Die Nuancen der Stille

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Melisande

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Manchmal ist das Leben nicht grün, rot oder blau. Nicht schwarz oder weiß. Manchmal verliert es sich gänzlich in den zahllosen Nuancen dazwischen. Hängt nahezu fest und dann verändert sich plötzlich alles, nur weil man einen halben Schritt zu weit nach links gegangen ist. Und vollkommen unerwartet taucht dieser Moment auf, diesen einen Moment in dem man in den Spiegel schaut und feststellt wie sehr einem die Farbe fehlt.

Farbe auf der Haut, an der Kleidung. Farbe in den Haaren, auf den Nägeln. Zu viel Farbe auf den Zähnen oder unter den Augenlidern. Sie verführt uns, berührt uns, beschämt uns und doch können wir nicht von ihr lassen.

Sie begleitet uns in allem. Sie ist eine Verknüpfung, ein Symbol, ein Geruch und eine Bedeutung, ein Gefühl und eine Symphonie.

In diesem Wirrwarr an Nuancen ist es schwierig in dem Bereich zu bleiben in dem man sein möchte. Es ist schwierig den richtigen Weg zu finden und es ist schwierig am Ende nicht wie die Leinwand eines euphorischen Künstlers auszusehen, der seine Gefühle veranschaulicht.

Genauso schwierig ist es jedoch auch den Bezug zu all diesen Farben nicht zu verlieren. Die Bedeutung nicht zu vergessen, die sie für einen ganz persönlich haben.

Denn ab und an verwischen sich die Grenzen der Nuancen und somit auch der Bedeutungen und schnell wird aus einer tiefen Liebe eine leidenschaftliche Affäre oder aber großer Hass. Alles gefangen in diesem rot.

Blutrot -
Das ist der Arsch, der so unglaublich gemein auf meinen Post bei Facebook reagiert hat. Er ist recht klein. Er sieht kränklich aus und doch lacht er viel. Ich kann ihn nicht wirklich einschätzen, weiß nicht so genau was ich von ihm halten soll. Ich imitiere meine Schwester in ihrem Verhalten, sie kennt ihn schon länger. Beim Abschied hielt er meine Hand einen Moment zu lange. Dass weiß ich noch. Einen Moment, in dem große Skepsis in mir aufkam und ich ahnte, dass mehr passieren würde.

Ich hatte ihn richtig durchschaut. Er fügte mich seiner Freundesliste hinzu und schickte mir ein Lied. Das war alles was er tat. Er war wesentlich älter als ich und ich konnte mir weder vorstellen, dass er Interesse an mir hatte noch hatte ich welches. Er war mir sehr suspekt. Das Lied jedoch war sehr schön.

Sein Profilbild war eine einzige Katastrophe. Er sah darauf krank aus, wie ein Säufer. Rötliche Gesichtsfarbe, Ringe unter den Augen. Gestalterisch äußerst unvorteilhaft fotografiert.

Es hatte mich weit weg verschlagen. Weit weg von allen Menschen, die ich liebte. Aufgrund einer Geschichte, dessen ich mich so schämte, wie kaum einer anderen. Doch ich schaffte seitdem alles alleine und aus eigener Kraft.
Wir schrieben uns viel. Mal über dies, Mal über das.

Irgendetwas weckte das in mir. Eine Art Ansporn entstand. Wollte ich mir vielleicht etwas selber beweisen? Ich fühlte mich wohl und doch wusste ich, dass es nicht richtig war. Es war nicht gut. Und doch war es genau das was mir irgendwie Spaß machte. Wollte ich ihn erobern? Einfach nur dadurch wie ich war? Wollte ich genau das Gefühl in ihm erzeugen nach dem ich mich sehnte?

Ich lernte ihn kennen. Vielleicht lernte ich ihn zu gut kennen. Ich sagte zu ihm: ich liebe dich. Ich weiß bis heute nicht ob ich es wirklich so meinte, in diesem Moment. In diesem einen Augenblick, der so lange leer schien, dass er mit etwas gefüllt werden musste. Also sagte ich es. Diese Worte, die nicht einfach so gesagt werden sollten. Mit denen ich mir hätte Zeit lassen sollen, doch ich wollte sie fühlen. Tat ich es?

Er tat es. Überall sprang er hinzu, half mir, küsste mich, umarmte mich, lachte mit mir und ich mit ihm. Er wurde gesünder, sein Gesicht wurde wieder normal. Er hörte auf zu trinken und ließ auch das Rauchen für mich sein. Es war guter Sex, noch nie hatte ich besseren gefühlt. Noch nie so offen gesprochen. Noch nie so eine Geborgenheit geschenkt bekommen.

