich dann bestimmt eine hervorragende Story bauen lässt, in der auch geeignete Szenen gut mit Dialogen passen würden. Ich finde, Du solltest das echt mal überdenken!

Gruß, GUIDO
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Carola,

ich möchte mich meinen beiden Vorrednern anschließen. Du hast zwei durchaus beeindruckende Kulissen hingestellt. Nun mußt Du n u r noch das Stück schreiben und den Schauspielern Leben einhauchen.

Noch ein paar Dinge, die mir unter anderem aufgefallen sind:

"Anfang der 60er Jahre zog in meine Familie unwiderruflich der Fortschritt ein. Ich war sieben Jahre alt und hatte noch drei Jahre vor mir, in denen ich Zeugin dieser Umgestaltung wurde."
Das klingt mir ein wenig zu gestelzt.

"und eine jahrhundertalte Geschichte, die einen (hier wäre "uns vielleicht angebrachter) begleitete,

"Im Garten wuchsen uralte Bäume, Wege und Beete,..."
Also Wege und Beete wuchsen da garantiert nicht. Also: Nach Bäume einen Punkt machen und einen neuen Satz anfangen. Das wäre nicht die einzige, aber einfachste Lösung.

"... die Mauern gerundet von der täglichen Benutzung ihrer Bewohner."
Ich weiß, was Du meinst, aber vielleicht fällt dir eine glücklichere und vor allem eindeutige Formulierung ein.

"in den Dörfern Wellblechhütten für Bauern."
Im Westen hausten die Bauern in dieser Zeit tatsächlich in Wellblechhütten? Ein Glück, dass das die Propagandisten im Osten nicht mitbekommen haben. :))

"Krieg und Verwüstung"
Den Krieg würde ich hier raus lassen.

"... neu gepflanzten Rasenfläche umgeben."
Raasen wird nicht gepflanzt - man säät ihn.

"Der Fernseher stand in der Ecke, es gab Chips und Cola, die wir massenweise zu uns nahmen, ohne jemals Befriedigung zu erfahren."
Also vom Fernsehen bei Chips und Cola habe ich auch noch nie Befriedigung erfahren. ;-))

Gruß Ralph
 



 
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