Doch die Ränder begannen zu trocknen. Sie wurden dunkler, fast braun und bekamen Risse als ich mich nicht mit den Eltern verstand. Als wir stritten und zankten. Als ich sie zu hassen begann. Alles an Ihnen. Ihren Geruch, ihre Stimmen, ihr Aussehen, ihre Art zu sprechen, ihre Art sich zu bewegen, ihre Art zu leben, ihre Art zu denken. Einfach alles. Doch ich lächelte nur. Hoffte darauf, dass wir beide bald eine Lösung gefunden hatten, die uns weiter weg brachte.
Er suchte gemächlich nach ihr. Das tat mir weh.

Braun -
Beruflich hatte ich das große Glück etwas fort zu kommen. Andere Luft zu riechen. Andere Dinge zu sehen. Andere Farben um mich herum.
Leider holte mich abends die Tatsache ein, dass er nicht wirklich viel dagegen unternahm, dass alles braun wurde. Und das ich nichts dagegen tun konnte.

Grün -
Das Versprechen von Veränderungen bringt immer einen Aufschwung mit sich. Die Freude auf drei unbeschwerte Tage unter Freunden bei einer Schulung ebenso.
Alleine der erste Tag lässt mich lachen. Was für eine wundervolle Lebensfreude ein Mensch fühlen kann. Wie interessant und witzig es ist die Gegenwart von Freunden zu genießen. Wir frönten dem Genuss und lachten überschwänglich. Und zwei Augen, so grün wie ein Waldsee, begleiteten mich dabei.

Karmesinrot -
Wie schmeckt es, wenn man in zwei Augen sieht und erahnen kann was der Kopf dahinter denkt. Wie riecht es, wenn ein Lachen dein Lachen weckt. Wie fühlt es sich an, wenn man sich auf den ersten Blick verliebt und eigentlich einen Freund hat?
Erschreckend.
Ich traf ihn mit klopfendem Herzen. Es pochte so laut, dass ich es in meinem Hals spüren konnte. Ich war so unglaublich aufgeregt wie nie.
Er war mein Trainer. Er küsste mit so unglaublich weichen Lippen. Er roch so gut, so sehr nach ihm und ganz leicht nach Vanille. Sein Körper war nicht trainiert, er war nahezu speckig. Er trug einen grauen labbrigen Jogginganzug und doch alles was ich fühlte, alles was ich roch, alles was ich sah und alles was ich schmeckte war er.
„Heirate deinen Freund.“, sagte er und sah an mir vorbei. Irgendwo hinter mir suchten seine Augen etwas. Fixierte irgendetwas an der Wand.
„Aber, ich will ihn doch gar nicht heiraten.“, antwortete ich ohne zu überlegen. Die Worte sprudelten aus mir heraus. So unüberlegt wie alles war, was wir getan hatten. Er stutzte, sah mich an und küsste mich. Wieder und wieder.
Für diese eine Nacht. Einzig und allein seine Küsse. Nicht mehr und nicht weniger. Seine Küsse.

Lichtblau -
Wir schliefen getrennt. Der Auffälligkeit wegen. Wir lachten zusammen und obwohl wir uns nicht anders verhielten. Obwohl wir nicht mehr Kontakt pflegten als vorher, schien man zu merken, dass uns etwas verband. Einen letzten Tag lang.
Wir umarmten uns, wie gute Freunde, und verließen den Ort um zu der Person zurückzukehren, der wir gesagt hatten, dass wir sie liebten, bevor wir gingen.

Mannigfaltig -
Ich lasse mich treiben. Schließe die Augen. Genieße die Ruhe und das leise ruhige Tropfen des Wasserhahns. Ich schwimme in meinen Gedanken. Schwimme in den Farben und tauche hin und her. Sie sind unstet. Wirbeln umher. Schmeißen um sich und lassen sich nicht kontrollieren. Ich verliere mich immer wieder in Ihnen. Schwimme, treibe, gleite fort in der Unendlichkeit ihrer Vielfältigkeit.
 

Rafi

Mitglied
Hallo, Melisande!
Ein sehr schön geschriebener Text. Für eine Veröffentlichung in der Rubrik „Erzählungen“ fehlt mir allerdings ein bisschen die eigentliche Geschichte.
Hier und da klingt der Text wie ein Eintrag im Tagebuch, dann wieder verspricht er einen Handlungsstrang, der jedoch nicht kommt.
Du malst wunderschöne Bilder mit Deinen Worten, die Satzstellung ist durchdacht und weckt Emotionen. Tief lässt Du in Deine Gedanken schauen, teilst eine Welt mit uns, in der jede der von Dir beschriebenen Farben sichtbar, spürbar, nachvollziehbar wird. Aber eine „Geschichte“ im eigentlichen Sinn, so, wie sie die Erzählung braucht, sehe ich nicht.
Trotzdem herzlichen Dank dafür, dass ich diesen wirklich tiefgehenden Text lesen durfte.
 



 
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